„Breitere Polarisierung“ / Kirchenhistoriker ordnet den Synodalen Weg geschichtlich ein

„Breitere Polarisierung“ / Kirchenhistoriker ordnet den Synodalen Weg geschichtlich ein

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DOMRADIO.DE: Als Theologe vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) bestraft, danach zum Kardinal erhoben – etwas gerafft ist das die Kirchenkarriere von Henri de Lubac, einem französischen Jesuiten und Theologen, der erst in seinem Reformeifer gebremst und später genau dafür gefeiert wurde. Ist diese Ambivalenz typisch für die Katholische Kirche im 20. Jahrhundert?

Prof. Dr. Claus Arnold (Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Mainz): Das würde ich tatsächlich auch so sehen. Das ist eine typische Ambivalenz und die bringt eben die Situation vor dem Zweiten Vatikanum ganz gut auf den Punkt: dass es eben zum einen Reformbestrebungen gab, die teilweise vom päpstlichen Lehramt unterstützt und rezipiert worden sind.

„Gerade im unmittelbaren Vorfeld des Zweiten Vatikanums gab es den Eindruck, dass wieder sehr viele Reformbestrebungen rückgängig gemacht werden sollten“

Gleichzeitig gab es aber immer quasi auch Bewegungen eines „Rollback“. Und gerade im unmittelbaren Vorfeld des Zweiten Vatikanums gab es den Eindruck, dass wieder sehr viele Reformbestrebungen rückgängig gemacht werden sollten.

DOMRADIO.DE: Keine Religionsfreiheit, staatliche Demokratie nein Danke und außerhalb der Kirche gibt es kein Heil. Vereinfacht ausgedrückt war das die Haltung der Kirche im 19. Jahrhundert. Beim Zweiten Vatikanischen Konzil klang das schon ganz anders. Aus heutiger Sicht: wie sehr hat sich die Kirche vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts verändert?

Arnold: Also, die Kirche hat sich in einigen Punkten – Sie haben die Religionsfreiheit und die Gesamt-Pragmatik, wie man eigentlich der modernen Welt entgegentritt, angesprochen – doch stark verändert. Das ist wahr. Das Zweite Vatikanum hat eben versucht, eine positive Verhältnisbestimmung zur Moderne zu vollziehen und sich damit eben deutlich abgesetzt von der Pragmatik des 19. Jahrhunderts.

Dennoch gibt es doch auch starke Kontinuitäten, eben vor allem wie sich die katholische Kirche als zentralistische Papstkirche darstellt, wie sie sich im 19. Jahrhundert noch stärker konstituiert hat. Das wirkt im 20. Jahrhundert und bis heute nach.

Ich würde sagen, in ein paar wichtigen inhaltlichen Punkten hat es deutliche Korrekturen gegeben, auch was zum Beispiel den Bereich der Liturgie angeht, was das Verständnis der Offenbarung angeht, was überhaupt die Berücksichtigung der geschichtlichen Dimension in der Theologie angeht, auch die Berücksichtigung des gläubigen Subjekts. Also, Glaube wird eben nicht mehr nur vor allem als Akt des Gehorsams verstanden. Auch da hat die Theologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts reflektiert und dazu beigetragen, dass sich auch lehramtliche Positionen verschoben haben. Es hat sich was geändert, aber es hat sich eben längst nicht alles geändert; viele würden sagen, es muss sich ja auch nicht alles ändern.

DOMRADIO.DE: Wenn man jetzt diese Veränderungen, die Sie angesprochen haben, vergleicht mit den Forderungen des Synodalen Weg heute – ist da der heutige Reformprozess vielleicht gar nicht so radikal und spalterisch, wie Kritiker meinen?

Arnold: Wenn ich ein konkretes Beispiel geben darf. Als die Vorbereitungsdokumente für das Zweite Vatikanische Konzil herauskamen, hat sich hier in Mainz der damalige Bischof Volk mit Theologen getroffen; gemeinsam mit Otto Semmelroth, Karl Rahner und anderen hat er überlegt, wie man quasi korrigierend hier eingreifen kann, also das gewissermaßen gerade von Deutschland aus auch andere Perspektiven, die nicht der kurialen Vorbereitung entsprochen haben, im Blick auf das Zweite Vatikanum eingebracht wurden. Das ist also im Grunde genommen nichts Neues.

