Gewalt und Sinn – Die #LaTdH vom 25. August

Religiös legitimierte Gewalt steht in Solingen und in Frankreich erneut im Fokus. Außerdem: Staatsleistungen an die Kirchen kappen, Religionsfreiheit in der Ukraine und Garnisonkirche in Potsdam.

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Anlässlich des „Internationalen Tages zum Gedenken an die Opfer von Gewalttaten aus Gründen der Religion oder der Weltanschauung“ der Vereinten Nationen haben KirchenvertreterInnen zur Solidarität mit „den Opfern religiöser Verfolgung aufgerufen“, berichtet der epd. Auch wenn es in der kurzen Meldung vor allem um islamistischen Terror in der Sahel-Zone und das Schicksal der Jesiden geht, warnt der Vize-Präsident von Missio Aachen, Gregor von Fürstenberg: „Der politische Missbrauch von Religion für ideologisch motivierte Gewalt ist ein zunehmendes Problem weltweit“, das gelte auch für Europa und Deutschland.

An diesem Wochenende beschäftigt viele Menschen der Anschlag in Solingen, den inzwischen die Terrororganisation Islamischer Staat für sich reklamiert. Bei einem Messerangriff wurden drei Menschen getötet, acht verletzt. Mehrere von ihnen schweben noch in Lebensgefahr. Inzwischen hat die Polizei einen dringend tatverdächtigen Mann festgenommen. Der aus Syrien stammende Mann soll 2022 in Deutschland Asyl beantragt haben und in der Flüchtlingsunterkunft gelebt haben, in der es einen Großeinsatz der Polizei gegeben hat. Begleitet wurden die sehr zügigen Ermittlungen der Polizei von einem Sturm an Falschmeldungen und Hetze gegenüber Migrant:innen. Am Samstagabend sprachen Vertreter:innen der Kirchen vor Ort bei einer Andacht in der Stadt.

Währenddessen gab es auch im südfranzösischen La Grande-Motte einen Anschlag: Mit mehreren Brandsätzen sollte offenbar eine Synagoge in Brand gesetzt werden. Polizei und Politiker:innen sprechen von einem „Terrorakt“, der sich gegen die jüdische Gemeinschaft gerichtet habe. Erinnerungen an den Anschlag von Halle (Saale) werden wach, auch wenn der Täter von La Grande-Motte, den Angaben der Polizei nach, vermutlich einen palästinensischen Hintergrund hat. In Frankreich (und ganz Europa) ist die Zahl antisemitischer Straftaten seit dem 7. Oktober massiv angestiegen: „Nach Angaben des jüdischen Dachverbands Crif hat sich die Zahl solcher Taten [in Frankreich] innerhalb eines Jahres von 436 auf knapp 1.700 nahezu vervierfacht.“

Auch wenn der UN-Gedenktag in Deutschland weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung begangen wird, ist doch klar: Religionen spielen sowohl als Brand- als auch als Friedensstifter in den Konflikten und Kriegen unserer Zeit eine maßgebliche Rolle. Religiöse Gewalt richtet sich gegen Andersgläubige und jene, die sich von religiöser Bevormundung und Diskriminierung frei machen wollen, wie z.B. im Iran. Religions- und Gewissensfreiheit müssen in der Demokratie Hand in Hand gehen.

Es gehört wenig Phantasie dazu, in Deutschland diesbezüglich paradiesische Zustände zu erkennen: Nirgendwo sonst auf der Welt nehmen Religionsgemeinschaften so priviligiert und zugleich durch Staat, Politik und Zivilgesellschaft ihrer gewalttätigen Spitzen beraubt an der Gestaltung des öffentlichen Lebens teil. Die zahlreichen Probleme der Kirchen und Religionsgemeinschaften, ihre Bemühungen um eine erquickliche Zukunft, werden vor dem Hintergrund einer weitgehend befriedeten Religionslandschaft ausgehandelt.

