Ein Leben in Würde. Das Erntedankfest ist ein Auftrag, soziale Ungerechtigkeit zu überwinden

Horst Heller
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Der Weltkindertag am 20. September liegt hinter uns, das Erntedankfest vor uns. Der erste Sonntag im Oktober erinnert uns daran, dass alle Menschen Essen und Trinken zum Überleben brauchen. Aber Erntedank ist mehr als das: Zu einem Leben frei von Armut gehören auch ausreichender und bezahlbarer Wohnraum, Zugang zu Bildung, Gesundheitsversorgung und ein Leben in gefühlter Sicherheit. Menschen haben ein Recht auf ein Leben in Würde.

Materielle und immaterielle Lebensgrundlagen
Die meisten Menschen in meiner Umgebung – mich eingeschlossen – haben zwölf Gründe dankbar zu sein. (Die Leserin und der Leser möge in der folgenden Aufzählung aber die Klammern nicht überlesen.)

  1. In meinem Land gibt es (noch immer viele) fruchtbare Böden. Sie bringen gesunde Lebensmittel in ausreichender Menge hervor.
  2. In meinem Land gibt es (noch immer) Wälder, Wiesen, Flüsse und Seen. Sie sind Lebensraum für Tiere und Pflanzen sowie Erholungsgebiete für Menschen.
  3. Ich kann in einer schönen Wohnung leben, habe die Möglichkeit zu reisen und weiß es zu schätzen, wieder nach Hause zu kommen. Ich weiß, dass das nicht allen vergönnt ist.
  4. In meiner Wohnung kommt der Strom tatsächlich aus der Steckdose, 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche. Allerdings weiß ich auch, dass Energie ein knappes und teures Gut zu werden droht.
  5. Die Abfälle, die anfallen, werden zuverlässig abgeholt und entsorgt. Straßen, Plätze und Landschaften werden nicht zugemüllt.
  6. Auch wenn Bildung in unserem Land unterfinanziert ist, gibt es gute Einrichtungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene, in denen gelehrt, gelernt und geforscht wird.
  7. Die meisten Menschen haben in unserem Land Arbeit, die auskömmlich entlohnt wird. Viele geben im Beruf ihr Bestes. Jede und jeder ein Recht auf Freizeit. Der Sonntag ist (vielfach noch) ein Ruhe-, Feier- oder Familientag.
  8. Wenn Kranke auch manchmal lange auf einen Untersuchungstermin warten und Therapien selbst bezahlen müssen, können doch viele auch nach einer schweren Krankheit genesen. In Arztpraxen, medizinischen Versorgungszentren, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und Apotheken kümmern sich Fachkräfte um die Gesundheit der Menschen. Ich weiß, wovon ich rede.
  9. Unser Wirtschafts- und Finanzsystem schützt das Eigentum. Wenn der Grundsatz, dass Eigentum verpflichtet, auch oft nicht durchgesetzt wird, ist es aber doch in der Lage, die Altersversorgung der Rentnerinnen und Rentner und die Unterstützung der Menschen mit Beeinträchtigung mitzufinanzieren.
  10. In den meisten Regionen bewegt sich die Mehrheit der Menschen frei und ohne Angst im öffentlichen Raum. (Derzeit) müssen wir keine Angst vor Krieg in unserem Land haben. Vor 80 Jahren war das anders. Und gegenwärtig suchen Menschen bei uns Zuflucht, deren Land gerade überfallen und mutwillig verwüstet wird.
  11. Das Klima in meinem Land ist (noch) mild. Hier herrschen weder unerträgliche Hitze noch sibirische Kälte, es gibt viele Sonnentage und ausreichend Niederschläge. Die Folgen des Klimawandels treffen andere mehr als uns.
  12. Weil unser gesellschaftliches Zusammenleben Mitwirkungsrechte kennt, weil Volksvertreterinnen und -vertreter gewählt und abgewählt werden können, weil hierzulande Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung und eine (bislang liberale) Demokratie herrschen, können (könnten) Menschen einander ohne Ressentiments, sondern mit Freundschaft, Hilfsbereitschaft, Solidarität und gegenseitigem Respekt begegnen. Viele tun das privat, beruflich oder ehrenamtlich.

Die genannten Segnungen kommen nicht allen gleichermaßen zugute.
Alleinerziehende, kinderreiche Familien, Menschen ohne deutschen Pass und solche mit schlechten Bildungsabschlüssen leben überdurchschnittlich oft in Armut. 20 Prozent aller Kinder in unseren Schulen sind von Armut betroffen. Jede Lehrperson kann sich ausrechnen, wie viele Schülerinnen und Schüler das in ihrer Klasse sind. Kinderarmut ist eine Tragödie, für die die Kinder nichts können. Arme Kinder lernen schlechter. Wenn also nichts geschieht, werden auch ihre Kinder einmal arm sein.

Blicken wir einmal über den Tellerrand der Landesgrenzen.
Die Weltgemeinschaft hat sich verpflichtet, bis zum Jahr 2030 die extreme Armut auf dem Planeten zu überwinden. Viele Länder in Asien sind diesem Ziel nähergekommen. Die Zahl armer Menschen in Afrika steigt hingegen weiter an. Die Folgen zeigen sich an den EU-Außengrenzen. Aber der Korken will nicht wieder auf die Flasche. Migration mag kein Königsweg sein, um der Armut zu entfliehen. Aber zweifellos ist ein übergroßes Wohlstandsgefälle eine Triebfeder für die weltweite Wanderungsbewegung.

Erntedank ist ein Auftrag, eine soziale Gesellschaft zu schaffen.
In Zeiten, in denen angesichts der ökologischen und ökonomischen Grenzen des Wachstums eine weitere Steigerung des Wohlstands der Wohlhabenden weder notwendig noch sozialverträglich ist, heißt Erntedank, sich regional, national und weltweit für soziale Gerechtigkeit einzusetzen.

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Title: Ein Leben in Würde. Das Erntedankfest ist ein Auftrag, soziale Ungerechtigkeit zu überwinden
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Date: September 28, 2024 at 08:28PM
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