BERLIN. Was an Schulen praktisch notwendig ist und was bürokratisch geht, müssen Schulleitungen immer wieder ausbalancieren. Eine Umfrage zeigt: Viele sind dabei bereit, rechtliche Vorgaben zu überschreiten. Der Bildungsforscher Prof. Hurrelmann zeigt sich begeistert: „Sie sind ‚Rebell:innen‘ und nehmen sich die Freiheit, mehr Selbstständigkeit für ihre Schule zu erkämpfen.“

Viele Schulleiterinnen und Schulleiter nehmen es einer Umfrage zufolge mit Regeln nicht so genau, wenn es dem Erfolg ihrer Schule dient: In einer repräsentativen Befragung von etwa 2.400 Schulleitungen für den Cornelsen Verlag stimmten 60 Prozent der Aussage zu, dass sie sich für eine gelingende Schulentwicklung über die rechtlichen Vorgaben der Schulaufsichtsbehörde bis zu einem gewissen Grad hinwegsetzen müssten. Diese „Rebell:innen“ fordern mehr Autonomie, eine neue Form der Schulaufsicht und eine veränderte Lehrkräfteausbildung.
Weitere Ergebnisse:
- Rund zwei von drei Schulleitungen in Deutschland verstehen sich als Visionär:innen für die Gestaltung und langfristige Weiterentwicklung zukunftsfähiger Schulen – sie wünschen sich Reformen. Drei Viertel empfinden Abstimmungsprozesse durch die verschiedenen Zuständigkeiten von Schulaufsichtsbehörden (Ämter und Ministerien) und Schulträgern (meist die Kommune) als mühselig. 86 Prozent der Schulleitungen fühlen sich durch bürokratische Hürden in der Schulentwicklung ausgebremst.
- Die Personalgewinnung ist weiterhin die größte Herausforderung für Schulen, da jede zweite Schule unter akutem Lehrkräftemangel leidet. Ein weiteres Viertel berichtet von einem potenziellen Personalmangel, sollten studentische Lehrkräfte oder Quer- sowie Seiteneinsteiger:innen wegfallen. Die Gesundheit von Lehrkräften und Schülerschaft ist das zweitgrößte Thema für Schulleitungen – um vor allem mentale Gesundheit zu fördern, ist der Bedarf an multiprofessionellen Teams hoch. Eine demokratische Schulgestaltung wird derzeit insbesondere durch gesellschaftliche Spannungen und wachsenden Rechtsextremismus erschwert.
- Schule soll junge Menschen auf die Arbeitswelt vorbereiten – darüber sind sich Schulleitungen einig. 80 Prozent sagen, dass es den Schüler:innen an überfachlichen Schlüsselkompetenzen für die Arbeitswelt, wie etwa Pünktlichkeit oder Problemlösefähigkeit, mangelt. Gut zwei Drittel der Schulleitungen stimmen zu, dass es für mehr Lernerfolge bei den Schülerinnen und Schüler eine Anpassung der Rahmenlehrpläne an die aktuelle Lebens- und Arbeitswelt brauche. Rund acht von zehn Schulleitungen würden es begrüßen, wenn Schüler:innen mehr praktische Berufsorientierung ermöglicht würde.
- Die digitale Ausstattung deutscher Schulen scheint sich maßgeblich verbessert zu haben – drei von vier Schulleitungen sind mittlerweile zufrieden damit. Um diese Infrastruktur für digitales Lernen sinnvoll zu nutzen, braucht es aber Fachpersonal, das den Prozess medienkritisch begleitet, und kontinuierliche Fortbildungen für Lehrkräfte. Schulleitungen schätzen KI als wichtiges Thema für die künftige Unterrichtsgestaltung ein. Digitales Lernen ist für fast alle, KI immerhin für zwei von drei Schulleitungen fester Bestandteil der Zukunftsschule. Die Mehrheit der Schulleitungen erwartet zudem, dass sich Lernerfahrungen und Prüfungsformate durch KI verändern werden.
