Arbeit an der Zukunft der Theologie – ein Interview mit der Jungen AGENDA

Im Frühjahr feierte das Netzwerk „AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e. V.“ sein 25-jähriges Bestehen. Die „Junge AGENDA“ hat sich 2019 gegründet und zählt mittlerweile über 100 Mitglieder. Aus der y-nachten.de-Redaktion haben Daria Ronellenfitsch und Claudia Danzer mit dem Koordinationsteam der Jungen AGENDA gesprochen und sie nach ihrer Arbeit als FINTA-Netzwerk in katholischer Theologie und Kirche gefragt.

y-nachten.de: Zu Beginn: Wie seid ihr zu dem Namen „AGENDA“ gekommen?

Die AGENDA gibt es bereits seit 25 Jahren. Den Namen haben wir also nicht erfunden, sondern nur „Junge“ davorgesetzt. Die Junge AGENDA ist ein Netzwerk von und für Theolog*innen in der Qualifikations- und Berufseinstiegsphase. Wir teilen die Ziele von AGENDA, die (wissenschaftliche) Arbeit von Theolog*innen sichtbar zu machen, ihre Situation in der Kirche und der Gesellschaft zu verbessern und ihre Interessen zu vertreten.

y-nachten.de: Wie seid ihr jeweils persönlich auf „AGENDA – Forum katholischer Theologinnen e.V.“ aufmerksam geworden?

Lia Allesandro: Im Rahmen meiner Examensarbeit habe ich mich u.a. mit aktuellen kirchenpolitischen Bewegungen und Netzwerken auseinandergesetzt. Dabei bin ich auf die Junge AGENDA gestoßen. Ihr Selbstverständnis hat mich sofort angesprochen.

Sarah Delere: Ich kannte AGENDA und bin eines Tages zum Hohenheimer Theologinnen Treffen eingeladen worden, einer alle zwei Jahre stattfindenden Fachtagung für Theologinnen. Danach bin ich Mitglied geworden.

Jana Hock und Marie-Charlotte Merscher: Bei uns hat das Netzwerk der Jungen AGENDA funktioniert: Mitglieder haben uns kurz nach unserem jeweiligen Studienabschluss angesprochen, wir waren sofort begeistert und sind recht bald nach unseren Eintritten auch ins Koordinationsteam des Netzwerks gewählt worden.

y-nachten.de: Was war der Ausschlag für die Gründung der „Jungen AGENDA“? Schließlich haben Neugründungen von kirchlichen Gruppierungen in der aktuellen Zeit eher Seltenheitswert.

Sind wir eine kirchliche Gruppierung? Wir verstehen uns eher als Netzwerk junger Theolog*innen, die sich gegenseitig unterstützen und empowern, aber auch Gesellschaft und Kirche gestalten. Uns einen das Interesse an der (katholischen) Theologie sowie der Kirche als Institution und Gemeinschaft. Wir alle haben aber auch Diskriminierung innerhalb dieser Systeme erfahren.
FINTA fassen deutlich seltener als ihre männlichen Kollegen in der Theologie Fuß. Das ist nicht zuletzt durch die Studie zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses in der deutschsprachigen Katholischen Theologie belegt.[1] Als Junge AGENDAengagieren wir uns dafür, dass die Ursachen für diese Benachteiligungen aufgedeckt und abgebaut werden. Dazu muss auch die Situation von Nachwuchswissenschaftler*innen in der Theologie besser erforscht werden. Wir setzen uns daher schon seit längerem für eine qualitative Studie zur Erforschung der Nachwuchssituation in der katholischen Theologie ein.

y-nachten.de: Wer ist eure Zielgruppe?

Wir richten uns an Frauen, inter*, nicht-binäre, trans* und agender Personen, die als junge Wissenschaftler*innen in der katholischen Theologie tätig sind oder waren, und an Theolog*innen im Berufseinstieg. Das ist uns wichtig: Wir richten uns nicht nur an diejenigen, die eine Professur anstreben. Alle, die sich in einem Netzwerk katholischer Theolog*innen aufgehoben und von ihm repräsentiert fühlen, sind bei uns willkommen.

y-nachten.de: Wie organisiert ihr euch als Netzwerk?

