DOMRADIO.DE: Nach 18 Jahren als Prior der Gemeinschaft von Taizé geben Sie Ihr Amt zum Ende des Kirchenjahres weiter. Warum gerade jetzt?
Bruder Alois: Seit einigen Jahren schon ist die Frage in mir stärker geworden, wie wir als Kommunität in eine neue Etappe eintreten können, in eine neue Lebensphase. Die Welt verändert sich, die Kirche verändert sich; immer mehr junge Brüder haben Frère Roger nicht gekannt. Das alles schafft eine neue Situation. Weil dieses Gefühl immer stärker in mir wurde, habe ich den Brüdern schon vor zwei Jahren den Vorschlag gemacht, einen neuen Prior zu berufen, um in eine neue Periode einzutreten; damit auch wirklich etwas Neues entstehen kann. Ich habe alle Brüder befragt, wer dieser neue Prior sein könnte und dann Matthew für diesen Dienst vorgesehen.
DOMRADIO.DE: Hängt Ihre Entscheidung auch damit zusammen, dass die katholische Kirche im Besonderen aber auch die Kirchen insgesamt aktuell immer mehr Mitglieder verlieren und speziell junge Leute immer weniger anzusprechen vermögen? Vielleicht wollen Sie da in Taizé noch mehr Anknüpfungspunkte bieten?
Bruder Alois: Das ist sicher eine große Frage, die uns ganz dringend beschäftigt: Wie können der Glaube und das Evangelium für junge Menschen heute verständlich werden? Diese Frage treibt uns in Taizé schon immer um, schon seit den Zeiten von Frère Roger. Sicher gibt es jetzt eine ganz neue Jugend, eine ganz neue Mentalität. Und es ist wichtig, auf neue Fragen einzugehen, wie zum Beispiel die der Digitalisierung. Was heißt Universalität heute? Was ist mit den großen Herausforderungen der Klimaveränderungen und der ökologischen Bedrohungen? Oder der Krieg in der Ukraine, die Tatsache, dass in Europa wieder Krieg herrscht – was bedeutet das alles für uns als Kommunität? Wir haben dazu noch keine Agenda mit fertigen Antworten. Aber wir wollen aufbrechen, um neu zu suchen!
„Es war ein Geschenk, dass dieses Erbe weiter lebendig geblieben ist. Es wurde sehr schnell deutlich, dass viele junge Menschen weiter nach Taizé kommen, auch wenn Frère Roger nicht mehr da ist.“
DOMRADIO.DE: Frère Roger, der Gründer von Taizé, hatte Sie schon 1997 zu seinem Nachfolger bestimmt. Als er dann 2005 gewaltsam zu Tode kam, war auf einmal der Moment da, seine Arbeit weiterzuführen. Wie haben Sie versucht, sein Erbe zu bewahren?
Bruder Alois: Es war ein Geschenk, dass dieses Erbe weiter lebendig geblieben ist. Es wurde sehr schnell deutlich, dass viele junge Menschen weiter nach Taizé kommen, auch wenn Frère Roger nicht mehr da ist. Das heißt, ihr Interesse war nicht ausschließlich an seine Person, an sein Charisma gebunden, sondern auch an unsere ganze Gemeinschaft und wie wir versuchen, das Evangelium als Einheit in Einheit zu leben unter uns Brüdern. Wir sind sehr dankbar, dass dieses Erbe so lebendig blieb.
„Das Bekanntwerden dieser Missbrauchsfälle war sicher ein großer Einschnitt war in unseren Leben, eine Herausforderung, der wir uns mit allen Kräften stellen wollen.“
DOMRADIO.DE: 18 Jahre lang waren Sie als Prior verantwortlich für das, was in Taize geschehen ist. Was hat sich während dieser Zeit Wesentliches verändert?
Bruder Alois: Eine große Sache war, dass wir Missbrauchsfälle offengelegt haben. Dass wir wirklich allen Betroffenen dafür danken müssen, dass sie den Mut hatten, das zu sagen. Wir haben dann entschieden, dass wir darauf eingehen und so gut wie möglich dranbleiben an diesen Fragen, um Dinge aufzuklären und betroffene Menschen auch zu begleiten. Das Bekanntwerden dieser Missbrauchsfälle war sicher ein großer Einschnitt war in unseren Leben, eine Herausforderung, der wir uns mit allen Kräften stellen wollen.
DOMRADIO.DE: Nach den Missbrauchsfällen wollte ich ohnehin fragen. Was haben sie bei Ihnen persönlich ausgelöst, was waren die Konsequenzen?