- Die Mehrheit der Schulleitungen hält das deutsche Schulsystem für ungerecht – rund vier von fünf finden sogar, dass es Menschen zurücklasse. Um dem entgegenzuwirken, setzen Schulleitungen auf bedarfsorientierte Schulentwicklung sowie Programme wie das Startchancenprogramm und betonen den Beitrag von gebundenen Ganztagsschulen zur Verbesserung von Bildungschancen. Für mehr Lernerfolg sind sich 82 Prozent einig, dass verstärkt auf die Heterogenität von Schülerinnen und Schüler eingegangen werden muss.
- Die Leitungen beruflicher Schulen bemängeln fast einstimmig die geringe öffentliche Wahrnehmung ihrer Arbeit im Vergleich zu anderen Schulformen. 92 Prozent sind außerdem überzeugt, dass allgemeinbildende und berufliche Schulen von verstärktem Austausch untereinander lernen könnten. Berufliche Schulen gehen die Personalgewinnung pragmatischer an. Rund drei von vier geben an, ihre Schüler:innen zu motivieren, als Lehrkräfte zu ihnen zurückzukommen. Und 84 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Quer- und Seiteneinsteiger:innen die Lernangebote an ihrer Schule durch ihre praktische Erfahrung bereichern.
“Sie wollen nicht nur die akuten Herausforderungen bewältigen, sondern ihre Schulen langfristig weiterentwickeln”
Der Bildungsforscher Prof. Klaus Hurrelmann schreibt in einem Vorwort zur Studie: „Immer mehr Schulleitungen in Deutschland sehen sich nicht länger als Verwaltungspersonen, sondern als Akteure des Wandels. Sie wollen nicht nur die akuten Herausforderungen bewältigen, sondern ihre Schulen langfristig weiterentwickeln. Wenn es nach ihnen ginge, wäre Deutschland schon sehr viel weiter bei der von ihnen als dringend und notwendig eingeschätzten Transformation des Schulsystems hin zu mehr Autonomie, Gerechtigkeit und Zukunftsorientierung.“
Er betont: „Diesen Veränderungswillen spiegelt auch die Bereitschaft vieler Schulleitungen wider, bürokratische und rechtliche Vorgaben der Schulaufsicht flexibel auszulegen oder sogar zu umgehen, um ihre Vision einer zukunftsfähigen Schule zu verwirklichen. Das ist das wohl bemerkenswerteste Ergebnis der Studie: Ein wachsender Anteil der Schulleitungen ist bereit, bis an die Grenzen rechtlicher Vorgaben zu gehen, um die anstehenden Reformen einzuleiten und umzusetzen. Diese Schulleiterinnen und Schulleiter haben den Mut, sich mit Schulaufsicht und Politik anzulegen und wichtige Schritte zur pädagogischen Gestaltung des Unterrichts und zur Organisationsentwicklung ihrer Schule einzuleiten.” Dieser Mut lasse hoffen. News4teachers / mit Material der dpa
Hier lässt sich die vollständige Cornelsen-Schulleitungsstudie herunterladen.
Der Beitrag Fast alle Schulleitungen fühlen sich und ihr Kollegium vom System ausgebremst – die meisten überschreiten deshalb Vorgaben erschien zuerst auf News4teachers.
Title: Fast alle Schulleitungen fühlen sich und ihr Kollegium vom System ausgebremst – die meisten überschreiten deshalb Vorgaben
URL: https://www.news4teachers.de/2025/03/fast-alle-schulleitungen-fuehlen-sich-und-ihr-kollegium-vom-system-ausgebremst-die-meisten-ueberschreiten-deshalb-vorgaben/
Source: News4teachers
Source URL: https://www.news4teachers.de/
Date: March 9, 2025 at 05:34PM
Feedly Board(s): Schule