Zugleich werden Jüdinnen und Juden und Muslime auch in Deutschland immer wieder an der freien Religionsausübung gehindert. Das sollte uns mehr als ein Warnzeichen sein. Die einmal errungene Glaubens- und Gewissensfreiheit kann auch wieder verloren gehen. Wir können es nur selbst verbocken.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Angesichts der neuesten Nachrichten zu den Finanzen der Kirchen in Deutschland muss ich unweigerlich an das schöne Kinderlied „Wenn der Topf aber nun ein Loch hat“ denken (hier in Janoschs Traumstunde auf YouTube). Darin empfiehlt der liebe Heinrich der lieben Liese, das (Etat-)Loch doch mit Stroh zu stopfen. Gerade für die Kirchen im Osten der Republik, die notorisch klamm sind, aber an Kirchen und Kirchenland vergleichsweise reich, vermutlich eine der wenigen validen Optionen, sollten dereinst Kirchensteuer (+ Finanzausgleich der EKD) und Staatsleistungen versiegen.

Vor den Sommerferien hatte ich hier in den #LaTdH bereits vom Milliardenloch der württembergischen Landeskirche (ELKWUE) geschrieben. Damit die Kirchenbeamt:innen im Südwesten im Alter nicht hungern müssen, muss in den nächsten Jahren noch 1 Milliarde Euro zusammengespart werden. Dazu hat sich die Kirchenleitung noch einmal ausführlich bekannt. In der FAZ (€) sah seitdem auch Reinhard Bingener die Kirchen unter „Sparzwang“, wenngleich die Löcher anderswo, wo auch die Töpfe nicht so groß sind, natürlich ungleich kleiner ausfallen.

Bingener erwähnt zum Beispiel die Fusionsüberlegungen in der Evangelischen Landeskirche Anhalts, die noch ca. 25.000 Mitglieder zählt, und aufgrund ihrer Minigröße auch als „Kirchenkreis Dessau“ verspottet wird. Wie man allerdings zwischen Dessau und Köthen noch mehr Geld einsparen soll, will mir nicht recht aufgehen. Die Strukturen sind schon nicht mehr schlank, sondern mager. Anders sieht es bei den von Bingener ebenfalls betrachteten Landeskirchen im Rheinland, in Bayern, in Hessen und Nassau und eben in Württemberg aus. Ans Sparen muss man sich in den teppichgeflurten Hallen der altbundesrepublikanischen Kirchenämter erst noch gewöhnen. Mehr noch als eine Frage nach den konkreten Zahlen ist das Kleinerwerden eine Mentalitätsfrage, die am Selbstverständnis der Kirchenapparate zerrt, die in den vergangenen 50 Jahren beispiellos angeschwollen sind.

Sparpotential gibt es in den evangelischen Landeskirchen, deren Haushalte zu ca. 60 % Personalkosten umfassen, vor allem bei der Besoldung und der Menge der Beschäftigten. Passender Weise gibt es für das Pfarramt auch ein Nachwuchsproblem. Inzwischen nehmen sich auch westdeutsche Landeskirchen zunehmend ein Beispiel an den ostdeutschen Landeskirchen, bei denen die Besoldung der Pfarrer:innen sich nicht mehr 1 zu 1 an der von Landesbeamt:innen orientiert und insgesamt weniger üppig ausfällt. Außerdem will man – nicht nur im Südwesten – gut die Hälfte der kirchlichen Gebäude loswerden (was auch die Klimabilanz der Kirchen enorm verbessern wird).

In diese Gemengelage hinein kommt nun die Meldung, dass die ReligionspolitikerInnen der Ampel-Fraktionen doch noch an einem Gesetz zur Ablösung der Staatsleistungen arbeiten. Jährlich erhalten die Kirchen ca. 600 Millionen Euro aus alten Verpflichtungen – und zwar von den Bundesländern. Die haben aber weder Geld noch den politischen Willen, die Leistungen abzulösen, weshalb das ganze Vorhaben, trotz gelegentlicher Debattenbeiträge, ziemlich perspektivlos ist. Zuletzt haben wir das Thema hier in den #LaTdH im Frühjahr 2023 für berichtenswert gehalten.

