Ein Zeugnis der Hoffnunglosigkeit

Ein Zeugnis der Hoffnunglosigkeit

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Es hat ihn ein schweres Kirchenburnout erfasst. Davon erzählt ein aufwühlendes Buch. Mit heißer Feder geschrieben von einem – wie er selbst betont – „mächtigen Generalvikar“ der Kirche in Deutschland. Nun ist er in die altkatholische Kirche gewechselt. Er habe mit diesem Schritt nicht seine Berufung verraten. Es wolle aber nicht weiter in einem Kirchenbetrieb arbeiten, der seit Jahrzehnten viele Engagierte frustriert. Denn er würde damit nur dazu beitragen, das Sterben einer Kirche, die am Ende ist, lediglich zu verlängern. Zudem erlaube ihm dieser Schritt, Mensch zu sein/zu bleiben und zu lieben.

Anschaulich werden dann mit persönlichen erlittenen Begebenheiten die großen Irritationen beleuchtet, welche ihn mit vielen anderen in der Kirche umtreiben: die Sexualmoral, die Verpflichtung männlicher Kleriker zum Zölibat, die Demütigung von Frauen, die klerikale Machtausübung, und nicht zuletzt der Missbrauch. Es sind just jene Themen, die seit dem Konzil unentwegt von Reformgruppen auf den Tisch von Ortskirchen und von da aus der Römischen Kirchenzentrale gelegt werden. Diese Passagen, die den Großteil des Buches ausmachen, ist überraschungsfrei. Neu ist, dass der erfahrene Kirchenmann der persönlichen Überzeugung ist, dass alle Reformbemühungen eine reale Chance haben. Weder der Synodale Weg in Deutschland noch jener der Weltkirche werde etwas verändern.

In vielen Passagen spürt man die über Jahre gewachsene Enttäuschung, die an vielen Stellen sich in ratlose Wut verdichtet. Es ist ein Buch tragischer Hoffnungslosigkeit in einer hoffnungsarmen Kirche, die ihren Untergang ratlos verwaltet, und die der trotz einzelner tapferer Aufbrüche den erforderlichen Übergang in eine neue Kirchengestalt seiner Einschätzung nach nicht schaffen kann und daher auch nicht wird. Und wenn er schon keine Zukunft dieser Kirche in ihrer veränderungsresistenten Gestalt sieht, er will mit ihr nicht untergehen: in selbsttherapeutischer Sensibilität schreibt er: „Ich habe auch keine Lust, krank und verbittert zu werden“ (181). Eben wie im Untertitel: „Weil ich Mensch bleiben will“.

Das Buch liest sich wie ein Kirchenkrimi. Unentwegt nicke ich beim Lesen und denke, wie er in dem, wovon er erzählt, leider Recht hat. Nach drei Stunden bin ich am Ende des Buches angelangt. Ratlos und auch ein wenig traurig. Wieder verliert die Kirche einen Aufrechten. Mich macht das deshalb bange, weil ich beobachte, dass hellsichtige Leute, die wie Andreas Sturm sich zum öffentlichen Widerstand durchgerungen haben, immer weniger werden. Und was noch tragischer ist: Sie verlassen das Spielfeld und entschwinden in die kirchenpolitische Bedeutungslosigkeit. Ich habe das schon einmal beim Weggehen von Eugen Drewermann, den ich sehr schätze, beobachtet.

Ich schließe das Buch und horche auf meine Gefühle. Die Hoffnungslosigkeit, welche das Buch trotz aller eingestreuten Fragmente der Zuversicht ausstrahlt, bedrückt mich. Mich irritiert, wie die konkrete Kirchengestalt mit dem Multiversagen von der Jesusbewegung abgelöst werden kann. In dieser Bedrückung greife ist auf einen Text zurück, der aus einer starken Zeit der Kirche in Deutschland stammt: der Würzburger Synode 1972-1975. Der Text, aus der Feder von Johann B. Metz, spricht für sich:

„Die Krise des kirchlichen Lebens beruht letztlich nicht auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber unserem modernen Leben und Lebensgefühl, sondern auf Anpassungsschwierigkeiten gegenüber dem, in dem unsere Hoffnung wurzelt und aus dessen Sein sie ihre Höhe und Tiefe, ihren Weg und ihre Zukunft empfängt: Jesus Christus mit seiner Botschaft vom ‚Reich Gottes‘. Haben wir in unserer Praxis ihn nicht allzu sehr uns angepasst, seinen Geist wie abgedecktes Feuer gehütet, dass er nicht zu sehr überspringe? Haben wir nicht unter allzu viel Ängstlichkeit und Routine den Enthusiasmus der Herzen eingeschläfert und zu gefährlichen Alternativen provoziert: Jesus, ja – Kirche, nein? Warum wirkt er ‚moderner‘, ‚heutiger‘ als wir, seine Kirche? So gilt als Gesetz unserer kirchlichen Erneuerung, dass wir vor allem die Angleichungsschwierigkeit gegenüber dem, auf den wir uns berufen und aus dem wir leben, überwinden und dass wir konsequenter in seine Nachfolge eintreten, um den Abstand zwischen ihm und uns zu verringern und unsere Schicksalsgemeinschaft mit ihm zu verlebendigen. Dann ist ein Weg und eine Zukunft. Dann gibt es eine Chance, heutig, ganz gegenwärtig zu sein – die Probleme, Fragen und Leiden allenthalben zu teilen, ohne sich ihrer geheimen Hoffnungslosigkeit zu unterwerfen.“[i]

Das Buch ist freilich auf den zweiten Blick leider strukturkonservativ, visionsarm und daher nicht radikal genug. Es ist sicher nicht klerikal, jedoch kleruszentriert. Die künftige Gestalt der Kirche wird von Menschen leben, die sich entschieden der Jesusbewegung anschließen und in einer Gemeinschaft sich engagieren. Aus diesen Gemeinden werden dann solche gewählt werden, welche die Spurtreue der Bewegung sichern und dazu ordiniert werden. Die Kriterien für die Wahl werden sein: randvoll mit dem Evangelium und erfahren im Leben und Wirken der Gemeinschaft. Es geht also nicht um die Ordination von Privatberufenen (gilt auch für Frauen), sondern von „personae probatae“ im Sinn von Bischof Fritz Lobinger oder Erwin Kräutler. Das Geschlecht und die Lebensform werden dann kein Thema mehr sein. Dass Andreas Sturm nicht in eine solche Kirche übertritt, geht daraus hervor, dass er sich nicht einer Gemeinschaft des Evangeliums anschließt, sondern neuerlich einem Kirchenbetrieb und dort gleich im herkömmlichen Sinn (ich weiß schon: mit mehr Synodalität) angestellter Pfarrer wird. Die Zukunftschancen, die er der altkatholischen Kirche gibt, überraschen mich forscherisch, wenn ich beispielsweise auf das stille Verschwinden der Christkatholischen in der Schweiz blicke.

Sturm, Andreas: Ich muss raus aus dieser Kirche. Weil ich Mensch bleiben will, Freiburg 2022.


[i]      Unsere Hoffnung, in: Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1976, 101f.

Religion

via REL ::: Paul M. Zulehner https://ift.tt/Fki74yV

June 18, 2022 at 07:35PM