An meiner Schule erhalten – jetzt im zweiten Jahr, immer noch als Probedurchlauf – die Schüler und Schülerinnen der 9. Klassen ein schulisches iPad zur Benutzung im und für den Unterricht. Beim ersten Jahr der Einführung war ich nicht an der Schule, im zweiten Jahr, mit anderen 9. Klassen, bin ich mit einer Deutsch- und einer Informatikklasse dabei.
Warum iPads?
Keine echt pädagogischen Gründe: Das sind die Geräte, die der Sachaufwandsträger zu Verfügung stellt, neutraler: die Geräte, die den Wünschen der Schule entsprechen. Die Schule formuliert Wünsche, der Sachaufwandsträger entscheidet sich auf Basis der Wünsche für ein Gerät, aber es war von vornherein klar, dass es nur iPads sein würden, wegen der zentralen Wartbarkeit. War das Kollegium auch nicht unzufrieden damit, weil auf Fortbildungen tolle Sachen gesehen. Die Geräte stammen teilweise noch aus Corona-Schulschließungszeiten, mussten erst umgewidmet werden, weil nicht für den Einsatz zuhause zugelassen.
Technisches zu den Geräten
Die Geräte werden zentral administriert, die SuS können selber keine Apps installieren. Zentral eine neue App installieren zu lassen, geht schnell, wenn die Systembetreuung Zeit hat, scheint also nicht sehr umständlich zu sein. Ein Großteil der Geräte hat keine Tastatur, alle haben einen Stift. Es gibt eine Versicherung. Alle Geräte loggen sich automatisch im schulischen WLAN ein, können sich aber auch an andere Netzen, insbesondere natürlich zuhause, anmelden.
Nicht meine Probleme
Es gab und gibt Sorgen wegen heimlichen Fotos oder Audioaufnahmen und wegen Fremdbeschäftigung im Unterricht. Nichts davon erlebe ich als Problem. Heise schreibt gerade etwas über Tabletnutzung in Hannover (Namen von der Redaktion geändert), ich weiß wegen der Bezahlschranke nicht, worum es eigentlich geht, klingt aber nicht nach meiner Schule.
Tatsächlicher Einsatz der Geräte
Etabliert hat sich folgender Einsatz:
(1) Die Schüler und Schülerinnen führen ihre Hefte komplett auf dem iPad, wohl alle mit dem installierten Goodreads. Deutsch-Aufsätze und Englisch-Schulaufgaben sind weiterhin auf Papier. (Ich bin skeptisch, wie oft die Hefte der Schüler und Schülerinnen tatsächlich von Lehrkräften angeschaut werden; allerdings sind auch die Papierhefte bei weitem nicht so oft angeschaut und nicht so gut geführt worden wie noch vor zwanzig Jahren. Ein großer Mangel, finde ich.)
(2) Ansonsten wird der Browser für webbasierte Anwendungen genutzt, zum Beispiel die Lernplattform mebis.
(3) Austeilen von Arbeitsblättern als PDF.
(4) Geogebra in Mathematik?
Möglicher Einsatz der Geräte
Ein E-Mail-Programm ist nicht installiert. Warum nicht? Vielleicht hat das nur noch niemand verlangt, vielleicht hält man es für unnötig. Ich halte es für sehr sinnvoll, etwa im Rahmen eines Mediencurriculums. Seit fünfzehn Jahren und mehr lese ich, dass E-Mail ausstirbt; noch ist das nicht geschehen.
Fotos machen: Da sollte man doch kleine Projekte machen können? Ich kriege keine mit.
Audioschnitt: Da sollte man doch kleine Projekte machen können? Ich kriege keine mit, bis auf meines vor zwei Jahren.
Arbeiten in eigenem Tempo: Das sollte eigentlich ein Schwerpunkt sein, wie überhaupt die Individualisierung des Lernens. Ich glaube, das findet nicht sehr statt, aber vielleicht projiziere ich da auch. Werden im Englischunterrichts mehrere Videos oder Hörtexte angeboten? Vermutlich nicht, weil keine Kopfhörer da sind.
Digitale Lektüre: Ein E-Book-Leser war nicht installiert, auf meinen Wunsch hin wurde das nachgeholt, so dass ich vor und nach Weihnachten das erste Mal eine digitale Schullektüre mit der Klasse lesen konnte.
Digitale Schullektüre, Rahmenbedingung
Das Buch sollte kostenlos als EPUB-Datei vorhanden sein, zum einen, weil die Software-Infrastruktur zum Kaufen von Büchern nicht vorhanden ist, zum anderen und vor allem, weil ich möchte, dass Schüler und Schülerinnen erfahren, dass alte Bücher kostenlos sein können. Gewählt wurde Stefan Zweig, „Schachnovelle“, ich besorgte eine Ausgabe und bot sie zum Download an.
Das ist die erste Hürde: Es gibt keine leicht auffindbare Schachnovelle als EPUB. Es gibt einen Text beim deutschen Gutenberg – nicht als EPUB, nur im Browser lesbar, nur mal zum schnellen Nachschlagen zu verwenden. Anderswo gibt es den Text sehr wohl als EPUB, er ist ja gemeinfrei; da in dieser Ausgabe die gleichen (überraschend wenigen) Schreib- und Satzfehler sind wie bei Gutenberg, liegt eine Übernahme von dort nahe. In meiner Ausgabe korrigiere ich diese Fehler nach und nach und schaffe so eine mir genehme Ausgabe mit eigenem Titelbild und Fußnoten und Abbildungen.