Auch jetzt halten, wie Reinhard Bingener berichtet, Verantwortliche in den Kirchen die Bemühungen für „ein totgeborenes Kind“. Mit diesem transgressivem Sprachbild wollte sich aber offenbar niemand zitieren lassen. Deutlich wird der SPD-Religionspolitiker Lars Castellucci:

„Es geht darum, die finanziellen Verflechtungen zwischen dem Staat und den Kirchen zu kappen.“ Der SPD-Politiker versichert, er wolle den Kirchen damit keinen Schaden zufügen. Es gehe um eine sauberere Trennung. „Und es wird sicher kein Text, der Ländern abschließend die Form der Ablösung vorschreiben wird“ […]. Die Länder sollten selbst wählen, ob sie den Kirchen Geld zahlen wollen oder ihnen Grundstücke, Wald oder Wertpapiere übertrügen.

Schon länger gibt es dafür finanzmathematische Modelle, die eine allmähliche Ablösung der Staatsleistungen durch zusätzliche Transfers über einen längeren Zeitraum vorsehen. Offen ist, ob auch die erwähnten Einmalzahlungen mit einem festen Faktor eine Option bleiben. Die Idee, den Wegfall der jährlichen Zahlungen an die Kirchen durch eine staatliche Übernahme von Baulasten an historischen Kirchen zu kompensieren, gilt zumindest derzeit als unrealistisch. Dies hätte neue Verquickungen zwischen Staat und Kirche zur Folge und womöglich auch Wünsche anderer Religionsgemeinschaften, dass der Staat auch den Unterhalt ihrer Gebäude übernimmt.

Ein eher vages Gesetz hätte für den Bund noch einen weiteren Vorteil: Die Länder hätten geringere Chancen, das Vorhaben zu stoppen. Das Gesetz soll nämlich nicht den Bundesrat passieren müssen. „Ich bin klar dagegen, das Grundsätzegesetz zustimmungspflichtig auszugestalten“, sagt der SPD-Politiker Castellucci.

Im Kern geht es, wie Corinna Buschow für den epd beim bayerischen Sonntagsblatt zusammenfasst, darum, dass die Ampel-PolitikerInnen ein Gesetz vorlegen wollen, dass dem Verfassungsauftrag gerecht wird, sich um die Ablösung zu kümmern, ohne den Ländern genaue Vorgaben darüber zu machen, wie und wann sie diese anpacken müssen. Vielleicht soll es aber ne Deadline geben. Einem solchen Gesetz müsse dann auch der Bundesrat nicht zustimmen, meint bei Buschow der Münchener Kirchenrechtler Stefan Korioth.

Genau ein Jahr vor dem Ende der letzten Bundestagslegislaturperiode, im Jahre 2020 n. Chr., hatten Politiker:innen der damaligen Oppositionsparteien FDP, Grüne und LINKE bereits einen Entwurf für ein Ablösungsgesetz in den Bundestag eingebracht, für das es aber keine Mehrheit im Hohen Hause gab. Nun ist es wieder nur noch ein Jahr bis zur nächsten Bundestagswahl hin, auch weil die Ampel-Regierung ihrem im Koalitionsvertrag festgehaltenen Versprechen („„Wir schaffen in einem Grundsätzegesetz im Dialog mit den Ländern und den Kirchen einen fairen Rahmen für die Ablösung der Staatsleistungen““) lange nichts Konkretes folgen ließ. Klar, sind ja auch andere Themen vordergründiger und das „Nein!“ aus den Ländern erschallt über alle Parteigrenzen hinweg.

Für die Kirchen aber werden das Zuwarten der Länder und die Untätigkeit mehrerer aufeinanderfolgender Bundesregierungen zunehmend zum Problem. Man bekommt das Geld schon gerne und will sicher auch nicht auf verbürgte Ansprüche verzichten, aber wie Reinhard Bingener schön feststellt:

„[S]ie wissen, dass die gesellschaftliche Akzeptanz der Staatsleistungen gegen null tendiert.“

Was tun?

