Fünf Jahre Corona: Warum das Märchen “Die Schulen sind keine Treiber der Pandemie” so fatal ist – eine Analyse

DÜSSELDORF. „Die Schulschließungen waren ein Fehler!“ Diese Behauptung wird den Bürgerinnen und Bürgern in diesen Tagen, in denen sich der Ausbruch der Corona-Pandemie zum fünften Mal jährt, geradezu eingehämmert. Das Fatale an dieser populistischen Botschaft: Über die damals gebotenen Schutzmaßnahmen in Schulen spricht kein Mensch mehr – das kann noch böse Folgen haben. Eine Analyse von News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek.

News4teachers-Herausgeber Andrej Priboschek in der ehemaligen Staatskanzlei von Nordrhein-Westfalen, wo Entscheidungen über Schulschließungen getroffen wurden. Mittlerweile ist der Ministerpräsident in ein Gebäude am Rheinufer umgezogen. Foto: Tina Umlauf

„Kinder sind keine Treiber der Pandemie“ – dieser Satz, so wissenschaftlich falsch er in Bezug auf Corona war und ist, dröhnt derzeit (fünf Jahre nach Beginn der Pandemie) wieder auf vielen Kanälen, zuletzt unwidersprochen in einem Interview mit dem Virologen Klaus Stöhr im WDR-Hörfunk. Die Schlussfolgerung daraus liegt auf der Hand, nämlich: dass die Schulschließungen 2020 und 2021 falsch waren. Denn wenn Kinder das Virus ja gar nicht weiterverbreiteten, wie der Satz nahezulegen scheint, dann hätte die Zusammenkunft von über elf Millionen jungen Menschen in der täglichen Großveranstaltung Schule ja niemandem geschadet.

Und tatsächlich wird diese Botschaft den Bürgerinnen und Bürgern in diesen Tagen geradezu eingehämmert. Im Rückblick sei klar, dass Schulen und Kitas nicht in dieser Weise so lange hätten geschlossen werden müssen, befand etwa der damalige NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) vergangene Woche. Er sei grundsätzlich für vorsichtiges Abwägen bei Grundrechtseinschränkungen gewesen. Das sei aber damals nicht populär und in den Ministerpräsidentenkonferenzen nicht mehrheitsfähig gewesen. „Populär war: Verbieten, schließen, strikt sein, weil viele Menschen auch Angst hatten.“

„Man hat die Kinder auch dann noch weggesperrt, als geimpfte Rentner schon lange wieder munter unterwegs waren“

Die „Bild“-Zeitung, ohnehin stets auf der Seite aller Schutzverächter, behauptet: „Schulen waren keine Viren-Herde.“ Das meinen auch die organisierten Kinderärzte, die – entgegen den damaligen Empfehlungen des eigentlich federführenden, aber politisch massiv unter Druck stehenden Robert-Koch-Instituts – schon im Juni 2020 alle Schutzmaßnahmen in Schulen hatten streichen wollen. Der hessische Landesvorsitzende des Berufsverbands der Kinderärzte BVKJ, Dr. med. Ralf Moebus, erklärt: „Damals wurden viele Fehler gemacht.“ Das anfängliche Argument, Kinder würden das Virus verbreiten, habe sich bald als falsch herausgestellt. Aber niemand habe darauf reagiert: „Man hat die Kinder auch dann noch weggesperrt, als geimpfte Rentner schon lange wieder munter unterwegs waren.“

Letzteres mag stimmen. Dass allerdings Kinder Corona nicht weiterbreiten würden – ist ein Märchen. Der Virologe Prof. Christian Drosten betonte bereits vor zwei Jahren in einem gemeinsamen „Spiegel“-Interview mit Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): „Die Wissenschaft zu diesem Thema ist seit zweieinhalb Jahren klar. Schon 2020 sah man in England, dass Kinder so häufig wie Erwachsene infiziert sind. Noch früher hatten wir unsere Viruslaststudie gemacht… (mit der Drosten im April 2020 gezeigt hatte, dass Kinder ähnlich viel Virus im Rachen tragen wie Erwachsene, d. Red.). Über diese Studie wurde damals zwar viel Unsinn geschrieben, aber wir haben einfach weitergemacht mit unserer Wissenschaft und die Studie später in »Science« publiziert. Die ist jetzt ein internationaler Meilenstein, und ihr Ergebnis unterdessen vielfach bestätigt worden.“

Übrigens auch von der Praxis. Erzieherinnen und Erzieher waren – neben den Angehörigen der Gesundheitsberufe – die am meisten von Corona-Infektionen betroffene Berufsgruppe, wie Krankenkassendaten belegen. Und die Betroffenen werden sich kaum auf fröhlichen Betriebsfeiern nach Dienstschluss angesteckt haben. Dass von Lehrkräften keine solche gesammelten Daten existieren, liegt schlicht daran, dass die meisten von ihnen individuell privat versichert sind. Und die Diensherren, die Kultusministerinnen und Kultusminister, wollten es niemals so ganz genau wissen – das Ansteckungsrisiko der ihnen anvertrauten  Lehrerinnen und Lehrern wurde von ihnen nie erhoben.

