Gefahr durch Soziale Medien: Forscher fordert strengere Regeln und mehr Forschung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen

EIn Mädchen mit angezogenen Knien blickt unzufrieden auf ihr Handy.

ULM. Sozialwissenschaftler und Psychologen warnen vor den Risiken übermäßiger Social-Media-Nutzung bei Jugendlichen. Empfehlungen umfassen strikte Regeln für Eltern und Schulen. EU-Strafgelder sollen zur Finanzierung von PMSU-Studien herangezogen werden.

Die übermäßige Nutzung Sozialer Medien kann krank machen und das Wohlbefinden verschlechtern. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen hat ein internationales Forschungsteam unter der Koordination des Ulmer Psychologen Christian Montag Empfehlungen zur Social Media-Nutzung formuliert. Die Forscherinnen und Forscher raten zu einem Verzicht der Handynutzung während des gesamten Schultages. Außerdem fordert Montag die Finanzierung weiterer Forschung zum Thema Problematic Social Media Use (PSMU), finanziert aus EU-Strafgeldern von Digitalkonzernen, die gegen den EU Digital Services Act verstoßen.

EIn Mädchen mit angezogenen Knien blickt unzufrieden auf ihr Handy.
In der Forschung wird aktuell diskutiert, inwieweit die Symptome der Computerspielsucht (Gaming Disorder) auf den Bereich der exzessiven Social Media-Nutzung übertragen werden können. Foto: Shutterstock

„Social Media gehört nicht in die Hände von Kindern und jungen Heranwachsenden! Kein eigener Account vor dem 13. Lebensjahr!“ Das empfiehlt ein internationales Team aus Sozialwissenschaften, Psychologie und Psychiatrie in einem sogenannten Konsenspapier eines Fachjournals für Suchterkrankungen. Die Eltern sollten mit ihren Kindern detaillierte Regelungen für die Nutzung von Social Media Apps wie Youtube, TikTok, Snapchat, Instagram und Co. festlegen, und das bereits vor dem ersten Gebrauch. Außerdem müssten Väter und Mütter hier Vorbild sein und mit gutem Beispiel vorangehen.

In dem Beitrag sprechen sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Deutschland, England, den Niederlanden, Ungarn und den USA außerdem für verbindliche Regelungen in der Schule aus. Die Lehrkräfte sollten in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten, am besten unter Beteiligung der Schülerinnen und Schüler, verbindliche Richtlinien für die Nutzung von Smartphones in der schulischen Umgebung aufstellen, die dann sowohl für die Schüler- als auch die Lehrerschaft gelten. Am besten wäre es nach Ansicht der Verfasserinnen und Verfasser des Konsenspapiers, wenn Kinder und Jugendliche während des gesamten Schultages auf die Nutzung des Smartphones verzichten würden.

„Ein verantwortungsvoller Umgang mit diesem anspruchsvollen Thema muss evidenzbasiert sein. Wir brauchen Regeln, die auf wissenschaftlicher Erkenntnis basieren, und es ist zweifelsohne mehr Forschung nötig“, erklärt Christian Montag. Die Fragen rund um die sozialen Medien seien aber drängend, und es gebe bereits Einiges an Erkenntnissen.
In ihrem Beitrag haben die Forscherinnen und Forscher Ergebnisse aus der Medienpsychologie, Suchtforschung und Psychiatrie zusammengeführt, die den aktuellen Stand der PMSU-Forschung zusammenfassen.

Dass die problematische Nutzung Sozialer Medien (PMSU), so der Begriff für einen übermäßigen und gesundheitsgefährdenden Social Media-Gebrauch, suchtähnliche Formen annehmen kann, gilt in der Wissenschaft als gesichert. Auch wenn eine suchtähnliche Social Media-Nutzung noch keine offizielle Diagnose im ICD-11 der Weltgesundheitsbehörde darstellt, wird aktuell diskutiert, inwieweit die Symptome der anerkannten Computerspielsucht (Gaming Disorder) auf den Bereich der exzessiven Social Media-Nutzung übertragen werden könnten. Kinder- und Jugendliche mit PSMU neigen verstärkt zu Depressionen und Angstzuständen. Beobachtet würden außerdem vermehrt Essstörungen und Selbstverletzungen. Dazu kommen emotionale und soziale Störungen sowie eine problematische Körperwahrnehmung.

