Heiße Luft – Die #LaTdH vom 29. Oktober

In Rom geht die Bischofssynode zur Synodalität mit gespaltenem Echo zu Ende. Außerdem: Schuld im Zweifelsfall, weglaufende Schafe und drei Abschiede.

Herzlich Willkommen!

„#EinGuterSatz anyone?“, so fragt Philipp Greifenstein häufig am Sonnabend auf Twitter, wenn er bei der Zusammenstellung der „Links am Tag des Herrn“ noch auf der Suche nach einem pointierten Zitat oder einem treffenden Wortwitz ist und sich Hilfe aus der Schwarmintelligenz erhofft.

Bei Kirchens läuft das in aller Regel anders. Möglichst viele Worte werden in Denkschriften, Hirtenbriefen und Synodenbeschlüssen gemacht – oft drängt sich der Verdacht auf, die Verfasser:innen rechneten selbst nicht damit, dass die oft feierlich verkündeten Dokumente überhaupt breit gelesen würden.

In einer Nachtschicht am Freitag musste die Textkommission der Weltsynode noch über 1.200 Änderungsanträge prüfen. Vielleicht sollten sich die Beteiligten einmal überlegen, wie es gelingen könnte, dass zumindest #EinGuterSatz ihrer Beratungen dem Volk Gottes in Erinnerung bleiben könnte …

Eine gute Woche wünscht
Ihr Thomas Wystrach

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Debatte

Am Samstagnachmittag hat die Weltbischofssynode im Vatikan mit der Abstimmung über die Ergebnisse ihrer ersten vierwöchigen Sitzungsphase begonnen. Rund 350 Teilnehmer, darunter erstmals auch Frauen mit Stimmrecht, waren aufgerufen, einen rund 35 Seiten langen Abschlussbericht zu verabschieden. Votiert wird abschnittsweise über den finalen Entwurf. Laut Synodenordnung gelten nur die Punkte als angenommen, die eine Zweidrittelmehrheit an Ja-Stimmen erhalten. Enthaltungen sind nicht möglich. Der Text soll gemeinsame Sichtweisen in der weltkirchlichen Debatte um einen neuen kirchlichen Leitungsstil sowie Vorschläge und offene Fragen festhalten.

Am Abend wurde die Veröffentlichung des Synthesedokuments bekannt gegeben. katholisch.de und Vatican News fassen die Ergebnisse der Synode kurz zusammen:

In dem am Samstagabend veröffentlichten Text wird der „Konsens der Gläubigen“ als ein Kriterium für Glaubensfragen genannt. Ausdrücklich befürwortet die Synode das Bemühen um eine veränderte Sexualmoral sowie um eine verständliche und geschlechtergerechte Sprache bei Gottesdiensten. In der Frage des Zugangs von Frauen zu kirchlichen Weiheämtern hält die Synode unterschiedliche Meinungen fest, die nicht in einen Konsens mündeten.

Zu den verabschiedeten Vorschlägen der ersten Session zählt im Sinne einer Dezentralisierung die Stärkung nationaler und kontinentaler Bischofsversammlungen. Ferner soll die kirchliche Basis künftig stärker an Bischofsernennungen beteiligt werden.

Der ZdK-Vize Thomas Söding hat die letzten vier Wochen in seinem Blog kommentiert, dabei hielt er sich „streng an die Kommunikationsregeln, die hier ausgegeben werden“ und versuchte, „zu analysieren, zu kontextualisieren, zu interpretieren“.

Am Mittwoch dieser Woche wurde ein „Brief der 16. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode an das Volk Gottes“ veröffentlicht. Darin ist die Rede von einer „noch nie dagewesenen Erfahrung“, da erstmals „Männer und Frauen aufgrund ihrer Taufe eingeladen waren, an einem Tisch zu sitzen und nicht nur an den Diskussionen, sondern auch an den Abstimmungen dieser Bischofssynode teilzunehmen“. Nachdem man „der Stille einen wichtigen Raum gegeben“ habe, um „das respektvolle Zuhören und den Wunsch nach Gemeinschaft im Geist zu fördern“, sei man zu einer gerade bahnbrechenden Erkenntnis gekommen: „Um bei den synodalen Beratungen voranzukommen, muss die Kirche vor allem die Worte und Erfahrungen der geweihten Amtsträger noch stärker einbeziehen“. Der Berg kreißte und gebar ein Mäuslein!

