Erlöser gesucht!

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Der Antiheld aus der Krippe

Erlöser gesucht!

Immer schon suchen Menschen nach einem Erlöser, einem Retter, einem starken Mann, der macht, dass alles gut wird. Christen glauben, dass der Erlöser in 
Betlehem geboren wurde. Besonders stark ist das Kind in der Krippe aber nicht.

Foto: kna/Cristian Gennari/Agenzia Romano Siziliani
Erlöser? Ziemlich klein für so eine große Aufgabe! Foto: kna/Cristian Gennari/Agenzia Romano Siziliani

Von Susanne Haverkamp

Wenn man in die weite Welt schaut, wird eines offensichtlich: Viele Menschen suchen einen Retter. Einen ganz irdischen. Einen starken Mann – ganz selten auch eine starke Frau –, der sie befreit: von verhassten nationalen oder religiösen Nachbarn zum Beispiel, von der Bevormundung durch die EU oder anderen politischen Institutionen, von Armut oder Ungerechtigkeit, von gefühlter Ohnmacht. Endlich wieder groß und stark sein, das soll der Retter garantieren. „Make America great again“ – was Donald Trump versprach und was viele Wählerinnen und Wähler ansprach, war nichts anderes als eine Form der Erlösung.

Ein starker Mann, der eine bessere Zukunft schafft: Nichts anderes erhofften Menschen Anfang der 1930er Jahre von Adolf Hitler – Erlösung von der Schmach des verlorenen Ersten Weltkriegs, Erlösung von der Wirtschaftskrise. Make Germany great again sozusagen. Nichts anderes denkt Putin und hält sich für den Erlöser von der Schmach des Zusammenbruchs der UdSSR. Make Russia great again. Nichts anderes ist der Grund für den Aufschwung so vieler Demagogen und Möchtegerndiktatoren an vielen Orten unserer Erde: Ein Erlöser wird gesucht!

Politisch ein Held, moralisch ein Taugenichts

Diese Suche hat eine lange Tradition. Auch in der Bibel gibt es sie.  „Auch wir wollen einen König haben“, sagen die Israeliten irgendwann, das Erste Buch Samuel erzählt davon. Einen König, wie die anderen Völker drumherum, die starken Völker mit starken Armeen und einem starken Anführer.

König David wird so ein starker Anführer. Einer, der auf dem Schlachtfeld siegt und sein Volk zu Macht und Wohlstand führt. Dass er moralisch, nun ja, unperfekt war, eher ein Taugenichts, das wird ihm verziehen. Was zählen Seitensprünge und die Beseitigung unliebsamer Konkurrenten in Anbetracht des Erfolgs? Zu Davids Zeiten war Israel wer, eine Macht, einig und respektiert.

Keine hundert Jahre später ist das vorbei. Die Nation zerfällt in das Nordreich Israel und das Südreich Juda. Und in den folgenden Jahrhunderten gehen beide Reiche unter. Sie werden von mächtigen Nachbarn – den Assyrern, den Babyloniern – überfallen und eingenommen, die Menschen verschleppt, die Städte und der Tempel zerstört. Manche schließen sich den neuen Königen an, auch den neuen Göttern. Sie versprechen Erlösung vom Elend, ein gutes Leben, eine bessere Position. Endlich wieder Teil einer Nation sein, auf die man stolz sein kann – wer wollte ihnen das verdenken?

Ein neuer David an der Spitze einer neuen Nation 

Andere warten. Auf einen neuen David. Auf einen, der die Macht hat, das alte Israel wieder herzustellen, es zu neuer Größe zu bringen. Make Israel great again. Sie wissen aber auch, wie unwahrscheinlich das ist. Und dass nur Gott ein solches Wunder schaffen kann.

Darauf bauen die alttestamentlichen Propheten auf. So weissagt Jeremia (23,5-6): „Siehe, Tage kommen, da werde ich für David einen gerechten Spross erwecken. Er wird als König herrschen und weise handeln und Recht und Gerechtigkeit üben im Land. In seinen Tagen wird Juda gerettet werden, Israel kann in Sicherheit wohnen.“ Auch Jesaja kündigt den neuen Herrscher an, den „Spross Isais“ (11,1), des Vaters von König David. Gerecht wird er sein, aber auch hart: „Er schlägt das Land mit dem Stock seines Mundes und tötet den Frevler mit dem Hauch seiner Lippen.“ (11,4) So, wie man sich einen starken Mann eben vorstellt.

Kein König, der Legionen zum Kampf schickt

Jahrhundertelang blieb diese Hoffnung groß. Auch zu der Zeit, als Jesus lebte. Damals, unter der verhassten römischen Besatzungsmacht, waren die Juden machtlos, klein, ungerecht behandelt, ausgebeutet – und das im eigenen Land. Klar, dass der Traum vom Erlöser, vom starken Mann, Konjunktur hatte.

