In Berlin, Krakow und Düsseldorf treffen sich Christ:innen um gemeinsam zu beten und erleuchtet zu werden. Außerdem: Der „Marsch für das Leben“ und die schweizer Missbrauchsstudie.
Herzlich Willkommen!
Wo sind all die Christen hin, wo sind sie geblieben? Die Erzählungen vom Rückgang der Bedeutung des Glaubens, der Kirchen und des allgemeinen Niedergangs des christlichen Abendlandes sind so allgegenwärtig, dass ihnen häufig ohne weitere Prüfung hohe Evidenz zugebilligt wird. Von einer „permanent gewordenen depressiven Haltung“ in der Kirche spricht der sächsische Diakonie-Chef Dietrich Bauer. Ihr setzt er aus diakonischem Geist entgegen, die Kirche solle sich im Sozialraum um Besserung bemühen. Das vermittle nicht zuletzt das gute Gefühl der Selbstwirksamkeit.
Aus evangelikalen und US-amerikanischen Kontexten kennt man die artverwandte Verkündigung vom „purpose driven life“. Ins Deutsche wurde das gleichnamige Buch von Rick Warren als „Leben mit Vision“ übersetzt. Aber das Englische purpose meint dem Wortsinne nach erst einmal so etwas wie Zweck, Aufgabe, Bestimmung und Ziel. In einer Gruppe mit gemeinsamen Vorhaben treten interne Friktionen in den Hintergrund. Gegenüber der Umwelt erscheinen solche Gemeinschaften als attraktive Orte, an denen man seine Zeit und Kraft nicht verschwendet.
Wo sind all die Christen hin? In diesen Tagen treffen sie sich an vielen Orten. Anfang der Woche fand in Berlin das Internationale Friedenstreffen der katholischen Laiengemeinschaft Sant’Egidio statt. Im polnischen Kraków (Krakau) tagt derzeit die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LBW). Bei den Invictus Games in Düsseldorf waren die Militärseelsorge und die Kirchen mit Gottesdiensten präsent. In Berlin und auch in Köln zogen gestern christliche Lebensschützer gemeinsam mit Rechtsradikalen auf dem „Marsch für das Leben“ durch die Städte. Und in Rom laufen die Vorbereitungen auf die „Weltsynode“ (s. #LaTdH von vergangener Woche). Man sieht: Unsere Kirchen sind vor allem von Zielkonflikten geprägt.
Wofür sich Christ:innen in Wort und Tat einsetzen sollten, ist ihnen nicht freigestellt, sondern durch das Evangelium präjudiziert. Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung zum Beispiel. Schwierig ist gleichwohl, wie diese großen Ziele miteinander korrespondieren. Dietrich Bauer weist darauf hin, wie wichtig es ist, sich „schaffbare“ Ziele zu setzen. Eine Ortsgemeinde kann und muss nicht wie Welt retten, aber sie kann ihren Sozialraum ein Stück weit reicher, lebenswerter und gerechter machen. Im großen Kontext: Zum „purpose driven life“ der Kirche gehört zu wissen, was des Menschen und was Gottes ist, was überhaupt zu schaffen und eben nur von Gott zu erhoffen ist.
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Das Internationale Friedenstreffen der katholischen Gemeinschaft Sant’Egidio stand unter starkem Eindruck des Ukraine-Krieges, schreibt Christoph Strack bei der Deutschen Welle. Auf zahlreichen Podien wurde über Frieden und Verständigung diskutiert, u.a. mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
„Wir werden die Ukraine in ihrem Recht auf Selbstverteidigung weiter unterstützen – solange wie nötig“, sagt zwei Tage später Scholz. „Frieden ohne Freiheit heißt Unterdrückung. Frieden ohne Gerechtigkeit nennt man Diktat.“ Mal spricht er von den „imperialen, historisch verblendeten Machtfantasien des Herrschers im Kreml“, mal nur vom „Agressor“. Und der Kanzler reiht phasenweise Bischofsworte, Papstaussagen und ein Zitat des ägyptischen Großimams Ahmad al-Tayyeb aneinander. So sehr, dass die Moderatorin von Sant‘Egidio dem Kanzler, der seit langem keiner Kirche angehört und nicht gläubig ist, zum Abschluss ausdrücklich für sein „Zeugnis“ dankt.
