Horst Heller
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Das Wunder der Brotvermehrung. Wie unterrichte ich diese biblische Geschichte, wenn ich bezweifle, dass Tausende von Menschen durch fünf kleine Brote und zwei Fische satt wurden? Soll ich meinen Schülerinnen und Schüler nahelegen, das dennoch zu glauben?
Dieser Blogbeitrag stellt einen didaktischen Weg vor, der von den Bibeltexten selbst gewiesen wird. Wer ihm folgt, kann die Geschichte von der Speisung im Unterricht lehren und von ihr lernen, auch wenn er sich Jesus nicht als wundersamen Sattmacher vorstellen mag.
Die Geschichte der Speisung der Tausenden wird in den Evangelien sechsmal erzählt. Sie muss den Evangelisten wichtig gewesen sein.
Was wird erzählt?
Die Geschichte von der Sättigung der Tausenden wird in der Bibel zunächst als Speisung von 5000 Menschen (Mt 14,22-33, Mk 6,30-44, Lk 9,10-17, Joh 6,1-13) erzählt, dann (in Mt 15,32-39 und Mk 8,1-9) noch einmal als Speisung von 4000 Menschen.
Es wurde Abend. Die Jünger sagten zu Jesus: „Es ist spät. Die Leute haben nichts gegessen. Sie sollen in die Dörfer gehen und sich dort Brot kaufen.“ Jesus aber antwortete ihnen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Die Jünger fragten ihn: „Sollen wir in die Dörfer laufen und für alle diese Menschen Brot kaufen?“ Jesus entgegnete: „Wie viele Brote habt ihr?“ „Fünf Brote und zwei getrocknete Fische“, antworteten sie. „Das ist alles.“
Jesus aber rief den Menschen zu: „Setzt euch in Gruppen, so als säßet ihr an großen Tischen!“ Das taten sie. Jesus nahm die fünf Brote und die zwei Fische und legte sie vor sich. Er schaute zum Himmel und betete: „Segne diese Brote und Fische und sättige die Menschen mit dem, was sie brauchen.“ Dann teilte er die Brote und gab sie seinen Jüngern. Die Jünger gaben sie weiter. Die Fische teilte er genauso.
Nacherzählt von Nadine Klimbingat und Horst Heller nach Mk 6,35-44
Die Speisung der 5000: Jesus hält sich nicht weit von seiner Heimatstadt Nazareth auf. Am Ende eines langen Tages sollen die Menschen bewirtet werden. Dies sollen die Jünger erledigen: Die aber wissen nicht wie. Daraufhin nimmt Jesus das, was an Lebensmitteln zur Verfügung steht, spricht das Dankgebet und lässt austeilen. Am Ende des Tages sind nicht nur alle satt, es ist noch körbeweise Essen übrig.
Die Speisung der 4000: Jesus hält sich in einer Gegend auf, in der kaum Juden wohnen. Er begegnet Menschen, die nicht an den Gott der Bibel glauben. Hier warten 4000 Menschen auf eine Sättigung. Diesmal gibt es sieben Brote und ein paar Fische. Und am Ende sind sieben Körbe übrig.
Wie kommt dieses Wunder zustande?
Deutung Nr. 1: Das angebliche Wunder ist ein Fake
Diese Auslegung aus dem 19. Jahrhundert dürfen wir getrost beiseitelegen. Rationalistische Bibelausleger versuchten, alles Mysteriöse aus der Erzählung zu eliminieren. Sie vermuteten, dass die Jünger geheime Verstecke mit Brotvorräten gekannt hatten. Naja …
Deutung Nr. 2: Es war ein Wunder der Brotvermehrung
Diese Auslegung ist vielen geläufig. Sie besagt, dass es Jesus gelang, aus wenig Brot viel Brot zu machen, sodass alle satt wurden und noch viel übrigblieb. Das Problem: Von einer Vermehrung spricht keines der Evangelien. Vielmehr heißt es: „Er nahm die Brote und die Fische und teilte sie aus. Und alle wurden satt.“
Deutung Nr. 3: Das Wunder der Sättigung ist ein Wunder des Teilens.
Diese beliebte Auslegung beginnt oft bei einem Detail, das nur der Evangelist Johannes erzählt: Unter den 5000 Menschen ist ein Junge, der Reiseproviant mitgebracht hat. Jesus nimmt es an sich – sicher mit dessen Einverständnis – und teilt es unter allen auf. Der Hunger wird durch gerechtes Teilen überwunden. Dass diese Deutung der Geschichte nicht ganz falsch ist, werden wir am Ende dieses Beitrags sehen. Zunächst aber merken wir an, dass es nicht plausibel ist, dass das selbstlose Verhalten eines Kindes Tausende von hungrigen Menschen sättigt. Zudem kann diese Deutung nicht erklären, warum es den Evangelien offenbar wichtig ist, dass am Ende körbeweise Essen übrig bleibt.
Nähern wir uns also der theologischen Deutung der Erzählung. Hier sind vier Aspekte wichtig.
Erstens: Symbolische Zahlen durchziehen die Speisungsgeschichten. Wie oben erwähnt, stehen für die Speisung der 5000 fünf Brote und zwei Fische bereit. Als alle satt sind, sind zwölf Körbe übrig. Für die Speisung der 4000 teilen Jesus und die Seinen sieben Brote und einige Fische aus. Am Ende sind sieben Körbe mit Resten gefüllt. Keiner der vier Evangelisten verzichtet auf die Nennung dieser Zahlen, sie haben offenbar eine Bedeutung.