Die Junge AGENDA wird von vier gewählten Mitgliedern für je zwei Jahre koordiniert und vertreten. Derzeit ist Sarah unsere Sprecherin, Jana die Mitgliederbeauftragte, Lia und Marie sind für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Gemeinsam organisieren wir digitale Semester-Stammtische, bei denen wir uns über aktuelle Projekte und Themen auf dem Laufenden halten.
Im März 2022 haben wir uns unter dem Motto „Sichtbar machen“ zum BarCamp getroffen und diskutiert: Wie kann eine queer*feministische Glaubenspraxis aussehen, wie gelingt spirituelle Selbstbestimmung? Was tun bei grenzverletzendem Verhalten im Hochschulkontext? Welche Techniken helfen durch die Promotion? Das BarCamp war so bereichernd, dass wir es wiederholen wollen.

y-nachten.de: Was sind eure aktuellen Projekte bzw. Projekte der Vergangenheit?

Zu Beginn der Pandemie 2020 haben wir mit dem Projekt „Corona-Perspektiven“ Situationen weniger sichtbarer Gesellschaftsgruppen beleuchtet. Entstanden sind Texte zu Familie und Corona, zum Pflegen und Sterben während der Pandemie und alttestamentliche Anfragen.

Unter dem Titel „Leerstelle“ (vorher: „Unsichtbares Scheitern“) hat ein Projektteam Erzählungen von Menschen gesammelt, die die akademische Theologie verlassen haben. Wie ist der Blick dieser Personen auf ihre Geschichte, ihre Beweggründe und Werdegänge nach der akademischen Theologie? Das Projekt sollte Raum zum Erzählen geben und sichtbar machen, wer und was im akademischen Alltag keinen Raum (mehr) findet. Publikationen dieser beiden Projekte finden sich verlinkt auf unserer Website.
Und erst kürzlich – im Juli 2023 – haben wir auf der Tagung „Zukunft (in) der Theologie“ einen Workshop gegeben mit dem Titel „Gamification als Mittel zur qualitativen Erforschung der Nachwuchssituation in der katholischen Theologie“. Mit einem selbstentwickelten Spiel haben wir uns mit der Situation von FINTA in der Theologie auseinandergesetzt und Denkanstöße etwa zum WissZeitVG und zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegeben.

y-nachten.de: Was sind aktuell die größten Herausforderungen in eurer Arbeit? Gerade auch als FINTA-Netzwerk in der katholischen Theologie?

Welche Zukunft FINTA-Personen in der Theologie haben, ist untrennbar mit der Frage verknüpft, welche Zukunft die wissenschaftliche Theologie als solche noch haben kann – oder will. Ohne eine angemessene Repräsentation von FINTA und ihrer Forschung in der Theologie bleibt diese eindimensional und missachtet die für gelingende theologische Reflexion nötige Diversität und Multiperspektivität. Das wollen wir ändern – durch unsere Netzwerkarbeit, mit unseren Projekten und nicht zuletzt mit der oben besagten qualitativen Studie. Allerdings sieht die Realität nicht gerade rosig aus: Es gibt kaum sog. theologischen Nachwuchs und FINTA-Personen sind weiterhin unterrepräsentiert. In der institutionalisierten Kirche geht’s angesichts struktureller Misogynie mit der Gleichberechtigung ohnehin nur im Schneckentempo vorwärts. Beides ist oft ermüdend. Aber wir bleiben dran.

y-nachten.de: Viele katholische Theologiestudierende fragen sich, wo es für sie in der aktuellen kirchenpolitischen Situation beruflich hingehen soll. Kann die Junge AGENDA hier eine Ansprechpartnerin sein, um neue Perspektiven zu öffnen?

Unbedingt! Mit dieser Devise haben wir uns im April 2019 gegründet und seitdem über 100 Mitglieder gewonnen. Fachlicher Austausch, systemische Hürden und ihre Ursachen aufdecken, Perspektiven weiten, empowern für mehr Geschlechtergerechtigkeit: das ist die originäre Aufgabe unseres Netzwerks.

y-nachten.de: Was ist eure Vision für die Zukunft? Was sind für euch Prinzipien einer Theologie, die eine Zukunft hat?