Sollte tatsächlich irgendwer im Kanzleramt aus dem blutleeren Auftritt des Kanzlers auf dem Kirchentag in Nürnberg gelernt haben? Scheinbar im Widerspruch zu den deutlichen Positionierungen gegenüber der russischen Aggression steht eine weitere Begebenheit, auf die Strack ebenfalls eingeht:
Am Montag erteilte bei einem Podium, das die schwierige Situation von Christen in Teilen des Nahen Ostens in den Blick nahm, der Moderator durchaus überraschend dem russisch-orthodoxen Erzbischof Tikhon, der die Berliner Diözese leitet und im Publikum saß, das Wort. Und ohne jede Gegenrede beklagte er die „Verfolgung aus Glaubensgründen“ für die russische Orthodoxie in der Ukraine. Kein Wort gab es von ihm zur Zerstörung ukrainischer Kirchen, zum Leid der ukrainischen Gläubigen.
Auf besagtem Podium (Video) saßen auch der scheidende bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm in seinem Amt als Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), Erzpriester Radu Constantin Miron, der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK), von der Orthodoxen Bischofskonferenz in Deutschland (OBKD) sowie Bischof Gerhard Feige (Magdeburg), der Vorsitzende der Ökumenekommission der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Einen „Dialog über, aber nicht mit der Ukraine“ sieht daher Sigrid Hoff in ihrer Bilanz im Deutschlandfunk.
Emotionaler Höhepunkt des Treffens waren dann sicher die Kundgebungen und Gebete direkt im Herzen der Hauptstadt:
Sant‘Egidio-Chef Impagliazzo bilanziert bei der Schlusskundgebung in Berlin unter Berufung auf das Bild vom Mauerfall: „Genau hier ist eine weitere Mauer gefallen. (…) Die Religionen haben trotz ihrer Verschiedenheit gelernt, zu koexistieren, sich zu ergänzen und zu unterstützen, sich nicht mehr zu bekämpfen, sich nicht als Konkurrenten zu sehen, sondern miteinander und nebeneinander zu stehen. (…) Heute sprechen wir die gleiche Sprache, die Sprache des Friedens!“
Und sie klatschen alle, Christen, Juden und Muslime, Hindus, Buddhisten, Shintoisten, Sikhs, Zoroastrier. Religionen in Berlin, um den Frieden zu wagen. Sie unterzeichnen einen Friedensappell: Frieden bedeutet nicht, sich mit der Ungerechtigkeit abzufinden, heißt es da. „Kein Krieg ist ewig!“ Und im Abendwind vor dem Brandenburger Tor flackern Kerzen.
Lutheraner:innen treffen sich in Krakow
Im polnischen Krakow (Krakau) findet gegenwärtig die 13. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) statt. Auch reichlich Vertreter:innen der lutherischen Kirchen in Deutschland nehmen am Treffen teil, das insgesamt rund 360 Delegierte und viele weitere Gäste aus 99 Ländern unter dem Motto „Ein Leib, Ein Geist, Eine Hoffnung“ zusammenführt. Die Vollversammlung ist das höchste Gremium des Weltbundes und tritt alle sieben Jahre zusammen. Gastgeberin ist diesmal Evangelisch-Augsburgische Kirche in Polen. Der LWB umfasst rund 150 Mitgliedskirchen mit 77 Millionen Gläubigen. Der LWB informiert auf seiner Website, inkl. Livestreams und Tagesupdates, umfassend über die Beratungen.
