Digitales Desaster: T-Systems lässt Schulplattform des Landes fallen – Wie Logineo zum Millionengrab wurde

DÜSSELDORF. Während andere Behörden ihre Ausstattung nach erprobten Standards auswählen, wollte das Schulministerium Nordrhein-Westfalen lieber selbst tüfteln – und scheitert grandios. Die eigens entwickelte Schulplattform Logineo verschlingt seit über einem Jahrzehnt Millionen, ist nie richtig fertig geworden und steht nach dem Rückzug des IT-Dienstleisters T-Systems erneut vor einer ungewissen Zukunft. Schulen, Lehrkräfte und Eltern bleiben ratlos zurück.

Läuft nicht. Illustration: Shutterstock

„Wir präsentieren die neuen Streifenwagen der Polizei NRW: Es sind der Ford S-Max und der Mercedes Vito. 2200 Fahrzeuge werden gekauft, um die Flotte zu erneuern“, so meldete das Landesamt für Zentrale Polizeiliche Dienste (LZPD) Nordrhein-Westfalen im Herbst 2019. Und berichtete von dem davor abgelaufenen Auswahlverfahren: „In einer fünfwöchigen Probephase wurden Musterfahrzeuge von verschiedenen Herstellern in der Praxis getestet. (…) Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse erstellten die Fachleute des LZPD NRW ein umfangreiches Leistungsverzeichnis, das Basis für das europaweite Ausschreibungsverfahren war.“

Kurz: Das Beschaffungsamt sondierte den Markt, probierte Fahrzeuge aus, erfasste den Bedarf der Polizei – und holte dann Angebote verschiedener Hersteller ein, die ihre Autos den Ansprüchen entsprechend umrüsten und ausstatten wollten. Auf die Idee, Vehikel für den Streifendienst selbst zu konzipieren und herzustellen, kam die Behörde seinerzeit nicht. Kein Wunder: Für die Entwicklung eines neuen Modells brauchen selbst Autokonzerne drei bis fünf Jahre. Die Investitionskosten betragen Pi mal Daumen zwei Milliarden Euro. Es wäre deshalb aberwitzig, wenn sich eine staatliche Stelle mit Steuergeld als Technik-Entwickler ausprobieren würde, zumal sie über keinerlei Expertise diesbezüglich verfügt – oder?

Das Schulministerium NRW kam 2012 zu einem anderen Schluss. Dabei ging es allerdings nicht um ein neues Automodell, sondern – technisch mindestens ebenso komplex – um eine zu entwickelnde digitale Plattform für die mehr als 6.000 Schulen im Land. Markterprobte Lösungen, die für den Bedarf der Schulen in Nordrhein-Westfalen hätten angepasst werden können, gab es einige. Doch die damalige Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) entschied sich damals für ein Modell Marke Eigenbau, dem man den niedlich klingenden Namen „Logineo“ gab. Eine fatale Entscheidung: Bis heute ist Logineo nicht vollständig ausgerollt. Dafür aber schon längst veraltet und sanierungsbedürftig.

„Das System war zu keiner Zeit in einem Zustand, der sich auch nur annähernd als fertig bezeichnen lässt“

„In steter Regelmäßigkeit produziert die digitale Schulplattform Logineo des Landes Nordrhein-Westfalen negative Schlagzeilen und Kommentare in den Medien“, schreibt „heise online“ in einem Artikel, der den Leidensweg der Plattform ausführlich dokumentiert. „Zuletzt hieß es etwa, dass das Schulministerium Logineo nach einem Zukunftscheck sanieren lasse. Das System war allerdings zu keiner Zeit in einem Zustand, der sich auch nur annähernd als fertig bezeichnen lässt – obwohl es nominell seit elfeinhalb Jahren existiert. Es fehlen bis heute wichtige Funktionen. Wie kommt es also, dass schon beim Rohbau von Sanierung die Rede ist?“

Nach einer Pilotphase verzögerte sich der Start der Schulplattform gleich zwei Mal. Erst im November 2019 konnte Logineo dann zumindest teilweise an den Start gehen. Laut „heise online“ hatte die Entwicklung bis dahin bereits 5,8 Millionen Euro gekostet. 2020 wurde mit dem Beginn der Corona-Pandemie das Angebot von Logineo dann ausgebaut – es kamen das Lernmanagementsystem (LMS) und der Messenger als unabhängige Komponenten hinzu.

Im Juni 2022 ließ das Schulministerium unter Yvonne Gebauer (FDP) laut „heise online“ verkünden, dass für die Weiterentwicklung von Logineo NRW Geld von insgesamt 207 Millionen Euro eingeplant seien. Ende Juni übernahm dann Dorothee Feller (CDU) das Schulministerium und ließ den aktuellen Stand der Schulplattform zunächst überprüfen – mit dem Ergebnis, dass eine Sanierung zwar möglich, aber umfangreich sei. Eine Kostenschätzung wurde nicht abgegeben. Trotzdem entschied Feller, weiter auf das Prestigeprojekt zu setzen.

