Essen und Trinken im Reich Gottes. Festmahlgeschichten im Lukasevangelium. Ein bisschen Theologie für Religionspädagogen

Horst Heller
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Jesus aß und trank gerne. Immer in Gesellschaft. Mit Vergnügen ließ er sich zu Festessen einladen, einmal lud er sich sogar selbst ein. So jedenfalls erzählt es der Evangelist Lukas. Wer seine Festmahlgeschichten versteht, hat viel von Jesus verstanden. Einige von ihnen wollen wir uns genauer anschauen.

Festessen Nr. 1: Der Zöllner Levi (Lukas 5,27-31)

Was wird erzählt?
Jesus hat in Kapernaum übernachtet. Am Morgen verlässt er das Haus, um eine Wanderung anzutreten. Da trifft er auf den Zolleinnehmer Levi. Er fordert ihn auf, mit ihm zu kommen. Levi steht auf und folgt ihm. Später lädt er Jesus und seine Jünger zu einem Festessen ein, an dem auch viele seiner Kollegen teilnehmen. Jesus nimmt die Einladung an. Das wirft Fragen auf:

Da beschwerten sich die Frommen der Stadt bei den Jüngern: „Ihr feiert mit Zolleinnehmern und anderen Sündern!“ Jesus hörte das und antwortete: Ein Arzt geht nicht zu den Gesunden, sondern zu den Kranken. Deshalb gehe ich zu Levi.“ (Lukas 5,31, paraphrasiert)

Was ist das Besondere an dieser Geschichte?
Zöllner galten als Sünder, die sich durch den Einzug von Steuern und Gebühren für die Besatzung unrechtmäßig bereicherten. Sie wurden gemieden. Sich mit ihnen an einen Tisch zu setzen (genauer: zu legen), bedeutete, sich mit ihnen gemein zu machen. Jesus tut es trotzdem.

Warum bricht Jesus die Regeln?
Jesus billigt Levis Broterwerb keinesfalls. Seine Arbeit als Zöllner ist auch in seinen Augen eine Sünde. Aber er vergleicht Sünde mit einer Krankheit, die therapiert werden muss und kann. Kranke bedürfen eines Hausbesuches durch den Arzt.


Festessen Nr. 2: Simon und ein Überraschungsgast (Lukas 7,36-48)

Was wird erzählt?
Jesus ist in das Haus des frommen Simon eingeladen. Im Speisesaal sind bequeme Liegesofas in U-Form aufgebaut. Die Gäste legen sich zu Tisch. Die Füße strecken sie schräg nach hinten aus. Die Begrüßungszeremonie ist beendet und das Essen bereits aufgetragen, da nähert sich dem Ehrengast von hinten eine Frau.

Die Frau trat von hinten an das Polster heran, auf dem Jesus lag. Sie weinte. Ihre Tränen befeuchtete Jesu Füße. Sie trocknete sie mit ihren Haaren und küsste sie. Dann öffnete sie ein Gefäß mit kostbaren Salböl und rieb Jesus die Füße ein. Simon sah sich das alles an und dachte bei sich selbst: Und dieser Mensch will ein Prophet sein? (Lukas 7,37-39, paraphrasiert)

Die Frau gilt als Sünderin und ist deshalb selbstverständlich nicht eingeladen. Doch Jesus lässt sie gewähren und tadelt den Gastgeber, der sich darüber aufregt.

Was ist das Besondere an dieser Geschichte?
Hatte Jesus bei Levi einen „ärztlichen Krankenbesuch“ gemacht, kommt diese Frau unangekündigt in seine „Sprechstunde“. Wir wissen nicht, welcher Art die Sünde war, derer die Frau bezichtigt wird und wollen darüber nicht spekulieren. (Andere haben das mehr als genug getan!) Jesus vergibt ihr. Sie darf für einen Moment Teil der Festgesellschaft sein.

Warum bricht Jesus die Regeln?
Aus dem gleichen Grund wie bei Festessen Nr. 1. Der Gastgeber Simon vertritt wie viele fromme Menschen die Auffassung, dass Gläubige keine Gemeinschaft mit Ungläubigen pflegen sollten. Jesus hingegen setzt auf Heilung, Vergebung und schützt die Frau vor Beschämung durch die Männerrunde.


Festessen Nr. 3: Kein Ehrengast, aber viele Überraschungsgäste (Lukas 14,15-24)

Was wird erzählt?
Abermals ist Jesus bei einem frommen Menschen zum Festessen eingeladen. Dieses Mal ist der Gastgeber ein hoch angesehener Bürger der Stadt. Jesus darf als Ehrengast das Wort führen und lehren. Als Höhepunkt seiner Tischrede erzählt er die Geschichte eines ungewöhnlichen Festessens:
Ein Gastgeber hatte Freunde eingeladen. Doch als das Fest beginnen sollte, sagten alle Gäste ab. Da sandte er seinen Diener, statt ihrer Fremde einzuladen. Es sollten auch Menschen mit Behinderung (die vom gesellschaftlichen Leben ihrer Zeit ausgeschlossen waren), Randständige und Obdachlose darunter sein. Als sie sich eingefunden hatten, waren aber noch immer Plätze im Festsaal frei.