Highlights bisher: Die Rede des Holocaust-Überlebenden Marian Turski, der an die Vollversammlung appellierte, Hassrede zu bekämpfen und Fremdenangst in Mitgefühl zu verwandeln: „Hört auf mit dem widerlichem Antisemitismus und mit Fremdenfeindlichkeit“. Und auch die Rede von Rev. Dr Bruk Ayele Asale, Präsident des Mekane Yesus Seminary (MYS) in Äthiopien (auf Englisch) und die an ihn anschließenden Wortmeldungen sind vielsagend und rufen nach einer Vertiefung. Von einer neuen Reformation, in der die Kirchen der Welt derzeit stünden, erzählte der tschechische katholische Theologe Tomas Halik den Delegierten (Text):
„Ich bin überzeugt, dass wir es hier mit dem möglichen Beginn einer neuen Reformation des Christentums zu tun haben, die sowohl auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil als auch auf der pfingstlichen Neubelebung des weltweiten Christentums aufbaut.“ […] Halik betonte, dass neue Wege der Verkündigung des Evangeliums zu den wichtigsten kirchlichen Aufgaben zählten. „Wir können aber nicht als arrogante Besitzer der Wahrheit auf andere zugehen“, gab er zu bedenken.
Mit dem frisch gewählten, neuen Präsidenten des Lutherischen Weltbundes, Henrik Stubkjaer (61), Bischof im dänischen Viborg, hat im Auftrag der KNA Benjamin Lassiwe gesprochen:
Stubkjaer: Ich glaube, dass die Kirche eine wichtige Aufgabe darin hat, gegen alle Formen des Extremismus vorzugehen. Ich muss sagen, ich bin immer noch von unserem Besuch als LWB in Auschwitz beeindruckt. Was wir dort gesehen haben, war ja genau der Endpunkt der Exklusion und des Extremismus. Und das darf niemals wieder geschehen. Deshalb haben wir eine Aufgabe als Kirche. Wir gehen ja davon aus, dass Gott die Welt geschaffen hat. Und dass Gott den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat. Und deshalb müssen wir gegen jede Form der Exklusion vorgehen, die wir in der Gesellschaft wahrnehmen. Denn das Ausschließen von Menschen schleicht sich immer mehr in unsere Gesellschaft ein.
Invictus-Games in Düsseldorf
Vom Kult um die römische Gottheit Sol invictus (lat.: „unbesiegter Sonnengott“) hat das Christentum den Weihnachtstermin und auch heute bietet die Licht-Dunkelheit-Metaphorik offenbar Anknüpfungspunkte. Bei den von Prinz Harry initiierten, inzwischen schon 6. Invictus Games („Spiele der Unbesiegten“) für Soldat:innen, geht es um den gemeinsamen Sport und das Über- und Weiterleben nach schwerwiegenden körperlichen und seelischen Verletzungen im soldatischen Beruf oder Kriegseinsatz. Etwa 500 Teilnehmende aus 21 Nationen konkurrierten in verschiedenen Disziplinen. Von den Invictus Games berichtete u.a. die Rheinische Post ausführlich.
Das Schicksal von traumatisierten oder verletzten Soldat:innen und ihren Familien steht in Deutschland nur sehr selten im Fokus der Öffentlichkeit. Während der Invictus Games, die zum ersten Mal in Deutschland gastierten, war das anders: Bundespräsident Steinmeier (Rede im Wortlaut hier), der Bundesminister der Verteidigung, Boris Pistorius (SPD), und viele tausend Besucher nahmen an den Sportveranstaltungen und Zeremonien teil. Auf dem voll gefüllten YouTube-Kanal der Veranstalter lässt sich das gut nachverfolgen.
