Kontrollverlust – Die #LaTdH vom 4. September

Kontrollverlust – Die #LaTdH vom 4. September

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Herzlich Willkommen!

Am Freitag verstarb der 25-jährige trans Mann Malte C., der am vergangenen Samstag am Rande des CSD-Ständefests in Münster bei einem brutalen Angriff schwer verletzt worden war. Ein Tatverdächtiger befindet sich inzwischen in U-Haft, die Hintergründe der Tat werden weiter aufgeklärt, in vielen Städten finden Gedenkveranstaltungen statt, berichtet queer.de (@queer_de). Auch der Bischof des Bistums Münster (@bistummuenster), Felix Genn, meldete sich zu Wort:

„Wir müssen laut unsere Stimme erheben gegen alle, die andere wegen ihrer sexuellen Orientierung, ihrer geschlechtlichen Identität, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religionszugehörigkeit nicht tolerieren, beschimpfen, verbal oder tätlich angreifen.“

Einem WDR-Bericht zufolge, werden „den Behörden in Durchschnitt täglich bundesweit etwa drei queerfeindliche Gewalttaten bekannt“. Die Dunkelziffer ist hoch. Im Moment wird neben der Trauer um den Toten die Rolle von hate speech im Internet bei der Verbreitung von queerfeindlichem Hass diskutiert.

Dass sich Einzelne in ihrem Hass bestätigt und bei der Ausübung von Gewalt sicher fühlen können, verweist auf ein gesellschaftliches Klima, in dem LGBTQI* noch längst nicht überall anerkannt sind – auch wenn es in den letzten Jahren Fortschritte bei der rechtlichen Anerkennung gab.

Dafür tragen auch Christen Verantwortung.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Seit Mittwoch und noch bis zum Donnerstag findet im badischen Karlsruhe die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) statt. Darüber hatten wir in der „Debatte“ der #LaTdH von vergangener Woche und vom 14. August bereits informiert, insbesondere über die Kontroversen, die das Miteinander der Kirchen bedrohen:

Der Umgang mit dem Ukraine-Krieg und der Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK), deren Leitung den Angriffskrieg an der Seite Putins unterstützt. Der Nahost-Konflikt zwischen Israel und Palästinensern, zu dem die ÖRK-Mitgliedskirchen unterschiedliche Perspektiven einnehmen.

Internationaler Austausch – Gespräch mit Benjamin Lassiwe (Domradio)

Beim Kölner Domradio (@domradio) erzählt Benjamin Lassiwe (@lassiwe), der aus Karlsruhe von der Vollversammlung berichtet, von den Beratungen des ÖRK und dem Miteinander der Christ:innen aus verschiedenen Kirchen, Konfessionen und Weltregionen.

Wichtig ist zunächst einmal der internationale Austausch, der hier stattfindet. Die Delegierten aus den unterschiedlichen Konfessionsfamilien begegnen einander. Man begrüßt sich freudig, weil man sich von anderen Treffen her kennt. Man lernt voneinander, man nimmt die unterschiedlichen Positionen wahr.

Gleich zu Beginn wird Lassiwe zum Auftreten der russisch-orthodoxen Delegation befragt:

Sie sind hier, aber sie sind nicht im Gespräch mit vielen anderen und sind auch nicht immer da, wenn kritische Themen in der Versammlung aufgerufen werden.

Doch haben auch die Vertreter des Moskauer Patriarchats die engagierte Rede des deutschen Bundespräsidenten und reformierten Christen Frank-Walter Steinmeier (s. hier) zur Eröffnung der Vollversammlung gehört. Darin warf Steinmeier dem Moskauer Patriarchat vor, seine Gläubigen auf einen „geradezu glaubensfeindlichen, blasphemischen Irrweg [zu] führen“.

