BONN. Handlungsempfehlungen für die Politik zu erarbeiten, um die deutsche Bildung zu verbessern – das ist das Ziel des Bürgerrats Bildung und Lernen der Montag Stiftung Denkwerkstatt. Dem Gremium gehören rund 700 per Zufall ausgeloste Personen aus ganz Deutschland an. Eine weitere Besonderheiten: Auch Kinder und Jugendliche kommen zu Wort. So diskutierten im Vorfeld der jüngsten Bürgerratssitzung in Leipzig Schülerinnen und Schüler über ihre Sicht auf Schule. Daraus entstand der folgende Podcast.
Die neue Folge des Podcasts des Bürgerrats Bildung und Lernen beleuchtet eine besondere Gesprächsrunde: 30 Kinder und Jugendliche aus ganz Deutschland – darunter aktive Mitglieder des Bürgerrats sowie Schülerinnen und Schüler der Petrischule Leipzig – diskutieren zentrale Themen des Bildungswesens.
Der Gastgeber des Podcasts, Moderator Andreas Bursche (vom WDR bekannt), begrüßt seinen Kollegen Jonny Thumb, der die Gesprächsrunde leitete. Thumb beschreibt die intensive Atmosphäre des Treffens im Vorfeld der Bürgerratssitzung. In der Diskussion ging es unter anderem um Themen wie Hausaufgaben, psychische Belastungen und Noten. Besonders bewegend seien Aussagen der Kinder und Jugendlichen wie: „Es ist zu viel für mich, es ist eine zu hohe Belastung.“ Diese Offenheit habe nicht nur die Diskussionsteilnehmer:innen beeindruckt, sondern auch Lehrkräfte und die Schulleiterin der Petrischule nachhaltig berührt, erläutert Jonny Thumb.
In der Diskussion an der Petrischule in Leipzig kommt ein breites Spektrum von Stimmen zusammen, um über schulrelevante Themen wie Hausaufgaben und Bewertung zu sprechen.
Mathieu, stellvertretender Vorsitzender des Landesschülerrats, und Gesine, Vorsitzende des Stadtschülerrats Leipzig, erläutern ihre Rollen in der Schülervertretung.
Maxi (aus dem jungen Bürgerrat) zufolge nehmen Hausaufgaben viel Zeit in Anspruch, die besser für Hobbys oder andere Aktivitäten genutzt werden könnte. Sie empfindet viele Aufgaben als nicht hilfreich, insbesondere wenn der Stoff nicht verstanden wurde.
Ludwig, stellvertretender Klassensprecher an der Petrischule, betont, dass Hausaufgaben oft belastend seien, vor allem wenn sie nicht ohne weiteres lösbar sind. „Also für mich ist es oft wie eine Art Qual, wenn ich sie nicht kann halt. Aber ich finde es aber auch wichtig, dass man das ein bisschen verfestigt. Aber halt, wie gesagt, auch wenn die Lehrer es nicht gut erklären so in der Schule oder man es halt nicht verstanden hat, dann bringt es eigentlich auch nicht richtig was, das zu Hause zu machen und sich da zu quälen oder so“, erläutert er. Ludwig plädiert dafür, Hausaufgaben während der Schulzeit zu erledigen, da die Unterschiede im Lerntempo (z. B. bei einer Matheschwäche) Nachteile für manche Schüler schaffen würden.
„Noten sind halt nur Zahlen. Sie spiegeln nicht alle Talente wider, die wir haben. Und oft fühlt man sich darin nicht wirklich gesehen“
Luna spricht sich für freiwillige Hausaufgaben aus, da Schülerinnen und Schüler schon jetzt Wochen mit Arbeitszeiten von bis zu 40 Stunden bewältigen müssen, was besonders für jüngere Schüler*innen nicht akzeptabel ist.
Auch Timo unterstützt die Idee, Hausaufgaben freiwillig zu gestalten, um Schüler*innen mehr Flexibilität für ihre Freizeitaktivitäten und Prüfungsvorbereitung zu geben.
Gesine sieht Hausaufgaben als Symptom eines größeren Problems. Zu wenig Zeit, große Klassen und fehlende Lehrkräfte führen dazu, dass Stoff aus der Schule ausgelagert wird, was die Bildungsungerechtigkeit verstärkt. Viele Eltern können nicht helfen, wodurch Kinder benachteiligt werden.
Mathieu fordert die Abschaffung von Hausaufgaben. Als Kompromiss sieht er die Möglichkeit, sie freiwillig zu gestalten, um die Belastung der Schüler*innen zu reduzieren und die bestehenden Ungerechtigkeiten zu verringern.
