„Es geht um die Deutungshoheit“  / Eine Einordnung der Interviews mit Kardinal Woelki

„Es geht um die Deutungshoheit“  / Eine Einordnung der Interviews mit Kardinal Woelki

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DOMRADIO.DE: Der Kölner Kardinal hat sich gleich in zwei Interviews direkt nach Weihnachten zu Wort gemeldet. Ist das ungewöhnlich?

Ingo Brüggenjürgen (Chefredakteur): Zwei große Interviews – quasi an einem Tag, das ist medial schon ein wenig ungewöhnlich. Es fällt auch auf, dass es nur „schriftliche Interviews“ für Tageszeitungen sind. Da behält der Interviewte selber alles in der Hand, weil er seine Antworten im Anschluss autorisieren, also freigeben muss. Das wäre bei einem Live-Interview natürlich anders. Ich gehe daher schon davon aus, dass die Interviews vermutlich in der nachrichtenarmen Zeit zwischen den Jahren bewusst so in den beiden Zeitungen platziert wurden, um von Seiten des erzbischöflichen Hauses die Deutungshoheit zurückzugewinnen.

Offensichtlich gibt es aber auch nach wie vor ein sehr großes Interesse der Medien und damit der Öffentlichkeit an der Person des Kardinals, der ja im laufenden Jahr wie kein anderer deutscher Kirchenmann für Schlagzeilen gesorgt hat.

DOMRADIO.DE: Worum geht es denn in den aktuellen Interviews? Gibt es etwas substanziell Neues?

Brüggenjürgen: Wesentliche, substanziell neue Antworten finden sich für aufmerksame Beobachter und kundige Leser eigentlich nicht. Der Erzbischof bleibt sich, seiner eigenen Wahrnehmung und seiner Linie treu. Kardinal Woelki gibt zum Beispiel erneut zu, dass er in der Kommunikation, also im Umgang mit den Betroffenen, Fehler gemacht habe, wenn er sagt: „Ich hätte vor allem mit Betroffenen anders kommunizieren müssen.“ Diese Fehler in der bischöflichen Kommunikation hatte der Vatikan aber bereits festgestellt, bevor der Erzbischof von Köln eine geistliche Auszeit einlegen durfte oder musste, da gibt es ja verschiedene Lesarten.

Inhaltlich geht es in den Interviews um den Krieg in der Ukraine, Waffenlieferungen und Flüchtlinge, den Synodalen Weg und eben immer wieder auch um das Rücktrittsangebot des Kölner Erzbischofs, das Papst Franziskus bis dato nicht angenommen, aber eben auch nicht abgelehnt hat.

DOMRADIO.DE: Dann bleiben wir mal beim Rücktrittsangebot des Kölner Kardinals. Was ist da der neueste Stand?

Brüggenjürgen: Es gibt keinen neuen Stand. Woelki macht klar, dass es nicht seine Entscheidung sei, sondern dass auch er auf den Papst warte und dass er dies auch anderen empfehle. Er macht zum wiederholten Male klar: „Ich bin kein Politiker“, und verweist so auf sein Amtsverständnis. Er könne dieses kirchliche Amt eben nicht „abschütteln wie eine lästige Fluse am Bischofsrock!“ Gleichzeitig wird aber deutlich, dass der Kölner Erzbischof in dieser Frage eben auch nicht aktiv im Gespräch mit dem Heiligen Vater ist, wenn wir lesen können, er habe aktuell nur am Rande der Generalaudienz Kontakt gehabt, und Woelki betont: „Wenn der Papst mir mehr zu sagen hat, wird er es tun“. 

„Kardinal Woelki bezeichnet den Papst nicht als seinen ‚obersten Dienstherrn‘.“

Auch fällt in dem Zusammenhang auf, dass der Kölner Kardinal den Papst nicht als seinen „obersten Dienstherrn“ bezeichnen möchte. Das kann man auch als einen Verweis auf den himmlischen Vater verstehen – der ja über allen steht. Und Gott gegenüber, das haben wir ja beim Rücktritt von Papst Benedikt XVI. gelernt, kann selbst ein Papst seinen Rücktritt erklären, wenn es eine freie Entscheidung des Gewissens ist. 

DOMRADIO.DE: Wie beurteilt der Kölner Oberhirte Kardinal Woelki denn seine eigene Rolle? Viele lasten ihm ja z. B. die hohe Zahl der Kirchenaustritte an?

Brüggenjürgen: Das weist Woelki klar zurück, wenn er sagt: „Hohe Kirchenaustritte haben vielfältige Gründe“. Er weist da z. B. auf die Entfremdung vom christlichen Glauben hin und sagt ebenso klar und deutlich, dass er da bei sich keine Verantwortung sieht: Zitat: „Die Kirche sehe ich nicht beschädigt!“ So kann man es sehen, so sehen es auch die Unterstützer des Kardinals. Aber selbst in den Reihen der Bischöfe sehen das viele seiner Mitbrüder natürlich ganz anders. Das haben sie ja auch laut gesagt und beim Papst zu Protokoll gegeben.  

DOMRADIO.DE: Wie sieht Woelki denn die Rolle der Kirche, wenn es z. B. um die Aufarbeitung des Missbrauchs geht?

