Gewalt an der Schule: „In den Pausen demütigen sich Schüler auf den Toiletten, alles wird gefilmt” – eine Lehrerin berichtet

DÜSSELDORF. Die Gewalt an Schulen nimmt zu – seit den Jahren mit Corona-bedingten Schulschließungen jedenfalls. Statistisch gesehen hat die Anzahl der physischen Gewalttaten das Niveau der Vor-Pandemie-Jahre bislang nicht wieder erreicht. Das heißt aber nicht, dass sich Probleme nicht ballen können. Eine Lehrerin, die 15 Jahre an einer Brennpunktschule in Nordrhein-Westfalen unterrichtete, berichtet nun in einem eindringlichen Interview, was das vor Ort für sie bedeutete. Sie beschreibt eine Umgebung, in der Gewalt und Respektlosigkeit zunehmend alltäglich werden.  

Viele Lehrkräfte beobachten regelmäßig Gewalt in der Schule (Symbolfoto). Foto: Shutterstock

Mehr als die Hälfte der Lehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen hat den Eindruck, dass psychische Gewalt und Formen des Mobbings unter Schülerinnen und Schülern nach der Pandemie zugenommen haben. 44 Prozent sehen auch eine Zunahme von körperlicher Gewalt. Das sind Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage, die die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) unlängst vorstellte (News4teachers berichtete). Insbesondere psychische Gewalt wie Beleidigungen und Beschimpfungen sowie Mobbing sei demnach häufig zu beobachten.

Vier von zehn Lehrkräften waren im vergangenen Schuljahr mindestens einmal pro Woche mit psychischer Gewalt unter Schülerinnen und Schülern persönlich befasst, drei von zehn mit körperlicher Gewalt – beispielsweise, weil der Vorfall in ihrem Unterricht oder während ihrer Aufsicht passiert ist oder sie als Klassen- oder Vertrauenslehrerin oder -lehrer hinzugezogen wurden.

„Eltern störender und leistungsunwilliger Kinder erfinden haltlose Vorwürfe und beschweren sich über Lehrkräfte, um sie schachmatt zu setzen“

Wie das in der Praxis einer Brennpunktschule konkret aussehen kann, macht Birgit Ebel, Lehrerin in Nordrhein-Westfalen, aktuell in einem eindringlichen Interview mit dem „Fokus“ deutlich. Ebel berichtet von einem hohen Anteil an Schülern mit Migrationshintergrund und sozial schwachem Hintergrund, die aus krisengeschüttelten Regionen stammen. Diese Lebensumstände sieht sie als Faktor für den zunehmenden Druck und die Konflikte im Schulumfeld, der sich zunehmend entlädt.

„Das System fällt uns auf die Füße“, sagt Ebel und spricht von einer Eskalation von Gewalt und Aggression. An ihrer ehemaligen Schule, einer Gesamtschule, an der sie 15 Jahre lang arbeitete, hätten 80 bis 90 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund, viele von ihnen aus Ländern wie Irak, Syrien, Türkei, Afghanistan und Russland. „Der Zusammenhang lässt sich aus meiner Sicht nicht leugnen. Aber kaum jemand traut sich, das offen auszusprechen“, erklärt die Pädagogin.

Vor allem unter männlichen Jugendlichen sieht Ebel ein Problem: „Da geht es eher darum, wer am schnellsten zuschlägt oder zutritt. Und dafür wird man dann von den anderen sogar noch gefeiert.“ Sie beobachtet, dass diese Jungen oft Kampfsport betrieben und der physische Wettkampf eine große Rolle spiele. Ein „gestählter Körper ist das Nonplusultra“ und Gewalt werde als Lösungsmittel verstanden, was sie auf die kulturellen Prägungen der Schüler zurückführt.

Als besonders problematisch schildert Ebel die Erfahrungen von Lehrerinnen, die oft massiven Beleidigungen und Bedrohungen ausgesetzt seien, während ihre männlichen Kollegen tendenziell respektierter würden. Die Schüler würden sie in sexualisierter Fäkalsprache beschimpfen, wobei Formulierungen wie „Du alte Hurentochter“ oder „Ich stecke Dich mit Aids an“ zu hören seien.

