#IchBinThea – Let’s Talk about the „Priesterfaktor“

#IchBinThea – Let’s Talk about the „Priesterfaktor“

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In unserem Special #IchBinThea berichtet die fiktive Person Thea vom wissenschaftlichen Prekariat in der Theologie und bietet eine Plattform Jungwissenschaftler*innen über ihre eigenen Erfahrungen zu erzählen. Im neuen Beitrag erzählt uns Thea vom „Priesterfaktor“ und welche Konsequenzen der haben kann.

Liebe Lesende,

kein Special zur katholischen Theologie zu Beginn des 21. Jahrhunderts wäre komplett, wenn es nicht irgendwann einmal den Unterschied der zwei Stände „Klerus“ (v.a. Priestertum) und „Volk“ (Laientum) thematisiert. Also will auch ich mich heute äußern. Es geht mir nicht um einseitige Bevorzugung und nicht um Polemik. Wir diskutieren hier auch nicht über Sinn und Zweck des sakramentalen Priestertums oder die Zulassungsbedingungen – diese Themen werden andernorts breit diskutiert und im Rahmen der nihil obstat-Voraussetzungen ist jede Meinung ein wenig wie Topfschlagen im Minenfeld.

Drei Quoten

Beginnen wir also mit den Fakten. In der katholischen Theologie gibt es grundsätzlich drei Stufen von Bewerber*innen auf Professuren. Es gibt die Priesterquote, die Frauenquote und die „quotenlosen“ Laien*. Die Priesterquote basiert auf den bereits genannten Rechtsgrundlagen und sieht theoretisch eine Mehrheit in jeder einzelnen theologischen Hochschule vor. Die Frauenquote ist der (inter-)nationale Versuch gender mainstreaming und Gleichberechtigung von Frauen umzusetzen und damit den Frauenanteil in den Wissenschaften zu erhöhen. Für die Gruppe männlicher Laien bedeutet dies eine doppelte Zurücksetzung. Völlig außen vor ist die Gruppe der *-Personen, da sexuelle Orientierung und Identität im kirchlichen Rahmen einem klaren Narrativ zugeordnet sind und in diesem Sinne nicht berücksichtigt werden „können“ – zumindest nicht positiv.

Ein bisschen Statistik

Betrachten wir die Statistik, so gibt es derzeit ca. 42% Priester auf deutschsprachigen Professuren und immer noch deutlich mehr Laien (45%) als Laiinnen (13%) – in Österreich und der Schweiz prozentual ähnlich. Bei anderer Gelegenheit werde ich Euch von einer weiteren Quote erzählen, die vor allem uns Frauen betrifft: die dropout-Quote während und nach der Dissertation – von der ja auch meine Kolleg*innen in der Jungen AGENDA berichten.

Legen wir eine zweite Statistik zur Veranschaulichung dazu: Es gibt in Deutschland ca. 25 Mio statistische Katholik*innen und ungefähr 15.000 Priester. Das bedeutet an den Theologischen Fakultäten werden die paritätischen Männer und Frauen (50:50) aufgeteilt in 87% Männer und 13% Frauen. Die etwas mehr als 1% des Männeranteils ausmachenden Priester stellen dabei ungefähr die Hälfte der männlich besetzten Lehrstühle – anders gesagt: Kleriker, die weniger als 1% der Katholik*innen ausmachen, halten aktuell 42% der Professuren.

Ein Schuss kritischer Pragmatik

Diese Zahl ist durch einige Faktoren zu relativieren. Sie bezieht sich nur auf die Professuren, es gibt auf der Ebene des sogenannten Mittelbaus wesentlich weniger Priester, d.h. langfristig wird sich dieses Verhältnis ändern, außer es werden Fakultäten geschlossen oder die MCs ändern ihre gegenwärtige Besetzungspolitik. Die Anzahl der Priester ist in den älteren Dienstjahrgängen höher, weil Frauenquoten und die Habilitationserlaubnis von nicht-Priestern erst wenige Jahrzehnte zurückliegen, es also schlicht fast nur Priester gab. Drittens macht ein Faktor noch keine Homogenität aus. Die Forschenden in der Theologie sind genauso individuelle Subjekte mit eigenen Positionen in ihrem Fach sowie zu Themen von Gesellschaft und Politik etc. Die Priester als homogene Gruppe gibt es ebenso wenig wie die Lai*innen. Man darf solche Statistiken also auch mit einem gesunden Schuss kritischer Pragmatik lesen.