Eine, wie nicht nur ich finde, seltsam theologische Wortwahl für den höchsten Repräsentaten eines weltanschaulich neutralen Staates. Dass zunehmend auch die Gegner des russischen Angriffskrieges in religiöses Vokabular hineinrutschen, ist bemerkenswert – auch wenn mir kaum eine treffendere Beschreibung des Wirkens Kyrills einfällt.

Der Rede des Bundeespräsidenten lauschten auch „insgesamt elf, untereinander teils ebenfalls zerstrittene ukrainische Teilnehmer“, schreibt Lassiwe im Weser-Kurier. Sie reagierten positiv auf die Untertützung durch Steinmeier:

Der Erzbischof von Tschernihiw der selbstständigen Orthodoxen Kirche der Ukraine, Yevstratij, wurde deutlich. „Niemand hat das Recht, Kriege religiös zu rechtfertigen, niemand hat das Recht, eine Waffe zu segnen“, […] „Ich habe mich gefreut, dass die russisch-orthodoxe Delegation die Worte von Frank-Walter Steinmeier hören musste“.

Lassiwe berichtet auch, dass der ersehnte Dialog zwischen den ukrainischen und russischen Gästen bisher ausgeblieben ist: Weil sich die Moskauer Delegation entzieht und weil die Ukrainer wenig Hoffnung auf einen sinnvollen Austausch haben:

„Es gibt keinen Dialog“, sagte Yevstratij. So lange die russische Delegation nur „Kreml-Propaganda“ verbreite, gebe es keinen Grund, mit ihr zu reden.

Auf Steinmeiers Eröffnungsrede reagierte die Moskauer Delegation nicht in der Vollversammlung, sondern schriftlich, berichtet u.a. Reinhard Bingener (@RBingener) für die FAZ aus Karlsruhe:

Der Leiter der russisch-orthodoxen Delegation, Außenamtschefs Metropolit Antonij, bezeichnete diese Äußerungen Steinmeiers am Mittwochabend als Beispiel für den „unverhohlenen Druck“ von staatlicher Seite. Steinmeiers Rede sei eine „Einmischung in die inneren Angelegenheiten“ des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), der einen „friedenssichernden und politisch neutralen Charakter“ habe. Der russische Delegationsleiter warf dem Bundespräsidenten […] auch vor, „alle humanitären Bemühungen des Moskauer Patriarchats im Zusammenhang mit der Konfrontation in der Ukraine“ außer Acht zu lassen.

Tatsächlich leisten z.B. ROK-Gemeinden in Deutschland in der Ukraine und Flüchtlingen in Deutschland Hilfe. Immer wieder betonen Ökumene-Akteur:innen, dass innerhalb der ROK auch Dissens gegenüber dem russischen Angriffskrieg anzutreffen sei. Ob man bei der Wertschätzung der Perspektive der ROK allerdings so weit gehen muss, wie ein Delegierter aus der badischen Landeskirche (@ekiba), wage ich zu bezweifeln:

Ein EKD-Delegierter meldete sich am Freitagnachmittag und sagte im Plenum der Vollversammlung in Anspielung auf Steinmeier, politische Führer hätten Schuldzuweisungen getätigt und damit Versöhnung erschwert. Man müsse offen „für die Wahrheit der anderen“ bleiben, […].

Es muss möglich sein, ehrlich und kompromisslos die schreckliche Wahrheit über den russischen Ukraine-Feldzug zu sagen und auch die Mitwirkung des Moskauer Patriarchats an der Stabilisierung der russischen Öffentlichkeit hinter Präsident Wladimir Putin nicht zu verschweigen. Patriarch Kyrill und seine Gleichgesinnten dienen damit den Kriegstreibern.

