Handyregeln an Schulen: demokratische Entscheidungsfindung wichtiger als pauschale Verbote

Die Debatte um Handyverbote an Schulen nimmt an Fahrt auf. Immer mehr Stimmen fordern strikte Regelungen, um die Nutzung von Smartphones im Schulalltag zu untersagen. In Hessen soll etwa ab dem Schuljahr 2025/2026 die private Handynutzung in Schulen grundsätzlich untersagt werden. Ähnliche Überlegungen gibt es in Baden-Württemberg.

Ein pauschales Verbot greift jedoch zu kurz und verkennt die Potenziale eines demokratischen Aushandlungsprozesses innerhalb der Schulgemeinschaft. Die Kernbotschaft lautet: Der Weg zur gemeinsamen Entscheidung über den Umgang mit Smartphones ist mindestens ebenso wichtig, wie das Ergebnis selbst. Ein solcher Prozess stärkt nicht nur das Verständnis für die Regeln und vermittelt zentrale demokratische Werten und Kompetenzen. Die gemeinsame Auseinandersetzung zu Chancen und Risiken fördert auch wichtige Medienkompetenzen.

Verbote verfehlen gewünschte Wirkung

Ein Verbot, das von der Schulleitung oder dem Bildungs- oder Kultusministerium beschlossen wird, mag auf den ersten Blick effizient erscheinen, birgt jedoch erhebliche Nachteile. Studien zeigen, dass pauschale Verbote oft unwirksam bleiben und sogar negative Folgen haben können. Laut einer OECD-Studie aus dem Jahr 2024 nutzen 29 % der Schüler:innen trotz Verbots heimlich Smartphones in der Schule. Gleichzeitig berichten 43 % der französischen Schüler:innen über Ängste, wenn sie ihr Gerät nicht bei sich tragen dürfen. Diese Zahlen verdeutlichen, dass reine Verbote ohne begleitende Maßnahmen nicht nur ineffektiv sind, sondern zusätzlichen Stress verursachen können.

Ein innerschulischer, demokratischer Prozess hingegen bietet die Möglichkeit, alle Perspektiven – von Schüler:innen, Lehrkräften oder Eltern – einzubeziehen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln, die von allen getragen werden. Das stärkt nicht nur die Akzeptanz der Regeln, sondern auch das Verantwortungsbewusstsein und die Identifikation mit den getroffenen Entscheidungen.

Demokratiebildung durch gemeinsame Entscheidungsfindung

D64-Mitglieder stimmen auf der Superklausur 2024 während der Mitgliederversammlung einstimmig über einen Antrag ab. Bild: D64/Fionn Große

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Ein partizipativer Ansatz zur Regelung der Handynutzung bietet eine wertvolle Gelegenheit, Schüler:innen demokratische Prozesse näherzubringen. Sie erleben hautnah, wie Entscheidungen getroffen werden, warum Kompromisse notwendig sind und welche Auswirkungen diese auf die Gemeinschaft haben. Schulen erfüllen damit eine zentrale Aufgabe ihres Bildungsauftrags: die Förderung mündiger Bürger:innen.

Die Gemeinschaftsschule in Nortorf liefert ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie ein solcher Prozess aussehen kann. Dort wurden verschiedene Ansätze gemeinsam mit den Schüler:innen getestet – vom kompletten Handyverbot bis hin zu handyfreien Tagen für die gesamte Schulgemeinschaft. Letztere Variante erwies sich als besonders effektiv: Die handyfreien Tage wurden genutzt, um den Umgang mit Smartphones zu reflektieren und darüber zu diskutieren. Lehrkräfte griffen das Thema aktiv im Unterricht auf, was zu einem intensiven Austausch führte und das Schulklima positiv beeinflusste.

Medienkompetenz stärken: Smartphones als Lernchance

Gruppe von Schreibenden am Tisch

Foto: D64/Fionn Große

Ein weiterer Vorteil des partizipativen Ansatzes liegt in der Förderung der Medienkompetenz. Jugendliche wachsen in einer digitalen Welt auf, in der gesicherte Informationen häufig schwerer zugänglich sind als Falschaussagen und sogenannte „Dark Patterns“ – manipulative Designmuster in Apps und Webseiten – sie zu ungewolltem Verhalten verleiten.  Diese Mechanismen erschweren es jungen Menschen, kritisch mit digitalen Inhalten umzugehen oder Fake News zu erkennen.

