BERLIN. Deutschland hat sich verpflichtet, Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) zum durchgreifenden pädagogischen und didaktischen Prinzip in Schulen zu machen – bis 2030. Davon ist allerdings in der Praxis bislang wenig zu sehen. Das ist offenbar auch der Kultusministerkonferenz (KMK) aufgefallen, die deshalb nun eine neue Handlungsempfehlung für Schulleitungen und Lehrkräfte herausgegeben hat. Dumm nur: Mittel für die Umsetzung werden ihnen nicht an die Hand gegeben.
„Aus der politischen Aufgabe, auf demokratische Weise eine in sozialer und globaler Hinsicht gerechte, wirtschaftlich tragfähige und ökologisch verträgliche gesellschaftliche Entwicklung so zu gestalten, dass alle Menschen – in allen Teilen der Welt, gegenwärtig und in Zukunft – ein gutes Leben führen können, leitet sich Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) als eine wichtige lebensbegleitende Bildungs- und Erziehungsaufgabe ab“, so schreibt die KMK.
Und: „BNE soll in die Lage versetzen, angesichts vielfältiger Krisenerfahrungen und komplexer Herausforderungen des 21. Jahrhunderts für die eigene Person und die Gesellschaft insgesamt Handlungsoptionen in Bezug auf nachhaltige Entwicklungen zu entwerfen. Dabei geht es um die Entwicklung von Kompetenzen, welche Menschen befähigen, sich trotz Widersprüchen, Unsicherheiten und Zielkonflikten an Aushandlungs- und Gestaltungsprozessen für eine nachhaltige Entwicklung beteiligen zu können.“
Kurzum: BNE soll junge Menschen befähigen, ein Leben im Einklang mit Natur und Gesellschaft zu führen – um so dazu beizutragen, die bislang arg von der Menschheit strapazierte Welt zu retten. BNE verbindet dabei Umweltbildung, Globales Lernen und Demokratiepädagogik. Und das betrifft nicht nur die Unterrichtsinhalte, sondern auch die Schulentwicklung. Dass BNE mehr ist als frommes Wunschdenken, macht die politische Beschlusslage deutlich. Deutschland hat sich im Rahmen der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, den Ansatz bis 2030 in den Schulen umzusetzen.
Die Praxis sieht allerdings bislang eher mau aus, wie zuletzt eine repräsentative Umfrage des VBE unter Schulleitungen deutlich machte. Nur sieben Prozent der bundesweit Befragten geben demnach an, dass Nachhaltigkeit an ihrer Schule – wie gefordert – derzeit Thema in allen Fächern ist und den Schulalltag prägt (zum Beispiel als Orientierung für Ernährung, Energie- und Abfallmanagement, Kommunikation, etc.). Dass Nachhaltigkeit derzeit an ihrer Schule sehr häufig Thema ist (in den meisten Fächern, in regelmäßigen Projekten, in den meisten Aktivitäten), geben weitere neun Prozent an. An 20 Prozent der Schulen ist Nachhaltigkeit nach Aussage der Schulleitungen immerhin noch häufig Thema (im Unterricht vieler Fächer, bei der Schulentwicklungsplanung und in der Kooperation mit Partnern).
In 30 Prozent der Schulen taucht BNE dagegen nur gelegentlich auf (zum Beispiel in regelmäßigen Projekten oder Projektwochen, im Unterricht einiger Fächer). „Vereinzelt“ (etwa in einzelnen Projekten oder in thematisch nahestehenden Fächern) sagen 29 Prozent der Schulleitungen. Und drei Prozent bekennen, dass Nachhaltigkeit bisher kein Thema an ihrer Schule ist.
Am guten Willen scheitert die Umsetzung offenbar nicht: Ein Drittel der Schulleitungen meinen, dass Nachhaltigkeit an einer idealen Schule in allen Fächern Thema sein sollte und den Schulalltag prägen sollte. Etwa die Hälfte der Schulleitungen wünscht sich, dass Nachhaltigkeit in der Schule sehr häufig (15 Prozent) oder häufig (32 Prozent) Thema ist. Nur wenige Schulleitungen halten das Thema für überbewertet – und sind der Ansicht, dass Nachhaltigkeit an der Schule nur vereinzelt (sechs Prozent) oder gar nicht (weniger als ein Prozent Thema sein sollte.
Woran hapert es denn dann? Als größte Hürden und Herausforderungen bei der Förderung von Nachhaltigkeit und BNE in der Schule sehen die Schulleitungen den Mangel an Zeit und Personal (72 Prozent) und dass andere Aufgaben und Anforderungen an die Schule zurzeit eine höhere Priorität haben (71 Prozent). Mehr als die Hälfte der Befragten (54 Prozent) sieht in mangelnden finanziellen Ressourcen eine Hürde oder Herausforderung bei der Umsetzung von Nachhaltigkeit und BNE. 40 Prozent der Schulleitungen sehen in einer starken Ausrichtung im Schulalltag auf Prüfungen und das Erreichen von Leistungszielen eine Hürde.