Jetzt der nächste Rückschlag: Der Telekom-IT-Dienstleister T-Systems, der 2023 nach einer europaweiten Ausschreibung den Zuschlag dafür bekommen hatte, die Probleme zu beheben und die drei getrennten Komponenten der Plattform zusammenzuführen, ist nach einem Bericht der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ (WAZ) überraschend aus dem Vertrag ausgestiegen. Die Ziele zu Übernahme, Reparatur und Betrieb seien bis heute nicht erreicht worden, weil unter anderem Teile der Dokumentation der Programmierung nicht mehr vorliegen, so berichtet die Nachrichtenagentur dts. Derzeit läuft Logineo NRW beim Kommunalen Rechenzentrum Niederrhein.

„Leider hat T-Systems mitgeteilt, das Vertragsverhältnis beenden zu wollen“, so bestätigte das Schulministerium dem WAZ-Bericht zufolge. Die rechtlichen Konsequenzen würden derzeit geprüft. Daher könnten im Moment keine weiteren Angaben zu der Causa gemacht werden, hieß es.

„Wie geht es weiter? Und wie wird künftig sichergestellt, dass unsere Schulen auf stabile digitale Strukturen bauen können?“

Das Schulministerium beteuert zwar in einer Mail an die Schulen, die Vertragskündigung habe keine Auswirkungen auf den Betrieb der Plattform („Das System läuft stabil und verlässlich und steht den Lehrkräften sowie Schülerinnen und Schülern weiterhin für den digitalen Schulalltag zur Verfügung“). Die Opposition im Landtag zeigt sich trotzdem alarmiert. „Viele Schulen haben Zeit und Ressourcen investiert, um Logineo bestmöglich an ihrer Schule einzusetzen. Dass sich T-Systems nun unerwartet zurückziehen will, ist frustrierend – und wirft ein Schlaglicht auf die mangelnde Planbarkeit der digitalen Schulpolitik im Land“, erklärt Franziska Müller-Rech, schulpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion NRW.

Die dringend notwendige Weiterentwicklung von Logineo stehe nun auf der Kippe. Schulen und Schulträger, die auf klare Zuständigkeiten und Verlässlichkeit angewiesen seien, würden erneut mit Unsicherheit konfrontiert. „Jetzt ist dringend Transparenz gefragt: Warum hat T-Systems den Vertrag gekündigt? Wie geht es weiter? Und wie wird künftig sichergestellt, dass unsere Schulen auf stabile digitale Strukturen bauen können?“, fragt Müller-Rech.

Die Landeselternschaft der integrierten Schulen in NRW) hatte schon vor zwei Wochen (also noch vor der jüngsten Entwicklung) ein vernichtendes Fazit gezogen: als Prestigeprojekt gestartet, doch trotz massiver Investitionen und hoher politischer Erwartungen gescheitert (News4teachers berichtete). Der Vorsitzende Harald Amelang fand in einer Mitteilung deutliche Worte: „Wenn man ein Prestigeprojekt auf den Weg bringt, muss man auch bereit sein, sich einzugestehen, wenn es die selbst gesteckten Ziele verfehlt hat.“ Dabei gehe es nicht um Schulzuweisungen. „Es geht darum, jetzt Verantwortung zu übernehmen und gemeinsam einen neuen, besseren Weg einzuschlagen“, so Amelang.

Wie kann denn ein solcher Weg aussehen? Bemerkenswerterweise macht das Schulministerium NRW es selbst gerade vor: mit einer sogenannten „public-private partnership“, einer engen Zusammenarbeit von Schulen mit einem Unternehmen, das eine marktreife Lösung anzubieten hat. Die Rede ist von „Splint“, einer Software für die individuelle Förderplanung, die den bürokratischen Aufwand für Lehrkräfte im Zusammenhang mit der Inklusion mindern soll. In den Schulen des nordrhein-westfälischen Regierungsbezirks Münster wird der Einsatz großflächig getestet (News4teachers berichtete auch darüber). Schon jetzt seien mehr als 2.000 zusätzliche Anregungen aus den an der Pilotphase teilnehmenden Schulen eingegangen und eingearbeitet worden, hieß es unlängst bei einem sogenannten „Rückkopplungstag“.

Und siehe da: 78 Prozent der rund 150 dabei anwesenden Lehrkräfte und Schulleitungen, das ergab eine spontane Online-Umfrage, bejahten die Aussage: „Ein Tool, das ich gerne nutze“ – eine Zustimmungsrate, von der das Schulministerium bei Logineo allenfalls träumen kann. News4teachers

Schulplattform Logineo: Eine Never Ending Story (keine gute) – Warum selbst Eltern das Projekt als gescheitert betrachten

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Date: May 18, 2025 at 05:44PM
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