Die Zeichen der Zeit prägen Pontifikate. Das gilt auch für die Herausforderungen durch technischen und medialen Wandel. Der größte technische Wandel im Pontifikat von Papst Franziskus war die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz. Diese Entwicklung sozialethisch zu begleiten war Franziskus ein großes Anliegen. Immer wieder äußerte er sich selbst in Botschaften und Ansprachen dazu, Kurienbehörden und Nuntien brachten das Thema weltweit in die Diskussion.

Quirinale.it/NASA/Montage fxn)
Künstliche Intelligenz war auch der Anlass dafür, dass spät im Pontifikat das Thema Datenschutz ausdrücklich vom Lehramt thematisiert wurde – nicht in einem Dokument mit der Urheberschaft des Papstes, aber immerhin mit seiner Unterschrift. Wichtiger sind ohnehin die großen Linien, mit denen Papst Franziskus das Lehramt der Kirche zu digitalpolitischen Themen bestimmt.
Enzykliken
Die Hochform der päpstlichen Verkündigung befasst sich in der Regel nicht mit kleinteiligeren Fragen – auch wenn Papst Franziskus gerade mit seiner Umweltenzyklika Laudato si‘ (2015) sehr konkret wurde. Diese erste ganz eigene Enzyklika von Franziskus (die erste, Lumen fidei, gilt als »Enzyklika der vier Hände« aufgrund der Vorarbeiten noch von Benedikt XVI.) setzt schon den Ton, mit dem Papst Franziskus die Gegenwart der Digitalität angeht:
»Die wirkliche Weisheit, die aus der Reflexion, dem Dialog und der großherzigen Begegnung zwischen Personen hervorgeht, erlangt man nicht mit einer bloßen Anhäufung von Daten, die sättigend und benebelnd in einer Art geistiger Umweltverschmutzung endet.« (Nr. 47)
Die zweite sozialethische Enzyklika Fratelli tutti (2020) erwähnt kurz die Privatsphäre und Überwachung. Der Papst macht die Verbindung zwischen Überwachung und ihren Gefahren für die Freiheit auf einer zwischenmenschlichen Ebene stark:
»Während verschlossene und intolerante Haltungen, die uns von den anderen abschotten, zunehmen, verringert sich oder verschwindet paradoxerweise die Distanz bis hin zur Aufgabe des Rechts auf Privatsphäre. Alles wird zu einer Art Schauspiel, das belauscht und überwacht werden kann. Das Leben wird einer ständigen Kontrolle ausgesetzt. In der digitalen Kommunikation will man alles zeigen, und jeder Einzelne wird auf anonymem Weg zu einem Objekt, das bespitzelt, entblößt und in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Die Achtung vor dem anderen bröckelt, und auf diese Weise – gerade wenn ich ihn verdränge, ihn nicht beachte und auf Distanz halte – kann ich ohne irgendeine Scham bis zum Äußersten in sein Leben eindringen.« (Nr. 42)
Botschaften zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel
Schon am Anfang des Pontifikats zeigte sich ein Motiv sehr deutlich: Papst Franziskus war es wichtig, dass die gesamte Kurie in seine Programmatik eingebunden wird. Deutlich wurde das bei den Botschaften zum Welttag der sozialen Kommunikationsmittel. Unter Benedikt XVI. hatte der damalige Päpstliche Rat für die sozialen Kommunikationsmittel recht freie Hand, die Botschaften waren deutlich fachlich-kleinteiliger. Mit Papst Franziskus wurden sie theologischer und griffen Themen des Pontifikats auf: Es ging um Familie, Barmherzigkeit, Hoffnung. Erst mit dem Fokus auf zum einen künstliche Intelligenz und zum anderen die Bedrohung der Öffentlichkeit durch Lügen und Propaganda in der zweiten Hälfte des Pontifikats wurde es konkreter. (Eine Analyse aller Botschaften von 1967 bis 2024 habe ich in der GKP-Festschrift veröffentlicht.)
Datenschutz kam nicht ausdrücklich vor. Am nächsten kam noch die Botschaft von 2019, wo es um soziale Netzwerke ging:
»Es muss anerkannt werden, dass die sozialen Netzwerke, obwohl sie einerseits dazu dienen, uns mehr zu verbinden, uns zueinander zu bringen und einander zu helfen, andererseits aber auch eine manipulative Nutzung personenbezogener Daten ermöglichen, um politische oder wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, wobei der gebührende Respekt vor dem Menschen und seinen Rechten oft außen vor bleibt.«
2024 erneuerte Franziskus sein Unbehagen angesichts eines vom Menschen abstrahierenden digitalen Menschenbilds:
»Große Chancen auf Gutes gehen mit dem Risiko einher, dass sich alles in ein abstraktes Kalkül verwandelt, das die Menschen auf Daten reduziert, das Denken auf ein Schema, die Erfahrung auf einen Einzelfall, das Gute auf den Profit und vor allem, dass am Ende die Einzigartigkeit eines jeden Menschen und seiner Geschichte geleugnet wird und sich die Konkretheit der Wirklichkeit in eine Reihe statistischer Daten auflöst.«
Gesetzgebung – Strafrecht, Missbrauch und Vatikanstaat-Datenschutz
Das Pontifikat war zum einen geprägt von viel Struktur: Eine große Reform der Kurie, viele teils sehr kleinteilige Änderungen in Wirtschafts- und Compliancefragen.