Mit dabei waren auch die Kirchen, natürlich mit der Militärseelsorge bei der Bundeswehr und in Gottesdiensten. Es gab eine katholische Messe, einen evangelischen Eröffnungsgottesdienst und auch eine Interreligiöse Feier im „Nation Dome“ sowie eine besondere Kerze:
Diese Kerze wurde im Katholischen Militärbischofsamt von Schwester Irmgard gestaltet. „Das Birkenkreuz mit dem Helm als Symbol für gefallene Soldaten und die Flaggen der teilnehmenden Nationen verbinden das Gedenken mit den Wettkämpfen“ erläutert sie. „Dadurch sind alle miteinander bei den Wettkämpfen verbunden“. Hinterbliebene von gefallenen Bundeswehrangehörigen hatten die Symbolik initiiert. Sie sind bei der Eröffnung in der Düsseldorfer Arena dabei.
Auf die Kerze zu sprechen kam auch der römisch-katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck (Essen):
Bischof Overbeck wies eingangs der Messe auch noch einmal auf die Kerze hin, die bei der Eröffnungsfeier zum Gedenken an die Toten hereingetragen worden war. „Sie ist ein Hinweis auf das, was uns verbindet: Der Glaube an Gott, Licht, das uns leuchtet – das Licht Gottes“. In der Predigt führte Bischof Overbeck aus, was der Begriff Respekt im Sport für Soldaten bedeutet: „Die Quelle des Guten liegt in der unbedingten Anerkennung des anderen als eines anderen in seiner Freiheit und Würde“, bestärkte er sie.
Wo sind die Christen?
Am Freitag fand wieder ein Globaler Klimastreik statt, zu dem „Fridays for Future“ aufgerufen hatte. Am Klimastreik nahmen auch zahlreiche Christ:innen und kirchliche Initiativen teil. Mehr zum Verhältnis der Kirchen zur Klimabewegung hatte ich ja unter der Woche hier in der Eule geschrieben. Die Vielfalt der Treffen und öffentlichen Kundgebungen, bei denen sich in diesen Tagen christliche Weltverantwortung dokumentiert, ist groß – aber sie ist keinesfalls beliebig.
Es kreist doch viel um die von den Kirchen vor dreißig Jahren beschriebenen Großthemen Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung. Wie können diese Ziele zusammengebracht werden? Bedürfen sie nicht vielleicht der Ergänzung, zum Beispiel durch einen emphatischen Freiheitsbegriff? Wie sind Freiheit, Würde, Frieden und Gerechtigkeit aufeinander zu beziehen und was folgt ganz praktisch aus einer solchen theologischen Arbeit? Wen nehmen sich die Kirchen und Christ:innen bei diesem Lernprozess zum Vorbild und zu Lehrer:innen?
nachgefasst I: Schweizer Pilotstudie
Eine Pilotstudie zum Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche in der Schweiz hat 1.002 Fälle Missbrauchsfälle, 510 Beschuldigte und 921 Betroffene identifiziert. Der Schlussbericht kann hier als PDF heruntergeladen werden. Und hier gibt es weiteres Material, Stellungnahmen und die Pressevorstellung. In der schweizerischen Kirche und in den schweizerischen und weiteren deutschsprachigen katholischen Medien werden die Ergebnisse des Berichts in dieser Woche intensiv diskutiert. Die (fehlenden) strafrechtlichen Konsequenzen beleuchtet der SRF. In der stark laiengeprägten Kirche in der Schweiz droht den Bischöfen und Bistümern nun nicht zuletzt Streit ums Geld, dessen Verwendung an konkrete Fortschritte bei der Missbrauchs-Bekämpfung und -Aufarbeitung geknüpft werden soll.
Christoph Paul Hartmann, Redakteur bei katholisch.de, kommentiert trotzdem skeptisch:
Darüber hinaus ist der Text allerdings leider kein großer Wurf. Er benennt ein Hellfeld mit Verweis auf ein wohl viel größeres Dunkelfeld, nennt ein gesellschaftliches und kirchliches Klima und Machtstrukturen, Sexualmoral, Frauenbild wie Homosexualitätsverständnis als Faktoren, die den Boden für Missbrauch bereitet haben. Das gab es auch schon in Deutschland mit anschließendem Synodalen Weg. Das schweizerische Projekt benennt keine Vertuscher, hält sich oft im Ungefähren auf der Metaebene. Das wäre vor Jahren alles spannend gewesen, im Jahr 2023 sollte ein solches Gutachten jedoch ambitionierter sein.