Zugleich sollten Akteur:innen aus Dritt-Ländern, auch aus Deutschland, vorsichtig damit sein, sich die mit religiösen Metaphern schwer beladene Sprache der Kriegsparteien vollumfänglich zu eigen zu machen, wie der Hamburger Pastor Jens-Martin Kruse im Zusammenhang mit der Diskussion um ein Anti-Kriegs-Transparent an der dortigen St. Petri-Kirche (wir berichteten) in meinen Augen zurecht erklärte. Sehr wohl haben die ukrainischen Opfer des Krieges aber ein Recht darauf, dass man ihre Klage anhört. Ob daraus eine kräftige Resolution des ÖRK resultiert, werden die kommenden Tage zeigen.

Israel-Palästina-Konflikt

Über keines der in Karlsruhe (womöglich) zu verhandelnden Themen wurde im Vorfeld so intensiv berichtet wie über einen Antrag aus der anglikanischen Kirche Südafrikas, die Israel vom ÖRK als „Apartheids-Staat“ oder zumindest die Besetzung palästinensischer Gebiete als „Apartheids-Politik“ verurteilt sehen will. Vor „einer zweiten Documenta 15“, einem Fanal des Antisemitismus „auf deutschem Boden“ wurde gewarnt.

Zur Stunde ist der Antrag, der inzwischen einigen Journalist:innen und der Katholischen Nachrichtenagentur (KNA) (@KNA_Redaktion) vorliegt, noch nicht unter den offiziell eingereichten Anträgen zu finden (Stand: 3.9.2022, 21:15 Uhr). Über den Resolutions-Entwurf berichtet mit Material der KNA die Jüdische Allgemeine:

Zudem bezeichnet der Text Israel als »Apartheid-Staat«, denn Israels Politik und Gesetzgebung erfüllten angeblich die Definitionskriterien dafür. […] Unter anderem wirft der vom anglikanischen Erzbischof von Kapstadt, Thabo Makgoba, unterzeichnete Textentwurf Israel vor, ein »System der Trennung« eingeführt zu haben mit dem Ziel »die Dominanz einer Gruppe zu erhalten«. Volle Rechte habe nur die jüdische Bevölkerung. […]

In einem Begleitschreiben zum Resolutionsentwurf formuliert die Anglikanische Kirche von Südafrika, es gebe zwar Unterschiede zwischen der früheren Apartheid in Südafrika und der aktuellen Lage in Israel: »Aber die grundsätzlich gleichen Erfahrungen von Rassenzuschreibungen und Vertreibung von Menschen in Palästina macht diesen Apartheidvergleich zwingend nötig.«

Ein Kirchenbann gegen Israel? – Matthias Drobinski (Publik-Forum, mit Anmeldung)

Bereits in der Publik-Forum (@publikforum) vom 26. August berichtete Matthias Drobinski (@DrobinskiM) von den Sorgen sowohl der Juden in Deutschland als auch der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bezüglich des südafrikanischen Antrags, dem vermutlich – so er denn eingebracht wird – auch andere Delegationen aus dem „globalen Süden“ zustimmen werden:

Ausgerechnet im Land der Shoah, dessen Bundestag per Mehrheitsbeschluss die Israel-Boykottbewegung BDS als antisemitisch ansieht, würde die Gemeinschaft von 352 evangelischen, anglikanischen und orthodoxen Kirchen eine Art Anathema gegen Israel aussprechen, einen Bann, quasi unter den Augen von Bundespräsident Steinmeier, der seine Eröffnungsrede erst nach einigem Zögern zugesagt hat.

„Es läge dann nahe“, so Drobinski, einer solchen Resolution eine Empfehlung eines „Totalboykotts Israels“ folgen zu lassen. Vertreter:innen der evangelischen Kirchen in Deutschland, wenn auch nicht alle, lehnen einen solchen Beschluss strikt ab:

Annette Kurschus, die Ratsvorsitzende der gastgebenden EKD: „Ich gehe davon aus, dass es einen solchen Antrag geben wird.“ Sie fügt hinzu, dass sie gegen dieses Ansinnen „mit aller Kraft“ argumentieren werde, „weil die Definition Apartheid die Wirklichkeit nicht trifft“.

