Horst Heller
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Lieber Herr Barth!
Darf ich Sie bitten, mir möglichst schnell über das Folgende Nachricht zu geben?
1.) Ist es wahr, was hier verbreitet wird, dass Ihre Schrift Theologische Existenz heute in Bonn beschlagnahmt ist? Durch wen? Wo etwa sonst?
2.) Ist es wahr, dass – wie das Gerücht sagt – Sie in 8 Tagen „gehen müssen“ – was ja wohl Ihre Beurlaubung bedeuten würde? Und wenn das wahr ist, ist Ihre Beurlaubung motiviert durch jene Schrift? […]
Mit herzlichen Grüßen von Haus zu Haus
Ihr R. Bultmann
Quelle
Diesen Brief schrieb der Marburger Theologieprofessor Rudolf Bultmann am 13.07.1933 an seinen Bonner Kollegen Karl Barth. Als Vertreter der Dialektischen Theologie hatten sie nach der Katastrophe des Ersten Weltkriegs einen Neustart der theologischen Wissenschaft angestoßen. Auch als Mitglieder der Bekennenden Kirche waren sie verbunden. Beide blickten mit Sorge auf die politische Lage des Jahres 1933 und insbesondere auf die nationalsozialistische Kirchenpolitik.
Bei der Publikation Theologische Existenz heute! handelt es sich um eine Beilage zu einer Ausgabe der theologischen Zeitschrift Zwischen den Zeiten, zu deren Herausgebern auch Karl Barth gehörte. Sie wurde noch im Jahr 1933 eingestellt, weil es Streit um das Profil der Reihe gab. Karl Barth gründete deshalb zusammen mit seinem Freund und Kollegen Eduard Thurneysen eine eigene Schriftenreihe, die ebenfalls den Namen Theologische Existenz heute trug. Das Heft, nach dem Bultmann in seinem Brief fragte, war also so etwas wie der Auftakt einer neuen Schriftenreihe. Sie war von Anfang an den Nationalsozialisten ein Dorn im Auge.
Die Veröffentlichung vom Sommer 1933 war ein längerer Aufsatz von Karl Barth selbst. Er rechtfertigte zunächst, dass er nicht früher und deutlicher gegen die nationalsozialistische Kirchenpolitik protestiert hatte. Nun aber, so Barth, könne ein evangelischer Theologie nicht schweigen. Er griff die deutsche evangelische Kirche an, weil sie sich ohne äußeren Zwang dem nationalsozialistischen Staat angeglichen und das Amt eines Reichsbischofs eingeführt habe. Der Glaubensbewegung der Deutschen Christen warf er vor, den Boden von Bibel und Bekenntnis verlassen zu haben.
Was ich dazu zu sagen habe, ist einfach: ich sage unbedingt und vorbehaltlos Nein zum Geist und zum Buchstaben dieser Lehre. Ich halte dafür, dass diese Lehre in der evangelischen Kirche kein Heimatrecht hat. Ich halte dafür, dass das Ende der evangelischen Kirche gekommen wäre, wenn diese Lehre, wie es der Wille der „Deutschen Christen“ ist, in ihr zur Alleinherrschaft kommen würde. Ich halte dafür, dass die evangelische Kirche lieber zu einem kleinsten Häuflein werden und in die Katakomben gehen sollte, als dass sie mit dieser Lehre auch nur von ferne Frieden schlösse. Ich halte diejenigen, die sich dieser Lehre angeschlossen haben, entweder für Verführer oder für Verführte.
Quelle
Trotz dieser unzweideutigen Absage an die nationalsozialistische Kirchenpolitik und die Deutschen Christen blieb Barths Schrift noch ein Jahr frei verkäuflich. Erst am 28.07.1934 wurde beschlagnahmt, was noch in den Buchhandlungen auslag, und ein Jahr später wurden in den Räumen des Münchener Verlages Chr. Kaiser sämtliche noch verfügbaren Schriften und Bücher Barths konfisziert.
