Franziskus II.

Si non e vero, e bene trovato.  
(Wenn nicht wahr, dann doch gut erfunden.)

„Annuntio vobis gaudium magnum: habemus Papam. Eminentissimum ac reverendissimum dominum, Dominum Luis Antonio, Sanctae Romanae Ecclesiae cardinalem Tagle, qui sibi nomen imposuit Franciscum II.“

Der französische Kardinalprotodiakon Dominique Mamberti hatte dies soeben nach einem kurzen Konklave der Stadt Rom und dem Erdkreis kundgetan. Applaus brandete auf. Papst Franziskus, nunmehr Franziskus I., der Papst der Herzen, hatte offensichtlich gut vorgesorgt, dass das Evangelium und damit Gott und sein liebevolles, all unserem Tun stets zuvorkommende Erbarmen die Grundmelodie der Kirche auch nach seinem Pontifikat bleibt.

Nicht Papst Franziskus I. hatte den Philippiner Luis Antonio entdeckt. Es war Johannes Paul II., der ihn zum Bischof der Diözese Ismus ernannt hatte. Benedikt XVI. hatte ihn zum Erzbischof in Manila und erhob ihn zum Kardinal gemacht. Franziskus I. war von seinem Einstehen für die Armen in den Slums Manilas berührt. Als 2013 ein gewaltiger Taifun im Land Tausende in den Tod riss, begab sich der Kardinal in einfacher Priesterkleidung ins Katastrophengebiet und stand den Angehörigen bei. Tagle war einer, der an die Ränder ging, zuhörte, tröstete und half, wo er konnte. Er der Prototyp eines Hirten, wie der verstorbene Papst ihn sich vorstellte.

Dies war wohl ein maßgeblicher Grund, warum er ihn als möglichen Nachfolger aufbaute und wie einen geistlichen Sohn betrachtete. Er holte ihn 2019 als Kurienkardinal nach Rom. Einige Jahre leitete Kardinal Tagle die Caritas Internationalis. Schließlich übertrug ihm Papst Franziskus I. das in seinen Augen wichtigste neugegründete „Ministerium“, die Kongregation für die Evangelisierung. Vangelo senza glossa (das Evangelium ohne Draufgabe) hatte Franziskus I. von seinem Namensgeber, dem heiligen Franz aus Assisi gern zitiert. Die Freude des Evangeliums hatte Franziskus I. schon in seiner Regierungserklärung von 2013 in die Mitte gesetzt. Dieses singt von einem Gott mit bedingungsloser Liebe zu allen Menschen, zu den vom Leben, aber auch von Sünden Verwundeten. Und zur verwundeten Natur. Eine Kirche, die für diesen Gott des liebevollen Erbarmens steht, schließt niemanden aus, sondern steht für alle offen. Die moralischen Checkpoints hatte die Kirche unter Franziskus geschlossen.

Kardinal Tagle hatte diesen Traum von einer Kirche als Mutter und Hirtin schon vor Franziskus I. gelebt. Er hörte zu, auch wenn ihn manche dafür scheel ansahen und ihm (wie seinem Protektor Franziskus I.) vorwarfen, er relativiere die Sünde missachte Lehrpositionen der Kirche. Das hinderte ihn nicht daran, wiederverheirateten Geschiedenen oder Menschen mit anderer sexueller Orientierung Ansehen zu geben und ihren Platz in der kirchlichen Gemeinschaft zu verteidigen. Diese Haltung trug ihm anerkennend die ehrenvolle Bezeichnung „Franziskus Asiens“ ein. Nun ist aus diesem Franziskus II. geworden. Was aus seinem Mentor eben Papst Franziskus I. machte. Habemus Papam.