„Es ist richtig, dass der Bund die Initiative ergreift. Das ist eigentlich überfällig“, erklärt Kirchenrechtler Korioth gegenüber dem epd. Mir begegnen in den Kirchen ständig Verantwortliche, die das Thema lieber vorgestern als erst übermorgen vom Tisch hätten. Von den Ehren- und Hauptamtlichen in der Fläche ganz zu schweigen, die auch ideologisch und staatsbürgerlich kein Verständnis mehr für diese eigentümliche Verquickung von Staat und Kirchen und ihre Blüten haben, wie z.B. die Besoldung von Spitzenpersonal aus Landeshaushalten. Daran können die Kirchen nur im Gespräch mit den Ländern selbst etwas ändern. An regionalen Initiativen aber sehe ich da nichts. Bisher also vor allem eine Traumstunde.

Gleichzeitig ist zumindest im Osten (und hier vor allem in Mitteldeutschland) klar: Ohne EKD-Finanzausgleich und ohne Staatsleistungen ist kein Haushalt zu machen. Ohne Haushalt aber auch keine kirchliche Präsenz „in der Fläche“. Auch davor fürchten sich die Landesregierungen. Denn was die Kirchen für Senior:innen, Dorfgemeinschaften, junge Menschen und andere Randgruppen gerade im ländlichen Raum leisten, das käme den Staat (und alle Steuerzahler:innen) auf anderen Wegen noch teurer zu stehen. Oder würde eben gar nicht mehr geleistet werden, wo es dann keine gesellschaftliche Partikularorganisation wie die Kirche mehr gäbe, die sich Nächstenliebe und Nachbarschaftlichkeit auf die Fahnen schreibt.

nachgefasst I: Garnisonkirche in Potsdam

Im General-Anzeiger der immerhin auch mal preußisch gewesenen Bundesstadt Bonn – und ergänzend auch im Nordkurier – schreibt Benjamin Lassiwe über die Eröffnung des Turms der Potsdamer Garnisonkirche in dieser Woche und den Angang dieses erstaunlichen geschichtspolitischen Projekts. Inmitten der Kontroverse über die verdunkelte Geschichte des Gotteshauses ist der Turm nun vollständig in Betrieb genommen worden. Die dazugehörige Kirche allerdings „steht überhaupt nicht zur Diskussion“. Dazu gebe es beim Bund, beim Land Brandenburg und auch in der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) weder den Willen noch das Geld.

Die Stiftung Garnisonkirche begnügt sich also mit dem Turm – und redet lieber über das, was in dem Bauwerk künftig stattfinden soll: „Wir wollen Friedensarbeit auf der einen Seite und Demokratiebildung auf der anderen Seite machen“, sagt [Pfarrer Jan Kingreen]. „Beides ist gerade vor dem Hintergrund des in Ostdeutschland aufkommenden Rechtsextremismus aktueller als je zuvor.“ Im Erdgeschoss des Turms findet sich eine zu Ostern 2024 eröffnete Kapelle, in der regelmäßig Gottesdienste gefeiert werden. Dort steht auch ein Nagelkreuz aus den Nägeln der im Zweiten Weltkrieg durch deutsche Bomben zerstörten Kathedrale im englischen Coventry: Die Garnisonkirche ist Teil der weltweiten „Nagelkreuzgemeinschaft“, […].

Für die Finanzierung des Vorhabens mitverantwortlich zeichnen private Spender:innen, darunter preußenbegeisterte Revanchisten und Akteure der Neuen Rechten. Seine Kritik an den historisierenden Neubauten als rechte Symbole wiederholte der Architekt und Publizist Philipp Oswalt vor kurzem u.a. im Interview mit der jungle world. Um den laufenden Betrieb – mit immerhin sechs hauptamtlichen Mitarbeiter:innen – zu sichern, darf man nun 12 Euro (ermäßigt 7 Euro) für einen Besuch des „Turmbau zu Potsdam“ berappen.