Im gemeinsamen Prozess sollte bearbeitet werden, wie und warum Falschaussagen gezielt verbreitet werden, wie Dark Patterns funktionieren, welche Risiken Social Media birgt und wie groß der Einfluss dieser Mechanismen auf die Demokratiekompetenz sein kann. Der reflektierte Umgang mit digitalen Medien wird so direkt in den Schulalltag integriert. In der Praxis gilt es auch, zwischen Medienkompetenz – der reflektierte Umgang mit Medien – und Informationskompetenz – der Fähigkeit, Informationen kritisch zu beurteilen – zu differenzieren.

Zur weiteren Stärkung des partizipativen Ansatzes könnten Schüler:innen und Lehrkräfte etwa ein gemeinsames Quellenverzeichnis erstellen, das für die Bearbeitung von Rechercheaufgaben genutzt werden darf. Quellenüberprüfung würde so ein essenzieller Teil des Arbeitsprozesses werden. Entscheidend bleibt es, Optionen für Lernende zu erweitern, statt einzuschränken. Hier gilt es den Lernenden schon früh vor allem positive Beispiele aufzuzeigen, bei denen Social Media und Smartphones sie unterstützen können. Auch dem Ruf nach mehr Individualisierung von Lernprozessen kann so Sorge getragen werden – etwa, wenn Lernende als Hausaufgaben zum Beispiel Übungen für ihre Mitlernenden erstellen und diese teilen. Smartphones und Social Media können einen immensen Teil zum positiven Communitybuilding beitragen, wenn sie entsprechend eingesetzt werden. 

Durch diese Bewusstmachung wird den Lernenden ermöglicht eine eigene Meinung zu formulieren und diese zu begründen.  Die gemeinsame Festlegung von Handyregeln ist Teil eines solchen gemeinsamen Lernprozesses und bietet die Gelegenheit, Themen aktiv zur Diskussion zu stellen und die eigene Entscheidungskompetenz zu entwickeln, die für eine funktionierende Demokratie unerlässlich ist. 

Fazit: Der Weg ist das Ziel

Bildungsminister:innen sollten Schulen ermutigen und unterstützen, diesen Weg zu gehen. Denn Schulen sind nicht nur Orte des Lernens – sie sind auch Orte gelebter Demokratie. Schüler:innen lernen hier nicht nur, Regeln zu befolgen, sondern auch aktiv an ihrer Gestaltung mitzuwirken – eine Fähigkeit, die weit über den Schulalltag hinaus essenziell ist. 

Die Regulierung von Smartphones an Schulen sollte nicht durch pauschale Verbote erfolgen, sondern durch demokratische Aushandlungsprozesse innerhalb der Schulgemeinschaft. Ein solcher Ansatz fördert nicht nur die Akzeptanz der getroffenen Entscheidungen, sondern stärkt auch zentrale Kompetenzen wie Verantwortungsbewusstsein und Medienkompetenz.

Empfehlungen

Statt pauschaler Verbote können Schulen vielfältige Ansätze erproben:

1. Prinzipien politischer Bildung: Die Entscheidungsprozesse der Schulgemeinschaft sollten sich an den Prinzipien politischer Bildung orientieren: Der Beutelsbacher Konsens formuliert hierfür drei zentrale Grundsätze:

  • Das Überwältigungsverbot (keine Indoktrination),
  • das Gebot der Kontroversität (Darstellung verschiedener, in der Gesellschaft bestehender Positionen),
  • die Förderung der Analysefähigkeit (die Schüler:innen sollen befähigt werden, politische Situationen und die eigene Interessenlage zu analysieren).

Diese Grundsätze können auch auf die Debatte rund um den Umgang mit Smartphones im Unterricht angewendet werden.

2. Mentor:innen bei Entscheidungsprozessen: Die Entscheidungsprozesse sollten in den Ländern verpflichtend durch Demokratiebeauftragte an den Schulen begleitet werden

3. Integration in den Unterricht: Smartphones können den Lernprozess positiv unterstützen und sollten daher auch gezielt genutzt werden, während ihre Nutzung in Pausen eingeschränkt werden kann.

Solche Ansätze zeigen nicht nur praktische Wege auf, sondern fördern auch wichtige Soft Skills wie Kommunikation und kritisches Denken. In Schulen, die Handys im Unterricht integriert und gleichzeitig in Pausen verboten haben, wurde eine positive Veränderung im sozialen Umgang festgestellt: Mehr Interaktion zwischen den Schüler:innen fand statt, Cybermobbing ging zurück und das Schulklima verbesserte sich spürbar.

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Title: Handyregeln an Schulen: demokratische Entscheidungsfindung wichtiger als pauschale Verbote
URL: https://d-64.org/handyregeln-schulen/
Source: D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt
Source URL: https://d-64.org/
Date: May 22, 2025 at 10:00AM
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