„Es werde Licht!“ Der berühmteste C-Dur-Akkord der Musikgeschichte erklang am 29. April 1798 in Wien. Hier ist seine Vorgeschichte

Horst Heller
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August Gerasch, Vor dem alten Burgtheater

Wien im Jahr 1790. Der 34-jährige Wolfgang Amadeus Mozart, der 40-jährige Antonio Salieri und der 20-jährige Ludwig van Beethoven sind Fixsterne am Himmel des kulturellen Lebens der österreichischen Hauptstadt. Die Planeten, die um sie kreisen, tragen illustre Namen und gehören allesamt zum Hochadel der Donaumonarchie. Die Fürsten von Schwarzenberg, von Dietrichstein oder von Lichnowsky öffnen ihre Palais für private Konzerte, sogenannte Akademien, und helfen bei materiellen Sorgen der Künstler. Ihre Frauen und Töchter sind eine angenehme Gesellschaft und kultivierte Gesprächspartnerinnen.

Der 58-jährige Josef Haydn wäre auch gern Teil dieser anregenden Gesellschaft. Aber er ist seit über drei Jahrzehnten musikalischer Leiter des Fürsten Esterházy, weit entfernt von der Metropole. Als Kapellmeister in der Provinz erleidet er dort das Schicksal eines gut versorgten Angestellten, der sich in die Hauptstadt sehnt. „Da sitze ich in meiner Einöde,“ klagt er, „verlassen wie ein armer Waise, fast ohne jede menschliche Gesellschaft.“

Doch dann stirbt sein Dienstherr. Sein Sohn und Nachfolger ist kein Freund der Musik, dafür kann er rechnen. Er entlässt er die gesamte Hofkapelle, nur die Hornisten dürfen bleiben, denn sie werden auf der Jagd gebraucht. Haydn, der Kapellmeister, jahrzehntelang ein treuer Diener des Fürsten, wird großzügig abgefunden. Als freiberuflicher Musiker kehrt er nach Wien zurück, wo sein musikalischer Weg begonnen hatte. Hier trifft er seinen Brieffreund, den Baron Gottfried van Swieten.

Der Baron ist fast gleich alt wie Haydn und in den Niederlanden geboren, aber in Wien aufgewachsen. Er steht im diplomatischen Dienst der Habsburger Monarchie. Auch er fördert junge Musiker und empfängt sie für Hauskonzerte in seiner Dienstwohnung. Mozart ist eine Zeitlang wöchentlich bei ihm zu Gast, Beethoven wird ihm später seine erste Sinfonie widmen.

Als Diplomat hat er in Warschau, Brüssel und Paris gelebt. Höhepunkt seiner beruflichen Laufbahn ist aber seine Gesandtschaft am preußischen Hof in Berlin. Bei Kurfürst Friedrich II. lernt er die Musik Johann Sebastian Bachs und dessen Söhne kennen. Auch Georg Friedrich Händels Kammermusik wird dort gepflegt. Zurück in Wien wird er zunächst Leiter der kaiserlichen Hofbibliothek und später Minister für Kultur, ein Amt, das für ihn und sein Mäzenatentum wie geschaffen ist. Als Haydn in Wien eintrifft, will er den Komponisten und Freund unbedingt treffen.

Haydn will aber nicht in Wien bleiben. Er hat Pläne für eine Auslandsreise nach London, eine der Kunstmetropolen seiner Zeit. Sein Freund Mozart versucht ihn davon abzubringen, obwohl er selbst eine Zeitlang mit dieser Idee geliebäugelt hatte. Doch Haydn hat sich entschieden. Noch bevor das Jahr 1790 zu Ende ist, bricht er auf. Am Neujahrstag des Jahres 1791 trifft er in London ein. Dort ist er überrascht von dem Ruhm, der ihm vorauseilt. Seine Sinfonien werden mit überwältigendem Erfolg aufgeführt. Die Universität Oxford verleiht ihm die Würde eines Doctor honoris causa. Als Gast in der Loge des Königs in Westminster Abbey hört er Händels Messias und andere Händel-Oratorien in großer Besetzung. Der enorme Erfolg dieser Aufführungen beeindruckt ihn. Erst nach über zwei Jahren kehrt er nach Wien zurück. Mozart ist da bereits tot.

1794 reist er auf Einladung von Johann Peter Salomon, einem deutschstämmigen Londoner Konzertunternehmer, ein zweites Mal nach London. Da wird ihm ein altes Manuskript in englischer Sprache in die Hand gedrückt. Es ist ein Libretto, das angeblich bereits dem vor über 30 Jahren verstorbenen Händel vorlegt worden ist. Der Titel lautet: The Creation of the World. Der Autor soll ein gewisser Lidley sein, den niemand kennt. Salomon schlägt ihm vor, aus diesem Libretto ein großes Werk für London zu schreiben, das die Tradition der Händel’schen Oratorien fortführt, natürlich in englischer Sprache. Der Komponist ist bereits im Begriff, die Insel wieder zu verlassen. Er nimmt das Manuskript an sich und verspricht, über die Idee nachzudenken.

Zurück in Wien übergibt er das Libretto seinem Freund van Swieten, denn Haydn ist auch nach zwei Aufenthalten im Königreich der Sprache des Landes nicht ausreichend mächtig. Der Baron fängt Feuer. Auch in Wien sind Händels Kompositionen inzwischen bekannt. Aber es gibt noch kein Wiener Oratorium in der Tradition des großen Händel. Dieses Manuskript, so findet er, könnte dem Mangel abhelfen. Er beschließt, dem englischen Gedicht ein deutsches Gewand zu geben, übersetzt es und passt seinen Inhalt eigenen Vorstellungen an. Dann bittet er Haydn, daraus ein Oratorium zu komponieren – in deutscher Sprache. Der willigt ein. Die Idee der Schöpfung ist geboren.