Ist der Ökumenische Rat der Kirchen antijüdisch? – Gabriele und Peter Scherle (ZEITonline)

Nach den Debattenbeiträgen, die ich bereits unter „nachgefasst“ in den #LaTdH vom vergangenen Sonntag erwähnt habe, meldeten sich diese Woche die TheologInnen Gabriele und Peter Scherle mit einem Gastbeitrag bei ZEITonline zu Wort (zuletzt am 1. Mai in den #LaTdH zur Diskussion um die evangelische Friedensethik). In ihrem bedenkenswerten Artikel sehen Scherles eine große Linie „antimoderner und illiberaler Denkformen“ von der römisch-katholischen über die russisch-orthoxe Kirche bis hin zum „christlichen Antijudaismus“ mancher Kirchen „des globalen Südens“.

Die Melange von antisemitischen, antimodernen und antieuropäischen (darin: antiamerikanischen) Überzeugungen, die die Russisch-Orthodoxe Delegation aller Voraussicht nach prägt, dürfte auf der Vollversammlung eben nicht nur auf Ablehnung treffen. Allerdings wird sich der ÖRK daran messen lassen müssen, ob er diese Diskussion wenigstens offensiv führt und sich bemüht, die Zusammenhänge zu erkennen, in denen „das Gerücht über die Juden“ (Theodor W. Adorno) in der ökumenischen Bewegung zirkuliert. Gelingt das nicht, wird die Frage weiterhin im Raum stehen, ob der der ÖRK – ob gewollt oder ungewollt – antijüdisch ist.

Als verbindendes Narrativ verströmen Scherles Erläuterungen den süßen Geruch einer wohlkomponierten Speise, die sich darum leicht verdauen lässt. In der Tat rühren die beiden an Sachverhalte wie die Wahl eines ausgesprochenen Israel-Kritikers zum neuen ÖRK-Generalsekretär oder die weitverbreitete Ablehnung westlicher Werte (Stichwort: „Ökumene des Hasses“), die schwerlich von der Hand zu weisen sind. Aber gehören sie wirklich in so engen Zusammenhang gerückt?

Paternalismus des Westens

Was mir wirklich zu kurz kommt, ist die Wertschätzung der Multipolarität und -Perspektivität der weltweiten Christenheit, die sich im ÖRK Ausdruck verschafft, auch wenn die größte christliche Kirche, die römisch-katholische, nur Gaststatus hat. Gelegentlich weht einen selbst in Stellungnahmen von hoch-reflektierten Kirchenleuten aus Deutschland ein paternalistischer Wind an.

Der hessen-nassauische Kirchenpräsident Volker Jung, der Mitglied im Rat der EKD sowie deren „Medienbischof“ ist, sprach zuletzt gegenüber dem epd (@epd_news) davon, die Debatte um die Israel-Resolution müsse „kontrollierbar“ bleiben, „viele Kirchen etwa aus Afrika und Asien hätten keinen Zugang zu dem Thema“. Ich finde die Aussage mindestens erstaunlich, die Kirchen aus Afrika und Asien – genauer ging es wohl wieder mal nicht – hätten keinen Zugang zum Thema.

Jung meint es bestimmt nur gut, aber das scheint mir doch ein sehr paternalistischer Zugang zum internationalen ökumenischen Dialog zu sein. Genauso wie die Erwartung, irgendwer – womöglich die gastgebenden Kirchen? – müsste die Debatte unter seine Kontrolle bringen. Das wäre das Gegenteil des kräftigen Argumentierens in der Sache, das die Ratsvorsitzende angekündigt hat, und mithin genau die Sorte Kolonialisierung des Diskurses, die von Kirchen „in Afrika und Asien“ kritisiert wird.

