Die in Angst sind – Die #LaTdH vom 22. Dezember

Herzlich Willkommen!

„Wir werden dem Gewalttäter nicht unseren Hass geben. Wir bleiben bei dem, was dem Frieden und dem Zusammenhalt dient. Der wichtigste Raum des Friedens, den du bewahren kannst, ist dein Herz.“

Wie klingen die Worte von Landesbischof Friedrich Kramer (EKM) beim Ökumenischen Gedenkgottesdienst am Sonnabend (Video beim MDR) nach dem Attentat vom Freitagabend in Magdeburg? Es gibt bisher fünf Tote, darunter ein neunjähriges Kind. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt, viele davon schwer. Gegen den mutmaßlichen Täter wurde in der Nacht zu Sonntag Haftbefehl erlassen. Die Nachrichten und Social-Media-Plattformen quellen über vor Neuigkeiten, Gerüchten und eiligen Einschätzungen.

Die Stadt Magdeburg trauert. Nicht nur im Ökumenischen Gottesdienst mit den Bischöfen Kramer und Gerhard Feige (Bistum Magdeburg) und viel Politikprominenz. Der Dom ist für trauernde und Rast und Ruhe suchende Menschen geöffnet. Derzeit findet an der Johanniskirche eine weitere Mahnwache statt. Vom Leben in der Stadt „nach 19:04 Uhr“ erzählt die Magdeburger Superintendentin Bettina Schlauraff (EKM) auf evangelisch.de. Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, und der Vorsitzende der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Bischof Georg Bätzing, haben in einer gemeinsamen Stellungnahme auf das Attentat reagiert.

Das Attentat von Magdeburg auf Menschen, die einen Weihnachtsmarkt besuchten, wird die Menschen in der Stadt, die Angehörigen und Ersthelfer:innen vor allem, noch lange beschäftigen. Lange nachdem die Spekulationen um den Täter und die Tathintergründe abgeebbt sind und er sich vor Gericht für seine Taten verantwortet hat. Lange nachdem die politischen Nutznießer der Gewalt zum nächsten Fanal weitergezogen sind. Für manche Menschen wird der 20. Dezember für immer ein Tag des Entsetzens und der Trauer bleiben.

An alle, die nicht unmittelbar vom Anschlag betroffen sind, die rat- und rastlos wenige Tage vor dem Christfest aus der Nähe oder Ferne zuschauen, richtet sich der Satz von Landesbischof Kramer im Besonderen: „Wir bleiben bei dem, was dem Frieden und dem Zusammenhalt dient.“ Die politische Instrumentalisierung der Gewalttat begann am Freitagabend sofort. Dem Hass gegen Migrant:innen muss sich entgegenstellen, wem wirklich am Zusammenhalt gelegen ist. Wir wissen, dass Radikalisierungsprozesse, wie sie der Täter offenbar in den vergangenen Monaten durchlaufen hat, nicht in einem gesellschaftlichen Vakuum stattfinden, sondern in einer Atmosphäre der Unversöhnlichkeit, in der die Brisanz politischer Entscheidungen stehts hochgeschraubt wird. Unabhängig davon, ob wir – wenn wir alle mehr wissen – vom Magdeburger Attentat als einem Terroranschlag sprechen werden, ist Terror längst Teil unserer Gesellschaft.

Gerade darum sehnen sich viele Menschen gerade im Advent und zu Weihnachten danach, sich den Schreckensmeldungen und Hiobsbotschaften unserer Zeit zu entziehen – wenigstens für eine Zeit lang. Vor wenigen Wochen noch wurde beklagt, der Bundestagswahlkampf könnte die adventliche Besinnlichkeit stören. Als ob die Arbeit an der Demokratie mal eben Pause machen könnte. Doch unsere Herzen und Köpfe brauchen Zeit und Raum, um zur Ruhe und zur Besinnung zu kommen. „Es wird nicht dunkel bleiben über denen, die in Angst sind“, heißt es im Buch Jesaja, direkt vor den Sätzen, die in den Christvespern und Weihnachtsgottesdiensten über das Kommen des Friedefürsten verlesen werden.

