Die Probleme mit OneNote im Unterricht

Diese Woche habe ich Studierende in die Nutzung der wichtigsten digitalen Lernumgebungen eingeführt. Dabei habe ich ihnen eine Art Faustregel vorgeschlagen (mit der Betonung, dass das primär meine Sicht ist):

Gymnasialer Unterricht wird tendenziell besser, je intensiver Lehrpersonen Teams nutzen. Er wird tendenziell schlechter, je intensiver Lehrpersonen OneNote nutzen.

Diese Faustregel, die auch kurz auf Linkedin gepostet hatte, provoziert Nachfragen und muss präzisiert werden – das hole ich hiermit nach (den Studierenden habe ich das alles mündlich erklärt).

Die Affordanz von OneNote:
Das Denken in Skripten

Affordanz meint den Aufforderungscharakter von Medien und Technologie, das, wozu eine App einlädt, was sie verstärkt, was sie leichter macht. Die Affordanz von OneNote besteht darin, ein Skript zu erstellen, hierarchisch und linear geordnet ist. Dieses Skript kann dann an Lernende übertragen werden, die es mit eigenen Notizen ergänzen.

Dieses Verfahren passt ganz gut zu dem, was in klassischen MINT-Vorlesungen passiert: Die Lehrenden gestalten mit hohem Aufwand ein attraktives, strukturiertes Skript. Studierende nehmen eine passive Rolle ein, die fast ausschliesslich darin besteht, die Fachkonzepte und wissenschaftlichen Einsichten nachzuvollziehen und bei einer Prüfung möglichst so abrufen zu können, wie sie im Skript dargestellt werden.

Marketing von Microsoft

Auf LinkedIn schreibt der Englisch-Didaktiker und Digitalexperte Hansjürg Perino:

Wichtig ist eine übersichtliche Struktur, dann kann man eigentlich (fast) alles in OneNote unterbringen, was es zum Unterrichten braucht.

Die Unterrichtsmedien werden in OneNote in eine spezifische Struktur gebracht, die den Unterricht formatieren. Diese Struktur muss Lernenden wie Lehrenden bekannt sein. OneNote führt dazu, dass alle diese Struktur über Unterrichtsinhalte legen. Das kann in Unterrichtsbereichen sehr sinnvoll sein: Wenn Skripte verwendet werden, ergibt es Sinn, die auf OneNote abzulegen. Wenn es Wörterliste oder Aufgaben/Lösungen im Unterricht braucht, lassen sich diese auf OneNote einfach verteilen und von den Lernenden nutzen.

Kontrolle und Überwachung von Lernenden

Eine zweite Eigenheit von OneNote ist, dass die Schüler:innen-Hefte digital für die Lehrperson zugänglich sind. Das ergibt oft Sinn, etwa wenn Aufgaben digital aufgegeben werden und ihre Korrektur dann ebenfalls digital erfolgt. Gleichzeitig hat die Lehrperson aber (potentiell) ständig Einblick in die Arbeiten der Schüler:innen. Diese erfolgen nicht in einem autonomen Bereich oder einer eigenen Struktur, sondern in derjenigen, die von der Lehrperson eingerichtet und verwaltet wird.

Dasselbe gilt auch für den «Collaboration Space», also die digitalen Räume, in denen Lernende zusammenarbeiten können. Auch hier ist die Lehrperson permanent präsent, sie liest mit und kontrolliert.

Darstellung Microsoft

Wo liegt das Problem?

Die beiden zentralen Features sind also Struktur und Überwachung. Für beides schafft OneNote Anreize. Wenn OneNote dosiert und für festgelegte Funktionen eingesetzt wird, gibt es dagegen nichts einzuwenden. Sobald aber die Nutzung intensiviert wird und gymnasialer Unterricht primär über das Medium OneNote medialisiert wird, dann bekommen Struktur und Überwachung zu viel Gewicht.

Das ist bei Teams deshalb weniger der Fall, weil viele Strukturen den Nutzer:innen überlassen sind und die Arbeit nicht primär auf Teams stattfindet, es als per default Bereiche gibt, die sich der Kontrolle der Lehrperson entziehen.

In meiner Kritik an OneNote steckt auch eine Kritik an Skript-orientiertem Lernen. Die Vorstellung, Fachinhalte könnten von einer Lehrperson so strukturiert werden, dass Lernende sie perfekt aufnehmen können, verhindert viele Aspekte guten Unterrichts: kontroverse Diskussionen, eigene Lernentdeckungen, Kollaboration. Ein Skript sieht den nächsten Lernschritt schon vor, Lernende können ihn im besten Fall optimal absolvieren. Sie haben aber keine eigenen Anteile daran.

OneNote vermittelt Lernenden das Gefühl, sie müssten nachvollziehen. Es schafft wenige Einladungen zu gestalten, ins Gespräch zu kommen, eigene Wege einzuschlagen. Deshalb wäre mein Rat an Lehrende: Setzt OneNote ein, aber macht das dosiert. Gerade mit BYOD haben viele Lehrende an Gymnasien den aus meiner Sicht falschen Schluss gezogen, dass sie mit OneNote die Geräte, welche Schüler:innen nutzen, optimal einsetzten können. Das ist deshalb falsch, weil Lernende mit OneNote in einer permanenten Halb-Aufmerksamkeit gehalten werden. Sie erledigen an ihrem Gerät nebenher andere schulische und nicht-schulische Aufgaben. Das sieht man, wenn man einmal kritisch die OneNotes der Schüler:innen einer Klasse durchsieht.


Title: Die Probleme mit OneNote im Unterricht
URL: https://schulesocialmedia.com/2025/05/20/die-probleme-mit-onenote-im-unterricht/
Source: SCH ::: Schule Social Media
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Date: May 20, 2025 at 11:12AM
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