Da sagte der Herr zu seinem Diener: „Los, geh raus aus der Stadt auf die Landstraße! Sage den Leuten, die du da triffst, sie sollen zum Essen kommen. Ich will, dass mein Haus voll wird!“ (Lukas 14,23, paraphrasiert)

Als das Fest begann, vermisste niemand mehr die, die abgesagt hatten.

Was ist das Besondere an dieser Geschichte?
Diese Festmahlgeschichte erzählt Jesus während eines Festessens. In seinem Gleichnis gibt es keinen Ehrengast, aber viele Überraschungsgäste.

Wer ist zum Fest eingeladen?
Die Schwelle zum himmlischen Fest ist sehr niedrig. Anders als bei Festessen Nr. 1 muss in diesem Gleichnis niemand seinen Lebenswandel ändern. Anders als bei Festessen Nr. 2 bedarf es auch keiner tränenreichen Reue. Hier dürfen alle kommen, wenn sie die Einladung gerne annehmen. Der Herr im Gleichnis bittet seinen Diener sogar, auch außerhalb der Stadt nach Menschen zu suchen. Es bleibt in der Schwebe, wer damit gemeint ist. Für den Unterricht ist diese Leerstelle aber eine Chance: Welche Grenzen sollten unsere Gedanken überwinden, wenn wir an den Himmel Gottes denken?


Festessen Nr. 4: Der verlorene Sohn und sein Bruder (Lk 15,11-32)

Was wird erzählt?
Auch diese Festmahlgeschichte ist ein Gleichnis. Weil sie sehr bekannt ist, reicht eine knappe Inhaltsangabe: Der jüngere, nicht erbberechtigte Sohn eines Gutsbesitzers hat sich – den Regeln der Zeit folgend – auszahlen lassen, um sich in der Fremde eine Existenz aufzubauen. Aber das Vorhaben misslingt kläglich, durch eigene Schuld verarmt er. Er entscheidet sich, zum Vater zurückzukehren, ihm gegenüber seinen Fehler einzugestehen und um eine Anstellung als Knecht an dessen Hof zu bitten. Der Vater gewährt ihm aber weit mehr als das, worum er ihn bittet. Er geht ihm entgegen, umarmt ihn und nimmt ihn erneut als seinen Sohn an. Er lässt ein Festmahl vorbereiten. Die Festlichkeiten sind schon im Gange, da kommt der ältere Sohn von der Arbeit nach Hause. Er hört Musik und Tanz. Was ist hier los?, fragt er einen Diener. Der klärt ihn auf. Da wird er zornig.

„Ihr könnt ohne mich feiern“, sagte er. Da kam der Vater heraus und bat ihn: „Komm doch rein! Iss und trink mit uns!“ Doch der Sohn war außer sich: „Viele Jahre habe ich für dich gearbeitet und du hast nicht mal eine Ziege für mich geschlachtet. Jetzt kommt der zurück, der dein ganzes Geld durchgebracht hat, und du lässt ein Mastkalb für ihn schlachten! Hier läuft echt was schief!“ (Lukas 15,29-30, paraphrasiert)

Was ist das Besondere an der Geschichte?
Was der Vater tut, verärgert den Bruder. Es verstößt auch gegen unser Gerechtigkeitsempfinden. Wie bei Levi (Festessen Nr. 1) verstehen wir nicht, warum der Fromme und Tugendhafte leer ausgeht. Warum richtet der Vater ein Festessen für seinen jüngeren Sohn aus, aber für den älteren nicht?

Warum bricht der Vater die Regeln?
„Die Gesunden brauchen keinen Arzt.“ Die Antwort, die Jesus den Menschen von Kapernaum gab, passt auch hier. Der ältere Bruder gehört zu den Gesunden. Der Vater möchte aber, dass auch der Jüngere wieder zur Familie gehört. In den Festmahlgeschichten des Lukasevangeliums geht es immer wieder darum, das Verlorene zurückzugewinnen. Wenn das gelingt, sollte auch der ältere Bruder mitfeiern. Ob er die Einladung annimmt?


Festessen Nr. 5: Der Zöllner Zachäus (Lk 19,1-10)

Was wird erzählt?
Zachäus ist Oberzöllner in Jericho. Hätte Levi in dieser Stadt gearbeitet, wäre Zachäus sein Vorgesetzter gewesen. Er hat sich an den Steuerabgaben, die er für die Besatzung erhoben hat, eine goldene Nase verdient. Als Jesus in die Stadt kommt, klettert Zachäus auf einen Maulbeerfeigenbaum, denn als Kleinwüchsiger hat er andernfalls keine Chance, ihn zu sehen. Dort wird Jesus auf den Zolleinnehmer aufmerksam und lädt sich selbst bei ihm zum Essen ein. Er muss (Lukas 19,5) bei Zachäus essen und trinken. So kann in ihm eine lebensverändernde Entscheidung reifen.

