Der Heilige Geist weht auch im Internet

Seit Kurzem ist der Synodale Weg in Deutschland beendet. Dieser wurde von den Jungen Synodalen auch auf Instagram geteilt. Kira Beer analysiert, was das mit der Machtdynamik machte.

Mein Bauchgefühl nach der letzten Synodalversammlung: Nein, wir haben nicht genug erreicht. Weder für das Ziel, Strukturen zu schaffen, die Missbrauch erschweren, noch für eine generell gerechtere Kirche. Aber: Ja, es hat sich Entscheidendes geändert:

Nie zuvor wurde so deutlich öffentlich sichtbar, wie viele Menschen sich Veränderungen hin zu einer gerechteren Katholischen Kirche wünschen oder diese bereits konkret leben. Für mich als angehende pastorale Mitarbeiterin ändert das viel: Ich habe keine Angst mehr, Reformanliegen zu äußern oder anzupacken, weil mir die letzten vier Jahre enorme Rückendeckung gegeben haben. Woher kommt dieses Gefühl?

Viele Themen des Synodalen Weges sind doch schon spätestens seit der Würzburger Synode vor fünfzig Jahren bekannt? Das Neue ist die Art der Öffentlichkeit der Themen. Zu Zeiten der Würzburger Synode lebte Öffentlichkeit von Massenmedien. Soziolog*innen bezeichnen sie gern als „vierte Gewalt“, um ihren Einfluss auf politisches Geschehen deutlich zu machen.[1] Maß und Qualität massenmedialer Berichterstattung bestimmen politische Debatten und Wahlentscheidungen deutlich mit.[2] Mit dem Aufkommen Sozialer Medien hat sich das Machtverhältnis verschoben. Sie können zurecht als „fünfte Gewalt“ bezeichnet werden.[3] Sie bieten, was im massenmedialen System fehlte: eigene Gestaltungsmöglichkeiten und Raum für Nutzende, klassische Medien kritisch zu reflektieren und Themen zu setzen. Somit sind die Nutzer*innen nicht nur Konsument*innen, sondern ggf. auch Autor*innen. Einer der größten Vorteile an diesem neuen Kommunikationssystem[4] ist das Bilden sogenannter Gegenöffentlichkeiten, also das Sichtbarmachen alternativer herrschaftskritischer Positionen. „In ›subalternen Gegenöffentlichkeiten‹ können Ungleichheiten und Ausschlüsse sichtbar werden und aufgrund von Klasse, Ethnizität oder Geschlecht marginalisierte Gruppen zu Wort kommen.“[5] Dieses Instrument ist für feministische Kämpfe schon immer von enormer Bedeutung, kann aber durch die Möglichkeiten sozialer Medien heute besser denn je genutzt werden. Das weltweit wohl bekannteste Beispiel für gelungene Gegenöffentlichkeit ist die „MeToo-Debatte“, im kirchlichen Bereich denkt man seit einem Jahr wohl zuerst an #outinchurch.

Ein weiteres Beispiel für eine gelungene katholische Gegenöffentlichkeit und ihrer Auswirkung auf den Synodalen Weg habe ich brennglasartig untersucht. Im Oktober 2021 hat die Münchner Theologin Viola Kohlberger am Rande der dritten Synodalversammlung Machtmissbrauch durch Rainer Maria Woelki erfahren und den Vorfall anschließend in einem Instagram-Video geschildert.[6] Sie berichtet, dass sie nach einem Redebeitrag, in dem sie u. a. Woelki kritisiert hatte, in der Pause auf dem Weg zur Toilette von ihm abgefangen und mit ihrem Beitrag konfrontiert worden sei. Er habe ihr Emotionalität vorgeworfen und betont, dass er keine Fehler begangen habe, was auch der Papst festgestellt habe. Ihr Redebeitrag sei dafür verantwortlich, dass er sich öffentlich rechtfertigen müsse und darüber hinaus seien Menschen wie sie ein Grund, dass Menschen aus der katholischen Kirche austreten. Während des Gesprächs sei er ihr körperlich zu nah gewesen und habe sie damit zusätzlich eingeschüchtert.

Das Video hat bis heute über 15 000 Klicks, außerdem erlebte sie einen Followerzuwachs von fast 40%. Unter dem Video finden sich 160 Erstkommentare (gelöschte, aber von Viola dokumentierte Hasskommentare inbegriffen), wovon 138 als Zuspruch und 22 als Kritik bzw. Hass gewertet werden können. Ich habe alle Kommentare analysiert und nach Themenfeldern sortiert. Unter den zusprechenden Kommentaren finden sich hauptsächlich solche, die Viola für ihren Mut bewundern und ihre Solidarität bekunden. Daneben wird Kritik an Rainer Maria Woelki ausgedrückt und einige Menschen berichten, ähnliche Erfahrungen gemacht zu haben. Die kritischen Kommentare sind vor allem dadurch geprägt, dass Menschen ihre Erfahrung in Frage stellen oder sie direkt leugnen und Viola Rufmord vorwerfen. Außerdem fällt auf, dass im Bereich der Hasskommentare mehrfach je ein Account mehrere Kommentare abgesetzt hat.

