Kehrtwende: Söder rückt die Digitalisierung der Schulen plötzlich weit nach hinten

MÜNCHEN. Mit großen Worten kündigte die bayerische Staatsregierung einst Tablets für alle Schüler ab der 5. Klasse an. Nun kommt die Kehrtwende. Tablets soll es erst ab Klasse 8 geben. Damit bleibt der Freistaat seinem Schlingerkurs in Sachen Digitalisierung der Bildung treu: von Verboten hin zu Begeisterung – und wieder zurück.

“Klassische Bildungsideale”: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU), hier beim Oktoberfest. Foto: Shutterstock / WhiteHaven

Die Staatsregierung will Schüler nun doch erst ab der 8. Klasse flächendeckend mit Tablets ausstatten und nicht schon ab der 5. Klasse – diese überraschende Kehrtwende stößt bei Verbänden und Experten auf Zustimmung. Der Bayerische Philologenverband (bpv) begrüßte den von Ministerpräsident Markus Söder (CSU) angekündigten Kurswechsel ebenso wie der Augsburger Bildungsforscher Prof. Klaus Zierer. Kultusministerin Anna Stolz (Freie Wähler), von der die Initiative laut Söder ausging, sagte: «An Bayerns Schulen wird es künftig noch mehr Augenmaß bei der digitalen Bildung geben als bisher.»

Eigentlich hatten CSU und Freie Wähler gemeinsam vereinbart, im Kabinett beschlossen und öffentlich angekündigt, dass alle Schüler an weiterführenden Schulen mittelfristig ein Tablet bekommen sollen. «Bis spätestens 2028 sollen sukzessive alle Schülerinnen und Schüler ab der 5. Klasse mit digitalen Endgeräten ausgestattet werden», hieß es im Koalitionsvertrag. Und nach dem Kabinettsbeschluss im Februar 2024: «Bayern setzt damit Maßstäbe und geht – nach digitalen Klassenzimmern, Leihgeräten und Fortbildungen – den nächsten und entscheidenden Schritt auf dem Weg zur “Digitalen Schule der Zukunft”.» Und die schrittweise Umsetzung hat längst begonnen – mit einem Zuschuss von jeweils 350 Euro für persönliche Tablets in bestimmten Klassen, je nach Schule.

«Das heißt, auch die klassischen Bildungsideale bleiben in Bayern»

Nach der Kabinettsklausur am Tegernsee kündigte Söder nun an, mobile Endgeräte solle es doch erst ab der achten Klasse geben – vorher sollten Lesen, Rechnen und die eigene Handschrift im Vordergrund stehen: «Das heißt, auch die klassischen Bildungsideale bleiben in Bayern», argumentierte Söder. Und Stolz erklärte: «Digitale Bildung braucht immer einen pädagogischen Mehrwert und einen zielgerichteten und verantwortungsvollen Einsatz. Und das heißt für mich ganz klar: umso jünger, umso weniger. Denn gerade in den ersten Schuljahren ist der Erwerb von analogen Kompetenzen entscheidend.»

Zierer nannte die Entscheidung überfällig – aber auch nur einen Schritt in die richtige Richtung. Er habe schon lange gefordert, den «Digitalisierungswahn» zu stoppen. Die Forschungslage warne nicht erst seit heute vor einem Zuviel und einem Zufrüh an digitalen Medien in Schulen, sondern sei seit Jahren bekannt.

Zierer fordert nun aber noch mehr: Die Ausstattung aller Schüler mit digitalen Endgeräten müsse ausgesetzt werden – es brauche vorher eine Diskussion über Sinn und Zweck dieser Maßnahme. Viele Rückmeldungen von Schulen seien nicht positiv: «Viele Schüler berichten von Situationen in den Klassenzimmern, in denen Schüler während des Unterrichts Spiele spielen, sinnlos umher wischen und keine Kontrolle mehr über das Lernen haben.»

«Der sinnvolle, kritische Umgang mit digitalen Endgeräten setzt voraus, dass davor analoge Grundfähigkeiten erworben und eingeübt werden»

Der bpv-Vorsitzende Michael Schwägerl sagte zu Söders Ankündigung, mit Blick auf die Schulen und deren Planungen für das nächste Schuljahr hätte man sich diese Entscheidung bereits früher gewünscht. Andere europäische Länder hätten bereits negative Erfahrungen mit einer zu frühen schulischen Digitalisierung gesammelt. Daher sei der Kurswechsel gut. «Kinder und Jugendliche in ihrem Entwicklungsprozess müssen im Mittelpunkt stehen. Und der sinnvolle, kritische Umgang mit digitalen Endgeräten setzt voraus, dass davor analoge Grundfähigkeiten erworben und eingeübt werden», betonte er. Das Geld, dass sich die Staatsregierung nun spart, sollte dennoch in die Schulen fließen, fordert der bpv – etwa in weitere Unterstützungskräfte.

In Sachen Digitalität in Schulen hüpft Bayern seit Jahren von einem Extrem ins andere – vom lange Zeit einzigen Bundesland, in dem die private Nutzung von Handys in Schulen verboten war, bis hin zur Ankündigung, alle weiterführenden Schulen flächendeckend mit Tablets auszustatten.

«Wir wollen die digitale Schule und den digitalen Unterricht von morgen weiter kraftvoll vorantreiben»

Erst 2022 lockerte der damalige Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler) das grundsätzliche Handy-Verbot an Bayerns Schulen und begründete das so: Das Smartphone sei längst ein allgegenwärtiger Begleiter der Schülerinnen und Schüler. «Gemeinsam mit den Eltern nehmen die Schulen ihren Auftrag in der Medienerziehung engagiert und aktiv wahr. Dazu brauchen die Schulen auch eine zeitgemäße Rechtsgrundlage, etwa inwiefern digitale Endgeräte an der Schule, ob und wie Handys auch privat an unseren Schulen genutzt werden können.»

Seitdem können «Schulen selbst im engen Dialog mit der Schulgemeinschaft vor Ort entscheiden», wie sie die private Nutzung der Geräte außerhalb des Unterrichts ausgestalten. In die gleiche Zeit fiel der Koalitionsvertrag, der allen Schülern ab Klasse 5 ein Tablet versprach – und mehr. Im Wortlaut: «Wir wollen die digitale Schule und den digitalen Unterricht von morgen weiter kraftvoll vorantreiben. Bayern ist schon jetzt deutschlandweit führend bei der Digitalisierung an Schulen.»

Seine Nachfolgerin und Parteifreundin Stolz erklärte dann unlängst – seitdem die Handy-Verbotsdebatte in Deutschland hochschwappt –, dass die Privatnutzung von Handys in Bayerns Schulen ja eigentlich noch verboten sei (solange die Schulleitung nichts anderes entscheidet). Jetzt, Rolle rückwärts, steht plötzlich offenbar die gesamte Digitalisierung der Schulen zur Disposition.

Davor warnten unlängst renommierte Bildungsforscher*innen des JFF – Institut für Medienpädagogik in einem Positionspapier (News4teachers berichtete): Pauschale Einschränkungen verhinderten wichtige Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten junger Menschen, hieß es. Medienbildung müsse gestärkt, nicht eingeschränkt werden. News4teachers / mit Material der dpa

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Date: June 3, 2025 at 12:51PM
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