Maxi und Henry berichten, wie ihnen ChatGPT bei Mathe- und Deutschaufgaben geholfen hat. Sie loben die Möglichkeit, so lange nachfragen zu können, bis ein Thema verständlich wird. „Ja, ich habe es dann verstanden. Also man konnte auf jeden Fall mehr nachfragen als bei der Lehrerin, weil, die hat natürlich auch andere Schüler, mit denen sie arbeiten muss, denen sie auch Fragen beantworten muss. Und so konnte ich halt mir den ganzen Nachmittag Zeit nehmen und fragen, wie funktioniert das und so“, berichtet Henry.
Eine spontane Umfrage unter den an der Diskussion beteiligten Schülerinnen und Schülern zeigt, dass die meisten unter Schulstress leiden.
Anton berichtet, wie die Vielzahl an Hausaufgaben, Prüfungen und Projekten im letzten Jahr zu enormem Stress geführt hat. Er betont, dass es schwierig ist, neben der Schule auch das Privatleben und andere Verpflichtungen unter einen Hut zu bringen.
Die Gesprächsrunde beschäftigt sich im weiteren Verlauf mit der Frage, wie schulische Bewertungssysteme gerechter gestaltet werden können. Außerdem wird im Rahmen der Diskussion der Zusammenhang zwischen Stress, Hausaufgaben und Noten näher beleuchtet.
Die Schüler*innen beklagen, dass Hausaufgaben zunehmend bewertet werden, was zusätzlichen Stress erzeugt. Es wird kritisiert, dass vergessene Aufgaben zu schlechter Laune und Frustration führen. Die Bewertung von Hausaufgaben empfinden die Teilnehmer*innen der Gesprächsrunde als Druckmittel, das Schüler*innen demotiviert. Alternativ schlagen sie vor, Hausaufgaben freiwillig und ohne Benotung einzureichen.
Schule wird von den Diskutierenden nicht nur durch Leistungsdruck, sondern auch durch soziale Dynamiken im Kontext von Streit, Pubertät oder zu großen Klassen als stressig erlebt. Es mangelt an Schulsozialarbeit und individueller Unterstützung durch Lehrkräfte, die aufgrund von Zeitmangel kaum auf persönliche Probleme eingehen können. „Natürlich kommen dann Freunde, Familie, vielleicht noch ein Hobby, Leistungsbewertung, alles zusammen und das macht Schule einfach oft zu einem sehr, sehr stressigen Ort und leider auch zu einem Ort, der es im Moment noch nicht schafft, das auszugleichen“, sagt Gesine.
Noten werden von den Diskussionsteilnehmer*innen als „plump“ und wenig aussagekräftig beschrieben. Stattdessen solle die Anstrengung und Mitarbeit stärker in den Fokus rücken. Noten repräsentierten nicht den Charakter, die Stärken oder Schwächen der Schüler*innen, sondern seien bloß Zahlen ohne tiefergehende Aussagekraft.
Es wird gefordert, dass eher die Stundenleistung und Verhaltensweisen berücksichtigt werden sollten, da diese besser das Verständnis und Engagement der Kinder und Jugendlichen widerspiegeln. Auch Schüler*innen mit Schwächen wie Legasthenie (LRS) oder Rechenschwäche fühlen sich ungerecht behandelt. Während LRS offiziell anerkannt ist und Ausgleichsmaßnahmen ermöglicht, bleibt zum Beispiel eine Mathe-Schwäche unberücksichtigt.
Die fehlende Einheitlichkeit der Lehrer*innen im Umgang mit Schwächen wird ebenfalls kritisiert. Ein Diskussionsteilnehmer wünscht sich für Kinder und Jugendliche mit LRS eine Zeitverlängerung oder eine bessere Erläuterung durch die Lehrkräfte im Unterricht.
„Die Jugendlichen haben so mutig ihre Meinungen vertreten und gezeigt, dass sie etwas verändern wollen“
Kopfnoten (zum Beispiel für Ordnung und Betragen) werden von den Schüler*innen als subjektiv wahrgenommen, da es keine transparenten und klaren Kriterien gebe. „Also ich finde Noten sind absolut nicht sinnvoll“, betont die Schülerin Ronja. „Wie auch schon gesagt wurde, es wird halt viel immer nur auf den Schüler geguckt, wie sehr mag der Lehrer den Schüler. Und das lässt sich also auch nicht ausschalten. Das ist halt so drin. Man hat immer eine Neigung zu irgendjemanden, wie sympathisch man einen findet. Aber es ist schon sehr unfair, wenn das so bewertet wird. Und letztendlich macht man nichts anderes, als Schüler miteinander zu vergleichen, was man eigentlich absolut nicht machen sollte. Weil, jeder ist anders und jeder hat halt andere Stärken und Schwächen.“
Statt anonyme Zahlen ohne Erklärung wünschen sich die Schüler*innen individuelle Einschätzungen, die ihre Stärken und Schwächen hervorheben. In der Diskussion wird deutlich, dass Noten und Bewertungen für viele Jugendliche ein komplexes und oft unzureichendes System darstellen. Eine Mehrheit der Schülerinnen und Schüler in der Runde spricht sich gegen Noten aus, da diese den Lernprozess und die Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen nicht abbilden. Alternativen wie Berichte oder ein auf Potenziale fokussiertes Feedback werden von den Diskussionsteilnehmer*innen favorisiert.