Im Turm befindet sich auch eine Ausstellung zu „Glaube, Macht und Militär“, die der komplexen Geschichte des Ortes, inklusive des dunklen „Tags von Potsdam“, gerecht werden will. Lassiwes Artikel endet mit dem NS-Propagandabild des Handschlags zwischen dem neugewählten Kanzler Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg. Ihre Geschichte wird die Garnisonkirche nicht los.

Die Entstehung eines rechtsextremen Wallfahrtsortes will man auf jeden Fall vermeiden. Der frühere Linken-Abgeordnete Müller allerdings bleibt skeptisch. „Der Versuch der Stiftung Garnisonkirche, sich vom revanchistischen und teils rechtsextremen Unterstützerkreis des Wiederaufbaus zu trennen, ist richtig, kommt aber spät – in Zeiten des gesellschaftlichen Rechtsrucks vielleicht auch zu spät.“

Zum „Turmbau von Potsdam“ gehört auch der „Ruf aus Potsdam“ von 2004, der zur Unterstützung des Wiederaufbaus aufrief und maßgeblich von Wolfgang Huber, dem damaligen EKD-Ratsvorsitzenden, geprägt wurde. In diesen Tagen erneuerten Kritiker:innen des Wiederaufbaus ihre Forderung, sich vom „Ruf aus Potsdam“ zu distanzieren, weil dieser von Argumenten der Neuen Rechten geprägt sei. Im Artikel von Benjamin Lassiwe für die KNA / Domradio geht es auch noch einmal um die massiven Kosten des Projekts:

Brandenburgs früherer Finanzminister Christian Görke, der heute für die Linke im Bundestag sitzt, nannte den wiederaufgebauten Kirchturm hingegen ein „Mahnmal der Verschwendung“. „Die Eröffnung der Kapelle im Turm der Garnisonkirche ist kein Grund zum Feiern, sondern ein Anlass zur kritischen Reflexion“, sagte Görke. Denn von den 42 Millionen Euro, die der Wiederaufbau kostete, stammten 24,5 Millionen Euro vom Bund und fünf Millionen aus kirchlichen Darlehen. Nur etwas mehr als ein Viertel der Gesamtkosten wurden über Spenden gedeckt.

nachgefasst II

Für die KNA / katholisch.de unternimmt es Thomas Kremer, Professor für Theologie des Christlichen Ostens an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, das neue Gesetz „Über den Schutz der Verfassungsordnung auf dem Feld religiöser Organisationen“ in der Ukraine ausführlich zu kontextualisieren. Mit Hilfe des Gesetzes soll gegen landesfeindliche Bestrebungen insbesondere in der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche (UOK) vorgegangen werden. Das neue Gesetz wird u.a. von der Ostkirchen-Expertin Regina Elsner kritisiert:

Als alleiniges Kriterium für ein Verbot kann demnach laut Elsner reichen, dass die UOK in den Statuten der russisch-orthodoxen Kirche genannt sei, obwohl die ukrainische Kirche darauf keinen Einfluss habe. Die nachgewiesene Beteiligung an Kollaboration von einzelnen Bischöfen könne zur Auflösung eines ganzen Bistums führen. Ein schwerwiegendes Problem sieht die katholische Theologin auch darin, dass Gläubigen der UOK die Mitarbeit in politischen und zivilgesellschaftlichen Gremien verboten oder stark eingeschränkt werde. Auch die internationalen ökumenischen Beziehungen würden so limitiert. Kiew wolle offensichtlich die Vereinigung der UOK mit der im Dezember 2018 gegründeten Orthodoxen Kirche der Ukraine (OKU) erzwingen.

Einige Medien hatten unter der Woche (zum Teil auch noch nicht korrigiert) im Rückgriff auf eine KNA-Meldung ein „Verbot“ der UOK gemeldet. „So einfach, wie es erste Meldungen vermuten lassen“, sei die Sache allerdings nicht erklärt Thomas Kremer:

Denn das Gesetz richtet sich generell gegen jede religiöse Organisation, die ihre Verwaltungszentren in einem fremden Land besitzt, welches eine kriegerische Aggression gegen die Ukraine ausübt. Dass eine direkte Verbindung zum russischen Aggressor und jede unmittelbare Einflussnahme der Russischen Orthodoxen Kirchen (ROK) in der Ukraine im Fokus stehen, liegt jedoch auf der Hand. […] Derzeit rechnet man damit, dass der Prozess bis zum Inkrafttreten des Gesetzes neun Monate dauern wird. Das ist gleichsam die „Schonfrist“, welche die Möglichkeit bieten soll, die Beziehungen zu Moskau abzubrechen.