Wenn es eine zentrale Stelle für solche Texte gibt (insbesondere: gutenberg.org), dann sollte man die Fehler dort melden, das mache ich regelmäßig, sie werden dann schnell in einer neuen Version verbessert. Wenn es keine zentrale Stelle gibt, geht das nicht. Und da sind wir wieder bei meinem alten Wunsch nach ordentlich formatierten digitalen Lektüren für die Schule.
Ein verwandtes Problem: Die NZZ titelt zur Schachnovelle „Endlich im Original lesen“, der Hintergrund: es gibt wohl keine definitive Ausgabe, da es konkurrierende Typoskripte gibt. Reclam hat eine „Ausgabe letzter Hand“ herausgebracht. Ist das am Ende eine eigene editorische Leistung, die ein Urheberrecht begründet? Aus der Musikredaktion kenne ich das.
Digitale Schullektüre, die Umsetzung
Wie im Referendariat gelernt und wie früher üblich: Man schnuppert beim Auswählen oder Austeilen in die Lektüre hinein, spricht kurz darüber, aber dann wird die Lektüre bis zu einem vereinbarten Zeitpunkt zuhause alleine gelesen, im besten Fall mit einem einem parallelen Arbeitsauftrag versehen.
(Immer häufiger allerdings: Man liest das Buch Kapitel für Kapitel gemeinsam in der Schule. Also, vermutlich schon mit dem Auftrag: „Lest bis zum nächsten Mal das nächste Kapitel“ oder so?
Man muss sich daran gewöhnen, dass es keine Seitenzahlen gibt. Also gibt man kurz drei Wörter vor, nach denen gesucht werden soll.
Die Klasse arbeitet durchweg mit Goodnotes. Für diese Lektüre sollten sie ein eigenes Heft aufmachen, also nicht etwa das ohnehin existierende Deutschheft verwenden. Das Lektüreheft sollte ein individuelles selbst recherchiertes Titelbild kriegen. Einige waren generisch, andere von existierende Ausgaben, manche von einer interessanten Comicversion (die ich so erst kennenlernte), schön waren vor allem das Foto eines Ozeanliners – der eben kein Kreuzfahrtschiff ist – und ein altes Bild des Hotels Métropole in Wien:
Die Apple-iPad-App ermöglicht das Markieren von Stellen. Sie ermöglicht auch den Export. Das ist natürlich unabdingbar. Aber – anscheinend – kann man nicht alle Anmerkungen auf einmal exportieren. Man muss sie alle einzeln auswähhlen, also mit long press selektieren, dann kann man die angemerkten Stellen exportieren, das heißt: per E-Mail verschicken. Einen anderen Export gibt es nicht. Urheberrechtsschutzpanik? Nachdem es auf den Geräten der Schüler und Schülerinnen kein E-Mail-App gibt, geht also ohnehin nicht. Hier möchte jemand nicht, dass man das nutzt.
Nicht am Tablet, aber mit dem digitalen Text an sich, lässt sich in meiner geschätzten Orange Data Mining Suite der Text digital untersuchen. Man kann sich leicht nach Verlauf des Texts anzeigen lassen: Länge der Sätze, Länge der Absätze, Häufigkeit des Auftauchens des Wortes „Schach“ oder was einem sonst noch einfällt. Ist die Binnenerzählung des Dr B sprachlich auf irgendeine leicht messbare Art anders als die Rahmenerzählung drumherum?
Feedback der Schülerinnen und Schüler: habe ich noch nicht ausreichend eingeholt. Aber ich warte jetzt mit dem Bloggen nicht mehr darauf. Kurz: es war für die meisten ungewohnt.
Digitales und analoges Lesen
Das wäre dann mal ein eigener Eintrag. Man liest viel über Studien, dass beim digitalen Lesen weniger gemerkt wird als beim analogen. Das kann einerseits gut sein, intuitiv sehe ich das auch so, aber meine Intuition ist wenig wert. Andererseits weiß ich nie, ob da alles bedacht wurde: Lesen im Browser gegenüber Lesen in einer dafür gedachten App; Unterschiede bei Textsorten; banner blindness und vergleichbare Phänomene – beim Lesen von Webseiten ist man ja gewohnt und gezwungen, die Hälfte auszublenden. Es gibt da auch viel hanebüchene Konstruktionen, erst neulich eine von einer Biologie-Lehrkraft im Kollegium gehört.
Das ist aber ohnehin irrelevant. Es ist egal, ob man sich beim digitalen Lesen mehr merkt als beim analogen; das digitale bietet so viel Vorteile, dass analoges Lesen zur Ausnahme werden wird. Für die Schule besonders wichtig: die Lektüre kostet nichts, man kann also auch mal ein oder zwei mehr lesen.
Title: Digital Lesen in der Schule
URL: https://www.herr-rau.de/wordpress/2024/01/digital-lesen-in-der-schule.htm
Source: Lehrerzimmer
Source URL: https://www.herr-rau.de/wordpress
Date: January 13, 2024 at 08:51PM
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