Als „wolkig und wenig konkret“ kritisierten auch Teilnehmer der Weltsynode den „Brief ans Volk Gottes“; der Abschlusstext müsse nun besser werden. Die Irin Marie Collins, 2017 im Protest aus der päpstlichen Kinderschutzkommission ausgetreten, twitterte am Mittwoch, nachdem zeitgleich zu den Beratungen in Rom Details zur Rehabilitierung des Missbrauchtäters Marko Rupnik bekannt wurden:

Es ist 2023 und nichts verändert sich in der katholischen Kirche. So viel Gerede und so wenig wirkliche Veränderung. Warum hören wir weiter zu bei diesen Plattitüden und Versprechungen?

Wer auf eine Botschaft mit Signalwirkung gehofft hatte, ist enttäuscht worden, meint Martin Zumbült in seinem Kommentar bei „Kirche + Leben“:

War es nicht Papst Franziskus, der im Klerikalismus eine große Gefahr für die Kirche gesehen hat? Was ist mit dem „Volk Gottes“? Also hängt das Wohl und Wehe der ganzen Kirche doch an (subjektiven) Wahrnehmungen der Kleriker und einiger Ordensleute. Was ist mit den Stimmen des „Volkes Gottes“, dem Alltag der Gläubigen? Wo bleibt der „sensus fidelium“ (der Glaubenssinn aller Getauften) von dem das II. Vatikanum sprach?

Für den Synoden-Teilnehmer Thomas Schwartz, Hauptgeschäftsführer des Osteuropa-Hilfswerks Renovabis, stellt der Brief hingegen eine der „Sternstunden“ der Versammlung im Vatikan dar, weil er die Kirche zu Hinwendung und Aufgeschlossenheit aufrufe.

Ob aus dem Zuhören auch Verständnis und Anteilnahme erwächst, wird sich erst erweisen müssen. Deswegen ist dieser Brief an das Volk Gottes sicher noch keine „kopernikanische Wende“ der Synode, erst recht nicht der ganzen Kirche. Aber einige Synodenteilnehmer haben es nach der Abstimmung zumindest mit Galileo Galilei gehalten, als sie einander zuflüsterten: „Und sie bewegt sich doch!“

Bei der Weltbischofssynode sind zwar erstmals Laien stimmberechtigt gewesen, für den Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) waren die Stimmen junger Menschen aber zu wenig vertreten. Im Interview mit Renardo Schlegelmilch vom Domradio kritisiert der BDKJ-Bundesvorsitzende Gregor Podschun außerdem, dass ein wichtiger Schritt, nämlich die Anerkennung des Leids, das in der Kirche geschehen ist, fehle:

Der Vatikan hat bis heute systemische Risikofaktoren nicht als solche anerkannt. Das heißt aber auch, dass er die Konsequenzen nicht anerkennt, also die Konsequenz, das Machtsystem aufzubrechen. Die Notwendigkeit sieht der Vatikan ja gar nicht. Das heißt, es ist nur logisch, dass er nicht diese Themen berät.

Zu wenige Frauen, keine queeren Menschen – oder zu viele Laien: Kritik an der Weltsynode gebe es immer wieder. Genau daran zeige sich ein fatales Missverständnis, meint hingegen Benedikt Heider. Der Volontär bei katholisch.de fordert eine bessere Bildung in „katholischen Basics“ (wie er selbst es etwa im Beitrag über Synodalität als „das Stille-Post-Spiel guter Katholik:innen“ hier in der Eule vorgemacht hat):

Synodalität nach Franziskus ist und bleibt Papst-zentriert. Das ergibt sich aus seinen Texten ebenso wie aus Wortmeldungen seiner Synodenplaner. Das beständige Kreuzfeuer konservativer wie liberaler Kräfte bezüglich der Synoden-Zusammensetzung zeugt daher von einer erschreckenden Unkenntnis der katholischen Theologie und entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als possierlicher Kampf gegen Windmühlen.

