Dieser Artikel ist eine Dokumentation von meinem achten Experiment bei Kreation 2.0 – meiner Kreativitäts-Challenge im Kontext von KI. Ich habe es am 28. Dezember 2024 durchgeführt und am 29. Dezember 2024 aufgeschrieben.
Idee
Beim aktuell stattfindenden Chaos Communication Congress habe ich mir den für mich sehr interessanten Vortrag ‚Wie wird gleich‘ von Kathia angehört. Sie hat die These aufgestellt, dass wir unsere Umgebungen gestalten und Umgebungen uns gestalten. Zur Umgebung gehört unter anderem die Sprache, die Architektur und auch virtuelle Räume. Mit vielen Beispielen hat sie darauf aufbauend deutlich gemacht, dass in der herrschenden Gesellschaft Umgebungen vielfach passivierend wirken. Es ist aber auch möglich, das ganz anders zu machen, zu Aktivität und Gestaltung einzuladen und auf diese Weise bessere Zukünfte zu gestalten. Mit ihren Beispielen wollte sie die Selbstwirksamkeitserwartungen der Zuhörenden stärken. Denn oft sind es nur Kleinigkeiten, die nicht viele Ressourcen, sondern bewusste Gestaltung bedürfen, die einen Unterschied machen.
Ein Beispiel von Kathia war der Lückentext: In der klassischen Form eines Lückentextes geht es darum, die eine richtige Antwort in der Lücke zu ergänzen. Beispiel: Paris ist die Hauptstadt von _______. Es gibt aber auch andere Möglichkeiten von Lückentexten, die eben gerade nicht klar und eindeutig sind, sondern vielfältig und vielleicht sogar gegensätzlich befüllt werden können und auf diese Weise zur Reflexion einladen. Ich erinnerte mich daran, dass ich solche Lückentexte schon in meinen Murmelrundenvorträgen verwendet habe. Zum Beispiel: Die technologische Entwicklung im Kontext von KI ______ die Gestaltung von gutem Lernen. Hier könnte eine Person ‚erschwert‘ ebenso einsetzen wie ‚ermöglicht‘ oder ‚verhindert‘ oder ‚erfordert‘ …
Mein Ziel des heutigen Experiments war es, solche guten, weil reflexionsförderlichen Lückentexte mit einem KI-Sprachmodell zu erstellen. Wie sich herausstellen sollte, war das gar nicht so einfach.
Prozess
Ich habe mir das Ziel deshalb gesetzt, weil ich die Überlegung spannend fand, wie man die Herausforderung eines offenen Lückentextes als Befehl für ein KI-Sprachmodell formulieren kann, was kein Verständnis des Inhalts mitbringt. Es wäre wahrscheinlich relativ einfach gewesen, sehr viel selbst vorzugeben und dann nach diesem Beispiel weiter generieren zu lassen. Ich wollte aber gerade einmal austesten, ob auch eine ‚eigene Generierung‘ des KI-Sprachmodells funktioniert und wenn ja, wie ich dafür prompten muss.
Schritt 1: Mein erster Versuch war es, möglichst gut zu erklären, was das Konzept ‚offener Lückentexte‘ ist und darauf aufbauend dann eine Anleitung zu schreiben, wie ein Sprachmodell selbst zu solchen Lückentexten kommen kann. Dabei habe ich das Prinzip der schrittweisen Verbesserungen gewählt, was ich von Zusammenfassungen kenne. Das hier war mein Prompt:
Ich denke über die Gestaltung von guten Lückentexten nach. Dabei meine ich solche Lückentexte, bei denen die Antwort nicht klar feststeht und nur noch überprüft werden soll. Beispiel für einen schlechten Lückentext: Paris ist die Hauptstadt von .... Hier gibt es nur eine Option. Bei guten Lückentexten geht es dagegen darum, mehrere Optionen zu eröffnen und so Menschen zum Nachdenken anzuregen. Beispiel: Je mehr ... , desto mehr Lebensfreude.
