„… dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging.“ Wie hat es der römische Kaiser in die biblische Weihnachtsgeschichte geschafft?

Horst Heller
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Lukas beginnt das zweite Kapitel seines Evangeliums, die bekannte Weihnachtsgeschichte, mit dem berühmten Satz: „Und es begab sich, dass ein Gebot vom Kaiser Augustus ausging…“ Es ist das einzige Mal, dass dieser römische Kaiser in der Bibel erwähnt wird. Er und viele seiner Nachfolger waren aber längst verstorben, als Lukas sein Evangelium schrieb. Was also um alles in der Welt motivierte den Evangelisten, den Namen eines heidnischen Kaisers an so prominenter Stelle zu erwähnen? Dieser Blogbeitrag versucht eine Antwort. Denn Lukas war ein gebildeter Schriftsteller. Er wusste, was er tat. Doch beginnen wir am Anfang

Das Edikt des Kaisers sah vor, dass ein jeglicher ging, dass er sich schätzen ließe“ (Lk 2,3). Es handelte sich also um einen Census, eine Steuerschätzung. Volkszählungen dieser Art waren in den Provinzen nicht selten, insbesondere, wenn ein neuer kaiserlicher Legat sein Amt antrat. Quirinius, der römische Statthalter in Syrien, wird ja ebenfalls von Lukas genannt. Volkszählungen in der römischen Antike dienten also nicht statistischen Zwecken, sondern sollten das Steueraufkommen für das Imperium kalkulieren. Die Abgaben der eroberten Länder waren ein zentrales Mittel der Machterhaltung.

Die Steuerschätzung, in deren Zuge Josef von Nazareth nach Bethlehem reisen musste, ist damit eigentlich ein plausibler Rahmen der lukanischen Weihnachtsgeschichte. Das Problem: Weder Nazareth in Galiläa noch Bethlehem in Judäa waren in der Zeit der Geburt Jesu Teil einer römischen Provinz. In Judäa, Samaria und Galiläa herrschte der von Rom abhängige König Herodes. Eine römische Volkszählung fand in seinem Königreich nicht statt. Den Census in Judäa datieren die Historiker auf die Zeit nach dem Tod des Herodes und der Absetzung seines Sohnes, also etwa auf das Jahr 6 n. Chr. In diesem Jahr wurde Judäa Teil der römischen Provinz Syria. Jesus lebte da aber schon als Kind in Nazareth in Galiläa.

Der historische Hintergrund der Geburtsgeschichte des Lukas wirft aus heutiger Sicht also ein paar Fragen auf. Abgesehen von dieser Unstimmigkeit lässt Lukas aber erkennen, dass er historisch informiert war. Dass Menschen in ihre Geburtsstadt gehen mussten, um sich dort registrieren zu lassen, ist auch in anderen Fällen überliefert. Da Kinder und alte Menschen von der Steuerpflicht ausgenommen waren, war auch das persönliche Erscheinen erforderlich. Die Leserinnen und Leser des Lukas hören also, dass der Bauhandwerker Josef aufgrund der Anordnung des kaiserlichen Verwalters nach Bethlehem in Judäa reiste und dass seine Verlobte Maria dort einem Kind das Leben schenkte.

Warum musste Josef nach Judäa reisen, um sich dort registrieren zu lassen? Er wohnte doch in Galiläa, das erst viel später Teil des römischen Reiches wurde. Das Evangelium begründet es damit, dass er „von dem Hause und Geschlechte Davids war“ (Lk 2,4). Er hatte also – wie eigentlich alle Juden in Galiläa dieser Zeit – eine Migrationsgeschichte. Ihre Familien waren erst vor wenigen Generationen aus dem kargen Judäa in den fruchtbareren Norden übergesiedelt. Josef und seine Geschwister könnten also durchaus Wurzeln in Bethlehem gehabt haben. Bethlehem aber war die Geburtsstadt des Königs David aus der frühen Zeit der Geschichte Israels. Wenn das stimmt, wäre auch der Ehrentitel, der Jesus als Sohn (das heißt Nachkomme) Davids ausweist, nicht unhistorisch.

Es wird überliefert, dass zwei Großneffen Jesu, Enkel seines jüngsten Bruders Judas, am Ende des 1. Jahrhundert angezeigt wurden. Sie hatten sich als Nachkommen des Königs David bezeichnet. Das hatte den Verdacht erregt, sie, die Christus-Gläubigen, könnten einer aufrührerischen Ideologie anhängen. Sie rechtfertigten sich, indem sie ihre schwieligen Hände zeigten. Sie seien Bauern, sonst nichts.
Wenn es also in Bethlehem noch Grundbesitz gab, der dem Josef oder der Maria bzw. ihren Familien gehörte, dann könnte das der Grund gewesen sein, dass das junge Paar aus Galiläa in das Gebiet der römischen Provinz reisen musste, um sich dort in die Steuerlisten einzutragen.