Ganz in diesem Sinne fordert der Augsburger Bischof Bertram Meier im Interview mit dem rechtsgläubigen Fernsehsender EWTN „am Rande der Weltsynode“ ein römisches Machtwort. Der Vatikan müsse seine Leitungsverantwortung bei strittigen Reformfragen wahrnehmen. Es brauche Weisungen, was in der Kirche geändert werden könne und ebenso klar die Markierung von Fixpunkten, „an die wir nicht ran gehen dürfen“.

Und wie auf Bestellung sorgt ein Interviewbuch mit Papst Franziskus für Aufsehen bei der Weltsynode, in dem er die geltende kirchliche Lehre wiederholt, wonach Frauen nicht Priester werden könnten, weil ihnen nicht das „petrinische Prinzip“, sondern das „marianische Prinzip“ entspreche. Da das marianische Prinzip viel wichtiger sei als das petrinische, bedeute der Ausschluss vom petrinischen Prinzip nicht, dass den Frauen etwas vorenthalten werde.

nachgefasst

Eine Nachlese der Reaktionen auf die Veröffentlichung von 53 mutmaßlichen oder verurteilten Missbrauchstätern aus dem Bistum Aachen (s. #LaTdH vom 22. Oktober) bietet Simon Kajan bei katholisch.de. So sieht Peter Beer, Professor am Institut für Anthropologie (IADC) der Päpstlichen Universität Gregoriana und ehemaliger Generalvikar der Erzdiözese München und Freising, Konflikte vorprogrammiert, wenn allein das Ergebnis einer Plausibilitätsprüfung als Feststellung von Schuld gewertet würde:

Hier stehen zwei grundsätzliche Rechtsgüter in einem schwierigen Verhältnis. Zum einen der Anspruch der von Missbrauch Betroffenen auf Anerkennung des an ihnen begangenen Unrechts. Zum anderen gibt es das Recht jedes Beschuldigten auf ein gerechtes Verfahren, das in unserer Rechtsordnung den Grundsatz ‚in dubio pro reo‘ kennt und auf Beweisen aufbaut.

So könne der Grundsatz „im Zweifel für den Betroffenen“ am Ende dem Vorwurf von Verleumdung, übler Nachrede und Rufschädigung Vorschub leisten. Dies könne unter Umständen dem Anliegen der Gerechtigkeit für Missbrauchsbetroffene zuwiderlaufen, so Beer.

Andere Diözesen beobachten die Entwicklung im Bistum Aachen genau, um für den eigenen Weg Schlüsse zu ziehen. Nach den Erzbistümern Paderborn und Hamburg hat nun auch die Diözese Münster angekündigt, dem Aachener Beispiel nicht zu folgen. Der Betroffenenbeirat Nord sieht nach der Veröffentlichung des (ohne seine Beteiligung erstellten) Tätigkeitsberichts des Erzbistums Hamburg noch große Defizite und kritisiert, dass strukturell immer noch Kompetenzen zusammenfallen, die Vertuschung begünstigen:

Die Leitung der Stabsstelle Prävention und Intervention liegt in den Händen des Generalvikars des Erzbistums, d.h. der Vertreter des Erzbischofs, der als sein ‚alter ego‘ für das ganze Erzbistum ausführende Gewalt in der allgemeinen und geistlichen Verwaltung besitzt, ist zugleich oberster Aufklärer in eigener Sache.