Dieses Verhalten sehe ich als Anhaltspunkt, dass die These, in unserer Kirche gebe es eine kleine, aber dafür umso lautere konservative Minderheit, wahr sein kann.

Der Kardinal selbst reagierte ebenfalls in Form eines Kommentars unter dem Video, in dem er sich für den entstandenen Eindruck entschuldigte. Selbigen postete er auf Facebook als Beitrag.

Das Video stieß nicht nur in den Sozialen Medien auf großes Interesse, sondern wurde von zahlreichen kirchlichen und säkularen Nachrichtenportalen oder Zeitungen aufgegriffen. So berichteten neben katholischen „Klassikern“, wie z.B. „katholisch.de“ unter anderem die Süddeutsche Zeitung und der WDR. Vereinzelt wurde das Video auch in reaktionären Blogs aufgegriffen. Bei den Pressereaktionen zeigt sich ein ähnliches Bild wie in der Kommentarspalte des Videos: der Großteil  ist nüchtern bis solidarisch, einige wenige Ausreißer sprechen Viola die gemachte Erfahrung hab und unterstellen beispielsweise eine „aufgebauschte Inszenierung“.[7] Das große mediale Interesse an dem Video scheint zunächst einen großen „Erfolg“ des Videos zu quittieren. Es muss aber dazugesagt werden, dass das mediale Interesse an Kardinal Woelki zu dieser Zeit aufgrund seiner durch Papst Franziskus angeordneten und kurz bevorstehenden Auszeit außergewöhnlich hoch war und ein weiterer Skandal daher sicherlich für die Medien interessanter war, als wenn sich die gleiche Situation mit einem anderen Würdenträger abgespielt hätte.

Allerdings hat das Video auch über den medialen Aufschrei hinaus zu Konsequenzen innerhalb der Synodalversammlung geführt: Ein „Leitfaden für gute Kommunikation und Konfliktgestaltung bei Veranstaltungen des Synodalen Weges“ wurde erlassen.

Dieser verpflichtet unter anderem zu einer Achtung von körperlicher Nähe und Distanz, dem Bewusstmachen der eigenen Machtposition und zu einem angemessenen Umgang mit Meinungsverschiedenheiten innerhalb der Versammlung. In einem Instagram-Interview mit „katholisch.de“ betonte der ehemalige Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode explizit, dass der Vorfall zwischen Viola Kohlberger und Rainer Maria Woelki einer der Gründe für den Leitfaden war. Viola berichtete mir zusätzlich von einer deutlich veränderten Stimmung und einem intensiveren Bewusstsein füreinander unter den Delegierten des Synodalen Weges.

Die Analyse dieses Falls bestätigt meinen Eindruck einer veränderten Öffentlichkeit in den letzten Jahren. Durch die Sozialen Medien können Gläubige ihre Stimme erheben, Themen setzen und Gegenöffentlichkeiten bilden. Sie können daher als Katalysatoren von Reformanliegen dienen, weil sich das Gottesvolk schneller und großflächiger miteinander vernetzen kann als noch zu Zeiten klassischer Medien. Um es noch provokanter zuzuspitzen:

Sicher kann mich mein Bischof wegen „kirchenfeindlichem Verhalten“ irgendwann kündigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Institution, wenn ich das auf Instagram öffentlich mache, einen größeren Schaden davonträgt als ich das tue, ist aber groß. Das schützt mich.

Wir schützen uns gegenseitig durch die Öffentlichkeit der Sozialen Medien. Das gibt uns Macht, gegen die keine Struktur ankommen kann. Spirituell zusammengefasst: der Heilige Geist weht, wo er will – auch im Internet.

Hashtag der Woche: #digitalchurch

 

[1] Vgl. STOPFNER, Neue Medien, S. 371.

[2] Vgl. BRAND, Medien, S. 40f.

[3] Nun ist die römisch-katholische Kirche alles andere als eine Demokratie. Angewendet auf die monarchischen Strukturen, könnte man daher sagen, die Sozialen Medien sind eine Art Katalysator der Aufstrebenden zweiten Gewalt: des Gottesvolkes.

[4] Auf die Nachteile, wie Fake-News, Filterblasendenken etc. kann hier nicht eingegangen werden.

[5] WISCHERMANN, Privatheit, S. 250.

[6] https://www.instagram.com/tv/CUnFbvKjjxR/?utm_source=ig_web_copy_link, 05. Oktober 2021 (19. Februar 2023, 12:30 Uhr).

[7]Sprich mich nicht an! – VOLLE KELLE, 07. Oktober 2021 (17. Januar 2023, 10:30 Uhr).

Beitragsbild: Rodion Kutsaiev auf Unsplashed

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Title: Der Heilige Geist weht auch im Internet
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Date: May 1, 2023 at 08:27AM
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