Das weitere Vorgehen sieht vor, dass die staatliche Stelle für ethnische Politik und Gewissensfreiheit eine Kommission aus Religionswissenschaftlern und Experten einsetzt. Im Verdachtsfall soll sie unter Berücksichtigung verschiedenster Aspekte und auch kirchenrechtlicher Fragen eine Expertise anfertigen, die als Grundlage für ein mögliches Verbot in einem anschließenden Gerichtsprozess dient.

Auf die zahlreichen Widerspruchsmöglichkeiten, die das Gesetz vorsieht, kommt Kremer mehrfach zu sprechen, außerdem erklärt er den weiteren Kontext der komplizierten (orthodoxen) Religionslandschaft in der Ukraine. Auch einen Vergleich mit Deutschland scheut er nicht. Zuletzt wurde auch in Deutschland das Vereinsrecht für ein Verbot einer Moscheegemeinde herangezogen, der Verbindungen zum Mullah-Regime des Iran nachgewiesen wurden (s. #LaTdH vom 4. August).

[P]rinzipiell ist die Ukraine ein Staat mit einer echten, weitreichenden Religionsfreiheit, in dem sich religiöse Organisationen frei zusammenschließen und gleichsam nach Vereinsrecht organisieren können – ganz gleich, woran sie glauben. Auch private Treffen nichtregistrierter Gruppierungen zu religiösen Zwecken sind legal. Wenn der Staat nun eingreift, zielt er gar nicht auf religiöse Vorstellungen – höchstens insofern sie politisch aufgeladen sind und einer Sichtweise Vorschub leisten oder diese offen propagieren, in der das Existenzrecht der Ukraine bedroht ist. Dies gilt sicher für das Konzept der sogenannten „Russischen Welt“ (Russkij Mir) in ihren unterschiedlichen Facetten, wie es von der Russischen Orthodoxen Kirche vertreten wird.

Daran, dass die ROK-Propaganda sich gegen das Existenzrecht der Ukraine wendet, besteht unter allen Expert:innen kein Zweifel. Streitpunkt ist vielmehr, wie restriktiv eine Demokratie in ihrem Verteidigungskampf gegen eine autoritäre Diktatur mit dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit verfahren kann und sollte.

Im Verfassungsblog schalten sich Norbert Lüdecke, emeritierter Professor für Kirchenrecht an der Universität Bonn, und Stephan Rixen, Professor für Öffentliches Recht und Direktor des Instituts für Staatsrecht an der Universität zu Köln, in die Debatte über die aktuellen Amtshaftungsklagen im Kontext der katholischen Missbrauchskrise ein.

Im Kern geht es darum, ob die Kirche für das Handeln (und die Folgen von Verbrechen) ihrer Priester in Mithaftung genommen werden kann, auch wenn sich dieses außerhalb des kirchlichen Dienstes ereignet hat. Deshalb sind Fragen des „kirchlichen Selbstverständnisses“ und des katholischen Priesterbildes berührt. Lüdecke und Rixen fordern nun insbesondere das Landgericht Köln auf, beides nicht zu ignorieren. Das wiederum würde „angesichts der kirchenrechtlich eindeutigen Lage“ dazu führen, das Erzbistum Köln (und in weiteren Fällen andere Bistümer) für eindeutig auch juristisch mitverantwortlich zu halten.

Mit dem Kölner Fall und der Frage, ob die Kirche Schmerzensgeld an Betroffene zahlen muss, die von Priestern außerhalb ihres Dienstes für die Kirche missbraucht wurden, befasste sich Anfang Juli Philipp Thull, Privatdozent für Kirchenrecht an der Philipps-Universität Marburg, hier in der Eule.

