Heiliges Kraut? / Wie Kirche und Religion zu Cannabis stehen


Schon im ersten Kapitel des alten Testaments (Gen 1,29) sagt uns die Bibel: „Und Gott sprach: Seht da, ich habe euch gegeben allerlei Kraut, das sich besamet, auf der ganzen Erde, und allerlei fruchtbare Bäume und Bäume, die sich besamen, zu eurer Speise.“ Das als christliche Rechtfertigung für den Konsum von Cannabis zu sehen, wirkt uns vielleicht ein wenig weit hergeholt, für die Religion der Rastafaris auf Jamaika ist dieses Zitat aber einer der Grundpfeiler ihres religiösen Lebens. Mehr noch: Der Konsum von Marihuana ist für sie Teil ihrer sakramentalen Rituale.

Bezugnehmend auf diese Bibelstelle ist Cannabis für sie ein „Heiliges Kraut“, das der Meditation dienen und sie näher zu Gott bringen soll. Die Rastafaris sind eine eigene Religion, die auf den Texten des Judentums und Christentums basiert und im 20. Jahrhundert in der Karibik entstanden ist. Das ist aber nicht die einzige Religion, die sich – mehr oder minder explizit – mit dem Konsum von Cannabis befasst. Für den Hinduismus ist der Gebrauch von Cannabis seit Jahrtausenden ein selbstverständlicher Teil der Tradition, wenn auch eher als Medizin denn als Rauschmittel. Ähnlich sieht es in den Traditionen des Buddhismus aus.

Ist Cannabis koscher?

Im Judentum finden wir teilweise sogar Gelehrte, die Cannabis als koscher bezeichnen. Wie in den meisten modernen Gesellschaften gibt es aber auch in Israel großen Streit über den Gebrauch der Pflanzen. Wird Cannabis auch konkreter in der Bibel erwähnt, als nur das „Kraut“ aus dem ersten Kapitel von Genesis? Auch da gehen die Meinungen auseinander.

Die Befürworter bringen ein anderes Zitat aus dem Buch Exodus als Argument: „Nimm dir die beste Spezerei: die edelste Myrrhe, 500 Lot, und Zimt, die Hälfte davon, 250, und Kalmus, auch 250 Lot, (…) Mache daraus ein heiliges Salböl nach der Kunst des Salbenbereiters. (…) So sollst du sie weihen, dass sie hochheilig seien.“ (Exodus 30,22-29). Der aus der Lutherbibel stammende Begriff Kalmus heißt im hebräischen Originaltext „qaneh bosm“ und ist der Ursprung des modernen Begriffs Cannabis. Also ja, rein faktisch wird Cannabis in der Bibel erwähnt. Die wörtliche Übersetzung des hebräischen Begriffs heißt „Duftgrasstängel“. Ob damit genau die gleiche Pflanze gemeint ist, die wir heute kennen, ist allerdings nicht zu belegen. Bei jüdischen Gelehrten sorgen diese Zeilen damals wie heute für große Diskussionen.

Was sagt der Koran?

Obwohl er wie das Judentum im Nahen Osten entstanden ist, findet im Islam die Cannabispflanze keine Erwähnung. Zumindest nicht direkt. Das wird vor allem damit zu tun haben, dass die aus Indien stammende Pflanze zu Mohammeds Zeiten in der arabischen Welt unbekannt war und erst um das Jahr 800 wiederentdeckt wurde.

Auch wenn im Koran nichts zur Pflanze an sich steht, spricht die Heilige Schrift der Muslime trotzdem davon, dass berauschende Mittel „haram“, also verboten sei. Nach direkter Interpretation würde dazu neben Alkohol, der den Muslimen verboten ist, auch Cannabis zählen.

Cannabis im Weihrauch?

Im neuen Testament finden sich keine konkreten Verweise auf Cannabis. Einige Experten sprechen aber davon, dass im frühen Christentum eine Weihrauch-Mixtur verwendet wurde, die auch Cannabis enthalten haben soll. Auch in modernen Zeiten hielt sich lange das Gerücht, dass Weihrauch THC enthalte, den gleichen Wirkstoff, der in Cannabis zu finden ist. Wissenschaftliche Untersuchungen haben das zwar widerlegt, aber trotzdem herausgefunden, dass Weihrauchharz eine geringe psychoaktive Wirkung hat.

Was sagt die Kirche heute?

Die meisten modernen orthodoxen, katholischen und protestantischen Gelehrten und Würdenträger sprechen sich gegen den Konsum aus, mit Verweis darauf, dass Cannabis als Suchtmittel dem Körper Schaden zufügen würde. Es gibt allerdings einige Ausnahmen, so die progressive „United Church of Christ“ in den USA, der auch Ex-Präsident Barack Obama angehört, sowohl die Episkopale Kirche in Amerika. Beide beziehen sich allerdings explizit nur auf den medizinischen Gebrauch von Marihuana.