Aber im Sommer 1933 war der Bonner Professor noch nicht beurlaubt. Die Sorge, er könne wegen seiner Gegnerschaft zum Nationalsozialismus bereits suspendiert worden sein, war allerdings nicht unbegründet. Denn noch im Jahr 1933 waren zahlreiche jüdische und politisch unliebsame Hochschullehrer entlassen worden. Karl Barth, der seit 1931 SPD-Mitglied war, weigerte sich, seine Vorlesungen mit dem „deutschen Gruß“ zu beginnen. Wegen seiner Prominenz wurde er aber zunächst noch verschont.
Das änderte sich, als das NS-Regime im August 1934 von allen Staatsbeamten einen Diensteid auf die Person Adolf Hitlers verlangte. Ein Gesetz legte die Eidesformel fest:
Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler treu und gehorsam sein, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.
Zum Vereidigungstermin an der Universität erschien Barth nicht. Er teilte dem Rektor mit, dass er den Eid nur leisten könne, wenn eine von ihm formulierte Klausel eingefügt würde. Daraufhin wurde er am 26.11.1934 auf Anordnung des Reichsministers mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendiert. Die Presse wurde angewiesen zu berichten, Barth habe den „Führereid“ verweigert. An selben Tag wurde ein Verfahren wegen Verletzung seiner Dienstpflichten gegen ihn eröffnet. Barth protestierte schriftlich und mündlich gegen die Suspendierung und die Vorladung beim Bonner Landgericht.
Unter den Theologieprofessoren Deutschlands war Barth in der Tat der Einzige, der den Eid in der vorgeschriebenen Formulierung ablehnte. Damit sein Kollege Bultmann und andere Mitglieder der Bekennenden Kirche über die Sachlage informiert waren, schrieb er am Tag nach seiner Suspendierung einen Brief an den Marburger Kollegen.
Lieber Herr Bultmann!
Es geht heute durch die Presse die Mitteilung meiner Suspension mit der Begründung, dass ich mich „geweigert“ habe, den vorgeschriebenen Eid zu leisten. Diese Begründung entspricht nicht den Tatsachen. Ich lege Ihnen die Formel bei mit Einfügung des […] Zusatzes, den ich in Vorschlag gebracht hatte, um mir die Leistung des Eides zu ermöglichen. […]
Mit herzlichem Gruß!
Ihr Karl Barth
Quelle
Auf einem Extrablatt legte er seinen Änderungsvorschlag bei und unterstrich mit rotem Stift den entscheidenden Passus:
Ich schwöre: Ich werde dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam sein, soweit ich es als evangelischer Christ verantworten kann, die Gesetze beachten und meine Amtspflichten gewissenhaft erfüllen, so wahr mir Gott helfe.
Quelle
Bultmann antwortete am 03.12.1934. Er lobte den Mut, den Barth aufbrachte, merkte aber kritisch an, dass sich der Staat seiner Meinung nach nicht auf eine solche Klausel einlassen könne. Er sorgte sich außerdem, dass die Bekennende Kirche durch Barths Entscheidung im Kampf gegen die nationalsozialistische Kirchenleitung geschwächt worden sei.
Lieber Herr Barth!
Ich danke Ihnen sehr dafür, dass Sie mich über den Sachverhalt betr. Ihre Suspension in Kenntnis gesetzt haben. Freilich kommt Ihre Forderung, dass Ihnen beim Eid jene Klausel konzediert werde, praktisch doch wohl auf die Verweigerung des Eides hinaus, von der die Zeitungen berichteten. Denn ich kann mir nicht denken, dass sich der Staat auf die Klausel einlässt, und m. E. darf er es auch gar nicht. Er kann doch nicht zulassen, […] dass die zum Eid befohlenen Beamten sich von vornherein durch diese oder jene Klausel salvieren […] um dann jeweils der Eidesverpflichtung enthoben zu sein. […]
Sie können sich also denken, dass die Nachricht von Ihrem Verhalten für uns ein großer Schrecken war, der auch durch Ihre Richtigstellung kaum vermindert wurde. Und je länger ich die Sache bedenke, desto mehr beklage ich Ihren Schritt, — bei aller Respektierung der dafür maßgebenden Wahrhaftigkeit und des darin wirksamen Mutes, was ich kaum zu sagen brauche. […] Ich fürchte, dass eine Diskussion zwischen Staat und Kirche über den legitimen bzw. illegitimen Sinn des staatlichen Totalitätsanspruchs, die eines Tages notwendig werden kann, durch Schritte wie den Ihren von vornherein erschwert oder verdorben wird.