Natürlich ist der Synodale Weg in Deutschland heute ganz anders strukturiert. Vor dem Zweiten Vatikanum gab es zwar auch Laien-Eingaben und so weiter. Also, es gab doch auch eine breite Beteiligung. Aber letztendlich war es eben konzentriert auf eine relativ kleine Gruppe von Bischöfen und Theologen, die sich darauf vorbereiteten, andere Perspektiven beim Konzil einzubringen. In dieser Institutionalisierung heute, wie wir es beim Synodalen Weg haben, ist das natürlich etwas anders aufgestellt.

„Heute haben wir diese „Kulturkampf“-Themen, diese Ja-Nein-Themen … die vielleicht noch mal eine viel stärkere Polarisierung und eine Polarisierung auf breiterer Basis, als wir sie vom Zweiten Vatikanum hatten, hervorrufen“

Und durch die Frage der Sexualmoral und letztendlich auch die Frage der Stellung der Frau in der Kirche sind nun auch Themen dabei, die eine stärkere Polarisierung hervorrufen, als wenn es nur um das Verständnis der Rolle des Papstes oder um die Religionsfreiheit geht. Wobei damals natürlich auch die Religionsfreiheit starke Emotionen hervorgerufen hat. Das ist ja bis heute der Punkt, der die Traditionalisten am meisten vom Zweiten Vatikanum abstößt.

Auch die Neubestimmung der Theologie des Judentums hat starke Kontroversen damals hervorgerufen. Aber ich denke, heute haben wir diese „Kulturkampf“-Themen, diese Ja-Nein-Themen, die ja auch in anderen christlichen Konfessionen – gerade die Anglikaner haben sich vor kurzem mit der Homosexualität neu beschäftigt – die vielleicht noch mal eine viel stärkere Polarisierung und eine Polarisierung auf breiterer Basis, als wir sie vom Zweiten Vatikanum hatten, hervorrufen.

DOMRADIO.DE: Und in dem Zusammenhang lautet ja immer ein Argument gegen den Synodalen Weg und die Reformen, dass es eben viele Dinge gibt, die nur auf der weltkirchlichen Ebene behandelt werden können. Wie weltkirchlich waren Erneuerungsbewegungen vor dem Konzil aufgestellt, die Nouvelle theologie war doch sehr französisch…

Arnold: Das ist wahr. Also Frankreich hat eine Vorreiterrolle gespielt, Belgien, auch Deutschland. Es ist tatsächlich so gewesen, wenn wir es etwas flapsig ausdrücken: es kamen viele Bischöfe mit einer durchaus konservativen Gesinnung zum Zweiten Vatikanum. Auch die Eingaben der Bischöfe vorher waren eigentlich zum großen Teil gar nicht dazu geeignet, jetzt auf große Reformen zu hoffen.

Sie kamen beim Konzil an, es gab die Eröffnungsansprache des Papstes, die im Grunde genommen Mut gemacht hat, auch Änderungen anzugehen. Die Bischöfe haben den Finger in die Luft gehalten und festgestellt, woher der Wind weht. Und dann gab es eben diese Vorreiter-Gruppen, die dann sehr erfolgreich im Grunde genommen die Majorität der Bischöfe in die Richtung der Reformen dann auch gelenkt haben.

„Die Bischöfe haben den Finger in die Luft gehalten und festgestellt, woher der Wind weht.“

Und insofern ist es auch vor dem Zweiten Vatikanum ein Prozess gewesen, der weltkirchlich rezipiert worden ist, der aber eben durchaus von bestimmten europäischen und nordamerikanischen Theologien initiiert worden ist.

Ich denke, bei der Bischofssynode 2023 wird vieles davon abhängen, wie diese Impulse der Weltkirche rezipiert werden. Also wir haben ja noch keinen so richtigen Gesamtüberblick, was aus Afrika, was aus Asien usw. an Impulsen zur Bischofssynode kommt. Es gibt schon gewisse Anzeichen. Wenn der Spielraum gewissermaßen von Papst Franziskus und von der Kurie gegeben wird, dann kann sich vielleicht etwas Ähnliches ereignen, dass man feststellt, dass man sich doch auf bestimmte Dinge auch weltkirchlich gesehen einigen kann. Ich denke, das ist jetzt auch nicht ausgeschlossen durch die letzte Äußerung der Kurie.

