BERLIN. Erfolgreich ausgesessen: Die KMK war übereingekommen, die – eigentlich gebotene, aber höchst unwillkommene – Erfassung der Arbeitszeit von Lehrkräften ruhen zu lassen, bis ein Gesetz sie dazu zwingt. Dass das Bundesarbeitsministerium über einen Entwurf nicht hinausgekommen ist, lag auch am Widerstand der Kultusministerinnen und Kultusminister hinter den Kulissen. Mit dem Platzen der Ampel hat sich das Thema erst einmal erledigt. Bis eine neue Regierung einen weiteren Anlauf unternimmt, dürften Jahre vergehen.

Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in ihrem Haus wird die Arbeitszeit erfasst, so zählte Baden-Württembergs Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) unlängst in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage auf, ebenso für die Beschäftigten der nachstehenden Dienststellen, der Regierungspräsidien, der Schulämter, des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung, der schulpsychologische Beratungsstellen sowie des Instituts für Bildungsanalysen Baden-Württemberg.
Offenbar kein Problem: „Mit Ausnahme der Beschäftigten an den Staatlichen Schulämtern und den Schulpsychologischen Beratungsstellen, die ihre Arbeitszeit manuell über Excel-Listen erfassen, erfolgt die Erfassung der Arbeitszeit in elektronischer Form“, berichtete die Ministerin. Überstunden werden ausgeglichen. „Abrechnungszeitraum ist in der Regel das Kalenderjahr“, so lässt sie wissen.
Für Lehrkräfte gelten diese Regelungen nicht – obwohl es zwei Gerichtsurteile bereits von 2019 (Europäischer Gerichtshof) und von 2022 (Bundesarbeitsgericht) gibt, die Arbeitgeber grundsätzlich dazu verpflichten, „ein objektives, verlässliches und zugängliches System einzuführen, mit dem die von einem Arbeitnehmer geleistete tägliche Arbeitszeit gemessen werden kann“, wie Schopper selbst in ihrem Schreiben erklärte.
Die rot-grün-gelbe Bundesregierung hatte die Umsetzung allerdings auf die lange Bank geschoben, weil unter anderem die FDP sich querstellte. Im Wortlaut Schoppers las sich das so: „Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat im Nachgang zum Beschluss des Bundesarbeitsgerichts angekündigt, eine Regelung zur Arbeitszeiterfassung im Arbeitszeitgesetz vorzulegen. Eine solche liegt bisher nicht vor.“
Richtig ist: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) legte im April 2023 einen Gesetzentwurf vor, demzufolge die Arbeitszeit künftig elektronisch erfasst werden soll. Beginn, Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit sollen danach noch am selben Tag aufgezeichnet werden. Von der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung sind demnach auch Lehrkräfte, andere Beamtinnen und Beamte sowie die Wissenschaft betroffen.
„Bei der Lehrkräftearbeitszeit gilt die Besonderheit, dass nur die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung zeitlich genau festgelegt ist“
Dass dieser Entwurf noch nicht Gesetz geworden ist, liegt offensichtlich auch am Widerstand der Kultusministerinnen und Kultusminister. „Bei der Lehrkräftearbeitszeit gilt die Besonderheit, dass nur die wöchentliche Unterrichtsverpflichtung zeitlich genau festgelegt ist. Die übrigen von den Lehrkräften zu erbringenden Tätigkeiten sind hingegen zeitlich nicht festgelegt“, so begründete Schopper die ablehnende Haltung – und zitierte das Bundesverwaltungsgericht dazu: „Die durch die Regelstundenmaße erfolgende Pflichtstundenregelung ist in die allgemeine beamtenrechtliche Regelung der Arbeitszeit der Lehrkräfte als konkret messbare Größe eingebettet, während die Arbeitszeit der Lehrkräfte im Übrigen entsprechend deren pädagogischer Aufgabe wegen der erforderlichen Vor- und Nachbereitung des Unterrichts, der Korrekturarbeiten, der Teilnahme an Schulkonferenzen, Besprechungen mit Eltern und dergleichen nicht im Einzelnen in messbarer und überprüfbarer Form bestimmt, sondern nur grob pauschalierend geschätzt werden kann.“
Tatsächlich hatte die Kultusministerkonferenz (KMK) einen Brief ans Bundesarbeitsministerium geschickt, um auf gesetzliche Sonderregelungen für Lehrkräfte und Beschäftigte in der Wissenschaft zu bestehen – und sich dort eine Abfuhr geholt.
„Der Umstand, dass der konkrete Umfang der Arbeitszeit nicht in jedem Fall im Voraus feststeht, steht einer nachträglichen Dokumentation am Ende des Arbeitstages nicht entgegen”, so schrieb Staatssekretärin Lilian Tschan an die damalige KMK-Präsidentin, die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU). Heißt: Die Pflicht zur Arbeitszeiterfassung gilt nach Auffassung des Bundesarbeitsministeriums schon heute umfassend für alle Lehrkräfte in den Schulen, die Kultusministerien müssten sie jetzt umsetzen.