In einer offenen, oft provokanten Haltung würden die Jugendlichen auch politisch aufgeladene Parolen wie „Allahu akbar“, „Nazi Hitler“ oder „Hamas! Hamas!“ verwenden. Nach Ebel ist der Schulfrieden so ständig gefährdet, da sich Konflikte aus dem persönlichen Umfeld und politische Spannungen unter den Schülern fortsetzen.

Die Lehrerin berichtet von gravierenden Vorfällen, die die Gewaltschwelle an dieser Schule dokumentieren. So seien ihr offen Prügel angedroht worden, als sie mit einem Schüler in Konflikt geriet. Ein Junge aus Albanien habe ihr nach einem Disput gesagt: „Ich ziehe Dir eine Faust!“ Als sie den Täter zur Schulleitung bringen wollte, habe er nur höhnisch gelacht. Der Vorfall setzte Lehrerin Ebel zu. Sie wurde mehrere Tage krankgeschrieben. Zwar stellte sie Strafanzeige, doch die Ermittlungen gegen den Jugendlichen wurden eingestellt.

Auch im Schulgebäude selbst werde Gewalt zunehmend enthemmt ausgelebt. Ein Video, das an ihrer ehemaligen Schule entstand und sich in sozialen Medien verbreitete, zeigt laut Ebel, wie vier Jungen im Beisein einer Lehrerin einen Mitschüler bedrängen, ihn umringen und mit Schlägen und Tritten traktieren. „Kein Mitschüler kommt zu Hilfe“, beschreibt Ebel die Szene, die exemplarisch für eine „systematische Zunahme gewaltorientierten Verhaltens“ an der Schule stehe.

Lehrkräfte würden dabei oft selbst Ziel von Aggressionen. So seien fünf Lehrkräfte bei einem Versuch, eine Massenschlägerei zu beenden, selbst zu Boden gestoßen worden, und eine schwangere Kollegin habe sogar einen Schlag in den Magen bekommen.

Ebel setzt sich seit Jahren gegen radikalislamische Tendenzen ein, hat dafür eigens eine Initiative gegründet („extremdagegen‘“). Dafür stößt sie nach eigenen Aussagen bei manchen Schülern und Eltern auf Feindseligkeit. „Man will uns maßregeln und offenbar mundtot machen“, äußert sich die Lehrerin frustriert und berichtet von Situationen, in denen sie sich gegen falsche Beschuldigungen verteidigen musste. „Eltern störender und leistungsunwilliger Kinder erfinden haltlose Vorwürfe und beschweren sich über Lehrkräfte, um sie schachmatt zu setzen.“ Ein Zweizeiler genüge, und schon müsse man sich schriftlich rechtfertigen. Sie selbst habe sich bereits mit der Hilfe von Rechtsanwälten gegen solche Anwürfe wehren müssen. „Nie hat sich eine Beschwerde bestätigt.“

Die Gesamtschule als Schulform sieht sie ebenfalls als überfordert an. „Gymnasien, Realschulen und Hauptschulen können inzwischen problematische und leistungsschwache Kinder an Gesamtschulen abschieben“, kritisiert sie. Der resultierende „Brennpunktstatus“ sei eine direkte Folge dieser Entlastung anderer Schulformen zulasten der Gesamtschulen.

Sie erinnert sich an ein besonders schwieriges Jahr, als 28 gescheiterte Schüler aus anderen Schulen in ihre Klasse aufgenommen wurden und fast jede Unterrichtsstunde zur Herausforderung machten. „Das waren durchweg Verlierer, überall gescheitert. Und dann kamen sie zu uns wie auf eine Resterampe.“ Es sei ihr bis dahin schlimmstes Jahr als Lehrerin gewesen, sie habe „nicht eine einzige normale Unterrichtsstunde“ halten können, schimpft Ebel. Der Großteil der 18 Jungen sei „total enthemmt“, die 10 Mädchen „sehr leistungsschwach“ gewesen. Die Atmosphäre in der Klasse – für die Lehrerin ein Albtraum. „Die haben Sachen durch den Raum geworfen und mit Wasser rumgespritzt. Die Schüler saßen auf den Fensterbänken oder sind einfach rumgelaufen. Einmal haben sie mir die Tür vor den Kopf geknallt, ein anderes Mal einen Stuhl auf den Fuß geworfen.“

Auf einer Klassenfahrt seien vier der neuen Jungs „völlig ausgetickt“, erzählt die Lehrerin. „Einer war tschetschenisch, einer türkisch, einer kurdisch, einer russischstämmig.“ Auf einem Parkplatz im Zielort hätten sie andere Kinder überfallen und die Herausgabe von Handys erpresst. Sie gingen in ein Waffengeschäft und drangen in Dusch- und Schlafräume der Mädchen ein. „Die mitgefahrenen Lehrer konnten die Jungs kaum im Zaum halten“, erzählt Ebel.

