Herzlich Willkommen!
„Legt die Lüge ab und redet die Wahrheit, […], lasst kein faules Geschwätz aus eurem Mund gehen, sondern redet, was gut ist, was erbaut und was notwendig ist, damit es Gnade bringe denen, die es hören“,
heißt es im Epheserbrief (Kapitel 4, 25 ff.). Man möchte doch hoffen, dass dies auch im Wahlkampf gilt, denn Ehrlichkeit und maßvolle Rede sind ebenfalls demokratische Tugenden. Es wäre geradezu unsinnig, sie im Ernstfall der Demokratie, im Wahlkampf also, ad acta zu legen. Und trotzdem erleben wir in diesen letzten Tagen des Bundestagswahlkampfs genau dies:
Fakten werden bewusst einseitig und verfälschend interpretiert. Eigene Versäumnisse und Fehler werden beschwiegen, diejenigen der politischen Gegner und Feinde jedoch genüsslich ausgebreitet. Ehrenworte und Versprechen werden nicht nur gebrochen, es wird gleich ganz bestritten, es habe sie jemals gegeben. Recht und Gesetz werden verleumdet. Ein Notstand wird beschworen, der zum dringlichen Handeln zwingt. Durchaus existierende politische Probleme und gesellschaftliche Nöte werden rhetorisch so sehr überzeichnet, dass man zu glauben beginnt, dieses Land läge in Trümmern.
Der Wahlkampf ist Schauplatz der neuerlichen Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung, Kampffeld ist – wie so häufig – die Flüchtlings- und Migrationspolitik. Auf dem Rücken der Schwächsten, die kaum eine Stimme haben, lässt sich einfacher marodieren. Auf wessen Konto dieser Wahlkampf-Tremor am Ende einzahlen wird, ist dabei klar. Es ist gleichwohl nicht allein die AfD als parteipolitischer Arm des Rechtsextremismus, die profitiert. Es sind all diejenigen, die das Ressentiment gegen Migrant:innen politisch bewirtschaften und sich reiche Ernte davon versprechen.
Die Ergebnisse der Leipziger Autoritarismus Studie 2024 (s. Grafik, PDF) zeigen, dass „Ausländerfeindlichkeit“ in der Gesellschaft weitverbreitet ist – und sich keineswegs auf einzelne politische Parteien beschränkt. Bezieht man obendrein noch die Ergebnisse der Studie zu den Themen Nationalchauvinismus und Autoritarismus („starker Führer“) ein, wird deutlich, welchen Resonanzraum Forderungen haben, die in der Migrationspolitik ein „entschiedenes und schnelles Handeln“ verlangen. Allzu mal, wenn sie von vermeintlich „starken Männern“ mit großem emotionalen Druck vorgetragen werden. „Das Maß ist endgültig voll“, rechtfertigt sich der CDU/CSU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz.
In Deutschland führt die Mobilisierung des Ressentiments nicht zum Absturz im politischen Ansehen. Das kann nur annehmen, wer bisher mit einem zu freundlich verzerrten Bild des Landes spazieren gegangen ist. Diejenigen, die (neuerdings) in den großen Medien des Landes ganz besonders scharf rechtspopulistisch kommentieren, sind keine Widerstandskämpfer, als die sie sich stilisieren, sie geben einfach nur dem Ressentiment Ausdruck, das sie wie viele andere Menschen teilen. Meinem Eindruck nach hat sich da bei manch einem auch ein Knoten gelöst. Endlich darf man sich Erleichterung verschaffen!
Die Erlaubnis zum Ressentiment ist auch deshalb so umfassend, weil es nicht bloß ein paar Ausrutscher der Parteiführenden sind, die als Signale im Wahlkampf gesendet werden, sondern sich zahlreiche Kandidat:innen und Publizist:innen landauf und landab am Schleifen der demokratischen Tugenden beteiligen. Kein Wunder, dass viele Menschen dem „faulen Geschwätz“ nicht länger zuhören wollen und sich angewidert abwenden.
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Das bestimmende (kirchen-)politische Thema der Woche war erneut das Mit- und Gegeneinander von CDU/CSU und Kirchen. Ich verhehle nicht eine gewissen Ermüdung ob des gegenseitigen Beharkens unterschiedlicher Akteur:innen aus Politik und Kirchen in dieser Sache, die wir bereits in den #LaTdH vom vergangenen Sonntag ziemlich umfassend betrachtet haben.