In der Leidensgeschichte Jesu spürt man diese Erwartungen. Ob Jesus der König der Juden ist, wie es auf seinem Kreuz steht. Ob er Legionen von Engeln schickt, um die Besatzer zu vertreiben. Oft wird Judas als Zelot beschrieben, als gewaltbereiter Umstürzler, der durch seinen Verrat Jesus zum erlösenden Handeln zwingen will. Und die Emmausjünger bekennen enttäuscht: „Wir aber hatten gehofft, dass er der sei, der Israel erlösen werde.“ (Lukas 24,21)

Sie alle haben auf den starken Mann gehofft. Und nicht damit gerechnet, dass Gott anderes im Sinn hat. Dass Gott die Kleinen und Machtlosen lobpreist, diejenigen, die keine Gewalt anwenden, noch nicht einmal, wenn es moralisch gerechtfertigt wäre. Und jetzt mal ehrlich: Verstehen Sie das? Warten Sie nicht auch auf den starken Mann, der Putin in die Schranken weist und die Welt von seiner Brutalität und Grausamkeit erlöst? Das wäre doch absolut rational und menschlich verständlich.

Was für ein Retter ist das?

Aber dann liegt da dieses Kind in der Krippe. Wehrlos, machtlos, nackt und klein. Aus einer unwichtigen Handwerkerfamilie im hintersten Winkel der Welt. Ohne aristokratischen Hintergrund. Ohne finanzielle Mittel. Ohne die Chance, je in eine Machtposition zu gelangen. Und gerade von ihm singt der Glaube: „Christ, der Retter ist da.“ Oder: „Kommt, lasset uns anbeten, den König, den Herrn.“ Und im Schlussgebet der Messfeier am Heiligen Abend heißt es: „In der Freude über die Geburt unseres Erlösers bitten wir dich …“

Was, bitte, ist das für ein Erlöser, der alles das nicht kann und nicht macht, was Menschen von einem anständigen Erlöser erwarten? Der die Welt nicht zu einem Reich der Gerechtigkeit macht, der den Armen nicht zu ihrem Recht verhilft, der den brutalen Besatzer nicht vertreibt, der das Land nicht zu alter Größe führt. Der alle vernünftigen weltlichen Maßstäbe über den Haufen wirft.

Der Erlöser löst die Probleme nicht

Der Erlöser in Windeln: Er bleibt eine Herausforderung. Auch als Erwachsener. Vor allem deshalb, weil er nie den Forderungen nachgibt, die Probleme anderer Menschen zu lösen. Vielmehr sagt er: „Folge mir nach!“ Was nichts anderes heißt als: „Mach selber!“. Nie verspricht er: „Ich schleudere Blitze vom Himmel.“ Vielmehr schickt er denen, die an ihn glauben, seinen Geist. Nie sagt er: „Ich schaffe den Hunger ab.“ Vielmehr: „Gebt ihr ihnen zu essen.“ Nie verspricht er Erfolg und Macht. Vielmehr kündigt er an: „Sie werden euch verfolgen.“

Die ersten Christen haben das nie wirklich verstanden. Sie rechneten fest mit einem klassischen Erlöser: mit dem, der bald schon mit Pauken und Trompeten, Engeln und Heerscharen, Macht und Herrlichkeit auf die Erde zurückkehren wird, um sie zu verwandeln. Und die Standhaften zu belohnen – mindestens mit guten Positionen in Gottes Reich. „Dürfen wir rechts und links von dir sitzen, wenn du wiederkommst?“, fragen die Söhne des Zebedäus und viele nach ihnen werden sich das auch gefragt haben.

Aber die Wiederkunft blieb aus. Und bis heute müssen wir unsere Probleme selber lösen. Erlösen ist dann wohl etwas anderes. Nur was? Wovon hat uns dieses Kind in der Krippe erlöst? Oder vielleicht: erlösen wollen? Hier ein paar Vorschläge:

  • Das Kind in der Krippe erlöst von der immerwährenden Suche nach Macht und Geld und Einfluss. Denn es ist selbst arm geboren und zeigt, dass die Liebe einer Familie wichtiger ist als Status.
  • Das Kind in der Krippe erlöst von der tiefsitzenden Angst, zu kurz zu kommen. Denn es zeigt mit seinem Leben, dass Teilen glücklicher macht als Behalten.
  • Das Kind in der Krippe erlöst von der Angst, zu versagen und nicht gut genug zu sein. Denn es verkündet einen Gott, der uns liebt und vergibt.
  • Das Kind in der Krippe erlöst von der Angst vor dem Tod. Denn es verkündet einen Gott der Lebenden, nicht der Toten, einen Gott, der uns und alles, was unfertig geblieben ist, vollenden wird.

Die Welt sucht Erlöser. Und hofft, sie in starken Männern – ganz selten auch Frauen – zu finden. Doch vergeblich. Denn solange sie sich und wir uns an Macht und Geld und Einfluss klammern, solange die Angst vor Versagen und die Angst vor dem Tod uns auffrisst, ist jede Erlösung nur ein Abklatsch von dem, was das Kind in der Krippe verspricht: „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Welch eine Erlösung!

Religion

via Bonifatiusbote – Der Sonntag – Glaube und Leben https://ift.tt/KSOlumD

December 24, 2022 at 05:46PM