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Über eine Viertelmillion Menschen sind an diesem Wochenende bereits gegen den Rechtsruck in Deutschland auf die Straße gegangen. In Stuttgart (44.000) in Hamburg (65.000) und in vielen weiteren großen und kleineren Städten. Die Demos richten sich gegen die AfD – und klarer noch als im vergangenen Jahr gegen die CDU, insofern sie die sog. „Brandmauer“ zu den Rechtsextremen einzureißen bereit ist. In dieser Woche gab es für solche Befürchtungen mehr Anlässe, als uns allen lieb sein kann.
Im Deutschen Bundestag führte die Union am Mittwoch gemeinsam mit FDP und AfD einen Entschließungsantrag zur Verschärfung der Migrationspolitik zu einer Mehrheit. Am Freitag dann unternahm die CDU/CSU-Fraktion den Versuch, gemeinsam mit Stimmen aus FDP, BSW und AfD ein sog. „Zustrombegrenzungsgesetz“ zu verabschieden. Über diesen letztlich gescheiterten Versuch und seine politischen Hintergründe wurde bereits reichlich geschrieben und geredet. Seine Folgen werden uns nicht nur im übrigen Bundeswahlkampf, sondern viele Monate (gar Jahre?) beschäftigen.
Auch die Kirchen haben in dieser intensiven politischen Woche eine gewichtige Rolle gespielt. Die „Kirchenbotschafter“ bei der Politik, die PrälatInnen Anne Gidion und Karl Jüsten, haben sich mit einem Brief und einer gemeinsamen Stellungnahme zum Geschäft des Deutschen Bundestages verhalten. So wie es ihre Aufgabe ist. Mehr dazu in der „Debatte“ dieser #LaTdH.
Nicht zuletzt demonstrieren abermals viele tausende Christ:innen mit, sprechen Kirchenvertreter:innen auf den kleinen und großen Demos. Sie treibt die Entrüstung darüber an, dass die Christdemokratie „gemeinsame Sache“ mit den Rechtsextremen macht. Bereits am vergangenen Wochenende fasste die Präses der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Anna-Nicole Heinrich, das auf der „Lichtermeer“-Demo in Berlin so zusammen:
„Bleibt bei der Wahrheit und verdreht keine Fakten. Verratet nicht Menschen, die Schutz suchen. Achtet Recht und Gesetz. Dient dem Gemeinwohl. Und hört endlich auf zu hetzen. Hass ist gottlos. Alle reden von Brandmauer, zuallererst brauchen wir Anstand. Wer Anstand hat, macht keine Sache mit Rechtsextremen. Wer Anstand hat, hält Abstand. Und zwar den größtmöglichen. Im Parlament und überall.“
„Verratet nicht die Menschen, die Schutz suchen.“ Ein guter Satz. Würden auch ohne den Tabubruch von Union und FDP so viele Menschen auf die Straßen gehen, einfach nur, weil die nächste Runde an Verschärfungen in der Flüchtlings- und Migrationspolitik ansteht? In der aufgeheizten Bundestagsdebatte am Freitag verteidigten SPD und Grüne ihre migrationspolitische Bilanz: Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wies auf die „Erfolge“ der Regierung hin: Es kommen deutlich weniger Menschen nach Deutschland und von denen, die da sind, wurden mehr abgeschoben. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verteidigte das neue europäische Asylsystem (GEAS), das die bisherige Bundesregierung in voller Härte umsetzen will, inklusive Haft für Migrant:innen und ihre Familien an den EU-Außengrenzen.
Es ist nicht undenkbar, dass SPD und Grüne den von der Union vorgeschlagenen Maßnahmen im Entschließungsantrag und im Gesetzesentwurf zum „Zustrombegrenzungsgesetz“ doch noch zustimmen. Vielleicht nach der Bundestagswahl, wenn sie – möglicherweise sogar beide – mit der Union eine Koalition bilden werden, weil es nun mal auf die Kompromissfähigkeit der Demokrat:innen ankommt. Wären die CDU/CSU-Anträge nicht so schlampig erarbeitet, verfassungsrechtlich unsauber, unnütz und unsinnig gewesen – vielleicht wäre SPD und Grünen das „Nein“-Sagen schon in dieser Woche noch schwerer gefallen.