Nicht nur die 5000 (oder 4000), die zufällg an diesem Tag anwesend sind, sollen gestättigt und zufrieden sein. Es geht um alle Menschen und alle Völker
Zweitens: Während die Speisung der 5000 Menschen in der Nähe der Heimatstadt Jesu Nazareth stattfindet, werden die 4000 Menschen in einer Gegend gesättigt, in denen nur wenig Juden wohnen. Die Evangelisten haben also keineswegs eine Wiederholung erzählt. Die scheinbaren Dubletten sind Absicht. Während Jesus zunächst Menschen besucht, die zu seinem Volk der Juden gehören, wendet er sich anschließend denen zu, die keine Juden sind. Das erklärt auch die unterschiedliche Anzahl der Körbe. Die zwölf Körbe nach der ersten Speisung stehen für die zwölf Stämme Israels, die sieben Körbe nach der zweiten Speisung für die übrigen Völker, und zwar alle. Die Zahl Sieben steht in der Bibel symbolisch für Vollständigkeit und Ganzheit. Auch wenn dieser Aspekt erst für den Unterricht in der Sekundarstufe von Bedeutung ist, wird doch klar: Nicht nur den 5000 oder 4000 Anwesenden soll es gut gehen, sondern allen Menschen und Völkern.
Drittens: Die Speisung ist nicht die einzige Wohltat, die den Menschen widerfährt. Es wird erzählt, dass Jesus sie auch lehrt und ihre Kranken heilt. Es will nicht seine Wunderkraft demonstrieren. Er möchte die Not der Menschen lindern. Die Sättigungserzählungen sind Zeichen einer vielgestaltigen Hinwendung Jesu zu den Hungrigen und Hilfsbedürftigen.
Was wie eine Wundergeschichte daherkommt, ist in Wahrheit eine gleichnishafte theologische Erzählung über den Himmel Gottes auf Erden
Viertens: Nach der Speisung der 4000 fügen die Evangelisten Matthäus und Markus einen sonderbaren Dialog zwischen Jesus und seinen Jüngern an. Jesus erklärt seinen Jünger, dass es hier um mehr geht, als den Menschen den Aagen zu füllen. Er endet mit den Worten: „Da verstanden die Jünger, dass Jesus nicht vom Sauerteig des Brotes sprach.“ Etwas verklausuliert, aber das Wichtigste wird deutlich: Es geht nicht allein um den leeren Magen. Die gesamte Geschichte will ein Gleichnis sein. Der Hunger steht für den sehnlichen Wunsch der Menschen nach Glück, Gesundheit, Gemeinschaft und Liebe. Sättigung bedeutet die Befriedigung ihrer existentiellen Bedürfnisse. Das Brot, das die Menschen satt macht, wird von Jesus selbst und seinen Jüngern ausgeteilt: Er lehrt die Menschen und tut ihnen gut. Im Reich Gottes werden Menschen heil und glücklich,
Was bedeutet das für den Unterricht?
Die Speisungsgeschichten wollen nicht als Bericht, sondern als theologische Erzählung gelesen werden. Die Evangelisten schrieben sie so, damit ihre gleichnishafte Bedeutung nicht zu übersehen war. Gleichnisse sind Geschichten vom Himmel Gottes. Jesus erzählte selbst Gleichnisse. Aber auch seine erzählten Taten sind gleichnishaft. Sie demonstrieren, was Gott will: Die Menschen, die hungrig nach so vielem sind, sollen im umfassenden Sinn satt werden.
Hunger ist der sehnliche Wunsche der Menschen nach Glück, Gemeinschaft und Liebe. Jesus und Gott wollen diese Sehnsucht stillen.
Als Lernende und Lehrende müssen wir also nicht an das Wunder der Brotvermehrung glauben. Wenn aber für Schülerinnen und Schülern das (noch) kein Problem darstellt, wird die Religionslehrperson auch keine Zweifel säen. Die Geschichte aber will nicht den Glauben an Jesu Wunderkraft wecken. Sie will einladen zu glauben, dass Gott den körperlichen und seelischen Hunger der Menschen stillen will.
Ist noch etwas wichtig?
Ja. Jesus fordert seine Jünger auf, selbst die Menschen zu speisen: „Gebt ihr ihnen zu essen!“ Wir sind im wörtlichen und im übertragenen Sinn aufgefordert, Menschen zu sättigen. Der Unterricht darf sich Gedanken machen, wie Kinder, Jugendliche und Erwachsene dieser Aufgabe nachkommen können.
Linktipp:
Markus Schiefer Ferrari, Wunderbare Aussichten oder heilsame Einsichten. Neutestamentliche Speisungs- und Heilungserzählungen.
https://publikationen.uni-tuebingen.de
Title: Fünf Brote und zwei Fische. Religionspädagogische Überlegungen zur biblischen Geschichte der Speisung der Fünftausend
URL: https://horstheller.wordpress.com/2024/09/07/funf-brote-und-zwei-fische-speisung-der-funftausend/
Source: Horst Heller
Source URL: https://horstheller.wordpress.com
Date: September 7, 2024 at 05:56AM
Feedly Board(s): Religion