Das Ziel? – Die Priesterausbildung

Das Priestertum steht dennoch im Fokus. Es gibt nämlich nicht nur in den Besetzungen das „privilegierte Prozent“, das wir auch aus anderen sozialen Kontexten kennen, sondern in der Anlage der Theologischen Forschung insgesamt – und in Österreich sogar in den Schulen (Konkordat Art.6 §1).

Erster Ankerpunkt ist auch hier das röm.-kath. Recht. Das im Anhang von „Veritatis Gaudium“ unverändert abgedruckte Vorwort von „Sapientia Christiana“ sagt wörtlich, dass das primäre Ziel der theologischen Hochschulausbildung sei, „mit besonderer Sorgfalt auf das Priesteramt […] vorzubereiten“ [Vorwort Nr. III; s. auch II zur Entstehung; SapC Nr. 74 §1] und erst danach gehe es um eine Offenheit für „Kleriker und Laien“; an dieser Stelle wird die theologische Forschung nicht erwähnt.

Wenn dies aber der primäre Grund für die Existenz der universitären Theologie ist, dann kann man alle Standorte schließen oder drastisch reduzieren, an denen keine Priester ausgebildet werden – sie sind auch nicht mehr durch das Konkordat gesichert. Einen Ausweg bildet hier aus Sicht des KThF eine Reformulierung aus Veritatis Gaudium.

Gefordert: Erfahrung in der Praxis

Ein zweiter Stolperstein für nicht-Priester*innen sind die geltenden Habilitationsordnungen (DE 1972; AT 1995). In ihnen wird über die Vorgaben des Hl. Stuhls hinaus gefordert, dass jede Person bei der Berufung praktische pastorale Vorerfahrungen haben muss, die in der Regel durch eine Art „hauptamtlicher Tätigkeit außerhalb der Hochschulen“ nachgewiesen werden müssen, d.h. Schulunterricht, Pastoraljahr(e), kategoriale Seelsorge etc. In Österreich ist diese Angabe auf ein Jahr hin definiert worden.

Im Hintergrund dieser Überlegungen stehen – so unterstelle ich einmal – grundsätzlich gute Gedanken. Ein*e Theolog*in, die*der keine praktische Rückbindung, keine eigene Glaubenspraxis und auch keinen Kontakt zu den Menschen hat(te), denen er seine Forschung widmet, droht in den Elfenbeinturm einzuziehen; akademische Theologie dient aber nach eigenem Selbstverständnis immer der gelebten Theologie, dem Glaubensvollzug.

Priester im Vorteil

Praktisch bedeutet diese Auflage jedoch den Ausgleich eines Nachteils, den Priester aufgrund ihrer Ausbildung haben könnten und verschafft ihnen damit andererseits sogar einen Vorteil. Um Theologin werden zu können brauchte ich nach dem Studium so schnell wie möglich einen Lebensunterhalt, den ich gefunden habe. Ich habe dort meine Qualifikationsphase durchlaufen und will danach weitermachen. Aus dem #IchBinHanna-Diskurs ist hinlänglich bekannt, wie prekär diese Zeit ist, wie viele Überstunden man machen muss und wie viel Zeit, Hirnschmalz und Psyche auf Nachfolgefinanzierung zu legen ist.