Kardinal Luis Antonio Tagle zu wählen: dafür hat es im Konklave viele gute Gründe gegeben. Die katholische Kirche ist seit dem Zweiten Vatikanum bleibend Weltkirche. Der Eurozentrismus ist vorbei. An seine Stelle sollte, so ein Kernanliegen von Franziskus I., das Hineinsingen des Evangelium in die verschiedenen kontinentalen Kulturen treten. Der Eurozentrismus sollte also nicht durch eine Afro- oder Asiazentrismus ersetzt werden. Aber der Automatismus, dass in einer solchen Weltkirche mit hoher kultureller Vielfalt die Päpste aus Italien oder Europa kommen, ist zu Ende. Mit Franziskus I. war Lateinamerika an der Reihe. Afrika ist nach Ansicht vieler kulturell wohl noch nicht so weit. Jetzt also Asien. Dabei ist es zweitrangig, aus welchem Kontinent der jeweilige Papst kommt: Er kann sein Amt nur synodal ausüben und steht vor der nicht einfachen Aufgabe, die Vielfalt der kontinentalen Entwicklungen zusammenzuhalten. Kann er das, gewinnt er zugleich in der innerchristlichen Ökumene hohe Glaubwürdigkeit.

Zudem ist die Kirche immer Kirche in der Welt von heute. Das bedeutet, sich der enormen Herausforderungen zu stellen. Es braucht die Fähigkeit zu einem Dialog in gegenseitigem Respekt. In einer solchen Situation spielt der Dialog zwischen den Weltreligionen eine wichtige Rolle. Nur allzu oft geben sich Religionsführer her, unmenschliche Gewalt und Krieg im Namen Gottes zu rechtfertigen. Franziskus I. hat sich um die Zusammenarbeit mit dem Judentum und den Islam bemüht. Luis Antonio Tagle konnte schon als Bischof auf den Philippinen dazu Erfahrungen sammeln: Das Land ist zwar katholisch, hat aber zumal auf der Insel Mindanao eine unruhige muslimische Minderheit. Und weil Tagles Mutter Chinesin ist, hat Franziskus II. vermutlich hohes Verständnis für die uralte chinesische Kultur.

Wettbüros sahen vor dem Konklave Luis Antonio Tagle, mit dem Spitznamen „Chito“ – ein freundliches Wort aus dem Tagalog, und Pietro Parolin mit Abstand vor weiteren Namen gleichauf an der Spitze. Das ist ein gutes Zeichen. Wenn es Franziskus II. gelingt, den Kardinalstaatssekretär Parolin zu gewinnen, mit und für ihn in der globalen Kirche zu arbeiten, wäre das ein Gewinn. Pietro Parolin war zwar nie in der alltäglichen Seelsorge einer Pfarrei oder Diözese tätig. Er hat sich aber als ein erfahrenes Diplomat bewährt, verhandelte Verträge mit Vietnam, das Geheimabkommen mit China (welches dieses just in der Sedisvakanz durch zwei Bischofsernennungen verletzte). Der pastorale Visionär Franziskus II. benötigt dringend einen verlässlichen „diplomatischen Handwerker“ an seiner Seite. Daneben werden weitere erfahrene Kardinäle wie Matteo Zuppi von Bologna gute Dienste leisten. Diesbezüglich kann man beim Wiener Kardinal Franz König lernen: Sein Generalvikar Franz Jachym hatte ihm den Rücken freigehalten.

Luis Antonio Tagle ist einer der jüngeren Kardinäle. Vielleicht hat er Demut und Courage, noch in gesunden Jahren für eine Altersgrenze der Amtsausübung auch von Päpsten zu werben. Das würde es der katholischen Kirche bei künftigen Papstwahlen erleichtern, Jüngere zu wählen. Es wäre ein Signal an die jungen Mitglieder der Weltkirche zumal in Afrika und Asien, aber auch im überalterten Europa. Viele von ihnen waren auf dem Petersplatz und hatten auf den weißen Rauch gewartet. Die Nachricht von der Wahl haben sie begeistert aufgenommen und über Soziale Medien umgehend geteilt.

Es wird erzählt, dass beim letzten Besuch des schwerkranken Papstes in Santa Maria Maggiore vor der Marienikone Salus Populi Romani dieser kaum hörbar geflüstert habe: Gott ist die Liebe. Dann habe er den Namen von Luis Antonio Tagle ausgesprochen. Si non e vero, e bene trovato.


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Title: Franziskus II.
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Source: REL ::: Paul M. Zulehner
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Date: May 4, 2025 at 11:52AM
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