Daniel Kosch war über zwanzig Jahre lang Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz, des Zusammenschlusses der kantonalkirchlichen Organisationen der Schweiz. Als Beobachter beim Synodalen Weg ist er auch mit der deutschen Kirchenreform-Debatte vertraut. Im Interview mit Simon Hehli in der Neuen Zürcher Zeitung fordert der Bibelwissenschafter angesichts des derzeit auch die Schweiz erschütternden Missbrauchsskandals eine neue Sexualmoral für die römisch-katholische Kirche:

Der Skandal ist ja nicht in erster Linie, dass es Missbrauchsfälle gegeben hat. Ganz verhindern lassen sich solche in einer grossen Organisation kaum. Der Skandal ist, dass das System Kirche Missbrauch und Vertuschung begünstigt – dass fehlbare Priester einfach in andere Gemeinden versetzt wurden. Wenn eine Institution, die angeblich eine moralische Instanz ist und für die Schwachen einsteht, so viele Opfer produziert und sich kaum um ihr Schicksal schert, dann hat sie ein massives Problem. (…)

Wegen der Diskrepanz zwischen der immer noch geltenden Lehre und der Realität verkomme die offiziell vertretende Moral zur Heuchelei. Kosch empfiehlt:

Die Kirche sollte Dinge, bei denen niemand zu Schaden kommt, der Eigenverantwortung der Menschen überlassen. Sie könnte dann glaubwürdiger Praktiken im sexuellen Bereich anprangern, die ausbeuterisch oder unwürdig sind.

Buntes

In der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB) geht eine Ära zu Ende: Der frühere EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm beendet nun auch seine Tätigkeit als Landesbischof. Am heutigen Sonntagvormittag wird er in einem Festgottesdienst in der Nürnberger Lorenzkirche verabschiedet und sein Nachfolger Christian Kopp ins Amt eingeführt. Tilmann Kleinjung zieht eine Bilanz nach zwölf Jahren „HBS“ im Bischofsamt. Der „zugewandte Facebook-Bischof mit klarer Botschaft“ bleibt als Vorsitzender des Zentralausschusses des Weltkirchenrates auf internationaler Ökumene-Bühne aktiv.

Mit einem Verabschiedungsgottesdienst tritt heute Nachmittag auch der 1957 in Bochum geborene christkatholische Bischof der Schweiz, Harald Rein, in den Ruhestand. Kleiner konfessionskundlicher Funfact: Seine pastoraltheologische Promotion beschäftigte sich 1987 mit der „Spannung zwischen territorialer Pfarrgemeinde und funktionaler Seelsorge am Beispiel der Autobahnkirchen in der Bundesrepublik Deutschland“.

Mit dem Abschied aus der Redaktion „Religion und Gesellschaft“ des Deutschlandfunks ist derzeit die Journalistin Christiane Florin beschäftigt. Am kommenden Dienstag (Reformationstag!) moderiert die kritische, inzwischen aus der Kirche ausgetretene Katholikin zum letzten Mal um 9:35 Uhr das Religionsmagazin „Tag für Tag“ und wechselt dann zum 1. November in die DLF-Kulturredaktion. Kirchenpolitisch bleibt die Walter-Dirks-Preisträgerin 2023 nicht nur mit ihrem Blog „Weiberaufstand“ aktiv: Am Freitag, den 11. November, hält sie unter dem Titel „Zwischen Demutsgigantismus und Bescheidenheitsbrutalität“ einen Vortrag über „das Machtsystem römisch-katholische Kirche“ bei der Katholische Akademie der Erzdiözese Freiburg, dem man auch online folgen kann.

Können Papst Franziskus und der Vatikan im Nahen Osten vermitteln? Oder in der Ukraine? Nur selten in der Geschichte habe der Heilige Stuhl erfolgreich Frieden gebracht, sagt Politikwissenschaftler Ralph Rotte im Interview mit Renardo Schlegelmilch im Domradio:

Äußerungen oder Handlungen der Kirchen werden Konfliktparteien kaum zu einer Veränderung ihres Verhaltens bewegen, können aber im Verein mit anderen Stimmen (UN, andere Staaten, humanitäre NGOs etc.) vielleicht den Druck auf sie erhöhen, sich stärker zu mäßigen, d.h. stärker auf humanitäre Belange zu achten. Allerdings betrifft dies vor allem Israel; von der Hamas ist sicher keinerlei Offenheit für humanitäre Belange zu erwarten. Damit ist die Moralpolitik der Kirchen sicher immer zu einem großen Teil Symbolpolitik, welche die kirchlichen Akteure sicher ehrt, aber in ihrer Wirkung deutlich begrenzt ist.