Buntes

Im Rahmen eines Projekts der taz für junge Journalist:innen aus dem Osten schreibt Daniel Schüler über die Wärmestube der Caritas im sachsen-anhaltinischen Halberstadt. Das Ehrenamt im ländlichen Raum sei anders strukturiert als in den Städten, erklärt Schüler. Aber vielleicht handelt es sich dabei auch nur um einen Teaser, der das urbane Publikum für die Nachricht aus der Provinz begeistern soll. Im Artikel kommt mehrfach zum Ausdruck, wie geringgeschätzt sich die Akteur:innen von „denen da oben“ fühlen:

Die Lebensmittel für die Essensausgabe kommen aus umliegenden Supermärkten und werden mit einem Transporter abgeholt. Ich darf die beiden Fahrer begleiten. „Unsere Politiker aus Berlin kommen einmal im Jahr, aber extra an Tagen, wo nicht so viel los ist. Dann wird ein Foto gemacht und das war’s“, berichtet einer der beiden während der Tour.

Zurück in der Wärmestube füllt sich der Saal zum Mittagessen, geschäftig werden Teller ausgegeben. Antje Schmidt gibt noch schnell die letzten Anweisungen für das morgige Sommerfest und verabschiedet sich dann: „Ich gehe jetzt zu meinem Ehrenamt, Seniorennachmittage organisieren. Irgendjemand muss das ja machen.“

Die taz macht es explizit als Ost-Projekt, auch andere Medien sind im Vorfeld der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen (1. September) und Brandenburg (22. September) wieder häufiger im Osten unterwegs: In den vergangenen zehn Jahren hat das publizistische Interesse am Osten sowieso so stark zugenommen, dass sich das Schreiben einer Ostdeutschlandkolumne wie „Unter Heiden“ für mich schon redundant und überflüssig anfühlt. Zumeist ist den Berichten über den Osten eine gewaltige Angstsucht zu eigen und die Reportagen und Analysen sind getränkt von bildungsbürgerlicher Abständigkeit. Immer dann, wenn man den „anderen Osten“ entdecken will, stößt man auf Geschichten, die sich so auch in Rheinland-Pfalz, dem Ruhrgebiet oder Franken zutragen.

Unter der Woche ging es bei uns in der Eule gleich zwei Mal um den Osten: Am Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar wird zwischen der Gewerkschaft Verdi und der Diakonie exemplarisch über das kirchliche Arbeitsrecht, inkl. Streikverbot, gestritten. Im Eule-Interview erklärt die Kaufmännische Vorständin der Dikaonie Mitteldeutschland, Martina von Witten, die kirchliche Position. Und in einem ausführlichen Überblick habe ich mir die Aktionen und Stellungnahmen der Kirchen zu den Landtagswahlen angeschaut.

Theologie

Hanna-Jursch-Preis ernuet ausgeschrieben (EKD)

Der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) schreibt zum 13. Mal den Hanna-Jursch-Preis und zum siebten Mal den Hanna-Jursch-Nachwuchspreis aus. Thema sind diesmal „Übergänge – Untergänge: Kritische Perspektiven auf Mensch – Natur – Technik“. Benannt ist der Preis nach der Jenaer Kirchenhistorikerin Hanna Jursch (1902-1972), die sich 1934 als erste Frau an einer deutschen Theologischen Fakultät habilitierte. Die Ausschreibungsfrist endet am 15. Februar 2026. Das ist ja noch ne Weile hin. Mehr Informationen gibt’s auf der Website der EKD.

Ein guter Satz

„Die Kirche führt die Obrigkeit erst zum Verständnis ihrer selbst.“

– Dietrich Bonhoeffer, hier nachzulesen


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Title: Gewalt und Sinn – Die #LaTdH vom 25. August
URL: https://eulemagazin.de/gewalt-und-sinn-die-latdh-vom-25-august/
Source: REL ::: Die Eule
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Date: August 25, 2024 at 12:23PM
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