Müssen Kleingruppen immer wieder neu gemischt werden, damit Gemeinden wachsen können? Als Hauskreisbeauftragter war Pfarrer Martin Römer davon lange Zeit überzeugt. Inzwischen ermutigt er zu Neugründungen von Hauskreisen nach dem Motto: vom Hobby zum Hauskreis.
Von Martin Römer
Wie wächst die Hauskreisarbeit einer Gemeinde? Auf jeden Fall durch Teilung! Davon war ich ziemlich überzeugt, als ich 2004 in der hannoverschen Landeskirche für die Hauskreisarbeit beauftragt wurde. Meine damalige Überzeugung war von einem amerikanischen Optimismus geprägt, der mich bei einem Aufenthalt als Austauschschüler in Kalifornien beeindruckt hatte – erst recht bei Kirche. Eine Schulung für evangelistische Einsätze, an der ich teilnahm, hieß passenderweise „Evangelism Explosion“: Durch (Mit-)Teilen des Evangeliums würde es zu einer rasanten Verbreitung des Glaubens kommen.
Im Hauskreis meiner amerikanischen Eltern habe ich die Anfänge des „Church Growth Movement“ (Gemeindewachstumsbewegung) mitbekommen: In Gemeinden und konzentrierter in Hauskreisen geht es neben der Vertiefung eigenen biblischen Wissens auch um ein Wachsen der geistlichen Gemeinschaft – nach innen wie nach außen, also auch um eine Steigerung der Anzahl der Teilnehmenden. Und wenn Hauskreise zu groß werden, teilt man sie eben, damit die freigewordenen Stühle im Wohnzimmer bald wieder mit neuen Leuten besetzt werden können. Außerdem zeigt(e) die Erfahrung: Je länger eine Gruppe zusammen unterwegs ist, desto schwieriger wird es, dass Neue dazukommen (können).
Die Hauskreisarbeit aufmischen
Mit dieser Einstellung habe ich auf Seminaren der Hauskreisarbeit stark für eine regelmäßige Teilung bzw. „Durchmischung“ oder wenigstens einer gelegentlichen „Aufmischung“ geworben und verschiedene Möglichkeiten dafür vorgestellt. Und ich fand mich dabei in guter Gesellschaft: In der Andreasgemeinde, die für ihre innovative Gemeindearbeit über die Grenzen von Frankfurt-Niederhöchstadt hinaus bekannt ist, wurden mit dem Slogan „April, April!“ jährlich die Hauskreise im Frühjahr neu gemischt, damit die Gruppen durch die neuen Zusammensetzungen belebt würden und nicht in ermüdende Muster verfallen. Das würde ich heute anders machen! Beziehungsweise, heute sehe ich das wesentlich entspannter, vielleicht realistischer und befürworte statt Teilungen eher mutige Neugründungen. Warum? Nun, fast jede neu gegründete Gruppe oder Gemeinschaft durchläuft verschiedene Phasen. Nach der „Geburt“ sind die Teilnehmenden begeistert bei der Sache, in der Kuschelphase wagt man, Verschiedenes auszuprobieren. In der Anfangsphase ist das gemeinsame Vorgehen im ständigen Abstimmungsprozess. Sinnstiftende Rituale entstehen. Nach und nach entwickelt sich eine akzeptierte Ordnung. Ist sie gereift, sind die meisten damit zufrieden und möchten das auch erhalten. Das ist vertraut und gibt im Chaos der Welt auch Geborgenheit und Sicherheit. Wenn es ungünstig läuft, erstarrt eine Gruppe im Festhalten an Traditionen … manchmal braucht ein solcher Kreis gegen Ende liebevolle Hospizbegleitung und Trauerarbeit (Siehe zu diesem Glockenkurvenprinzip: Tobias v. Boehn. Inspiriert leiten. Ein Praxisbuch für Menschen mit Verantwortung. Glashütten 2007, S. 60f, 110f).
