"Historisch", "einmalige Geste", "hoch respektabel" – so hieß es in Kommentaren auf jenes Ereignis hin, das am 12. März 2000 im Petersdom in Rom stattfand. Im israelischen Rundfunk war gar von einem "Meilenstein in der Geschichte der Beziehungen zwischen Juden und Christen" die Rede.
Der Grund? In einer nüchternen Zeremonie hatte Papst Johannes Paul II. sieben Schuldeingeständnisse verlesen lassen und danach selbst jeweils eine Vergebungsbitte gesprochen. Die katholische Kirche gestand Verfehlungen gegenüber dem Judentum, anderen Kulturen, Frauen und vielen weiteren Gruppen ein.
Nach jeder Bitte wurde ein Licht vor einem Kruzifix entzündet.
Johannes Paul II. habe Empathie und einen Sensus für solche Themen gehabt, erklärt der Journalist und Vatikanexperte Ulrich Nersinger.
Tatsächlich hatte sich der Papst schon Jahre vorher kritisch zu christlichem Fehlverhalten geäußert, etwa zur Judenverfolgung oder dem Sklavenhandel. "Es war ihm ein Bedürfnis, Klarstellungen zu machen und Dinge anzuprangern", so Nersinger. Der Beginn der Fastenzeit im Heiligen Jahr 2000 sei dafür sehr bewusst gewählt worden, als Zeitpunkt der Buße.
Kritik und Befürchtungen im Vorfeld
Die Idee des Papstes stieß im Vatikan nicht bei allen auf Gegenliebe.
Einige Kirchenvertreter kritisierten übermäßige Schuldbekenntnisse oder fürchteten negative Folgen, etwa für Christen in islamischen Ländern. Zwei Jahre lang diskutierten Theologen unter Leitung der Glaubenskongregation ergebnislos darüber, bevor der Papst kurz vor dem Heiligen Jahr ein Rahmenpapier veranlasste und sich persönlich um die Vergebungsbitte kümmerte.
Am 7. März 2000 betonte der Vatikan, der Vorgang sei kein Urteil über die Vergangenheit, sondern ein Akt der Solidarität und Verantwortung für die Zukunft.
Zudem richte sich die Bitte um Vergebung ausschließlich an Gott, nicht an Menschen. Schließlich gab es grünes Licht. Die Reaktionen seien überwiegend positiv ausgefallen, erinnert sich Nersinger: "Man hat gesehen, dass die Kirche in der Lage ist, Vergehen zu benennen."
Theologe: Strukturelle Fragen ausgeblendet
Aber was bleibt von all dem? Der Mainzer Theologieprofessor Oliver Wintzek sieht das Bekenntnis zwiespältig: "Es hat eine große Medienöffentlichkeit erreicht und war in dieser Form bisher einmalig." Auch dass man die Form eines Gottesdienstes gewählt habe, findet er richtig: "Das war besser, als wenn es nur eine weitere Verlautbarung unter vielen gewesen wäre."
Bei genauerem Hinsehen verblasse die Wirkung jedoch, gibt der Theologe zu bedenken. Das liege auch am Bild der Kirche: "Die Kirche wird als heilig, vollkommen, perfekt gedacht.
Aber in der bitteren Wirklichkeit ist es dann nicht die Kirche, die Dinge falsch gemacht und Verbrechen begangen hat, sondern nur einzelne Menschen." Vergessen worden sei, dass erst ihre Struktur manches ermöglicht habe. Zudem stehe der Kirche der eigene Wahrheitsanspruch im Weg:
"Wenn man dabei bleibt, dass sie alleinige Hüterin der göttlichen Wahrheit ist, dann entwickeln sich daraus solche ausgrenzenden Dynamiken."
Allen Beteiligten könne ihre Redlichkeit nicht abgesprochen werden, betont Wintzek. Allerdings hätten sie zu sehr in die Vergangenheit geblickt. "Es ist ja nicht so, als ob die Verfehlungen auf einmal aufgehört hätten."
Diese gebe es bis in die Gegenwart, wie die Fälle sexuellen Missbrauchs zeigten, der trotz besseren Wissens in dem Schuldbekenntnis keine wirkliche Rolle spielt. Auch dass nur Gott um Vergebung gebeten worden sei, kritisiert er: "Es müsste einen Blick zu den verletzten Menschen auch und gerade der Gegenwart geben."
Die Vergangenheit sei nicht theologisch aufgearbeitet worden. Viele der genannten Punkte hätten sich bis heute nicht geändert, somit fehle neben der Reue der Vorsatz wirklicher Besserung.
Wunsch nach historischer Aufarbeitung
Für den Vatikanexperten Nersinger wirken die Ereignisse dennoch bis heute nach. Er wünsche sich aber eine historische Betrachtung und Aufarbeitung der Geschehnisse: "Ich kann nicht für Leute sprechen, die vor mehreren Jahrhunderten gelebt haben." Daher sei auch eine pauschale Entschuldigung schwierig:
"Entschuldigen müssten sich die Täter und diejenigen, die es geduldet oder vertuscht haben." Dabei sieht er auch eine Parallele zum Bußakt, der im Oktober 2024 anlässlich der Weltsynode in Rom stattfand. Es sei zwar richtig, Schuld zu benennen, "aber man muss vielleicht neue Formen dafür finden".
Am 16. Oktober 1978 war der Krakauer Kardinal Karol Wojtyla im Konklave zum Papst gewählt worden. Der damals 58-Jährige war der erste Nicht-Italiener auf dem Papstthron seit 1523 und wählte den Namen Johannes Paul II. Seine Inthronisation fand am 22. Oktober 1978 statt.
Title: „Es war ihm ein Bedürfnis, Dinge anzuprangern“ / Vor 25 Jahren bekannte Johannes Paul II. die Schuld der Kirche
URL: https://www.domradio.de/artikel/vor-25-jahren-bekannte-johannes-paul-ii-die-schuld-der-kirche
Source: DOMRADIO.DE – Der gute Draht nach oben
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Date: March 12, 2025 at 07:36AM
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