Tun sie aber nicht. „Da mithin alle Länder von der möglichen Einführung einer Arbeitszeiterfassung im Bereich der Lehrkräfte in vergleichbarer Weise betroffen wären, sind die Länder in der Kultusministerkonferenz (KMK) übereingekommen, gemeinsam abgestimmt vorzugehen“, so erklärt nun Schopper.
Bedeutet praktisch: stillzuhalten. Ihr sei zwar bekannt, dass in einzelnen Ländern „entsprechende Erprobungen bzw. Untersuchungen angedacht“ seien, so Schopper. Aber: „Nach Kenntnis des Kultusministeriums findet bisher in keinem Land in der Bundesrepublik eine Arbeitszeiterfassung bei allen Lehrkräften statt.“ Und: Der Brief aus dem Bundesarbeitsministerium wird geschlossen ignoriert. Schopper hierzu: „Die Länder haben sich in der KMK hierzu verständigt und halten an der zuvor abgestimmten Haltung fest, ihre Position im weiteren Gesetzgebungsverfahren entsprechend einzubringen.“
„Das Kultusministerium hat gegenüber den Interessensvertretungen kommuniziert, dass es beabsichtigt, die Regelung auf Bundesebene zur Arbeitszeiterfassung abzuwarten“
Schoppers lapidare Zusammenfassung: „Die Abstimmungen zum Referentenentwurf zur Änderung des Arbeitszeitgesetzes hinsichtlich der Arbeitszeiterfassung sind auf Bundesebene noch nicht abgeschlossen. Zum jetzigen Zeitpunkt steht dementsprechend noch nicht fest, ob und ggf. in welcher Form die möglichen Regelungen für eine Arbeitszeiterfassung den Bereich der Lehrkräfte umfassen werden oder ggf. auch Ausnahmen vorgesehen sind.“
So ist laut Schopper „eine zeitnahe Einführung einer Arbeitszeiterfassung von Lehrkräften derzeit nicht geplant“. Sie betonte: „Unabhängig davon stehen die Landesregierung und das Kultusministerium mit den Interessensvertretungen der Lehrkräfte in einem regelmäßigen Austausch zu den jeweils aktuellen bildungspolitischen Themen. Dazu gehören auch Fragen der Arbeitszeit der Lehrkräfte, inklusive des Aspekts einer möglichen Arbeitszeiterfassung. Das Kultusministerium hat gegenüber den Interessensvertretungen kommuniziert, dass es beabsichtigt, die Regelung auf Bundesebene zur Arbeitszeiterfassung abzuwarten und auf deren Basis den Umsetzungsbedarf für Baden-Württemberg zu prüfen.“ Dass mittlerweile zwei – vom Philologenverband unterstützte – Klagen von Lehrkräften anhängig sind, verschweigt sie in ihrer Antwort (News4teachers berichtete).
Warum sperren sich die Kultusministerinnen und Kultusminister denn überhaupt, die Arbeitszeit ihrer Lehrkräfte zu erfassen? Dabei würde deutlich, wie viel Lehrerinnen und Lehrer tatsächlich arbeiten würden – nämlich wesentlich mehr, als sie tariflich müssten, erklärte Mark Rackles, ehemaliger Staatssekretär für Bildung und Vizechef der SPD in Berlin, der mehrere Gutachten zur Lehrerarbeitszeit verfasst hat (News4teachers berichtete). „Lehrer sind alles andere als faule Säcke“, sagt er. Lehrerinnen und Lehrer kämen in den Unterrichtswochen im Schnitt auf eine Arbeitszeit von 47 Stunden pro Woche – plus „drei bis vier Überstunden, sodass sie rund 50 Stunden pro Woche arbeiten“.
Rackles: „Wenn die Lehrerinnen und Lehrer anfingen, ihre tatsächliche Arbeitszeit aufzuschreiben, dann würde deutlich, dass wir 20.000 bis 25.000, vielleicht bis zu 30.000 zusätzliche Lehrkräfte brauchen. Das kommt noch drauf auf den Mangel, den wir sowieso haben.“
Allerdings ist der Druck auf die Kultusministerien, endlich zu handeln, nicht allzu groß. Schopper ließ wissen: „Ein Verstoß gegen § 3 des Arbeitsschutzgesetzes ist nicht bußgeldbewehrt.“ News4teachers
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Title: Ausgesessen: Die KMK braucht ein Gesetz zur Arbeitszeiterfassung (das auch Lehrkräfte betrifft) erstmal nicht mehr zu fürchten
URL: https://www.news4teachers.de/2024/11/erfolgreich-ausgesessen-die-kultusminister-brauchen-ein-gesetz-zur-arbeitszeiterfassung-das-lehrkraefte-betrifft-erstmal-nicht-mehr-zu-fuerchten/
Source: News4teachers
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Date: November 10, 2024 at 01:43PM
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