Ich möchte solche Lückentexte nun im Kontext der Bildung gestalten. Konkret geht es darum, Lückentexte zu entwerfen, die Menschen zum Nachdenken über Leitbilder guter Bildung anregen. Ich möchte von dir drei solcher Lückentexte erhalten. Bitte gehe dabei wie folgt vor:
1. Überlege dir große Fragen/ Knackpunkte/ inhaltliche Themen, die bei der Leitbildentwicklung in der Bildung in einer dynamischen, komplexen und von Krisen geprägten Welt eine Rolle spielen könnten.
2. Gestalte daraus eine Liste mit 20 offenen Lückentexten, die jeweils nur einen kurzen Satz mit 1-2 Lücken umfassen.
3. Schaue dir die Liste mit den gefundenen Lückentext durch und streiche den Lückentext, der am wenigsten vielfältig und auch am wenigsten mit kontroversen Einschätzungen ausgefüllt werden kann.
4. Wiederhole Schritt 3 bis nur noch 3 Lückentexte übrig sind.
5. Gib mir diese drei Lückentexte (mit unausgefüllten Lücken) aus.
6. Auf Anfrage sei bereit, dass du mir auch deine Zwischenschritte mitteilst.
Im Ergebnis habe ich daraus diese drei Lückentexte erhalten:
- „Wenn wir Bildung neu denken, brauchen wir mehr __________ und weniger __________.“
- „Gerade in Krisenzeiten zeigt sich, dass __________ in der Schule genauso wichtig ist wie __________.“
- „Eine zukunftsfähige Schule legt Wert auf __________ und fördert gezielt __________.“
Ich habe nachgefragt, was die einzelnen Schritte im Hintergrund waren – und habe festgestellt, dass meine Eingabe sehr richtig umgesetzt wurde. Das Ergebnis empfinde ich aber dennoch als wenig hilfreich. Es sind einfach viel zu offene Lücken. Ich könnte da irgend etwas einsetzen. So würde wohl nur wenig Austausch erreicht.
Schritt 2: Mein nächster Versuch sah so aus, dass ich versucht habe, Lücken generieren zu lassen, die möglichst kontrovers gefüllt werden könnten. Auf diese Weise – so meine Annahme – könnte die Beliebigkeit reduziert werden und die Diskussion zu den Lücken wäre fokussierter. Das hier war mein Prompt:
Ich denke über die Gestaltung von guten Lückentexten nach. Dabei meine ich solche Lückentexte, bei denen die Antwort nicht klar feststeht und nur noch überprüft werden soll. Beispiel dafür: Paris ist die Hauptstadt von .... Hier gibt es nur eine Option. Bei guten Lückentexten geht es dagegen darum, mehrere Optionen zu eröffnen und so Menschen zum Nachdenken anzuregen. Am bresten funktioniert das, wenn sowohl eine Antwort als auch eine genau gegenteilige Antwort möglich ist. Beispiel dafür: KI in der Bildung gehört ... Hier könnte ich zum einen mit 'abgeschafft' antworten als auch mit 'ins Zentrum des Lernens'
Ich möchte solche guten Lückentexte nun im Kontext der Leitbildentwicklung zu guter Bildung entwickeln. Das Ziel sind also Lückentexte, die Menschen - gerade durch die sehr kontroversen bzw. entgegengesetzten Möglichkeiten, zum Nachdenken und zum Austausch anregen. Ich möchte von dir drei solcher Lückentexte erhalten. Bitte gehe dabei wie folgt vor:
1. Überlege dir große Fragen/ Knackpunkte/ inhaltliche Themen, die bei der Leitbildentwicklung in der Bildung eine Rolle spielen könnte. Beachte dabei, dass wir in einer dynamischen und komplexen Welt leben.
2. Gestalte daraus eine Liste mit 20 offenen Lückentexten, die jeweils nur einen kurzen Satz mit 1-2 Lücken umfassen.
3. Schaue dir die Liste mut den gefundenen Lückentext durch und streiche den Lückentext, der am wenigsten mit kontroversen Einschätzungen ausgefüllt werden kann.