In der vergangenen Woche hat Jasper von Legat, Pfarrer und einer der Friedensbeauftragten der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK), die #LaTdH für eine Spezialausgabe zum Thema Frieden übernommen. Die heutige Ausgabe der #LaTdh ist (auch deshalb) prall gefüllt mit den wichtigen Religions- und Kirchennachrichten der vergangenen Tage. Es ist kurz vor dem Weihnachtfest doch noch einiges geschehen. Zu viel, als dass man alles auf einmal verdauen kann. Aber wir nehmen uns die Zeit. Die nächsten #LaTdH gibt es dann am 5. Januar 2025 nach einer kurzen Weihnachtspause.

Bis dahin
Philipp Greifenstein

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Debatte

Ein halber „Weihnachtsfrieden“ wurde in dieser Woche im Bremer Kirchenasyl-Streit erreicht. Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte haben die Anwält:innen der Geflüchteten erneut einen Erfolg erzielt. Das dritte Kriegsweihnachten steht hingegen der Ukraine und auch den ukrainischen Geflüchteten in Deutschland bevor.

Weihnachtsfrieden in Bremen – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Bereits Anfang Dezember berichtete ich hier in der Eule über die verhinderte Räumung eines Kirchenasyls in Bremen. Hunderte Unterstützer:innen sorgten im Gemeindezentrum Zion dafür, dass die Rückführung eines Mannes aus Somalia nach Finnland scheiterte. Es war das erste Mal, dass in Bremen ein Kirchenasyl von den Behörden geräumt werden sollte.

In den Tagen danach wuchs sich der Vorgang zu einem Streit in der Landespolitik und mit den Kirchen aus, der bundesweit Aufmerksamkeit erhielt. Zwei weitere Kirchenasyle gerieten unter Druck der Behörden. Über das weitere Geschehen und die (kirchen-)politischen Implikationen habe ich in dieser Woche erneut in der Eule geschrieben:

Die Geflüchteten im Kirchenasyl und ihre Unterstützer:innen in und um die Kirchgemeinden atmen nach der Verständigung zwischen Innensenator Mäurer und den Kirchen nun erst einmal auf und durch. In den kommenden Wochen wird es keine weiteren Versuche geben, ein Kirchenasyl in Bremen (gewaltsam) zu beenden. […]

Der Bremer Kirchenasyl-Streit könnte ein Katalysator dafür werden, BAMF und Kirchen wieder zu umfänglichen Verhandlungen an einen Tisch zu bringen. Die einseitige Aufkündigung der Verabredungen von 2015 (2022) durch die staatlichen Behörden ist das eigentliche Problem, weshalb es zu unterschiedlichen Auffassungen über die Schutzfunktion des Kirchenasyls in „Dublin-Fällen“ kommt. Gefordert sind hier also die InnenministerInnen von Bund und Ländern, die Praxis des BAMF einer kritischen Begutachtung zu unterziehen.

Obwohl in Kirchenasylen nur vergleichweise wenige Geflüchtete Obhut finden, auch gemessen an der Zahl derjenigen, die Deutschland gerne in europäische Erstaufnahmeländer „zurückführen“ möchte, ist das Institut des Kirchenasyls in den vergangenen Monaten stark unter Druck geraten (s. hier, hier, hier & hier in der Eule).

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, wusste schon Hölderlin: Die Kirchen haben ihre öffentliche Anwaltschaft für geflüchtete Menschen und eine menschenwürdige Migrationspolitik unter diesem erhöhten Druck keineswegs reduziert, sondern sind – gerade im Blick auf das Kirchenasyl – vernehmlich lauter geworden. An der Seite von Flüchtlingshilfeorganisationen sind die Kirchen das letzte gesamtgesellschaftlich wahrnehmbare Korrektiv in einer völlig hypertrophen und eskalierten Migrationsdebatte.


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Date: December 22, 2024 at 12:59PM
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