Desaströse ICIL-Studie (= eine Art Computer-PISA): 40 Prozent der Achtklässler in Deutschland können nur “klicken und wischen”

BERLIN. Das Smartphone gehört für Teenager zum Leben dazu. Neben Tiktok, Chats und Spielen scheitert – trotz der zunehmenden Digitalisierung der Schulen – ein steigender Anteil der Schülerinnen und Schüler aber am produktiven Umgang mit digitaler Technik. Insbesondere Kinder und Jugendliche aus armen und/oder eingewanderten Familien werden abgehängt.

IT-Kompetenzen? Geht so. (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

Trotz eines zunehmend digital geprägten Alltags durch Smartphones und Tablets gibt es einer Studie zufolge immer mehr Jugendliche, die nur sehr schlecht mit Computern umgehen können. 41 Prozent der Achtklässler verfügen demnach nur über sehr «rudimentäre (…) Fähigkeiten im kompetenten Umgang» damit, wie es in der von der Universität Paderborn veröffentlichten internationalen Vergleichsstudie ICILS 2023 heißt. Dies ist nach Ansicht der Autoren ein besorgniserregend hoher Anteil und ein deutlicher Anstieg im Vergleich zur letzten Studie von 2018.

«Diese 40 Prozent der Jugendlichen, von denen wir denken, dass sie Digital Natives sind, können im Grunde genommen nur klicken und wischen», sagte die Studienleiterin Prof. Birgit Eickelmann bei einer Pressekonferenz in der Kultusministerkonferenz in Berlin. Der englische Begriff Digital Natives bezeichnet Menschen, die mit digitalen Medien und Geräten aufgewachsen sind und von klein auf damit zu tun hatten.

Bei ICILS (International Computer and Information Literacy Study) geht es darum, herauszufinden, wie gut Achtklässler mit Computern und digitalen Medien grundsätzlich umgehen können, wie sie diese zum Recherchieren, Gestalten und Kommunizieren von Informationen nutzen und wie reflektiert sie mit diesen Medien umgehen können.

Nur die Wenigsten richtig fit am Computer

Getestet wurde etwa, ob die Schüler wissen, mit welchen Programmen sie bestimmte Dateien öffnen können, ob sie Datei-Endungen kennen oder ob sie erkennen, wie glaubwürdig recherchierte Informationen sind. Schwierigere Aufgabenstellungen sahen vor, dass Schüler eine digitale Präsentation erstellen, in der sie jüngeren Schülern die Funktionsweise der menschlichen Atmung erklären oder ein Informationsblatt für einen Rundgang in einem Museum entwerfen.

Das Ergebnis: Nur ein verschwindend geringer Anteil der Jugendlichen kann richtig gut mit Computern umgehen und ist etwa in der Lage, Informationen selbstständig zu ermitteln, sicher zu bewerten und anspruchsvolle Informationsprodukte zu erzeugen. Diese höchste Kompetenzstufe erreichten nur 1,1 Prozent der Achtklässler. Vor fünf Jahren waren es 1,9 Prozent.

Viele könnten im Berufsleben Probleme bekommen

In der Erhebung vor fünf Jahren lag der Anteil derer, die nur die einfachsten Anwendungen am PC durchführen konnten, noch bei 33,2 Prozent, was auch schon als besorgniserregend bezeichnet worden war – nun der deutliche Anstieg auf knapp 41 Prozent. Solche Schülerinnen und Schüler können zum Beispiel einen Link in einer E-Mail öffnen oder ein Bild in ein Dokument einfügen, scheitern aber an komplexeren Aufgaben.

Weitere Ergebnisse:

  • Mit einem Vorsprung von 10 Punkten ist ein signifikanter Kompetenzunterschied zugunsten der Mädchen (507 Punkte) gegenüber den Jungen (497 Punkte) festzustellen. Das liegt international durchaus im Trend: „In der Gesamtschau kann zudem herausgestellt werden, dass – wie bereits in ICILS 2018 und ICILS 2013 – in der überwiegenden Anzahl der ICILS-2023-Teilnehmerländer die Mädchen einen signifikanten Kompetenzvorsprung gegenüber den Jungen haben und in keinem Teilnehmerland die Jungen besser als die Mädchen abschneiden“, so heißt es in der Studie.
  • Die Gymnasiast*innen erreichten in Deutschland in Bezug auf die computer- und informationsbezogenen Kompetenzen im Mittel 559 Punkte (Standardabweichung: 59 Punkte) und damit ein um 87 Punkte deutlich und signifikant höheres mittleres Kompetenzniveau als gleichaltrige Schüler*innen an anderen Schulformen der Sekundarstufe I (472 Punkte; Standardabweichung: 81 Punkte). Der Kompetenzunterschied differenziert nach Schulformzugehörigkeit ist für Deutschland im Zehnjahreszeitraum größer geworden.
  • Im Ergebnis für Deutschland zeigt sich ein signifikanter und erneut sehr großer Unterschied (81 Punkte) in den mittleren computer- und informationsbezogenen Kompetenzen zuungunsten von Achtklässler*innen mit Zuwanderungshintergrund: Während die Schüler*innen, die selbst im Inland geboren wurden und von denen auch kein Elternteil im Ausland geboren wurde, im Mittel 528 Punkte erreichen, liegen die mittleren Kompetenzen der Schüler *innen, die selbst im Ausland und von denen beide Elternteile im Ausland geboren wurden, bei nur 447 Punkten.
  • Für den Großteil der betrachteten Fächer bzw. Fächergruppen zeichnet sich ab, dass die betreffenden Anteile der Achtklässler*innen, die digitalen Medien mindestens in den meisten Unterrichtsstunden nutzen, jeweils weniger als ein Viertel betragen. Diese umfassen: Geistes- und Gesellschaftswissenschaften (23 Prozent), Naturwissenschaften (21.4 Prozent), Fremdsprachen (19,6 Prozent), Deutsch bzw. Testsprache (19,2 Prozent) und Mathematik (17,8 Prozent). Immerhin geben für das Fach Informatik mehr als zwei Fünftel der Schüler*innen (44.5 Prozent) an, digitale Medien mindestens in den meisten Unterrichtsstunden zu nutzen, sofern dieses Fach belegt wurde.

