Klagen gegen Schulen: „Da hilft nur reden reden reden“

Die Konflikte zwischen Schulen, Eltern, Schülerinnen und Schülern nehmen zu. Mit besserer Kommunikation lassen sie sich häufig vermeiden. Sagt der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Schulrecht, Dr. Thomas Böhm.



20.06.2023


Bundesweit

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Herr Böhm, eine Schlagzeile sorgte kürzlich für Aufsehen. Die Klagebereitschaft der Eltern sei so hoch wie nie. Hieß es. Erkennen Sie die Tendenz?

Was Klagen im juristischen Sinne anbetrifft, kann ich keinen deutlichen Anstieg erkennen. Richtig ist aber, dass nach Corona die Zahl und die Schwere der Konflikte zwischen den Parteien gestiegen sind. Oft ist dies abhängig davon, wie es der einzelnen Schule gelungen ist, mit der Pandemie umzugehen. Wenn Eltern das Gefühl haben, es sei zu wenig dafür getan worden, dass die Kinder weiterhin gut lernen, machen sie die Schulen leicht für Misserfolge, schlechte Noten oder Nicht-Versetzungen verantwortlich. Unabhängig davon, wie die Situation zuhause war. Wir beobachten aber auch, dass gar nicht die konkrete Zahl von Eltern, die „klagen“, zugenommen hat. Vielerorts ist es eine kleine Zahl, die aber große und immer wieder Konflikte auslöst.

Wo sehen Sie dafür jenseits von Corona die Ursachen?

Wenn man ehrlich ist, muss man eingestehen, dass die Verhältnisse in manchen Elternhäusern deutlich schwieriger geworden sind. Dafür gibt es viele Gründe. Einer sind sicher die wirtschaftlichen Verhältnisse. Vielfach werden von Schulen Dinge erwartet, die eigentlich zunächst einmal zuhause geleistet werden müssten. Wenn daheim geduldet wird, dass Kinder dazwischen sprechen oder sich bei Tisch „rumlümmeln“, wundert es nicht, dass sie das in der Schule auch machen. Im Klassenzimmer ist es aber eben nicht egal, wenn 30 Kinder alle auf einmal reden. Das ist alles kein schweres Fehlverhalten, macht aber das Unterrichten schwerer.

Also liegt die Wurzel des Übels bei den Familien?

Auf keinen Fall. Auch die Lehrkräfte dürfen sich nicht zurücklehnen oder ihr eigenes Handeln nicht hinterfragen. Entscheidend ist, was auch in den Schulgesetzen steht – eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Schulen und Elternhäusern. Keiner darf sagen, „da bin ich raus.“

Die gemeinsame Verantwortung für Bildung und Erziehung von Eltern und Schule ist im Schulrecht der Länder definiert. Eine Übersicht hat die Kultusministerkonferenz zusammengestellt. Sie reichen von Kooperations- und Kommunikationsstrukturen über Unterstützungsangebote für Eltern, Beispiele gelungener Kooperationen bis hin zu Möglichkeiten der Einbeziehung von Eltern in die Weiterentwicklung der Schul- und Unterrichtsqualität (inkl. Umgang mit Ergebnissen schulischer Arbeit und Entwicklung von Schulprofil und Schulprogramm).

Was sind die häufigsten Streitpunkte?

Die Wahl der Schulform eher nicht. Denn am Ende spricht die Schule eine Empfehlung aus, an die sich Eltern nicht halten müssen. Knackpunkte sind zumeist Noten und damit verbunden Versetzungsfragen. Für eine fünf wird schnell die Lehrkraft verantwortlich gemacht. Die Argumente reichen von „kann mein Kind nicht leiden“ bis „der Unterricht war nicht gut“.

Was empfehlen Sie in solchen Fällen?

Reden, reden, reden. Dabei sollten sich beide Seiten bemühen, keine Vorwürfe zu formulieren, sondern sich an Fakten und Tatsachen zu orientieren. Für die Lehrkräfte bedeutet das, nachvollziehbare Gründe beispielsweise für Noten zu liefern, die überzeugen. Dazu zählt beispielsweise der Maßstab, der einer Beurteilung zugrunde liegt. Eltern hingegen müssen rechtlich relevante Argumente für eine bessere Note vorbringen. „Das ist nicht in Ordnung“, reicht nicht aus. Die Frage aber, warum ein mit gut bewertetes Zusatzreferat nicht in die Gesamtnote eingeflossen ist, sollte eine konstruktive Debatte auslösen.

Mit welchem Ergebnis?

Wenn diese Leistung nicht in die Note eingeflossen ist, dann ist das rechtswidrig. Das große Aber lautet: Auch die gute Leistung im Referat begründet nicht automatisch den Anspruch auf eine bessere Gesamtnote. Da verfügen Lehrkräfte nun einmal über einen gewissen Spielraum. Auch in so einer Situation wird es darauf ankommen, den Eltern und den Lernenden eine nachvollziehbare Erklärung zu liefern.

Können sich Lehrkräfte wirklich davon freimachen, Sympathie oder Abneigung in eine Benotung einfließen zu lassen?

Natürlich können auch sie ihre Gefühle nicht abstellen. Aber die können sie kontrollieren. Ich bin überzeugt, dass es der großen Mehrheit auch gelingt. Aber natürlich lösen sehr emotionale Randnotizen an einer Arbeit die Sorge aus, die Lehrkraft habe beispielsweise eine Erziehungs- und eine Leistungsbeurteilung unzulässig miteinander verbunden. War sie befangen, noch empört über ein Verhalten des Kindes? Doch selbst dann bringen Vorwürfe („Gucken Sie sich doch einmal diese Bemerkungen an!“) nichts. Beide Seiten müssen daran interessiert sein, ein Problem im Interesse des Kindes zu lösen.

Wann ist eine Note rechtswidrig?

Da gibt es einige Kriterien. Eines ist etwa, wenn Dinge abgeprüft werden, die im Unterricht gar nicht behandelt worden sind. Auch die unzulässige Gewichtung von mündlicher und schriftlicher Leistung kann ein Punkt sein. Vorgesehen ist eine annährend gleichwertige Bedeutung. Eine Gewichtung von 80 zu 20 in die eine oder andere Richtung stellt einen Verstoß dar. Eltern haben einen Anspruch auf schlüssige Antworten auf ihre Fragen. Beispiel: Eine Lehrkraft beklagt, dass sich ein Kind nicht beteiligt und fordert die Eltern auf, es zu fragen, warum es nicht mitmacht. Dann können die Eltern den „Spieß“ umdrehen und die Lehrkraft fragen, warum sie glaubt, dass das Kind sich nicht beteiligt und was sie zu tun gedenkt, daran etwas zu ändern. Denn das ist die klare Aufgabe der Lehrkraft. Beide sollten nach den Ursachen suchen und das in ihrem Bereich Mögliche tun, um die Unterrichtsbeteiligung zu verbessern.

Noch eine Frage zu der aktuellen Panne in NRW, die zur Verschiebung von Abi-Klausuren geführt hat. Erwarten Sie Klagen gegen Noten?

Nein, die Verschiebung hat keine rechtlichen Folgen. Sie stellt keinen ausreichenden Grund dafür dar, gegen die Note vorzugehen. Das Argument beispielsweise, das Kind sei dadurch noch nervöser gewesen, ist juristisch kein Hebel. Nervosität ist ein Persönlichkeitsmerkmal und das ist rechtlich irrelevant.

Vielen Dank für das Gespräch.


Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in:
Klett Themendienst Nr. 115 (6/2023)






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Date: June 20, 2023 at 12:40PM
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