Gregor erklärt zum Beispiel, dass seine Fähigkeiten und Talente in einem Zeugnis nicht ausreichend abgebildet werden können: „Noten sind halt nur Zahlen. Sie spiegeln nicht alle Talente wider, die wir haben. Und oft fühlt man sich darin nicht wirklich gesehen“, betont er.
Valerio erläutert außerdem die Herausforderung, Schule und Freizeit zu trennen, vor allem, wenn Hausaufgaben einen großen Einfluss auf die Gesamtnote haben: „Ich trenne Schule und mein Privatleben. Wenn ich in der Schule bin, mache ich halt meine schulischen Sachen. Aber wenn ich von der Schule aus bin, will ich halt nichts mehr mit Schule zu tun haben.“ Er schlägt vor, Hausaufgaben stärker in den Schulalltag zu integrieren, zum Beispiel durch zusätzliche Unterrichtszeit.
Auch Aren spricht über das Thema Noten und deren oft knappe Spielräume. Er gibt ein Beispiel: „Wenn man eigentlich eine Vier hätte, bei einem Vortrag und eigentlich nur durch die Pünktlichkeit beim Abgeben die zwei Punkte bekommt, die einem fehlen zur Drei, dann ist das schon ziemlich knapp.“ Er stellt fest, dass diese Bewertungen am Ende nur eine Zahl seien, die nicht die ganze Person widerspiegelt.
Auch Moderator Jonny Thumb zeigt sich angetan von der Diskussionsrunde: „Ich bin total begeistert. Die Jugendlichen haben so mutig ihre Meinungen vertreten und gezeigt, dass sie etwas verändern wollen. Es war eine wahnsinnige Energie im Raum, die deutlich macht, dass die nächste Generation gehört werden möchte und bereit ist, Verantwortung zu übernehmen.“ Besonders der Punkt, dass Kinder und Jugendliche sich psychisch überlastet fühlen, wird von den beiden Moderatoren, Andreas Bursche und Jonny Thumb, noch einmal hervorgehoben. Es sei eine Gratwanderung zwischen Leistungsprinzip und dem Erhalt eines gesunden Lebensstils. Die Folge endet mit einem Appell, den jungen Menschen mehr zuzuhören und sie aktiv einzubinden. News4teachers
Der Bürgerrat Bildung und Lernen besteht aus mehr als 700 zufällig ausgelosten Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland und wurde 2020 von der Montag Stiftung Denkwerkstatt ins Leben gerufen. Sie hat auch den vorliegenden Podcast bereitgestellt.
Im Sinne einer lebendigen Demokratie diskutieren die Mitglieder des Bürgerrats gemeinsam über gesellschaftliche und bildungspolitische Fragen. Welche Probleme und Herausforderungen müssen im Bildungsbereich dringend bearbeitet werden? Wie könnten bildungspolitische Reformen aussehen, die Probleme lösen und gleichzeitig in der Gesellschaft mehrheitsfähig sind? Und: Wie soll gerechte Bildung in Zukunft aussehen?
Ein umfassendes Papier mit Empfehlungen wurde bereits erarbeitet und an die KMK übergeben. Im November steht eine weitere Sitzung in Leipzig an, auf der die weiterführende Frage diskutiert werden soll: „Chancengerechtigkeit: Wie viel Freiheit braucht das Lernen?“
Der Bürgerrat Bildung und Lernen ist aktuell der einzige Bürgerrat, der auf Bundesebene aktiv ist und auch Kinder und Jugendliche einbezieht. Die mehr als 250 Schülerinnen und Schüler kommen über sogenannte Schulwerkstätten der Bundesländer dazu und sind vollwertige Mitglieder des Bürgerrats Bildung Lernen. Darüber hinaus haben sie aber auch eigene Empfehlungen entwickelt sowie einen offenen Brief unter dem Titel „Hört und zu!“ geschrieben.
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Title: Hausaufgaben, Noten, Leistungsdruck – “Es ist zu viel für mich”: Wie Schülerinnen und Schüler die Schule erleben
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Date: January 6, 2025 at 02:45PM
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