Jedenfalls sind Veränderungen am ehesten möglich, wenn die Gruppe so richtig in Schwung gekommen ist – so wie Delphine zum Absprung die Energie von Wellen nutzen, wenn diese am stärksten sind, also kurz vor (!) dem Kipppunkt, nicht, wenn die Welle schon gebrochen ist. Eine Teilung von Hauskreisen wäre also am vielversprechendsten, wenn sie gerade richtig gut laufen.
Das Bedürfnis nach Vertrautheit und Kontinuität
Im Laufe der Jahre habe ich jedoch erkannt, dass die Bedürfnisse von Menschen, die an Hauskreisen teilnehmen, sehr (!) unterschiedlich sind. Manche sind froh, endlich eine Gruppe gefunden zu haben, in der sie ohne Scheu über ihren Glauben und ihre Zweifel reden können. Andere sind dankbar für persönliche Nähe, für diese Menschen, mit denen man Alltagssorgen teilen und Feste feiern kann. Etliche fühlen sich wohl in dieser vertrauten Runde, die Geborgenheit bietet und Vertrauen ermöglicht. Wie wichtig auch für junge Erwachsene das ist, erzählte mir vor Kurzem eine junge Frau in London. Sie berichtete von einer sehr lebendigen Gemeinde mit vielen jungen Leuten, in der sie nicht heimisch wurde, weil in den „Home-Groups for Newcomers“ ein ständiger Wechsel war. Es stellte sich also keine Vertrautheit ein.
Nur wenige Teilnehmende sind immer wieder neugierig auf Neue(s) und bereit, sich auf Unbekannte(s) einzulassen – mit dem Risiko der Verunsicherung und der Hoffnung auf interessante Neuentdeckungen.
Was würde ich heute empfehlen? Wenn ein Hauskreis sich voller Elan aufteilt, um noch mehr Menschen anzusprechen und zu begeistern für geistliches Leben in Gemeinschaft – super! Wenn jemand eine Freundin zum Hauskreisabend mitbringt, weil sie das Thema interessieren könnte … klasse! (Allerdings würde ich hier darauf hinweisen, dass diese Freundin vielleicht acht fremden (!) Personen gegenübersitzt, während sie für die anderen nur eine (!) Fremde ist. Bitte nicht überfordern!).
Räume für Experimente
Wenn andere Hauskreise lieber zusammenbleiben möchten, weil Vertrauen und Freundschaften über die Jahre gewachsen sind, sich tragfähige Rituale eingespielt haben und man miteinander (sich) glauben kann, dann ist das ein Grund zum Feiern und für Dankbarkeit.
Natürlich sollten zusätzlich Gelegenheiten geschaffen werden, in denen sich Menschen zusammenfinden können, um ihren Glauben zu teilen und auszuprobieren. Am besten in zwangloseren, Anonymität ermöglichenden, größeren Gruppen ab 25 Personen und in Kursen zum Glauben wie LUV.
Diejenigen, die gerne Neues ausprobieren, sind gute Ansprechpartner/innen für Menschen, die Ähnliches wollen. Ihnen sollten Räume für Experimente zur Verfügung gestellt werden – auch für Experimente in Sachen Spiritualität. Und natürlich ist es gut, Gelegenheiten zu schaffen, in denen Leute ins Gespräch oder besser noch ins gemeinsame Tun kommen. Das könnten Treffpunkte sein, wo man gemeinsam einem Hobby nachgeht oder Halbmarathon läuft. Männerkochgruppen, gemeinsame Filmbesuche oder Müllsammelaktionen. Meistens ergeben sich da neben dem Smalltalk auch Deeptalk, unerwartete Gespräche über die Welt und Gott. Und oft enden solche Gespräche mit dem Wunsch: „So was müssten wir häufiger machen! Wollen wir uns mal regelmäßiger treffen?“ Und schon ist eine neue geistliche Zelle entstanden, eine kleine christliche Gemeinschaft geboren, ein taufrischer Hauskreis gegründet. Vielleicht klein, aber fein.
Pfarrer Martin Römer war bis zu seinem Ruhestand Referent für Hauskreisarbeit in der Hannoverschen Landeskirche.
Dieser Artikel ist im HAUSKREISMAGAZIN erschienen. Das HAUSKREISMAGAZIN ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.
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Date: July 8, 2024 at 01:20PM
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