Manche Kinder und Jugendliche sind besonders anfällig.
Warum können die einen das Smartphone nicht mehr aus der Hand legen und andere brauchen weder TikTok noch Youtube? „Nicht alle jungen Menschen sind gleichermaßen anfällig für eine problematische Social Media-Nutzung. Besonders hoch ist das Risiko bei jungen Heranwachsenden. Mädchen sind möglicherweise anfälliger als Jungen“, erläutert Montag, aber es gebe auch aktuelle Zahlen, die zeigten, dass sich die Geschlechterverhältnisse angleichen. Überdurchschnittlich stark betroffen seien Jugendliche, die emotional labil sind, die wenig Selbstbewusstsein und Selbstkontrolle haben und dafür psychosoziale Probleme haben. Situative und kontextuelle Faktoren spielten aber ebenso hinein: Eine zentrale Frage in diesem Zusammenhang sei stets, ob es klare Regeln und verbindliche Richtlinien für den Umgang mit Social Media von Seiten des Elternhauses und von Seiten der Schule gebe.

Warum junge Menschen so häufig zum Smartphone greifen und Social Media Content konsumieren, wurde auch hinterfragt. So wird vermutet, dass tiefergehende psychologische und soziale Mechanismen greifen. „Möglicherweise werden negative Gefühle reguliert und nicht erfüllte Bedürfnisse kompensiert. Schließlich geht es um Zugehörigkeitsgefühle, um Anerkennung und Bewunderung sowie nicht zuletzt um die Angst, etwas zu verpassen“, erklären die Forscher. Von FOMO ist die Rede, der Fear of Missing Out, aber ebenso von Freunden, die man in Sozialen Medien trifft und Freundschaften, die man dort findet.

„Eine problematische Social Media-Nutzung ist aktuell noch nicht als Suchterkrankung anerkannt. Trotzdem ist es wichtig, herauszufinden, welche Faktoren diesem exzessiven Onlineverhalten zugrunde liegen. Nicht zuletzt, um problematisches Verhalten einzuschränken und geeignete Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Die für mich wichtigste Frage scheint zu sein: Wie weit gehen bei einer problematischen Social Media-Nutzung die funktionellen Beeinträchtigungen und gesundheitlichen Probleme?“, so der Ulmer Wissenschaftler.

Doch noch immer gebe es gravierende Forschungslücken. Insbesondere bestehe großer neurowissenschaftlicher Forschungsbedarf, um mehr Einsichten über die Neurobiologie im Kontext der Social Media-Nutzung zu bekommen. Was geschieht mit den Gehirnen von Jugendlichen, wenn sie Social Media-Angebote exzessiv nutzen?

EU-Strafgelder für die Forschung nutzen
Weil Kinder und Jugendliche über Soziale Medien oft mit nicht altersgerechten Inhalten konfrontiert werden, wie zum Beispiel Pornografie und Gewaltdarstellungen, gefährden diese ihre gesunde Entwicklung. In einem weiteren Forschungsbeitrag, an dem der Ulmer Psychologe ebenfalls maßgeblich beteiligt war, begrüßen die Autorinnen und Autoren ausdrücklich die Initiative der Europäischen Union zur Regulierung digitaler Dienste und Märkte. Das `EU Digital Services Act´- Paket schafft eine wirksame rechtsverbindliche Grundlage zur Regulierung von Social Media-Plattformen – für einen verantwortungsvollen Umgang.

Ein weiterer Vorschlag von Christian Montag hat es bis in die hoch angesehene Fachzeitschrift „Nature“ geschafft. Gemeinsam mit Benjamin Becker von der Universität Hongkong beschreibt Montag, wie unabhängige, interdisziplinäre Forschung zum Thema PSMU in größerem Umfang finanziert werden könnte: mit Geldern aus Strafen von Konzernen, die gegen den EU Digital Services Act verstoßen. (zab, pm)

Das Konsenspapier ist in der Fachzeitschrift Addictive Behaviors veröffentlicht.
Originalpublikation: Christian Montag, Zsolt Demetrovics, Jon D. Elhai, Don Grant, Ina Koning, Hans-Jürgen Rumpf, Marcantonio M. Spada, Melina Throuvala, Regina van den Eijnden: Problematic social media use in childhood and adolescence; in: Addictive Behaviors, Volume 153, June 2024, 107980

Social Media-Studie: Suchtfaktor für Kinder (auch nach Corona) weiterhin hoch


Title: Gefahr durch Soziale Medien: Forscher fordert strengere Regeln und mehr Forschung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen
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Source: News4teachers
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Date: June 9, 2024 at 07:42AM
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