In der Sache könnte man Hartmann gut Recht geben. Auch die Reaktionen aus den unterschiedlichen Akteur:innen-Gruppen der Kirche der Schweiz klingen sehr vertraut. Zum Beispiel von der IG Feministische Theologinnen:
Es bedarf einer ernsthaften und kritischen Auseinandersetzung mit der katholischen Sexualmoral, dem (Pflicht-)Zölibat, den Geschlechterverhältnissen innerhalb der Kirche und dem ambivalenten Verhältnis zwischen katholischer Kirche und Homosexualität. Der Ausschluss zahlreicher Personengruppen aus kirchlichen Ämtern und Aufgaben muss aufhören, ebenso die Abwertung nicht-ordinierter Theolog*innen, insbesondere auch der Frauen.
Damit haben sie umrissen, was seit 2019 Thema beim Synodalen Weg der römisch-katholischen Kirche in Deutschland war. Überall dort, wo sich intensiv mit Missbrauch in der Kirche befasst wird, kommt man am Ende (oder vielmehr am Anfang) dort an. Und genau darum sind regionale Berichte in einzelnen Ländern und Bistümern doch bleibend wichtig, denn sie setzen das Thema regional zumeist erst so richtig auf die Tagesordnung. Wo es an – auch noch so defizitären – Untersuchungen und wissenschaftlichen Berichten fehlt, fällt das Wegschauen noch leichter. Natürlich muss die Aufklärung dann auch weiter gehen und Täter und Vertuscher konkret benannt und sanktioniert werden.
Mit den kirchenpolitischen Folgen der Veröffentlichung befasst sich auf der Online-Nachrichtenplattform der Katholischen Kirche in der Schweiz, kath.ch, Annalena Müller. Sie erklärt, was sich die Kirche nun vorgenommen hat. Längst überfällige Maßnahmen, wie z.B. eine nationale Meldestelle, die aber nicht in das missbrauchsbegünstigende System eingreifen. Doch was will man von einer Kirche erwarten, deren Leitung so belastet ist?
Ein Blick in Ränge der Schweizer Bischofskonferenz (SBK) bezeugt die Aktualität der Kirchenkrise. Fünf der sechs amtierenden Bischöfe sehen sich mit Vertuschungsvorwürfen konfrontiert. Gegen drei führt der vatikanische Sonderermittler, Bischof Joseph Bonnemain (75), selbst Mitglied der SBK, eine Voruntersuchung. Mit Jean Scarcella (71), Abt der Territorialabtei Saint-Maurice, legte am Mittwochmorgen ein SBK-Mitglied sein Amt vorrübergehend nieder. Scarcella wird des sexuellen Missbrauchs beschuldigt.
Monika Dommann und Marietta Meier, beide Professorinnen für Geschichte der Neuzeit und Leiterinnen der Pilotstudie, sowie Lucas Federer, das als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Erstellung des Berichts mitwirkte, geben bei katholisch.de Auskunft. Sie fordern einen verstärkten internationalen Austausch und schauen auf Rom:
Dommann: Was wirklich ansteht, ist die internationale Vernetzung. Wir haben uns schon mit Forschenden in Deutschland ausgetauscht. Künftig müssen diese deutschsprachigen Netzwerke noch stärker mit lateinischen Sprachräumen wie Frankreich, Portugal und Spanien verbunden werden. Und Kontakte zu Italien scheinen uns besonders wichtig, auch weil da die Forschung noch am Anfang steht. Wir müssen die Forschung internationalisieren. […] Einige Quellen stehen uns auch noch nicht zur Verfügung, besonders prominent etwa die Archive des vatikanischen Glaubensdikasteriums. Dass sich diese, aber auch andere kirchliche Institutionen bewegen, können wir aber nicht alleine bewerkstelligen. Nur durch öffentlichen Druck entsteht Veränderung.