Es ist gut, dass viele Menschen in diesen Tagen die Politiker:innen daran erinnern, dass es neben den Umfragen, in denen sich viele Menschen eine härtere Gangart in der Migrationspolitik wünschen, auch noch weitere Faktoren im politischen Geschäft gibt. Es ist gut, Wahrhaftigkeit und Anstand einzufordern. Soll das alles aber nicht allein der Selbstberuhigung dienen, mit „denen da“, den Rechtsextremen, nichts am Hut zu haben, gehört dazu auch die Wahrheit, dass die Migrationspolitik von der Ampel-Regierung bereits massiv verschärft wurde. Wir haben es in den letzten Monaten nicht zuletzt am Kampf um das Kirchenasyl doch beobachten können (wir berichteten).
Die Menschen, die Schutz suchen, drohen in diesen Tagen zur Verschiebemasse der Politik zu werden. Es geht um Politik als politics und den Demonstrant:innen um polity, aber wo bleibt die policy? Wer kümmert sich in diesem Zyklus der Politik um die inhaltliche Dimension? Wer ist tatsächlich mit Problemlösung befasst? Die Anträge der Union waren daran erkennbar nicht interessiert. Die AfD zündelt ohnehin nur zum Eigennutz. CDU/CSU, FDP und BSW haben sich in der zurückliegenden Woche mit den Brandstiftern arrangiert.
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Über Ansinnen und Motivation des CDU-Vorsitzenden und Unions-Kanzlerkandidaten Friedrich Merz, die Migrationspolitik nach der Gewalttat von Aschaffenburg zum zentralen Wahlkampfthema zu erheben, über das Handeln und Scheitern der Unions-Fraktion im Deutschn Bundestag, und die Reaktionen der weiteren politischen Akteur:innen wird in diesen Stunden und Tagen reichlich gesprochen und geschrieben. Erhellend fand ich bisher die Kommentierung von Stephan Detjen, der sich im Deutschlandfunk um die „bürgerliche Mitte“ sorgt, und den Kommentar von Stefan Kuzmany im SPIEGEL (€). Kuzmany schreibt u.a.:
[D]ie allgemeine Empörung, Verunsicherung und Ablehnung hätte Friedrich Merz vorhersehen müssen, wäre er nicht so sehr damit beschäftigt gewesen, starr geradeaus zu blicken. […] Was Friedrich Merz da getan hat, ist auch ein faszinierend vollständiges politisches Desaster. Ungläubig reibt man sich die Augen: Wie kann sich einer, der doch gefühlt schon Kanzler war, solche Fehler erlauben? Noch haben die Patzer des Friedrich Merz vor allem Unterhaltungswert. Einen Bundeskanzler jedoch, der es schafft, in wenigen Tagen solche Wagenladungen Mist anzuhäufen, kann niemand wollen, dem an einer klugen Regierung gelegen ist.
Und damit will ich es an dieser Stelle mit der Manöverkritik auch bewenden lassen und mich stattdessen der kirchen-politischen Dimension der Vorgänge zuwenden. Da wäre zunächst die Einrede durch die PrälatInnen der beiden großen Kirchen, die es nicht nur in die Regierungserklärung des Bundeskanzlers geschafft hat, sondern auch innerkirchlich für Diskussionen sorgt. Desweiteren die Frage, inwieweit Union und Kirche eigentlich noch zur Kooperation in der Lage sind. Und zuletzt die Frage, welche Bedeutung kirchliche Positionen eigentlich für Politiker:innen haben, die sowohl in der Kirche als auch in der Union wirken.
Überrascht nicht, interessiert doch – Philipp Greifenstein (Die Eule)
Über die gemeinsame Stellungnahme der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union, Anne Gidion, und ihres katholischen Kollegen Karl Jüsten habe ich bereits am Mittwoch ausführlich in der Eule geschrieben. Die gemeinsame Stellungnahme, die vor allem mit juristischen Argumenten gegen einige von der Unionsfraktion in ihren Anträgen formulierte Anliegen in der Migrationspolitik aufwartet, gibt es inzwischen auch auf der Website des Katholischen Büros und als PDF.
Der Erklärung beigestellt haben Gidion und Jüsten ein kurzes Schreiben, das der Kanzler im Deutschen Bundestag einen „Brandbrief“ nannte und dessen Inhalt noch mehr als die sachlichen Einwände der gemeinsamen Erklärung in der (katholischen) Kirche zu Debatten führte. Im Brief heißt es:
Title: Brandstifter statt Brandmauer – Die #LaTdH vom 2. Februar
URL: https://eulemagazin.de/brandstifter-statt-brandmauer-die-latdh-vom-2-februar/
Source: REL ::: Die Eule
Source URL: https://eulemagazin.de
Date: February 2, 2025 at 10:43AM
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