Spiritualität und Glauben lassen sich leicht missbrauchen, um Hass und Gewalt zu säen oder bestehende Konflikte zusätzlich anzuheizen. Daher sollten Initiativen wie die 2016 gegründete „Partnerschaft für Religion und Entwicklung“ (PaRD), in der über 160 Mitgliedsorganisationen aus acht Glaubensgemeinschaften zusammenarbeiten, stärker gefördert werden, um nicht den religiösen Scharfmachern das Feld zu überlassen, fordert Tillmann Elliesen im entwicklungspolitischen Magazin welt-sichten.

In der aktuellen Debatte um die Höhe des Bürgergeldes haben die Diakonie, das Armutsnetzwerk, der Evangelische Verband Kirche-Wirtschaft-Arbeitswelt (KWA) und der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (kda) der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern gemeinsam das „Bürgergeld-Bingo“ gestartet. Es ist ein Online-Game mit ernstem Hintergrund:

Wer es spielt und wirklich alle Ausgaben des täglichen Lebens berücksichtigt, merkt schnell, wie knapp das Monatsbudget von derzeit 502 Euro bemessen ist. Wie ernährt man sich ausgewogen von 6 Euro am Tag? Wie begleicht man die Stromrechnung, wenn dafür nur 42 Euro im Monat zur Verfügung stehen und die Preise explodieren? Wie bleibt man mobil, wenn das Bürgergeld nicht für das Deutschlandticket reicht, geschweige denn für den Unterhalt eines Autos?

„Bürgergeld-Bingo“ ist eine Antwort auf die derzeitige Debatte, in der wieder einmal Zerrbilder von sozialen Hängematten bemüht und Geringverdienende gegen Erwerbslose aufgewiegelt werden. Und eine Einladung gerade auch an Menschen mit gesichertem Einkommen, sich einmal in die Lage von Armen zu versetzen. Das Spiel macht spürbar, was Studien längst belegt haben: Das Existenzminimum in Deutschland ist zu niedrig!

Theologie

Auch an diesem Wochenende wird (trotz Kirchengebot) nur ein Bruchteil der römisch-katholischen Gläubigen zur Messe gehen. Der Liturgiewissenschaftler Andreas Redtenbacher erklärt im Interview mit Jan Hendrik Stens im Domradio, warum durch „liturgische Präsenz“ dennoch ein großes Potential für attraktive Gottesdienste stecke:

Indem zunächst einmal der Gottesdienst wirklich vorbereitet wird, in dem alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, den Gottesdienst in seiner ganzen Zeichenhaftigkeit sprechend zu machen. Dazu gehört, dass die Zeichen und Symbole stimmen, dass zum Beispiel das, was wir Materie im Gottesdienst nennen, also Brot auch als Brot erkennbar wird, Taufe als Wasserbad sichtbar wird, dass die Handlungen für die Menschen begreifbar sind, schlicht und klar sprechende Zeichen in ihrer ausgefeilten Sinnlichkeit. Wir brauchen eine neue Sinnlichkeit in der liturgischen Feier.

Dass die römisch-katholische Kirche als patriarchale Organisation, die Männern über das (den Frauen vorenthaltene) Weiheamt einen privilegierten Zugang zu wichtigen Positionen ermöglicht, ein Ort sei, an dem besonders viel für Männer getan werde und an dem sich in besonderer Weise das Mann-Sein entfalten und entwickeln könne, sei eine Illusion – so der überraschende Befund von Daniel Bogner. Im theologischen Feuilleton feinschwarz.net wirft der Professor für Theologische Ethik an der Universität Fribourg ein Licht auf die für männliche Laien im römischen Katholizismus vorgesehenen Rollenskripte „Bob der Baumeister“, „Josefs-Existenz“ und „Bystander“:

Zwar haben bestimmte Männer in der Kirche einen herausgehobenen Platz. Aber vieles spricht dafür sagen zu müssen: Die Kirche ist ein Ort, der die Entwicklung einer Vielfalt männlicher Identitäten geradezu verhindert. Eine Debatte darüber ist notwendig. Vielleicht stand sie bisher – nachvollziehbarerweise – im Schatten der Kämpfe und Debatten um den Weihezugang für Frauen.