Kommen wir auf die Ausgangsfrage zurück: Warum hat Lukas den Kaiser Augustus in seiner Weihnachtsgeschichte erwähnt? Zunächst schien es ihm wichtig zu sein, dass Josef der Anordnung der römischen Autorität Folge leistete. Die Nichtchristen unter seinen Lesern sollten verstehen: Wer an Jesus Christus glaubt, hat keine Revolte im Sinn. Wie sich Josef dem Gebot, das „von dem Kaiser Augustus ausging“ (Lk 2,1), nicht widersetzte, so befolgen auch die jungen christlichen Gemeinden die römischen Gesetze und die Anordnungen.

Dieser Teil der Weihnachtsgeschichte hätte Kaiser Augustus und seinen Nachfolgern also gut gefallen. Das, was dann folgt, kann aber keinem von ihnen Vergnügen bereitet haben. Denn die Titel, die der Engel dem neugeborenen Kind gibt, hatte Kaiser Augustus für sich selbst in Anspruch genommen. Er ließ sich als der Retter und Heiland verehren, der den Menschen nach Jahrzehnten der Instabilität endlich Frieden gebracht habe. „Frieden auf Erden“ (Lk 2,14): Dieser Satz ist der Refrain des Engelchors, den die Hirten hörten. Die Botschaft der Engel bedeutete: Der Frieden, den Augustus der damals bekannten Welt geschenkt hatte, greift nicht weit genug. Der Friede Gottes kommt durch das Kind in der Krippe.

Für die ersten Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums war eine solche Behauptung nicht völlig von der Hand zu weisen. Denn die Pax Romana des Augustus war in dieser Zeit nur noch eine schöne Erinnerung. Auch inhaltlich versteht die Bibel unter dem Wort Frieden (Schalom) etwas anderes als Augustus. Sein Frieden war eine Befriedung der Unterworfenen durch Unterdrückung. Dafür steht auch der Census, von dem Lukas erzählt. Diese Ausbeutung war Methode. Von Quintilius Varus, dem Vorgänger des Quirinius als syrischer Statthalter, wird gesagt, er habe als armer Mann den Boden des reichen Syrien betreten, um nach einigen Jahren als reicher Mann die verarmte Provinz wieder zu verlassen. Augustus, der sich als Friedensbringer verehren ließ, führte zudem während seiner gesamten Regierungszeit Kriege an den Außengrenzen seines riesigen Reiches. Und schließlich darf nicht vergessen werden, dass er die Bürgerkriege, die durch seine Pax Romana beendet wurden, auf dem Weg zur Alleinherrschaft selbst angezettelt hatte.

Der römische Frieden war also weder nachhaltig noch gerecht. Auf diesem Hintergrund erzählte Lukas die Geschichte vom Friedensbringer Jesus Christus, dem der Engel die Titel, die einst für den Kaiser Augustus reserviert gewesen waren.: „Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird. Denn euch 1ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids“ (Lk 2,10 f.).

Als historisch gebildeter Autor gelingt es Lukas also, seine Weihnachtsgeschichte (von der oben erwähnten Ausnahme abgesehen) in die Geschichte der Regierungszeit des Augustus einzubetten. Wir vergessen aber nicht, dass Lukas nicht auf ältere Erzählungen von der Geburt Jesu zurückgreifen konnte. Über die Kreuzigung Jesu und die Ereignisse des Ostertages gab es Enkel und Urenkel von Zeitzeugen, die in ihrer Familie und in ihrer Gemeinde eine Erinnerungskultur pflegten. Für seine Weihnachtsgeschichte gilt das nicht. Er konnte keine Chronik verfassen, nicht erzählen, wie es war. Er schrieb seine Weihnachtsgeschichte deshalb als theologische Erzählung von der Geburt des wahren Friedensbringers.

Aus zwei Gründen erwähnt er darin den Namen des Kaisers. Dessen Nachfolger brachten den Völkern keinen Frieden, sondern Unfreiheit und Gewalt. Zwar nahmen auch sie den Ehrentitel Augustus an, aber dem Anspruch, Heiland und Friedensbringer zu sein, wurden sie nicht gerecht. Der wahre Retter wurde zur Zeit des Augustus in Bethlehem geboren. Das Friedensreich, das mit ihm angebrochen war, gefährdete die römische Herrschaft aber nicht. Der christliche Glaube war und ist keine Religion, die den Staat gefährdet.

Peter Lampe, Athen und Jerusalem. Antike 31D10029und Bildung in frühchristlich-lukanischen Erzählungen, Komplett-Media-Verlag 2010
Werner Dahlheim, Augustus – Krieg und Frieden, Komplett-Media-Verlag, 2011
Stefan Alkier, Michael Rydryck, Augustus … bibelwissenschaft.de, 2013 https://bibelwissenschaft.de/stichwort/49949/
H.-M. Zilling: “Überlegungen zum Zensus des Quirinius”, in: H-Soz-Kult, 22.12.2006, https://www.hsozkult.de/debate/id/fddebate-132166

Blogbeiträge zum Thema auf http://www.horstheller.de
15.12.2019: So stelle ich mir die Herberge vor, von der Lukas erzählt.
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Date: December 14, 2024 at 05:58AM
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