Brüggenjürgen: Während andere Bischöfe in dieser Frage die kirchliche DNA bemühen, macht der Kardinal erneut deutlich, dass er die katholische Kirche nicht als „Täterorganisation“ sieht. Diesen Begriff hatte ja z. B. Weihbischof Steinhäuser in seiner Zeit als Vertreter des Kardinals gewählt. Für Woelki aber ist klar: Kirche ist keine Täterorganisation, sondern eben eine Organisation, in der es auch Täter gibt. Woelki leugnet nicht die wissenschaftlich herausgearbeiteten „systemischen Ursachen“ für den sexuellen Missbrauch in den eigenen Reihen, aber für ihn ist Missbrauch immer ein Machtmissbrauch und somit im Kern ein „geistliches Problem“.

„Wenn Priester oder Mitarbeitende dieses lesen, werden sich vermutlich schon einige verwundert die Augen reiben.“

Macht zu haben, habe ihn nie angetrieben und er selber habe sich „noch nie so ohnmächtig gefühlt wie in den vergangenen zwei, drei Jahren“. Wenn Priester oder Mitarbeitende dieses lesen, werden sich allerdings vermutlich schon einige verwundert die Augen reiben, weil sie das ganz anders als Kardinal Woelki erlebt haben, der dann doch von seiner Macht Gebrauch gemacht hat oder diese Macht des Amtes in Gesprächen und Gremien eigens betont hat.

DOMRADIO.DE: Thema Missbrauch: Es gibt ja den Fall „Pilz“ und den des ehemaligen stellvertretenden Stadtdechanten D., die auch durch die aktuellen Aussagen von Zeugen vor Gericht wieder im Mittelpunkt gerückt wurden. Nimmt der Kardinal auch da Stellung?

Brüggenjürgen: Ja, aber auch da bleibt er bei seiner bekannten Position. Er sieht sich durch die Aussagen in keiner Weise als jemand, der sich die Wahrheit zurechtgebogen habe. Im Fall Pilz sei die Akte lange geschlossen gewesen und er könne sich eben nicht erinnern. Im Fall D., also des ehemaligen stellvertretenden Stadtdechanten von Düsseldorf, sei diesem bis jetzt keine Straftat nachzuweisen, daher sei der Priester auch kirchenrechtlich unschuldig. Dass er nicht seelsorgerisch mit Jugendlichen tätig sein dürfe, sei daher keine Strafe für den Priester, sondern eben eine „präventive Maßnahme“. Warum Pfarrer D. von Woelki aber dennoch befördert wurde, erklärt das nur bedingt. Da hätten sich manche bekanntermaßen eben auch mehr Prävention, mehr Vorsicht gewünscht.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn beim Synodalen Weg aus, den der Kölner Erzbischof ja nicht voller Begeisterung mitgeht? Bleibt er da bei seinen Bedenken, bei seiner Kritik? 

Brüggenjürgen: Ja, voll und ganz. Woelki sieht sich hier durch den Papst und die engsten Mitarbeiter des Papstes, eben die Kurienkardinäle, nur bestätigt. In Rom habe man keine „Watschen“ bekommen – aber es seien eben die Grenzen aufgezeigt worden. Man müsse auf die „Herzen der Weltkirche“ hören. Also im Westen – in Köln – nix Neues. Der Kölner Erzbischof hat alles so kommen sehen. Konkret auf Veränderungen z. B. beim Thema Zölibat angesprochen, stellt Woelki klar: Der Zölibat sei kein göttliches, sondern kirchliches Gesetz. Lockerungen wären möglich. Er sehe das aber als keine gute Lösung an, weil das Zeichen der „Lebensform Jesu“ verloren gehen würde. Wankelmut und übertriebenen Reformeifer kann man dem Kardinal von Köln also wirklich nicht vorwerfen.

DOMRADIO.DE: Wie sieht es denn bei den aktuellen politischen Fragen aus? Wie positioniert sich der Kardinal da?

Brüggenjürgen: Hier empfinde ich den Kölner Kardinal wiederum sehr klar und deutlich. Auf die Frage der Reichsbürger angesprochen, sagt er: „Eigentlich lässt sich kein politischer Extremismus mit dem Evangelium vereinbaren“. Eine starke Aussage auch: „Waffenlieferungen in die Ukraine sind die schlechteste Option“. Woelki hofft sehr, das Russland zur Einsicht kommt. Ebenso deutlich betont der Erzbischof von Köln: „Wir sind verpflichtet denen zu helfen, die vor Krieg und Terror fliehen!“ Er verweist darauf, dass Einwanderung auch als Chance gesehen werden könne und auf die unumstrittenen Erfolge der Aktion seines Erzbistums „Neue Nachbarn“.

DOMRADIO.DE: Abschließend gefragt: Gibt es etwas, ein Passage in einem der Interviews, wo Du sehr genau nachgelesen hast?

„Hinweis auf einen ‚glücklichen Bischof‘ fehlt.“

Brüggenjürgen: Ich habe alle Antworten gründlich studiert. Gestolpert bin ich über die Aussagen des Kardinals, wo er explizit sagt: „Glücklich bin ich, dass ich Priester bin. Glücklich bin ich, dass ich Christ sein darf und das Evangelium leben und verkünden darf.“ Hier fehlt der Hinweis auf einen glücklichen Bischof. Ob man da allerdings herauslesen darf, dass er gar nicht unbedingt Bischof und Kardinal bleiben möchte? Das wäre vielleicht zu viel der Kaffeesatzleserei.

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December 28, 2022 at 05:04PM