Vielfalt (der Themen) wahrnehmen

Scherles haben womöglich Recht, wenn sie schreiben:

Die Kirchen des „globalen Südens“ wiederum sehen sich zu großen Teilen entweder in fundamentalistischer oder in postkolonialer Opposition zur liberalen Moderne, die ihnen die Neubestimmung sexueller Identitäten aufzwingen wolle, und dem Universalismus der Aufklärung, der andere Formen der Erkenntnis und der Erfahrung delegitimiere.

Aber müsste den Kirchen des „globalen Nordens“, des Westens, nicht mehr einfallen, als diese Opposition einfach zu delegitimieren? Ist es wirklich sachgerecht und zielführend, postkoloniale Perspektiven und fundamentalistische Agenden so zu parallelisieren? Christoph Fleischmann schreibt im Editorial der aktuellen Publik-Forum:

Die Vollversammlung mit Menschen aus 120 Ländern trifft sich zum ersten Mal in Deutschland – und in den evangelischen Kirchen scheint, so hat es eine Gesprächspartnerin mir gesagt, der Kirchentag im nächsten Jahr wichtiger zu sein. Sind wir so provinziell?

Nun ist eine ÖRK-Vollversammlung trotz Rahmenprogramm und Tagesgästen kein Kirchentag, im Vordergrund stehen die ernsthaften Beratungen und Beschlüsse von offiziellen Delegationen der Kirchen. Die Vielfalt der Themen, angefangen bei der Klimakrise, die im Moment zumindest in der Berichterstattung unter den deutschen und europäischen Debatten begraben werden, gebietet es Gastgeber:innen in besonderer Weise, ihren Geschwistern gut zu zuhören.

nachgefasst

Zu viel zu tun: Franziskus denkt (noch) nicht an Rücktritt – Tilmann Kleinjung (katholisch.de)

In den letzten #LaTdH geriet die „Debatte“ fast schon zu einem Nachruf auf das Pontifikat von Papst Franziskus. Der Papst trifft Vorbereitungen für die Zeit, da er nicht mehr der römisch-katholischen Kirche vorstehen wird. Aber an einen Rücktritt ist momentan nicht zu denken. Tilmann Kleinjung (@TilmannKk) vom Bayerischen Rundfunk kommentiert in seinem „Standpunkt“ auf katholisch.de (@katholisch_de) den aktuellen Stand von Franziskus‘ Projekt:

Neun Jahre hat Franziskus für die Reform der Kurie gebraucht. Das ist der Verwaltungsapparat im Vatikan, der aber nach dem Dafürhalten vieler allzu sehr Machtapparat ist. Im Konklave 2013 hatten die Kardinäle dem künftigen Papst also eine Kurienreform ins Hausaufgabenheft geschrieben. An Pfingsten 2022 ist sie in Kraft getreten. […] Was Franziskus nicht gelungen ist: ein Mentalitätswandel. […]

[Franziskus] muss noch ein Versprechen einlösen. […] Es geht um ein neues Miteinander, nicht von oben nach unten. Keine Kirche der einsamen Entscheidungen, keine Kirche der unkontrollierten Machtausübung. Eine geschwisterliche Gemeinschaft ohne Kirchenfürsten und ohne Machtzentrum. Von diesem Ideal ist die katholische Kirche noch weit entfernt.

Eine Kirche ohne Fürsten und ohne Machtzentrum – ist das dann überhaupt noch eine römische katholische Kirche? Nicht allein der inzwischen emeritierte katholische Kirchenrechtler Norbert Lüdecke erinnert daran, dass „sich auch die Gläubigen ihre Kirche ohne Papst nicht vorstellen können“.

Von einem symbolischen Papsttum ohne absolutistische monarchische Macht, ist der Katholizismus weit entfernt. Darüber täuscht auch die synodale Rhetorik Franziskus‘ nicht hinweg: Wenn’s hart auf hart kommt, regiert auch er durch. Nur nicht immer dann (s. Woelki), wenn es (von den Katholiken in Deutschland) erwartet wird.