Zu den wichtigsten legislativen Projekte von Papst Franziskus gehören zudem die Reform des Buchs VI des Codex Iuris Canonici, dem Strafrecht der Kirche, und Vos estis lux mundi, die Verfahrensordnung für den Umgang mit Missbrauchsfällen. VELM ist die wohl einzige Norm der Universalkirche, die ausdrücklich das Wort »Datenschutz« enthält, nämlich in der Überschrift des Paragraphen, der sich mit dem Umgang mit eingehenden Meldungen befasst. Die dabei anfallenden Informationen »werden so geschützt und behandelt, dass die Sicherheit, die Unversehrtheit und die Vertraulichkeit« gewährleistet werden – eine Trias, die in Form und Inhalt durchaus an die klassischen Schutzziele der IT-Sicherheit (Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit) erinnern.
Beim Strafrecht wurden Persönlichkeitsrechte zumindest nominell gestärkt. Wo die Überschrift bislang nur Fälschungsdelikte beinhaltete, werden ihr nun Straftaten gegen den guten Ruf vorangestellt. Auch weiterhin wird die im Datenschutzkanon c. 220 CIC geschützte Intimsphäre nicht auch noch strafrechtlich geschützt. (Eine ausführliche Analyse der Strafrechtsreform habe ich 2021 veröffentlicht, als die Novelle in Kraft gesetzt wurde.)
Eine direkt digitalpolitische Gesetzgebung gab es nicht für die Universalkirche, sondern nur für den Staat der Vatikanstadt. Hier vereint der Papst als Staatsoberhaupt die exekutive, legislative und judikative Gewalt zwar auf sich, ausgeübt wird die Gesetzgebung praktisch aber durch die Päpstliche Kommission für den Staat der Vatikanstadt. Diese Legislative hat auch die beiden Gesetze zu Datenschutz und Künstlicher Intelligenz verabschiedet – beide angelehnt an ihre Pendants in der EU, und beide gelten nur für die staatlichen Organe, nicht für die Kurie und die Universalkirche.
Künstliche Intelligenz und Datenschutz im Lehramt
Päpste wirken durch alle ihre Äußerungen, nicht nur durch Gesetzgebung und die großen lehramtlichen Formen. Alles, was Päpste sagen und schreiben, lässt das Lehramt wachsen und kann als Grundlage dienen. Besonders deutlich wurde das in diesem Pontifikat mit den vielen Äußerungen von Papst Franziskus zu künstlicher Intelligenz, die vom Glaubens- und vom Kulturdikasterium in der gemeinsamen Note Antiqua et Nova (2025) über das Verhältnis von künstlicher Intelligenz und menschlicher Intelligenz zusammengefasst wurden.
Hier besonders hervorzuheben – und hier ausführlich bei Erscheinen schon getan – ist, dass diese Note erstmals (wenn auch auf Grundlage jahrzehntelanger lehramtlicher Vorarbeit) sich ausdrücklich zu Datenschutz positioniert und Datenschutz so explizit in der Soziallehre der Kirche verortet:
»Der Mensch ist von Natur aus ein Beziehungswesen, so dass die Daten, die jede Person in der digitalen Welt erzeugt, als objektiver Ausdruck dieser Beziehungsnatur betrachtet werden können.
In der Tat vermitteln Daten nicht nur Informationen, sondern auch persönliches und relationales Wissen, das in einem zunehmend digitalisierten Kontext zu einer Macht über den Einzelnen werden kann. Darüber hinaus können einige Datenarten öffentliche Aspekte des Lebens einer Person betreffen, während andere Daten ihre Intimsphäre, vielleicht sogar ihr Gewissen, berühren können.
Alles in allem spielt der Datenschutz eine zentrale Rolle, wenn es darum geht, die Grenzen des Innenlebens von Personen zu schützen und ihre Freiheit zu gewährleisten, Beziehungen zu knüpfen, sich auszudrücken und Entscheidungen zu treffen, ohne unrechtmäßig kontrolliert zu werden.« (Nr. 90)
Fazit
Papst Franziskus wird als ein Papst in die Geschichte eingehen, der wichtige Weichen für die Kirche gestellt hat. Mit seiner Umweltenzyklika hat er die Sozialethik der Kirche für die große Schicksalsfrage des 21. Jahrhunderts aufgestellt, die Klimakatastrophe. Bedingungslos hat er sich für die Würde von Menschen an den Rändern und auf der Flucht eingesetzt, von seiner ersten programmatischen Reise nach Lampedusa bis zu seinem Brief an die amerikanischen Bischöfe im Februar, dem letzten bedeutenden Schreiben vor seinem Tod.
Digitales ist naturgemäß nur ein Randaspekt eines Pontifikats. Und doch hat Franziskus auch hier die Soziallehre der Kirche vorangebracht: Mit einer klaren Fundierung einer menschendienlichen Digitalisierung in der christlichen Anthropologie. Das wird bleiben. Das ewige Licht leuchte ihm.
Title: Franziskus und die Daten – ein netzpolitischer Blick auf sein Pontifikat
URL: https://artikel91.eu/2025/04/21/franziskus-und-die-daten-ein-netzpolitischer-blick-auf-sein-pontifikat/
Source: Artikel 91
Source URL: https://artikel91.eu
Date: April 21, 2025 at 02:02PM
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