„In den Pausen demütigen sich Schüler auf den Toiletten, einer muss dem anderen die Füße küssen oder wird geschlagen, alles wird gefilmt“

Zusätzlich sieht Ebel ein wachsendes Problem in der Nutzung von Smartphones an Schulen. Sie fordert ein generelles Verbot, da diese Geräte nicht nur zur Verbreitung von Gewaltakten verwendet würden, sondern auch gezielt zur Dokumentation und Demütigung von Mitschülern eingesetzt würden. „In den Pausen demütigen sich Schüler auf den Toiletten, einer muss dem anderen die Füße küssen oder wird geschlagen, alles wird gefilmt“, so beschreibt Ebel einen Teufelskreis, der die Gewaltspirale weiter antreibe.

Ebel plädiert dafür, die Schulen stärker zu unterstützen und präventive Maßnahmen zu ergreifen, um die eskalierenden Zustände in den Griff zu bekommen. Neben einem Handyverbot sieht sie auch eine deutliche Begrenzung des Anteils an Kindern mit Migrationshintergrund an Schulen als notwendig an. „Ich bin dafür, dass an jeder Schule höchsten 35 Prozent migrantische Kinder sein dürfen“, sagt sie. Sie ist überzeugt, dass dies den Umgang mit Gewalt in Schulen erleichtern würde und zu einem geregelteren Schulalltag führen könnte.

Abschließend warnt Ebel, dass die zunehmende Gewalt und die sinkende Leistungsbereitschaft der Schüler langfristig die Bildung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland gefährden. „Die Pisa-Studien zeigen, dass es immer weiter bergab geht. Da haben wir unheimlich viel verloren, das lässt sich so schnell nicht wieder aufholen“, sagt sie. Trotz ihrer langjährigen Bemühungen und ihres Engagements für Schüler und Bildungssystem, zeichnet sie ein düsteres Bild der aktuellen Situation und fordert konkrete Schritte, um das Klima an deutschen Schulen zu verbessern und langfristig zu stabilisieren.

Bedrohungen, Racheaktionen (einmal zerkratzen Schüler ihr Auto), Einschüchterungsversuche, Beleidigungen – all das habe sie schon hinter sich, sagt Ebel. Wenn sie die Vorfälle der Schulleitung meldete oder polizeilich anzeigte, sei dies in der Regel folgenlos geblieben.

Zur Einordnung: Die Zahl der „gewaltbedingten Schülerunfälle“ ist 2023 der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) zufolge im Vergleich zum Vorjahr bundesweit zwar um rund 11.000 auf knapp 65.000 gestiegen. Das Gewaltniveau lag damit allerdings immer noch unter dem Wert vor der Pandemie (2019: knapp 73.000. Schwere Verletzungen wie Frakturen als Folge gewaltbedingter Unfälle seien selten, hieß es. Die DGUV spricht von einem „langjährigen Trend rückläufiger Unfallzahlen“. Psychische Gewalt werde von den Daten allerdings nicht erfasst. News4teachers

Mehr Gewalt an Schulen (auch gegen Lehrkräfte): CDU bringt Absenkung der Grenze zur Strafmündigkeit ins Gespräch

Der Beitrag Gewalt an der Schule: „In den Pausen demütigen sich Schüler auf den Toiletten, alles wird gefilmt” – eine Lehrerin berichtet erschien zuerst auf News4teachers.


Title: Gewalt an der Schule: „In den Pausen demütigen sich Schüler auf den Toiletten, alles wird gefilmt” – eine Lehrerin berichtet
URL: https://www.news4teachers.de/2024/11/gewalt-an-der-schule-in-den-pausen-demuetigen-sich-schueler-auf-den-toiletten-alles-wird-gefilmt-eine-lehrerin-berichtet/
Source: News4teachers
Source URL: https://www.news4teachers.de/
Date: November 4, 2024 at 02:15PM
Feedly Board(s): Schule