Lia Allesandro: Ich beschäftige mich aktuell mit der sog. Strategie der Des-Identifizierung (nach Braidotti). Damit sollen – einfach gesagt – alte Verhaltensmuster kritisch hinterfragt und offengelegt werden können, um aus diesem Prozess als zukunftsfähiges affirmatives Subjekt hervorzutreten. Das wünsche ich mir auch für die Theologie: durch (Selbst-)Kritik zu sich selbst zurückzufinden – eine Art Selbstemanzipation der Theologie.

Sarah Delere: Ich ertrage keine Theologie, die nur um sich selbst kreist. Das heißt nicht, dass man Theologie als Politik treibt, aber schon, dass Theologie auch politisch sein sollte. Dabei ist mir ein intersektionaler Zugang wichtig. Vielleicht bin ich aber auch deswegen Sozialethikerin, um diese kritischen Potenziale mit ins Spiel bringen zu können.

Jana Hock: Wir können in der Theologie jenseits eines Verwertungsdiskurses denken und diskutieren. Das kann natürlich auch die Philosophie. Katholische Theologie hat aber dafür auch noch die Kirche, die sie nutzen und fruchtbar machen kann – als institutionalisiertes Korrektiv. Beispielsweise kann mit dem Apostolischen Schreiben „Laudate Deum – An alle Menschen guten Willens über die Klimakrise“ entschlossenes Handeln angesichts der Klimakrise angemahnt werden. Wie Papst Franziskus zu Verzicht und einem radikalen Wandel des westlichen Lebensstils aufzurufen, ist im politischen Kontext schwieriger.

Marie-Charlotte Merscher: Eine Kirche aus Liebe und Freiheit als Autonomie, die die Erkenntnisse der modernen Wissenschaften anerkennt. Das bedeutet auch, dass sich die Kirche, wie sie heute existiert, ändern muss.

y-nachten.de: Was möchtet ihr noch ergänzen?

Bildet Banden, solidarisiert euch! Als Theolog*innen hoffen wir darauf, systemische Probleme gemeinschaftlich überwinden zu können, neue Wege zu finden, Zukunft zu ermöglichen – für eine geschlechtergerechte Theologie, Kirche und Gesellschaft.

y-nachten.de: Vielen Dank für eure Zeit und euer Engagement!

 

Hashtag der Woche: #bildetbanden


(Beitragsbild @Brian Asare)

1 Vgl. Emunds, Bernhard / Retka, Marius, Zur Lage des wissenschaftlichen Nachwuchses in der deutschsprachigen Katholischen Theologie, in: JCSW 63 (2022), 331 – 380, DOI: https://doi.org/10.17879/jcsw-2022-4420.

 

Die Junge AGENDA wird koordiniert und vertreten von:

Lia Allesandro

Lia Alessandro – studierte Philosophie, Germanistik und Theologie an der Goethe-Universität Frankfurt. Derzeit promoviert sie in Religionsphilosophie an der Professur für Theologie in globalisierter Gegenwart in Frankfurt a. M.

 

 

Sarah Delere

 Sarah Delere – studierte Geschichtswissenschaften, Politikwissenschaften und katholische Theologie sowie Public Policy in Berlin, Cambridge/UK und Kairo. Sie promoviert in Sozialethik an der Frankfurter Goethe Universität.

 

 

 

Jana Hock

Jana Hock – studierte Theologie an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Dort promoviert sie zu schwacher Staatlichkeit und lokalen Selbstregelungen im Zweiten Makkabäerbuch. Seit 2022 arbeitet sie am Lehrstuhl für Alttestamentliche Wissenschaften an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg.

 

 

Marie-Charlotte Morscher

Marie-Charlotte Merscher – studierte Philosophie, katholische Theologie und Geschlechterbewusste Theologie u.a. in Freiburg i. Brsg. und Berlin. Seit 2019 ist sie als Referentin für den Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB) Berlin tätig und seit 2022 auch für den KDFB-Bundesverband.

 

 

 

Mehr Infos: @jungeAGENDA auf X und auf der Homepage.

 

 

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Date: October 23, 2023 at 07:06AM
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