4. Wiederhole Schritt 3 bis nur noch 3 Lückentexte übrig sind.
5. Gib mir diese drei Lückentexte (mit unausgefüllten Lücken) aus.
6. Auf Anfrage sei bereit, dass du mir auch deine Zwischenschritte mitteilst.
Diese Variante hat gar nicht funktioniert, weil auf diese Weise zwei Lücken generiert wurden. also direkt schon das ’sowohl als auch‘ (was vielleicht ein Ergebnis von Diskussion sein könnte) im Lückentext auftauchte. Das hier war das Ergebnis:
- „In einer digitalen Zukunft gehört KI in der Bildung entweder ______ oder ______.“
- „Leistungsbewertungen in der Schule sind entweder ______ oder ______.“
- „Um Lernende auf eine komplexe Welt vorzubereiten, brauchen wir entweder ______ oder ______.“
Ich habe nachgepromptet und ergänzt:
Dabei soll vermieden werden, dass das 'sowohl als auch' bereits durch zwei Lücken im Lückentext abgeschwächt wird. Im Fall von 'KI in der Bildung gehört entweder ... oder ... entsteht keine Reibung und keine Reflexion, weil man beide Positionen eintragen kann. Das ist nicht sinnvoll.
Auch in diesem Fall war das Ergebnis aber nicht zufriedenstellend, weil die Lückenbefüllung durch den Rest des Satzes determiniert wurde.
- „In unserer Schule muss ______ an erster Stelle stehen, selbst wenn es die gesamte Unterrichtsplanung umwirft.“
- „Die Rolle der Lehrkraft sollte ______ gestaltet werden, obwohl viele am Bewährten festhalten.“
- „Digitale Technologien gehören ______, auch wenn sie die klassische Lehrer-Schüler-Beziehung verändern.“
Beim Nachfragen zur Generierung habe ich verstanden, dass nun versucht wurde, möglichst kontroverse Sätze zu formulieren – und dann darin eben eine Lücke zu lassen. Das war aber ja nicht das, was ich wollte.
Schritt 3: Ich habe noch einmal weiter nachgedacht und kam zum Schluss, dass es vielleicht dumm von mir ist, das Konzept von ‚offenen Lückentexten‘ erklären zu wollen – und ich stattdessen besser einen sehr beschreibenden Ansatz zur Erstellung mithilfe von Wahrscheinlichkeitsberechnungen wählen sollte. Außerdem merkte ich, dass es für mich nicht so hilfreich ist, immer gleich drei Lückentexte auf einmal zu erhalten und ich lieber über einen nach dem anderen nachdenken wollte. Das war in der Folge dann mein Prompt dazu:
Ich möchte von dir Lückentexte zum Thema Leitbilder guter Bildung. Ein Lückentext ist dabei ein prägnanter Satz mit einer Lücke. Bitte gehe bei der Erstellung der Lückentexte wie folgt vor:
1. Überlege dir wichtige Themen, die bei der Leitbildentwicklung von Bildung eine Rolle spielen.
2. Entwickle darauf aufbauend insgesamt 20 Lückentexte zum Thema Leitbild guter Bildung, bei denen die Lücke inhaltlich sehr kontrovers und vielfältig ausgefüllt werden kann.
3. Schaue dir die Liste mit den gefundenen Lückentext durch und streiche den Lückentext, bei der die wahrscheinlichsten Füllmöglichkeiten der Lücke inhaltlich am wenigsten gegensätzlich sind.
4. Wiederhole Schritt 3 bis nur noch 1 Lückentext übrig ist.
5. Gib mir diesen Lückentext (mit unausgefüllten Lücken) aus.
Wenn ich Restart schreibe, dann wiederholst du die obigen Schritte erneut.