Zachäus stand auf und sagte laut, dass alles es hören konnten: „Die Hälfte von meinem Besitz gebe ich den Armen. Und für jede Münze, die ich zu viel eingenommen habe, gebe ich den Menschen vier Münzen zurück.“ (Lukas 19,8, paraphrasiert)

Was ist das Besondere an dieser Geschichte?
Levi und Zachäus, zwei Zöllner, zwei Festmähler. Vieles ist ähnlich. Doch erfahren wir mehr über den Oberzöllner aus Jericho als über seinen Kollegen aus Kapernaum. Zachäus ist reich, aber allein. Seine Betrügereien haben ihn einsam gemacht. Es wird erzählt, dass die Menschen von Jericho ihm nicht gestatten, wie Kinder in der ersten Reihe am Straßenrand zu stehen. Keiner mag den kleinen Oberzöllner.

Warum muss Jesus bei Zachäus einkehren?
Zachäus muss sich ändern. Aus eigener Kraft schafft er aber die Lebenswende nicht. Er braucht jemanden, der von außen seine selbst gebaute Mauer der Isolation durchbricht. Das tut Jesus, indem er mit Zachäus isst und trinkt. Nun kann der Oberzöllner einen großen Schritt auf die zumachen, die er jahrelang betrogen hat.
Diese Festmahlgeschichte zeigt die inklusive Theologie Jesu deutlicher als alle anderen. Die Bürger von Jericho wollen ihre Gemeinschaft dadurch rein erhalten, dass sie Menschen wie Zachäus ausschließen (Exklusion). Jesu Anliegen hingegen ist es, ihm die Rückkehr in die Mitte der Gesellschaft zu ermöglichen (Inklusion). Dabei spielt es keine Rollen, dass er sich durch eigenes Verhalten ins Abseits gestellt hat. Zachäus muss einen eigenen Beitrag leisten. Er muss sein betrügerisches Leben aufgeben und einen Ausgleich für den jahrelangen Diebstahl schaffen. Nachdem sich Jesus bei ihm eingeladen hat, schafft er das.


Festessen Nr. 6: Das letzte Abendmahl (Lk 22,7-23)

Wir dürfen wir uns auch Jesu letztes Abendmahl als Festessen vorstellen. Wie im Festessen Nr. 2 liegen alle zu Tisch. Jesus lehrt und spricht vom Sterben. Er fordert die Jünger auf, auch nach seinem Tod die Tradition seiner Festmähler fortzusetzen. Ein Teilnehmer des Festessens stört auch hier die Ordnung. Der, der Jesus noch in der Nacht ausliefern wird, ist jetzt noch Teilnehmer der Tafelrunde.


Was lernen wir aus den Festmahlgeschichten?

Zehn Fragen an den Evangelisten Lukas

Frage 1: Liebte Jesus Feste? Trank er Wein?
Antwort: Zweimal ja! Darin unterschied er sich von Johannes dem Täufer, der beides anlehnte.

Frage 2: Was ist denn das Reich Gottes?
Antwort: Denke an ein Festessen. So stelle ich es mir vor.

Frage 3: Okay, ein Festessen im Himmel! Wer darf daran teilnehmen?
Antwort: Lass dich überraschen. Es sind viele, mit denen du nicht rechnest.

Frage 4: Und was ist mit denen, die sich an der Gemeinschaft versündigt haben?
Antwort: Sie müssen bereuen, was getan haben, es künftig sein lassen und den Schaden wieder gut machen.

Frage 5: Können sie denn so einfach ihr Leben ändern?
Antwort: Ich empfehle dir, es zu machen wie Jesus. Er ging zu diesen Menschen, dann war es leichter für sie.

Frage 6: Was ist überhaupt Sünde?
Antwort: Sünde ist wie Krankheit. Sie braucht einen Arzt, eine Therapie. Dann kann sie heilen.

Frage 7: Was haben Menschen davon, wenn sie an Gott glauben und tugendhaft leben?
Antwort: Sie sind die Gesunden. Sie sollten froh und dankbar sein.

Frage 8: Ist das nicht ein bisschen ungerecht? Haben die nicht eine Belohnung verdient?
Antwort: Weiß ich nicht. Das hat Jesus eigentlich nie interessiert. Ihm ging es darum, dass die gewonnen werden, die jetzt noch nicht zum Gottesreich gehören.

Frage 9: Der Apostel Paulus hat geschrieben: „Das Reich Gottes ist nicht Essen und Trinken“ (Röm 14,17). Was hältst du von diesem Satz?
Antwort: Wer hat das gesagt? Paulus? Ich bin anderer Meinung. Die Festessen Jesu sprechen doch eine klare Sprache. Aber ich glaube, Paulus hat das anders gemeint. Schau mal auf den Zusammenhang!

Frage 10: Da hast du recht. Er hat es anders gemeint. Hast du noch eine Message für die Christen unserer Zeit?
Antwort: Achtet darauf, dass in eurem Leben schon ein Stück des Gotteshimmels durchscheint.


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Date: August 10, 2024 at 06:06AM
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