Bruder Alois: Es war zunächst ein Riesenschock, und es bleibt eine ganz tiefe Traurigkeit in mir. Aber ich sah auch gleich, wie wichtig es ist, zu lernen und den betroffenen Menschen zuzuhören. Was ich zunächst alleine getan habe. Weil es mir wichtig war, das als Kommunität zu tragen habe ich das Vorgehen dann mit allen Brüdern besprochen. Wir haben uns damals einmütig dazu entschlossen, dass wir diese Situationen offenlegen – in einem Statement, das wir 2019 veröffentlicht haben. Und seitdem geht diese Arbeit weiter, die mir ganz tief am Herzen liegt.
DOMRADIO.DE: Sie haben die Gemeinschaft auch durch die schwere Zeit der Pandemie führen müssen. Was hat das bedeutet?
Bruder Alois: Auch das war für uns ein großer Schock: Plötzlich war niemand mehr hier in Taizé und wir waren alleine. Wir hätten uns das nie vorgestellt. Es war ein psychologischer, auch geistlicher und auch wirtschaftlicher Schock für uns. Aber es hatte auch gute Seiten. Eine Verlangsamung war plötzlich da, die wir von selbst nicht so hätten finden können; wir hatten plötzlich mehr Zeit unter uns Brüdern, um tiefer miteinander ins Gespräch zu kommen. Insofern war das auch eine heilsame Zeit für uns. Wir sind jetzt natürlich dankbar, dass die Jugendtreffen wieder angelaufen sind und dass wir auch die europäischen Treffen wieder aufnehmen können. Und jetzt freuen wir uns auf das ökumenische Together-Treffen (https://together2023.net/de/home-german/), das am 30. September in Rom stattfinden wird – am Vorabend der Weltsynode.
„Es ist ein Hören, ein Hören auf das Evangelium, auf das, was es uns heute sagt. Es ist auch ein Hören auf das, was die Welt uns heute sagt, was die neue Generation uns sagt und natürlich auch ein Hören von von Missbrauch betroffener Menschen.“
DOMRADIO.DE: Haben Sie denn während Ihrer Amtszeit auch über strukturelle Veränderungen in der Gemeinschaft nachgedacht?
Bruder Alois: Wir wollen als Gemeinschaft in Taizé wie eine Familie zusammenleben und haben ganz wenige Strukturen, die unser gemeinsames Leben regeln. Aber wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir spüren, es braucht etwas mehr an innerer Struktur – für die Kommunikation in unserer Kommunität, für das Aufeinander-Hören, für das gemeinsam Entscheidungen-Treffen. An diesem Punkt sind wir jetzt und das wird Bruder Matthew als eine der ersten Aufgaben angehen – mit allen Brüdern zusammen.
DOMRADIO.DE: Taizé im Jahr 2023 – wie beschreiben Sie den Geist von Taizé heute?
Bruder Alois: Es ist ein Hören, ein Hören auf das Evangelium, auf das, was es uns heute sagt. Es ist auch ein Hören auf das, was die Welt uns heute sagt, was die neue Generation uns sagt und natürlich auch ein Hören von von Missbrauch betroffener Menschen. Aus diesem Zuhören heraus gilt es Entscheidungen zu treffen, die unsere Zukunft prägen.
DOMRADIO.DE: Mit dem Kirchenjahr endet nun Ihre Amtszeit. Wie geht es dann für Sie weiter?
Bruder Alois: Ich werde in eine unserer Fraternités auf einem anderen Kontinent gehen. Wir bereiten das jetzt im Augenblick vor.
DOMRADIO.DE: Was wünschen Sie der Gemeinschaft von Taizé für die kommende Zeit und was Ihrem Nachfolger?
Bruder Alois: Der Gemeinschaft, allen Brüdern, uns allen wünsche ich, dass wir noch mehr aus dem Vertrauen des Glaubens leben, mit offenen Augen, offenen Augen und offenen Ohren für das, was in der Welt geschieht.
Das Interview führte Hilde Regeniter
Title: „Aufbrechen, um neu zu suchen!“ / Scheidender Taizé-Prior blickt auf 18 Jahre im Amt zurück
URL: https://www.domradio.de/artikel/scheidender-taize-prior-blickt-auf-18-jahre-im-amt-zurueck
Source: DOMRADIO.DE – Der gute Draht nach oben
Source URL: https://www.domradio.de/
Date: July 26, 2023 at 03:13PM
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