Moniert werden darüber hinaus: eine unzureichende Verankerung im Curriculum bzw. in den Schulgesetzen (19 Prozent), fehlendes Interesse an Nachhaltigkeit (z. B. in der Verwaltung, bei Lehrkräften, etc.) (13 Prozent), fehlende Unterrichtsmaterialien (11 Prozent) sowie ein Mangel an Fort- und Weiterbildungen (sieben Prozent).
In dieser Situation hat die KMK nun eine Neufassung ihrer ursprünglich 2007 veröffentlichten Empfehlung zur BNE in Schulen verabschiedet. Die Empfehlung betont die Bedeutung einer ganzheitlichen Anpassung der Lehrpläne und Curricula, die sowohl fachspezifische als auch fachübergreifende Lernziele beinhalten. Die Kultusministerinnen und Kultusminister empfehlen die Implementierung durch den sogenannten „Whole School Approach“, welcher BNE als Aufgabe der gesamten Schulgemeinschaft sieht und alle schulischen Aktivitäten entlang des Leitbildes der nachhaltigen Entwicklung ausrichtet. Sie geben Hinweise, wie BNE in der Unterrichtsentwicklung und in der Schulentwicklung gelingen kann.
„Schulen werden ermutigt, in Kooperation mit außerschulischen Bildungspartnern und lokalen Gemeinschaften innovative Lernformate zu entwickeln, die Schülerinnen und Schüler in die Gestaltung ihres Lernumfelds einbeziehen, und ihre Unterrichtsinhalte auf die Sustainable Development Goals, kurz SDGs, auszurichten“, so heißt es in dem Papier. Einleitend: „Die Kultusministerkonferenz sieht in diesen Empfehlungen einen entscheidenden Schritt, um Bildung in Zeiten des Wandels und der Transformation zukunftsfähig zu machen und Schülerinnen und Schüler auf die Übernahme von Verantwortung in einer zunehmend komplexen Welt vorzubereiten“, so heißt es. Dumm nur: Ressourcen werden dafür nicht in die Hand genommen. Nicht mal einen Hinweis zum Bedarf an Zeit und Geld für die Umsetzung enthält das Papier.
Greenpeace und das zivilgesellschaftliche Bündnis ZukunftsBildung waren dabei unlängst konkreter. Damit deutsche Schulen den Ansprüchen einer zukunftsfähigen Bildung gerecht werden können, seien bis 2035 Investitionen von rund 16,3 Milliarden Euro nötig, so heißt es in einer von den Organisationen herausgegebenen Studie. Um die Zahl verdaulicher zu machen, haben die Autorinnen und Autoren der Untersuchung sie heruntergebrochen: Bereits mit 320 Euro jährlich pro Schülerin und Schüler könne der BNE-Plan an allgemeinbildenden Schulen verankert werden.
„Aktuell ist Deutschland von der geplanten flächendeckenden Umsetzung meilenweit entfernt“
Der größte Teil der Investitionen, rund elf Milliarden Euro, soll demnach in die Aus- und Weiterbildung der Lehrkräfte fließen. Als zweitgrößter Posten (2,8 Milliarden Euro) wird die Einführung von Koordinatorinnen und Koordinatoren, die in den Schulen die Weiterentwicklung voranbringen, angeführt. „Ein Aktionsplan taugt nur etwas, wenn er auch umgesetzt werden kann. Deshalb müssen wir dringend über die nötigen Investitionen für eine zukunftsfähige Bildung sprechen“, sagt Thomas Hohn, Umwelt- und Bildungsexperte bei Greenpeace. „Aktuell ist Deutschland von der geplanten flächendeckenden Umsetzung meilenweit entfernt.“
Dass es letztlich am politischen Willen fehlt, BNE an Schulen umzusetzen, das sehen auch die Schulleitungen mehrheitlich. Über die Hälfte (54 Prozent) halten den Einsatz des Bildungsministeriums ihres Bundeslands für die Verankerung und Umsetzung von Nachhaltigkeit und BNE in der Schule für zu gering. Rund 28 Prozent der Schulleitungen können hierzu nicht mal eine Angabe machen, weil sie von solchem Engagement noch gar nichts mitbekommen haben. News4teachers / mit Material der dpa
Hier geht es zur neuen KMK-Empfehlung.
BNE: 1,5-Grad-Ziel wird gerissen! Massive Veränderungen durch Klimawandel absehbar
Title: KMK drängt Schulen zur Bildung für nachhaltige Entwicklung – „vergisst“ aber die dafür notwendigen Mittel
URL: https://www.news4teachers.de/2024/06/kmk-draengt-schulen-zur-bildung-fuer-nachhaltige-entwicklung-vergisst-aber-die-dafuer-notwendigen-mittel/
Source: News4teachers
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Date: June 23, 2024 at 03:45PM
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