Die Autorinnen und Autoren befürchten, dass ein erheblicher Anteil der Schüler in Deutschland später Probleme bekommen könnte. Im Wortlaut: „Damit lässt sich für einen erheblichen Anteil der Schüler*innen in Deutschland annehmen, dass eine erfolgreiche gesellschaftliche Teilhabe – in der Schule, im Alltag und später im Beruf – in einer zunehmend digital geprägten Lebenswelt als sehr herausfordernd erscheint.“ Neben Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungshintergrund und mit einer anderen Familiensprache als Deutsch sind auch Kinder und Jugendliche «mit benachteiligter sozialer Herkunft» betroffen. Ihnen drohe, abgehängt zu werden.

Deutschland internationales Mittelfeld

Für die Studie wurden im Frühjahr und Frühsommer 2023 rund 5.000 Schülerinnen und Schüler der achten Klassen in allen Bundesländern an Computern getestet. Daneben beteiligten sich Jugendliche aus mehr als 30 Ländern, darunter 22 EU-Staaten, an der Erhebung. Im internationalen Vergleich landet Deutschland im oberen Mittelfeld. Deutlich besser schnitten die Teilnehmer in Südkorea ab. In Europa waren die tschechischen Achtklässler am fittesten am PC. News4teachers / mit Material der dpa

In Wortlaut

Die Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse des deutschen Teils der Studie durch die Autorinnen und Autoren lautet:

„In Deutschland finden sich mit ICILS 2023 eklatante Bildungsungleichheiten im Bereich des Erwerbs digitaler Kompetenzen. Diese fallen bei Betrachtung von Kompetenzmittelwerten zuungunsten von Schüler*innen mit Zuwanderungshintergrund, zuungunsten von Schüler*innen mit einer anderen Familiensprache als Deutsch sowie auch zuungunsten von Schüler*innen mit benachteiligter sozialer Herkunft aus. Diese Schüler*innengruppen werden zu besonders hohen Anteilen in Deutschland nicht durch schulische Bildung mit den für ihre Zukunft und die Stabilität der Gesellschaft erforderlichen digitalen Kompetenzen ausgestattet und drohen abgehängt zu werden.

In diesen Schüler*innengruppen erreichen sehr hohe, anschaulich in der Größe kaum fassbare Anteile von 50 Prozent und mehr nur die untersten beiden Kompetenzstufen, wobei sich die jeweiligen Anteile seit den Vorgängerzyklen in Teilen nochmals deutlich vergrößert haben. Die Ergebnisse für Deutschland sind deutlicher als für die meisten anderen ICILS-2023-Teilnehmerländer.

Weiterhin wird mit ICILS 2023 ersichtlich, dass in Deutschland die Mädchen, für die sich insgesamt im Mittel ein kleiner Kompetenzvorsprung gegenüber Jungen zeigen lässt, sich erstmals zu sehr hohen Anteilen auf der untersten Kompetenzstufe I befinden, die international sogar als below level 1 bezeichnet wird (Fraillon, 2024). Gleiches gilt in einem besonders auffälligen Ausmaß für Schüler*innen mit einer anderen Familiensprache als Deutsch, wobei sich für diese Gruppe – betrachtet über einen Zehnjahreszeitraum – der entsprechende Anteil fast verdoppelt hat. Diese Schüler*innen scheinen in sehr deutlicher Weise und zu nicht unerheblichen Anteilen in den letzten zehn Jahren nicht hinreichend in den Blick genommen worden zu sein.

Die festgestellten Bildungsungleichheiten in Bezug auf den Zuwanderungs- bzw. Sprachhintergrund bleiben zudem in ICILS 2023 unter Kontrolle des kulturellen Kapitals als Indikator für die soziale Herkunft bestehen. Somit wird deutlich, dass in Deutschland in den nächsten Jahren nicht nur mehr, sondern spezifischere Bemühungen benötigt werden, um bessere digitalisierungsbezogene Bildungschancen zu ermöglichen.”

Hier lässt sich die vollständige Studie herunterladen.

Platzt der Digitalpakt 2.0? Breites Bündnis schlägt Alarm: “Zukunftsfähigkeit des deutschen Bildungssystems steht auf dem Spiel“

Der Beitrag Desaströse ICIL-Studie (= eine Art Computer-PISA): 40 Prozent der Achtklässler in Deutschland können nur “klicken und wischen” erschien zuerst auf News4teachers.


Title: Desaströse ICIL-Studie (= eine Art Computer-PISA): 40 Prozent der Achtklässler in Deutschland können nur “klicken und wischen”
URL: https://www.news4teachers.de/2024/11/desastroese-icil-studie-eine-art-computer-pisa-40-prozent-der-schueler-koennen-nur-klicken-und-wischen/
Source: News4teachers
Source URL: https://www.news4teachers.de/
Date: November 12, 2024 at 01:55PM
Feedly Board(s): Schule