Warum treten Menschen aus der Kirche aus? Welche Trends zeichnen sich ab? Und lässt sich das stoppen?
380.000 Menschen sind im Jahr 2022 aus den evangelischen Landeskirchen ausgetreten – bei 19.000 (Wieder-) Eintritten. Das sind im Hinblick auf die Zukunft katastrophale Zahlen. Dabei sind es vor allem junge Menschen, die der Kirche den Rücken kehren, wie es in einem aktuellen Podcast-Beitrag von „Kirche im NDR“ heißt.
Petra-Angela Ahrens ist Referentin für empirische Kirchen- und Religionssoziologie beim Sozialwissenschaftlichen Institut (SI) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Sie war an einer repräsentativen Studie unter Ausgetretenen beteiligt und erklärt in der Sendung, dass „Gleichgültigkeit“, „Indifferenz“ oder die persönlich empfundenen „Irrelevanz von Kirche und Glaube“ einen wichtigen Faktor darstellen – vor allem unter jungen Menschen. Dies sei für die Evangelische Kirche eine „hochdramatische Entwicklung“, die sich analog auch bei der Katholischen Kirche ausmachen lasse, der im Jahr 2022 mehr als eine halbe Million Mitglieder den Rücken kehrten.
Kirchensteuer nur Anlass – Gründe liegen tiefer
Kirchensteuer und sexualisierte Gewalt im Bereich der Kirchen sind laut Studie in der Regel nicht die Gründe für den Austritt, sondern lediglich der Anlass. Die Gründe lägen in der Regel tiefer. Die Ausgetretenen hätten ohnehin eine „innere Distanz“ zur Kirche gehabt. Eine „Einbindung“ ins Gemeindeleben habe es nicht gegeben. Dann kämen Skandale dazu – „und irgendwann sagen die Menschen: jetzt ist Schluss“, so Ahrens.
Im Detail gebe es durchaus sehr unterschiedliche Anlässe für den Austritt. Während manche beklagten, dass es zum Beispiel in der Katholischen Kirche keinen Fortschritt für Frauen oder Homosexuelle gebe, kritisierten andere, dass die Kirchen mehr Politik als Glaubensvermittlung betrieben.
Für viele Ausgetretene sei es laut Ahrens eine Kosten-Nutzen-Rechnung. „Was gebe ich – und was bekomme ich?“ Und da entschieden sich viele Menschen inzwischen gegen einen Verbleib in der Kirche, da es für sie keinen erkennbaren Gewinn gebe.
Tauffeste als „Traditions-Booster“
Im Raum der Landeskirchen reagiert man zum Beispiel mit „Taufinitiativen“ auf die Entwicklung. Im Beitrag kommt eine junge Mutter zu Wort, die die Taufe als „schöne Tradition“ bezeichnet, von ihrer Gemeinde jedoch nichts erwartet. Ein Vater wünscht sich „Gottes Segen“ für sein Kind. Er möchte seinen Kindern den persönlichen Glauben vorleben. Ein beteiligter Pfarrer sagt, dass solche Veranstaltungen vor allem für Menschen mit loser Verbindung zu Glauben und Kirche gedacht seien.
„Hinausgehen, wo die Menschen sind“, das wünscht sich Claudia Kusch vom EKD-Kirchenamt in Hannover. „Nicht nur mit Tauffesten, sondern auch mit Glaubenskursen, Taufkursen, Festen.“ Und dies auf eine fröhliche, freundliche Art und Weise.
Aber wie kann die Glaubensvermittlung über die Kasualien hinaus angesichts sinkender personeller und finanzieller Möglichkeiten geschehen? Kusch wünscht sich hier unter anderem ehrenamtliches Engagement – zum Beispiel durch „Gemeindepaten“, die für Tauffamilien Verantwortung übernehmen.
Religionssoziologe: Entfremdung von Kirche lässt sich nicht aufhalten
Der Religionssoziologe Detlef Pollack hält die Taufinitiativen für eine „großartige“ Aktion. Ob sie jedoch einen „Erfolg“ bringe, das sei eine andere Frage. Der Trend zur Säkularisierung und Entfremdung von den Kirchen könne dadurch nicht gestoppt werden. Schon seit 50 Jahren gebe es in Deutschland die Erkenntnis, dass Kirche dorthin gehen müsse, wo die Menschen sind – und entsprechende Projekte. Aber die Distanzierung von Kirche sei in weiten Teilen der Bevölkerung so groß geworden, dass man sie auch an anderen Orten nicht mehr erreiche, so Pollack.
Eine Studie hatte im Jahr 2019 prognostiziert, dass die evangelische Kirche bis 2060 die Hälfte ihrer Mitglieder verlieren könnte. Der Religionssoziologe glaubt, dass der Schwund eher noch höher ausfallen dürfte. An ganz wenigen Stellen werde es eine „religiöse Selbstbehauptung“ geben, dies sei in den östlichen Bundesländern ersichtlich. Aber der Trend zur Säkularisierung werde dominant bleiben. Was muss Kirche tun: „Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, das ist allgemein bekannt.“ Außerdem „gute, professionelle Gottesdienste, gute Kirchenmusik. Nah bei den Menschen sein, sie seelsorgerlich begleiten […]“
In einer nicht repräsentativen Online-Umfrage hat der NDR gefragt, was die Kirche tun müsste, um Menschen zum Wiedereintritt zu bewegen. Am häufigsten genannt wurden hier „transpatrenterer Umgang mit Geld (39 Prozent), „Toleranz gegenüber verschiedenen Lebensentwürfen“ (37 Prozent), „Priesterweihe für Frauen“ (34 Prozent) und „weniger Einmischung in Politik“ (32 Prozent. Ein deutlich geringerer Anteil wünschte sich „konservative Werte und Traditionen“ in der Kirche.
Link: Hier der komplette Audiobeitrag (35 Minuten)
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Date: June 28, 2023 at 12:54PM
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