Eine große politische Diskussion auch innerhalb der katholischen Kirche löste im Jahr 2018 die Legalisierung von Cannabis in Kanada aus. Nach Uruguay war das nordamerikanische Land damit das zweite, das diesen Schritt gegangen ist.

Cannabis für Bischöfe „Sünde“ oder „Hilfe“

Scharfe Worte kamen damals von der katholischen Bischofskonferenz aus Kanada, die den Marihuana-Konsum in ihrem Statement als „Sünde“ bezeichnete: „Es ist bedauerlich, dass die Bundesregierung beschlossen hat, die Bereitstellung und Verwendung eines Suchtmittels zu erleichtern, das für so viele Menschen katastrophale Folgen haben wird“, hieß es damals in einem Statement der Bischofskonferenz. Allerdings machten auch die Bischöfe hier eine Ausnahme für die medizinische Anwendung. Alles andere verstoße gegen die Tugend der Enthaltsamkeit, so Bischofskonferenz-Generalsekretär Frank Leo im Jahr 2018.

„… da kam ärztlich verordnetes Cannabis ins Spiel.“

Die positive Wirkung von Cannabis als Medizin bezeugte im November 2022 der inzwischen emeritierte Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, der damit der erste deutsche Bischof ist, der aus eigener Erfahrung über den Wirkstoff sprach. „Ich habe nie gekifft“, so Bode, aber in der Zeit eines längeren Krankheitsausfalls habe er Cannabis zu schätzen gelernt. Den Wirkstoff habe er als Tropfen aufs Brot bekommen und war sehr dankbar dafür. „Das waren rasende Schmerzen, und die Mittel halfen schon gar nicht mehr. Und da kam ärztlich verordnetes Cannabis ins Spiel.“ Cannabis sei kein Schmerzmittel, sondern verändere das Verhältnis zum Schmerz und den Umgang damit, so Bode. „Und das war schon eine Hilfe.“

Was sagt die Moraltheologie?

Die Beurteilung von Cannabis aus der katholischen Perspektive hängt also von der großen Frage ab, ob es als Suchtmittel oder Medizin verwendet wird. Für den Moraltheologen Jochen Sautermeister ist genau das der Knackpunkt in der Debatte, wie er im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur erklärte.

„Der Schutz von besonders verletzlichen Gruppen sollte (…) Priorität haben.“

Er mahnt zur Vorsicht bei der Frage der Legalisierung, auch aus einem ethischen Blickwinkel: „Der Schutz von besonders verletzlichen Gruppen sollte deutlich im Vordergrund stehen und Priorität haben – vor allem der Schutz von Kindern und Jugendlichen. Sie haben in Verbindung mit Cannabis nachweislich ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen, Entwicklungsverzögerungen oder Konzentrationsschwierigkeiten.“

Aber was ist mit dem Alkohol?

Während sich die Kirche also schwertut mit der Frage einer Legalisierung von Cannabis, stellt ein anderes Rauschmittel seit der Antike für die Christen keine Probleme dar: Alkohol. Im Sakrament der Eucharistie ist aus katholischer Überzeugung Wein zu Jesu Blut geworden, was einen Konsum (im minimalen Mengen natürlich) selbst für Minderjährige unter 16 Jahren rechtfertigt. Dabei fällt der Alkohol als Teil der Eucharistie nicht unter das Jugendschutzgesetz, da dies explizit von Verkauf und Ausschank von Alkohol spricht und nicht von gottesdienstlichen Handlungen, die hier unter die Religionsfreiheit fallen.

Wenn es also um den Konsum von Alkohol geht, ist die Rolle des Sakraments für die katholische Kirche wichtiger als die Regelungen des Gesetzgebers. Ähnlich begründen die Rastafaris auf Jamaika den sakramentalen Konsum von Marihuana.

Als Cannabis (lat. für „Hanf“) wird eine Pflanzengattung in der Familie der Hanfgewächse bezeichnet. Umgangssprachlich wird auch von Marihuana oder Haschisch gesprochen, wobei es sich um zwei verschiedene Bestandteile handelt: Marihuana (auch „Mary Jane“, „Gras“, „Weed“ genannt) meint die getrockneten Blätter und Blüten der Hanfpflanze. Haschisch (auch „Hasch“ oder „Shit“ genannt) ist dagegen ein Pflanzenextrakt; nämlich ein zu Platten oder Blöcken gepresstes Harz, das aus einzelnen Pflanzenteilen gewonnen wird. Cannabisprodukte haben eine berauschende Wirkung.



Title: Heiliges Kraut? / Wie Kirche und Religion zu Cannabis stehen
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Date: August 16, 2023 at 04:09PM
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