nachgefasst II
In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) sorgt zurzeit ein vergleichweise kleiner Tatkomplex für Aufmerksamkeit. Überregional bedeutsam ist der Fall eines ehrenamtlichen Mitarbeiters der Kirchengemeinde Ahlbeck aber aus zwei Gründen: Erstens, weil es nun eine zweite Kommission geben muss, da die Aufklärungsarbeit im ersten Anlauf stecken geblieben ist. Das wirft ein bedenkliches Licht auf die bestehenden Interventionsstrukturen. Zweitens, weil mit der Jugendarbeit und dem Ehrenamt zwei typisch evangelische Eigenschaften von kirchlichem Missbrauch in den Fokus rücken.
Das im Artikel geschilderte Verhalten des mutmaßlichen Täters und weiterer Begleitpersonen widerspricht allen Maßstäben für die Prävention, wie sie im Kontext der Evangelischen Jugend vor gut zehn Jahren aufgestellt wurden. Auch hier braucht es verstärkte präventive Kontrollen und eine Nachschärfung der Bildungsarbeit, für die der Jugendarbeit auch ausreichende Mittel zur Verfügung gestellt werden müssen.
„Marsch für das Leben“
Seit vielen Jahren wird immer wieder intensiv über den „Marsch für das Leben“ von christlichen Lebensschützern diskutiert (s. #LaTdH vom 18. September 2022). Auch in diesem Jahr. Gestern gab es außer in Berlin noch eine weitere Demo in Köln. Dort marschierten auch wieder Rechtsradikale gut sichtbar mit, u.a. von der Jungen Alternative. Die Jugendorganisation der AfD galt dem Verfassungsschutz Anfang des Jahres schon als „gesichert rechtsextremistisch“ (dagegen streiten JA und AfD vor Gericht). Die Lebensschützer-Szene hat seit jeher große personelle und ideologische Überschneidungen mit weiteren rechtsradikalen Milieus.
Im vergangenen Jahr hatte ich hier in der Eule über „den langen Marsch von Bischof Rudolf Voderholzer“ (Regensburg) geschrieben, der beim Synodalen Weg die Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, zum Marsch eingeladen hatte. In diesem Jahr wurde Voderholzer in Köln beim gemeinsamen marschieren mit Rechtsradikalen abgelichtet (s. Aufnahme von Kirsten Achtelik auf X).
Das Bistum Regensburg distanzierte sich auf X auch im Namen von Voderholzer „von diesem Foto“. „Leider mischen sich unter die friedlichen Teilnehmer auch Menschen mit unredlichem Gedankengut“, erklärte das Bistum weiter, das Foto sei „ohne unser Wissen“ entstanden. Man wolle daher gegen das Foto „vorgehen“. Was genau man gegen das Fotografieren und die Pressearbeit bei Demos im öffentlichen Raum unternehmen will, bleibt bis dato offen.
Auf dem Foto sind auch weitere römisch-katholische Priester zu sehen, die allesamt offenbar blind dafür sind, wer sich da „unter die friedlichen Teilnehmer“ gemischt hat. Im Interview bei katholisch.de rechtfertigte der Berliner Erzbischof Heiner Koch bereits am Mittwoch seine wiederholten Teilnahmen am „Marsch für das Leben“:
Koch: Ich nehme immer wieder an Demonstrationen zu ganz unterschiedlichen Themen teil. Und natürlich sind da immer auch Menschen dabei, mit deren Verhalten ich mich schwertue und deren sonstige Positionen ich nicht teile. Wenn ich nur zu Demonstrationen gehen wollte, bei denen alle anderen Teilnehmenden zu einhundert Prozent meine Überzeugungen teilen, müsste ich zu Hause bleiben. Ich möchte mir aber nicht die Chance nehmen lassen, auch im Rahmen einer Demonstration öffentlich für das menschliche Leben einzutreten. Aber, auch das möchte ich betonen: Meine Haltung zur AfD ist ganz klar. Ich habe immer wieder gesagt, dass ich die zentralen Inhalte dieser Partei und ihrer führenden Vertreter ablehne. Daran kann es keinen Zweifel geben.