Mit herzlichen Grüßen
Ihr R. Bultmann
Quelle
Die Vorläufige Kirchenleitung der Bekennenden Kirche beriet ebenfalls über Barths Schritt und wies auf die religiöse Beteuerungsformel „… so wahr mir Gott helfe“ hin. Für evangelische Christen, so ließ sie verlauten, sei damit ausreichend festgehalten, dass sie nicht zu Handlungen verpflichtet seien, die gegen die Gebot Gottes verstießen. Weitere Klauseln müssten also nicht eingefügt werden. Barth erklärte sich daraufhin in einem Schreiben vom 18.12.1934 an den Rektor der Universität bereit, den Beamteneid in der vorgeschriebenen Form ohne jeden Zusatz zu leisten.
Doch der nationalsozialistische Staat wollte seinen Kritiker nun endgültig loswerden. Zwei Tage später, am 20.12.1934 wurde Barth durch eine Entscheidung der Dienststrafkammer aus dem Staatsdienst entlassen. Das erfuhr auch Rudolf Bultmann. Er forderte Barth in einem Brief vom 26.12.1934 inständig auf, gegen diese Entscheidung gerichtlich vorzugehen.
Lieber Herr Barth!
[…] Dass unsere Gedanken in diesen Tagen oft zu Ihnen gingen — in Sorge um die Sache wie in treuem Gedenken an Ihre Person —, brauche ich kaum zu sagen. Herr v. Soden und ich möchten wissen, ob Sie gegenüber dem über Sie ergangenen Urteil an die nächste Instanz, das Oberverwaltungsgericht, appelliert haben. Wenn — wie wir nicht hoffen — nicht, so bitten wir dringend, es alsbald zu tun. […] Daran aber ist im Interesse der Sache entscheidend gelegen. Und es ist unsere dringende Bitte (falls Sie nicht von sich aus schon ebenso entschieden haben), dass Sie die Sache in die zweite Instanz bringen. […]
Mit herzlichen Grüßen für Sie und die Ihren und treuen Wünschen
Ihr R. Bultmann
Quelle
Barth entschloss sich tatsächlich, in die Berufung gehen. Auf die Solidarität der Bekennenden Kirche musste er dabei aber verzichten. Sie versagte ihm die Unterstützung in diesem Rechtsstreit. Dennoch gewann er den Prozess. Das Preußische Oberverwaltungsgericht in Berlin hob am 14.06.1935 das Urteil der Dienststrafkammer auf und verurteilte Barth lediglich zu einer Gehaltskürzung für die Dauer eines Jahres.
Doch die Freude über das Urteil währte nur kurz. Eine Woche später, am 21.06.1935 versetzte ihn der Minister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung in den Ruhestand.
Fünf Tage später wurde Barth von Universität seiner Heimatstadt Basel berufen.
Literatur und Links
Karl Barth, Theologische Existenz heute! Beiheft 2 zu „Zwischen den Zeiten“, München, 1933.
Zitiert nach https://jochenteuffel.com
Karl Barth – Rudolf Bultmann, Briefwechsel 1911–1966, hrsg. v. Bernd Jaspert, Zürich 1994, S. 135 und 153-157
Zitiert nach https://kbga.karl-barth.ch
Forschungsstelle für Kirchliche Zeitgeschichte, München, Abschied aus Deutschland nach Zwangsemeritierung, https://de.evangelischer-widerstand.de
Frank Luerweg, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn: Am 26.11.1934 suspendierten die Nationalsozialisten den Bonner Theologen Karl Barth, https://idw-online.de/de/news91302
Friedrich Wilhelm Graf und Andreas Waschbüsch, Zwischen den Zeiten (ZdZ), https://historisches-lexikon-bayerns.de
Title: „Ist es wahr, dass Sie in 8 Tagen gehen müssen?“ Im November 1934 wurde der Theologe Karl Barth suspendiert
URL: https://horstheller.wordpress.com/2024/11/25/november-1934-karl-barth/
Source: Horst Heller
Source URL: https://horstheller.wordpress.com
Date: November 25, 2024 at 06:00AM
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