Die ständegesellschaftliche Binnenstrukturierung der römisch-katholischen Kirche beeinflusse die Ausprägung geschlechtlicher Identität von Menschen, die sich im Handlungsfeld des Katholizismus aufhalten. Die geschlechtliche Rollentrias („das ent-männlichte Kleriker-Mannsein, ein halbiertes Laien-Mannsein und ein einseitig definiertes und damit überladenes Frau-Sein“) sei Teil eines „paradoxen Patriarchats“. Dies veranschaulicht Bogner mit vielsagenden Bildern aus der gelebten katholischen Praxis:

Dieser Katholizismus hat auf subtile Weise ein paradox gebrochenes Mann-Bild als normativ etabliert, das Druck in alle Richtungen ausübt: Kleriker fragen sich, wo sie Männer sein dürfen, nichtgeweihte Männer spalten zwischen weltlicher und kirchlicher Existenz: hier ist Gestaltungsmacht und Expertise gefragt, in der Kirche dürfen sie allenfalls mitberaten; und Frauen werden lebhaft, aber inhaltlich nur einseitig bestimmt zum Mitmachen aufgerufen und reiben sich dann die Finger an der klerikalen Teflon-Rüstung wund.

Eine realistische Lösung hat Bogner jedoch nicht zu bieten: Die Forderung, das „klerikale Schloss“ müsse „aufgesperrt“ werden, klingt ähnlich erfolgversprechend wie der Rat, die Learnings aus dem VHS-Kurs für Makramee zur Entwirrung des Gordischen Knotens zu nutzen.

Predigt

In seinem Blog bekennt der Nordkirchen-Pastor Philipp Kurowski, er habe das Gleichnis vom verlorenen Schaf lange so ausgelegt, dass man in der Gemeindearbeit einen besonderen Blick haben müsse für die Kirchenfernen, Distanzierten, Ausgetretenen oder Ungetauften. Während man sich noch vor wenigen Jahren darüber stritt, ob Kasualien den Kirchenmitgliedern vorbehalten bleiben sollten, alarmiere ihn mittlerweile eine Entwicklung, die das Gleichnis in einem neuen Licht erscheinen lasse. Die Nachfrage nach traditionellen Amtshandlungen wie Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung sei auch auf dem Dorf dramatisch zurückgegangen:

Anstatt als Gralshüter unserer heiligen Kasualien diese vor inflationärem Zugriff durch kirchenfremde Leute zu schützen, die nur den romantischen Kick suchen, aber das Christentum samt Kirche ablehnen, mutiere ich nun förmlich zum Handlungreisenden, der Menschen unsere Segenshandlungen anpreist.

Es sind die unsrigen, die sich von der Herde entfernen, und die wir Hirten wieder einsammeln müssen. Das verlorene Schaf aus dem Gleichnis hat ja auch mal zur Herde gehört, ja gehört immer noch dazu, aber läuft einfach in eine andere Richtung. Wenn man dem nicht hinterhergeht, wird man es womöglich nie wieder sehen. (…)

Solange wir so etwas wie Volkskirche sind, sollen wir für die Menschen da sein. Wir müssen die Anforderungen senken, die Hürden beseitigen, die Schwellen barrierefrei gestalten. Ja, wir müssen ihnen vielleicht sogar mit unserem Angebot hinterherlaufen. Aber ich bin überzeugt: Was ich anzubieten habe ist gut. Niemand, der es annimmt, wird es bereuen. Segen ist gratis.

Ein guter Satz

„Der Mensch hat unter den Weiten des Himmelszeltes nicht mindere Rechte als das Reh im Wald, der Hase auf dem Feld oder die Robbe im Spülsaum der Ostsee.“

– Urteil des AG Lübeck zum „Wildpinkeln“ (AZ: 83a OWi 739 Js 4140/23 jug.)



Title: Heiße Luft – Die #LaTdH vom 29. Oktober
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Date: October 29, 2023 at 08:13AM
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