Auch die Stimmung vor dem Konzil war ja sehr skeptisch. Und der Konzilstheologe Karl Rahner zum Beispiel hat gar nicht viel vom Konzil erwartet. Wenn tatsächlich diese Bischofssynode ein Ereignis mit einer eigenen Dynamik werden sollte, dann kann man sich auch wirklich Reformen vorstellen. Wenn die Bischofssynode aber zum Beispiel wie die Amazonas-Synode dann doch mit einer starken Regie letztendlich abläuft, dann bin ich da sehr skeptisch.

DOMRADIO.DE: Die deutsche Kirche wird immer davor gewarnt, eine Art neue Reformation zu starten. Sie haben ja eben schon von der Polarisierung gesprochen, etwa beim Thema Homosexualität, Frauenämter etc.. Sehen Sie die Gefahr einer echten Spaltung auch mit Blick auf die Kirche im 19. und 20. Jahrhundert im Vergleich?

Arnold: Vor dem Zweiten Vatikanum gab es sicher keine Gefahr einer Spaltung, weil letztendlich die kirchliche Disziplin auch so stark war und auch nicht in Frage gestellt worden war. Ich habe letztes oder vorletztes Jahr diesen Vergleich mit der Reformationszeit noch abgelehnt. Der erschien mir übertrieben.

Mittlerweile muss ich sagen, dass eben auch speziell durch die Situation in Deutschland, durch den Autoritätszerfall, den wir auf breiter Ebene haben, die Situation vielleicht doch nicht so anders ist. Andererseits sehe ich eher weniger die Tendenz zu einer Kirchenspaltung, sondern tatsächlich eben, dass der Säkularisierungsprozess sich rasant beschleunigt in einer Weise, der dazu führt, dass die katholische Kirche dann nicht mehr so dastehen und so die Rolle haben wird, wie sie die heute noch hat.

„Ich sehe jetzt nicht eine Massen-Absetzbewegung Richtung Protestantismus oder zum Alt-Katholizismus oder gar eine neue Kirchen-Gründung.“

Ich sehe jetzt nicht eine Massen-Absetzbewegung Richtung Protestantismus oder zum Alt-Katholizismus oder gar eine neue Kirchen-Gründung. Ich glaube eher, dass hier die Gefahr eines Massenexodus besteht.

DOMRADIO.DE: Der Vatikan hat ja seine Kritik am Synodalen Weg mehrfach geäußert. Kann es trotzdem sein, dass die Reform-Positionen des Synodalen Weges in zehn bis 15 Jahren genauso selbstverständlich sein werden, wie das beim Zweiten Vatikanischen Konzil passiert ist?

Arnold: Das hängt mit dem gesellschaftlichen Wandel weltkirchlich zusammen. Wenn bestimmte Problemlagen dort ähnlich so empfunden werden, wie wir sie heute schon empfinden, dann könnte das vielleicht eintreten.

Allerdings muss ich sagen, ich bin da eher skeptisch, wenn man zum Beispiel auf die katholische Kirche in England blickt, die ja schon viel länger mit dem Missbrauchsskandal zu tun hat, oder auch auf die Kirche in den USA blickt, dann muss man feststellen, dass die eigentlich in der Summe eher konservativer geworden sind, was jetzt wertfrei gemeint ist. Es könnte ja auch der Effekt eintreten, dass man sich zurückzieht auf das, was man als das Proprium sieht, und eher dann in eine stärkere „identitäre“ Position hineingeht. Auch das ist möglich.

„Was die innerkirchlichen Themen angeht, scheint mir da die Bewegungsbereitschaft nicht so groß zu sein.“

Also, ich denke, es hängt wirklich vom gesellschaftlichen Wandel in den einzelnen Ländern und der Art und Weise, wie dieser gesellschaftliche Wandel von der Hierarchie aufgenommen wird oder nicht, ab. Das wird, denke ich, die Dinge entscheiden.

Papst Franziskus, das muss man sagen, nimmt ja was die sozialpolitische Seite und die politische Seite allgemein angeht, diesen gesellschaftlichen Wandel hier auf. Er hat jetzt us-amerikanische Bischöfe eher zurückgepfiffen, die eine starke politische Rolle in konservativer Hinsicht spielen wollen. Aber das gilt eben eigentlich nur für diese Wirkung in die Gesellschaft hinein. Was die innerkirchlichen Themen angeht, scheint mir da die Bewegungsbereitschaft nicht so groß zu sein.

Das Interview führte Mathias Peter.

 

Religion

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August 11, 2022 at 10:08AM