Franz Grillparzer berichtet, dass van Swieten sogar Teile des Werks, von einem kleinen Orchester vorgetragen, hören und kommentieren darf. Ein Chor allerdings bleibt das Geheimnis des Komponisten. Niemandem verrät er, was er plant. Auch nicht dem Baron. Es ist der Chor mit dem berühmtesten C-Dur-Akkord der Musikgeschichte.

Am 29. und 30. April 1798 wird das monumentale Werk in einer Akademie aus der Taufe gehoben. Die Leitung hat der Komponist selbst. Das Bass-Solo singt Ignaz Saal, den Tenorpart übernimmt Matthias Rathmeier. Die erst 21-jährige Christine Gerhardi singt die Sopranpartie. Der Korrespondent des in Weimar erscheinenden Neuen Teutschen Merkur attestiert ihr eine schöne Gestalt, sprechende Züge und vor allem ein feuriges Auge. Aber auch ihre Stimme muss überzeugend gewesen sein, denn der Maestro hat sie selbst ausgesucht.

Das Honorar von 2500 Gulden wird von einer Gruppe adliger Förderer aufgebracht. Es übersteigt Haydns Jahresgehalt als Kapellmeister bei Fürst Esterházy. Spontan verdreifacht der Gastgeber des Premierenabends, Fürst von Schwarzenberg, bereits am ersten Tag der Probe seinen Anteil und überreicht ihn dem Komponisten unverzüglich und persönlich.

Das Konzert wird ein grandioser Erfolg. Eleonore von Lichtenstein, eine der Geladenen dieses Konzerts, berichtet, nach jeder Nummer sei geklatscht worden. Geradezu in Hysterie aber seien die Zuhörer an der Stelle gefallen, die der Komponist sorgfältig geheim gehalten hatte. Instrumente und alle Stimmen malen die Explosion des Lichts und gestalten einen musikalischen Big Bang. Das Orchester kann minutenlang nicht weitermachen.

Als die letzten Töne des Oratoriums verklungen sind, sind sich die Musikkenner Wiens einig: Der Abend war der Höhepunkt der Saison, das Werk die Krönung des kompositorischen Schaffens Haydns.

Burgtheatier Wien

Am 19. März 1799 kommt es im Burgtheater endlich zu dem ersehnten öffentlichen Konzert. Die Sopranpartie übernimmt nun Therese Saal, die erst 17-jährige Tochter des Bassisten. Über 60 Sängerinnen und Sängern musizieren mit 40 Bläsern und 70 Streichern. Fachleute unserer Tage kratzen sich angesichts dieser Zahlen am Kopf. War der Chor bei einem Übergewicht der Instrumente noch zu vernehmen? Die in Leipzig erscheinende Allgemeine musikalische Zeitung ist dennoch entzückt. Ihr Kritiker überschlägt sich: Der Zulauf war außerordent-lich. … Man kann sich kaum vorstellen, mit welcher Stille und Aufmerksamkeit das ganze Oratorium angehört, bei den auffallendsten Stellen durch leise Aufrufungen nur sanft unterbrochen, und zu Ende jedes Stücks und jeder Abteilung mit enthusiastischem Beifall aufgenommen ward.

Das Oratorium, das fast ein Jahr lang adligen Ohren vorbehalten war, befördert nun die bürgerliche Laienchorkultur. Musikvereine wollen das Werk aufführen. Und immer großer werden die Chöre. 1818 wird die Schöpfung in Düsseldorf beim niederrheinischen Musikfest aufgeführt. Im Jahr 1837 sollen fast 700 Choristen, begleitet von 300 Instrumentalisten das Werk in der Wiener Winterreitschule aufgeführt haben – eine frühe Sinfonie der Tausend. Über die musikalische Qualität der Aufführung ist nichts überliefert.

Ein anderes Konzert in Wien lässt diesbezüglich aber keine Zweifel aufkommen. Antonio Salieri dirigiert am 27. März 1808 im Festsaal der alten Universität zu Ehren des Komponisten die erste Aufführung der Schöpfung in italienischer Sprache außerhalb Italiens. Es ist eine Huldigung für den greisen Komponisten anlässlich seines Geburtstags, die er tiefbewegt entgegennimmt. Ein Aquarell von Balthasar Wigand ( 1808) zeigt den Komponisten sitzend, während alle anderen der Aufführung stehend folgen müssen. Es muss an diesem Abend gewesen sein, dass Ludwig van Beethoven – jetzt selbst ein ganz Großer der Wiener Musikwelt – nach der Aufführung vor dem 76-jähigen Haydn auf die Knie geht und seinem ehemaligen Lehrer die Füße küsst.

Es ist Haydns letzter öffentlicher Auftritt.

Literatur und Links
Libretto
: http://www.stanfort.edu
Klaus Christa, “Denn das Leben ist eine zu köstliche Sache”, Verlag Bucher, 2013
Walter Eigenmann: “Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde”: glarean-magazin.ch
Ilona Haberkamp, Kirstin Pönnighaus, Maria Schors: Joseph Haydn, Die Schöpfung: uni-muenster.de
Gisela Auchter, Hans-Joachim Knopf: Joseph Haydn, Die Schöpfung: sinfonischer-chor-konstanz.de
Wolfgang Gersthofer: Joseph Haydn, Die Schöpfung: carusmedia.com
Nikolaus Scholz: “Meine Sprache versteht die ganze Welt”: http://www.deutschlandfunk.de
WDR Meisterstücke (18.11.2018): WDR Mediathek
WDR Zeitzeichen (29.04.2013): WDR Mediathek

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Date: April 26, 2025 at 04:52PM
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