„Wir hatten auch in der Corona-Pandemie schon Evidenz, dass dort, wo Schulen geschlossen waren, sowohl die Infektions- als auch die Mortalitätsraten runtergegangen sind.”

Kurz: Kinder, die aufgrund ihres besseren Immunsystems eine Infektion in der Regel gut überstehen, übertragen das Coronavirus genauso wie Erwachsene. Sie können also sehr wohl „Treiber der Pandemie sein“ (wie jeder erwachsene Infizierte auch). Wären die Schulen nicht zeitweilig für den Präsenzbetrieb geschlossen gewesen – hätte das Virus dann in den Klassenzimmern ungebremst zirkulieren können und wäre von dort in die Familien getragen worden, wo womöglich vulnerable Angehörige angesteckt worden wären. Die Schulschließungen, die nachweislich einen starken Effekt auf das Infektionsgeschehen hatten, haben deshalb wahrscheinlich Zehntausenden von Menschen in Deutschland das Leben gerettet.

„Wir hatten auch in der Corona-Pandemie schon Evidenz, dass dort, wo Schulen geschlossen waren, sowohl die Infektions- als auch die Mortalitätsraten runtergegangen sind”, bestätigt Prof. Olaf Köller, Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz, heute gegenüber dem NDR.

Die Ärztin und Epidemiologin Berit Lange vom Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung kommt in einer Beobachtungsstudie mit Daten von März 2020 bis April 2022 zu dem Ergebnis: Bei geöffneten Schulen war das Risiko, infiziert zu werden, für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte größer als für den Rest der Bevölkerung. In der Omikron-Welle Anfang 2022 hätten sie rund 20 Prozent zu den Gesamtinfektionen beigetragen – aber nur zwei Prozent, als die Schulen geschlossen waren.

„Die allermeisten Studien zeigen, dass die Schließung von Schulen einen Effekt hatte auf die Transmission“, sagt dem NDR-Bericht zufolge auch Prof. Lars Schaade, heutiger Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI). „Aber die Frage ist: Wollen wir Schulen schließen? Ist es uns das wert? Oder wollen wir lieber einen anderen gesellschaftlichen Bereich schließen?”

Denn wahr ist auch, dass Kinder und Jugendliche stark unter den Einschränkungen gelitten haben. Eine aktuelle Untersuchung des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung etwa belegt, dass sich durch Corona mentale Gesundheit, körperliche Aktivität und das allgemeine Wohlbefinden von Schülerinnen und Schülern verschlechtert haben. Während der Pandemie kam es demzufolge zu einem deutlichen Anstieg von Angstsymptomen und Depressionen bei Heranwachsenden. Vor allem in der Pubertät nahm die Häufigkeit deutlich zu. Die tägliche Bewegungszeit sank im Durchschnitt um 48 Minuten. „Eine Normalisierung lässt sich bis heute nicht feststellen“, heißt es in dem Bericht.

Daraus aber zu schließen, dass die Schulen folgenlos hätten offenbleiben können – ist so populistisch wie falsch. Gesundheitsminister Lauterbach dazu: „Psychologen, Pädagogen und Kinderinfektiologen haben vor allem gesagt, dass die Schulschließungen keinen Sinn ergäben, weil die Kinder nicht ansteckend seien. Ich kann mich nicht erinnern, dass sich jemand da hingestellt und gesagt hätte: Ja, wir werden viele Infektionen an der Schule haben, aber das können wir kompensieren, indem wir stärker auf digitales Lernen, Abstand, Wechselunterricht und Luftfilter setzen. Die Stimmen, die eine Ansteckungsgefahr durch Kinder anerkannt haben und sich trotzdem gegen Schulschließungen ausgesprochen haben, waren nicht laut genug.“

Solche Stimmen gab es aber – aus der Wissenschaft und aus der Lehrerschaft. Schutzkonzepte, die zum Beispiel Plexiglaswände auf Schultischen und Luftfilter in allen Klassenräumen vorsahen, wurden entwickelt. Davon wollte nur kaum jemand etwas hören, weder Medien noch Politik. Die Betroffenen schon: News4teachers, das als einziges Nachrichtenmagazin in Deutschland tagesaktuell kritisch über den ignoranten und hochriskanten Kurs der Kultusministerinnen und Kultusminister (die früh auf offene Schulen drängten) berichtete, versechzehnfachte seine Leserschaft in dieser Zeit.

Gilt nach fünf Jahren nun: Ende gut, alles gut? Mitnichten. Denn das Narrativ „Schulen sind keine Treiber der Pandemie“ wirkt weiter. Was passiert, wenn in den nächsten Jahren eine neue Seuche durch Deutschland läuft, ist absehbar: Schulen werden schutzlos offengehalten – koste es, was es wolle. News4teachers

Bundeskanzler hält “harte” Schulschließungen während Corona im Nachhinein für falsch

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Date: March 17, 2025 at 07:11PM
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