Als Theologin wird nun von mir erwartet, dass ich neben dieser Tätigkeit entweder für mindestens ein Jahr aus diesem Rad aussteige oder über einen längeren Zeitraum hinweg weitere Zeit (nicht jeder MC akzeptiert ehrenamtliche Zeiten!) in einer außeruniversitären Tätigkeit verbringen muss. In dieser Zeit kann ich mich nicht weiterqualifizieren, falle aus dem System heraus und muss erst einmal eine Anstellung finden, bei der ich nicht auf Ausbildungsniveau bezahlt werde (nach 5-10 Jahren Studien, 50-75% Stellen usw.). Es gibt also eine Benachteiligung, die Einzahlung in die Alterskassen wird auf niedrigerem Niveau länger andauern und ich brauche länger, um eine Entfristung erstreben zu können.

Ein bischöfliches Quasi-Stipendium

Ihr mögt Euch fragen, inwiefern sich diese Verhältnisse von denen der Priester unterscheiden. Priester durchlaufen bis zur Weihe über Pastoraljahr, Diakonat und Kaplanszeit ohnehin eine vorgegebene und planbare praktische Phase, d.h. sie erfüllen diesen Punkt notwendig. Das könnte für sie zu einem Nachteil werden, gegenüber uns Lai*innen, wenn die praktische Zeit keine Vorgabe wäre. Doch da sie keine Familie haben (dürfen), Unterstützung im Haushalt bei Bedarf großteils gegenfinanzieren können und der Bischof / Ordensobere ihnen gegenüber eine Fürsorgepflicht hat, sind die Priester vollkommen abgesichert – auch über Kettensperren hinweg entfristet – und ihre Altersvorsorge ist garantiert. Für sie spielt es also weniger eine Rolle, wann sie habilitiert sind, sofern ihr Bischof sie für die akademischen Studien freistellt. Dies bedeutet auch, dass die Priester zwar im Kirchendienst arbeiten müssen, andererseits aber durch ein bischöfliches „Quasi-Stipendium“ von administrativen Assistenz-Diensten befreit forschen können, d.h. der zeitliche Nachteil ist bereits ausgeglichen.

Am Ende zählt die Priesterquote

Nun sind aber nicht nur die Zeit ein entscheidender Faktor und Finanzen ein zweiter, sondern auch die Berufbarkeit. Und hier zieht dann eben mal mehr und mal weniger die Priesterquote.

Zwei letzte Gedanke dazu. Die Österreichisches Bischofskonferenz hat noch eine weitere Verschärfung festgelegt (Habil.-Ord. Art. 2.2), denn hier werden auch jene Fächer der Theologie spezifiziert, die in den römischen Dokumenten nur mit ius et mores als relevant bezeichnet wurden und falls möglich mit Priestern besetzt werden sollen: Dogmatik, Moral, Liturgie, Pastoral. Hier gibt es also eine definierte Priesterquote, die im Ideal 100% betragen soll.

Bischöfe und die meisten männlichen Ordensoberen sind geweihte Priester einerseits und andererseits werden aus diesen Gruppen alle kirchlichen Gesetzgeber gestellt (MCs; Bischofskonferenzen usw.). Sie sind für die Umsetzung der römischen Vorgaben zu Priesterquoten zuständig und gleichzeitig mit besonderer Fürsorge um diese Gruppe betraut, zu denen sie außerdem über den Berufungsweg häufig ein biographisches Nahverhältnis haben.

Inwiefern verschärfen diese persönlichen, formellen, historischen und juristischen Faktoren das Prekariat einer Gruppe in der Wissenschaft – und wie erleichtern sie es gleichzeitig einer anderen? In der Theorie habe ich hier mit euch einige Gedanken geteilt; wie das in der Praxis ausschaut könnt ihr selber recherchieren – oder hier erzählen.

Ich wünsche Euch einen tollen Monat und freue mich, von Euch zu lesen.

Eure Thea

Du möchtest von deinen eigenen Erfahrungen im wissenschaftlichen Prekariat im Feld der Theologie, Religionswissenschaft, etc. erzählen und unseren Leser*innen einen Einblick geben? Dann schreib uns an thea@y-nachten.de

 

Hashtag der Woche: #ichbinthea

Bild: Jomarc Cala / Unsplash

Der Beitrag #IchBinThea – Let’s Talk about the „Priesterfaktor“ erschien zuerst auf y-nachten.de.

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November 14, 2022 at 07:45AM