Mit dieser Technik habe ich schon bessere Ergebnisse erhalten. Hier sind ein paar Beispiele:
- „Ein zukunftsorientiertes Leitbild guter Bildung verlangt, dass wir __________ als grundlegende Bildungsaufgabe neu definieren.“
- „Ein Leitbild guter Bildung bleibt wirkungslos, wenn nicht konsequent __ hinterfragt wird.“
- „Gute Bildung kann nur gelingen, wenn __ in der Schulgemeinschaft aktiv gelebt wird.“
Ich kann mir den entwickelten Prompt vor diesem Hintergrund gut als ‚Denköffner‘ zum Einstieg in Leitbild-Diskussionen vorstellen. Gerade im Online-Kontext könnte man hier den Prompt in ein KI-Sprachmodell eingeben, den Bildschirm teilen, dann immer wieder einen neuen Lückentext generieren lassen – und alle Teilnehmenden schreiben ihre erste Assoziation in den Chat.
Schritt 4: Bei den bisherigen Versuchen fiel mir noch eine weitere mögliche Variante ein: mehr inhaltlichen Input vorgeben. Mir war eingefallen, dass es von Jöran einen Text zu Schule 2040 gibt, in dem er drei fiktive (und sehr gegensätzliche) Zukunftsschulen beschreibt. Das könnte genau die Grundlage sein, mit der sich Lückentexte, wie ich sie versuchte, generieren lassen könnten. Das hier war mein Prompt dazu:
Hier ist ein Text, in der drei Schulen der Zukunft beschrieben werden: [Text]. Ich habe für dich zu diesem Text die folgende Aufgabe:
Gesucht sind drei Sätze mit einer Lücke darin, die von einem überzeugten Vertreter der drei Schulen jeweils ganz anders ausgefüllt werden könnte, so dass drei sehr unterschiedliche Sätze entstehen würden.
Bitte gehe dabei wie folgt vor:
1. Erstelle eine Liste mit insgesamt 20 Lückensätzen.
2. Teste, was die überzeugten Vertreter der drei Schulen jeweils in die Lücke setzen würden.
3. Streiche den Lückensatz, bei dem die drei Lückenfüllungen am wenigsten vielfältig und kontrovers sind.
4. Wiederhole Schritt 3 bis nur noch drei Lückensätze übrig sind.
5. Gib mir diese drei Lückensätze aus.
Im Ergebnis erhielt ich diese drei Sätze:
- „Ohne die konsequente Umsetzung von ________ wäre unsere Schule nicht denkbar.“
- „Das größte Potential sehen wir in ________, weil es unmittelbare Lernerfahrungen schafft.“
- „Ein verantwortungsbewusster Umgang mit ________ ist bei uns eine Selbstverständlichkeit.“
Für mich funktionieren diese Texte sehr gut. Es wäre zu testen, ob das auch der Fall ist, wenn man den Text über die Zukunftsschulen nicht kennt. In jedem Fall würde der Prompt immer dann gut funktionieren, wenn man nach einem Impuls einen ‚Murmelrunden-Lückentext‘ anbieten will. In diesem Fall könnte man den Impuls in den Prompt einarbeiten und dazu dann Lückentexte generieren lassen.
Ergebnis
Ein richtiges ‚Ergebnis‘ habe ich bei diesem Experiment nicht erzielt, allerdings können die entwickelten Prompting-Techniken (und vielleicht auch zum Teil die generierten Lückentexte) für Leitbildentwicklungen weiter genutzt werden.
Reflexion
Für mich war das Experiment sehr aufschlussreich. Insbesondere die Tatsache, dass ich nicht über ‚inhaltliches Erklären‘, sondern besser über ’strukturierte Befehle‘ zu besseren Ergebnissen komme. Für mich hat sich auch wieder einmal bestätigt, dass Output bei viel und gutem inhaltlichen Input deutlich besser wird, als wenn man einfach das KI-Sprachmodell allgemein generieren lässt.
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Title: #8: ‚Offene Lückentexte‘ zur Reflexion
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Source: eBildungslabor
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Date: December 29, 2024 at 10:39AM
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