Entfremdung unter Christen – Reinhard Bingener (FAZ)
In der Frankfurter Allgemeinen kommentierte Reinhard Bingener, der für die Evangelische Kirche zuständige Redakteur des Hauses, bereits Anfang der Woche die „Entfremdung“ zwischen Union und Kirchen, die bereits im Zentrum der „Debatte“ der #LaTdH von letzter Woche stand. Dabei ist Entfremdung keineswegs ein wertfreier Begriff, denn ein gewisses Bedauern schwingt immer mit, jedoch ist mit ihm noch nicht klar beschrieben, wer sich von wem in welche Richtung und mit welchem Furor entfernt.
Reinhard Bingener jedenfalls sieht, in diesen Tagen in der FAZ keine Selbstverständlichkeit, nicht allein die Kirchen auf Wanderschaft. Zwar hätten sie, u.a. durch eine „subtile Form der Politikverachtung“, „kräftig zu der Entfremdung beigetragen“, aber Bingener sieht auch, wie sich die Christdemokratie, nicht erst mit den Reaktionen auf die kirchliche Kritik am Entwurf des sog. „Zustrombegrenzungsgesetzes“ und die Akzeptanz einer parlamentarischen Mehrheit unter Zuhilfenahme der AfD, von den Kirchen absetzt:
Nach der Wahlniederlage von 2021 wurde in einer internen Analyse über einen Abschied vom „C“ im Parteinamen nachgedacht. In das neue Grundsatzprogramm musste 2024 ein klarer Gottesbezug erst nachträglich hineinverhandelt werden. In solchen Auseinandersetzungen geht es um die politische Tiefengrammatik der Unionsparteien. […]
Die Grundlagen dieses Konstrukts erodieren allerdings. Die prägende Wirkung der christlichen Religion auf die Gesellschaft wie auf das persönliche Verhalten schwindet. Anders als früher stammt auch kaum noch ein Nachwuchspolitiker der Unionsparteien aus der kirchlichen Jugendarbeit. Stattdessen sickern vom rechten Rand die Methoden der Populisten in Teile der Partei ein. Die innere Säkularisierung geht besonders im Osten mit einer neuen Rohheit und einer Entbürgerlichung der Formen Hand in Hand.
Die „neue Rohheit“, die so neu nicht nur im Osten und gerade auf dem Feld der Migrationspolitik keineswegs ist, tritt in diesem Bundestagswahlkampf offen zu Tage. Wenn der Erste Parlamentarischer Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei (CDU, römisch-katholisch), im Deutschen Bundestag behauptet, die Regelung des Familiennachzugs für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus sei die Frage, die „an die Grundlage der Probleme unseres Landes“ rührt, hallt darin der Satz von Horst Seehofer (CSU) von 2018 nach, Migration sei „die Mutter aller Probleme“.
Tatsächlich verteidigen sich CDU/CSU-Bundestagsabgeordnete derzeit öffentlich und in Antworten auf entsetzte Nachfragen von Bürger:innen mit dem Hinweis, die CDU/CSU sei ja die personifizierte „Brandmauer“. Man fühlt sich von SPD und Grünen im Kampf gegen die AfD aus wahltaktischen Gründen im Stich gelassen. In alldem dokumentiert sich eine erstaunlich eingetrübte Realitätswahrnehmung. Man wird sich noch lange nach dem Wahltag über die mittel- und langfristigen Folgen des parlamentarischen Wortbruchs von Friedrich Merz und CDU/CSU streiten, vor dem die beiden „KirchenbotschafterInnen“ in ihrem Brief warnten (s. hier in der Eule). Manchmal ist es aber gar nicht so kompliziert zu beschreiben, warum so laut gezetert wird: Getroffene Hunde bellen.
Title: Eskalierende Konservative – Die #LaTdH vom 9. Februar
URL: https://eulemagazin.de/eskalierende-konservative-die-latdh-vom-9-februar/
Source: REL ::: Die Eule
Source URL: https://eulemagazin.de
Date: February 9, 2025 at 03:40PM
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