Doch, daran kann und muss es Zweifel geben. Wenn ein Bischof das eine sagt und behauptet, aber das andere tut – was sollte man sonst tun, als Zweifel hegen? Es sind exakt dieselben, die ich in den #LaTdH vor einem Jahr bereits artikuliert hatte:
Das Problem ist doch nicht, dass hier religiöse Menschen für ihr Herzensanliegen auf die Straße gehen! Dies ist keine Debatte über Religionsfreiheit. Wenn Sie das meinen, sind sie dem rechts-identitären Schwurbel schon zu weit entgegengelaufen. Das Problem ist, dass sie mit Rechtsradikalen marschieren. Rechtsradikale bleiben Rechtsradikale, auch wenn sie mit dem Grundgesetz herumwedeln.
Über die Verschmelzung von Lebensschützern, rechten Christen und weiteren Rechtsradikalen in Deutschland und im Rahmen einer internationalen Allianz, die maßgeblich von russischem Geld lebt, hatte ich ebenfalls im vergangenen Jahr geschrieben. Auch in diesem Jahr gab es wieder ein offizielles postalisches Grußwort des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing (Limburg). Entweder sind die sog. „Reformer“ im Episkopat einfach unzureichend informiert und gebildet (ihr Versäumnis) oder duckmäusern vor den Reaktionären.
Theologie
Die Keynote der Ostkirchenexpertin Regina Elsner (z.B. hier auch in der Eule) auf der Konferenz „We believe in change: Wie kann ein Religionsfrieden für queere Menschen weltweit aussehen?“ fasst einige Herausforderungen für ein kirchliches Handeln in Europa zusammen, das die universellen Menschenrechte wertschätzt und verteidigt. Hier treten die Anliegen, die von Christ:innen auf ihren so unterschiedlichen Treffen formuliert werden (s. Debatte), in einen spannungsreichen Dialog. Und es wird auch klar, welche Christen-Treffen keineswegs in diesen Kanon passen.
Afrika und die Ukraine zeigen, wie entscheidend ein offensiver Umgang mit den Menschenrechten sein kann – und wie verheerend es ist, in diesem Diskurs ambivalent und unentschieden zu sein. Die Kirchen haben mit ihren internationalen Netzwerken und ihrer moralischen Autorität eine Verantwortung, der sie gerade in diesen beiden Fällen immer weniger gerecht werden. Konservative Akteure werden das auch in Zukunft nicht ungenutzt lassen, ganz im Gegenteil baut ihre Strategie genau auf diese Ambivalenz in den Kirchen. Ein Wandel – an den ich tatsächlich nicht mehr wirklich glaube – ist dringend nötig.
Ein guter Satz
„Mission ist zunächst das Hineinwachsen in die Christusnachfolge, nicht in der Bekehrung der anderen, sondern umgekehrt in der Bekehrung durch die anderen.“
– Margit Eckholt, Professorin für Dogmatik mit Fundamentaltheologie an der Universität Osnabrück, in ihrer Keynote bei der Konferenz „We believe in change: Wie kann ein Religionsfrieden für queere Menschen weltweit aussehen?“
Title: Christen-Treffen – Die #LaTdH vom 17. September
URL: https://eulemagazin.de/christen-treffen-die-latdh-vom-17-september/
Source: REL ::: Die Eule
Source URL:
Date: September 17, 2023 at 04:03PM
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