Kardinal Woelki: „Ich agiere nicht wie ein absolutistischer Herrscher“ – Interview von Andreas Otto (KNA, katholisch.de)

In einem ausführlichen Interview bei Andreas Otto von der KNA nimmt der Kölner Erzbischof Kardinal Rainer Maria Woelki Stellung zu allen im Moment im Raum stehenden Skandalen und Anfragen an seine Leitung des Erzbistums Köln (s. u.a. „nachgefasst“ der #LaTdH von vergangener Woche). Woelki verteidigt sich ausführlich und energisch:

Es gibt die Kritiker. Aber es gibt auch Unterstützer, die sich zu meiner Person und meinem Dienst positiv äußern. Zu Emotionen hat aber sicher auch die jüngste Berichterstattung über die Öffentlichkeitsarbeit in Zusammenhang mit der Missbrauchsaufarbeitung geführt. Die Berichte habe ich als nicht sachgerecht empfunden. Es ist schade, dass in der Kirche eine Atmosphäre eingezogen ist, wie wir sie aus dem gesellschaftlichen und politischen Bereich kennen. In der Öffentlichkeit übereinander zu reden, ist immer schlecht.

Woelki will sich als Garanten der Aufarbeitung darstellen, als Wahrer gut katholischer Theologie und als Vordenker der Kirche in einer säkularen Gesellschaft. Ziemlich viel für einen, der so angezählt ist. Vom erstaunlichen klerikalen Selbstbewusstsein des Kardinals künden neben seiner Abmoderation der Rücktrittsaufforderung durch Papst Franziskus auch Formulierungen wie diese:

Frage: Zuletzt hat sich große Empörung an den Ratschlägen Ihrer PR-Strategen entzündet, für die Nichtveröffentlichung des ersten Missbrauchsgutachtens vor zwei Jahren den Betroffenenbeirat auf Linie zu bringen und so ihr Überleben im Amt zu sichern. Was sagen Sie dem früheren Sprecher des Gremiums, Patrick Bauer, der sich wie ein durch die Manege geführter „dressierter Schimpanse“ fühlt?

Woelki: Was ich dem guten Patrick Bauer sagen möchte, sage ich ihm unter vier Augen und nicht über die Medien. Meine Tür steht für ihn immer offen.

Nachdem die Staatsanwaltschaft zuletzt Ermittlungen wegen dutzender Anzeigen gegen Woelki eingestellt hatte, gehen jetzt drei Priester, unter ihnen der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose (@HoseBurkhard, hier in der Eule) und Wolfgang Rothe (@WolfgangFRothe, hier in der Eule), noch einmal diesen Weg:

Nach Medienrecherchen zu einer eidesstattlichen Versicherung von Kardinal Rainer Maria Woelki haben drei Priester Strafanzeige gegen den Kölner Erzbischof erstattet. [Sie] werfen Woelki in der auf den 1. September datierten Anzeige vor, eine falsche Versicherung an Eides statt abgegeben zu haben.

Die Hintergründe der Strafanzeige erläutert die KNA / Kirche + Leben.

Buntes

Just 25 Songs From Christian Bands That Are Still Pretty Great (Relevant Magazine, englisch)

Es gab „Christian hardcore, Christian punk, Christian hip-hop, Christian dance, Christian indie …you name it“, erklärt die Redaktion des Relevant Magazine in ihrer Einleitung zu einer beeindruckenden Playlist christlicher Popularmusik:

And, yeah, a lot of it was kind of bad, but a lot of all music is kind of bad. There was a lot of good stuff too, and some of it has held up beautifully.

„Religion und Außenpolitik“: Wir brauchen mehr und nicht weniger davon – Nikodemus Schnabel (katholisch.de)

In einem weiteren katholisch.de-„Standpunkt“ von dieser Woche warnt Pater Nikodemus Schnabel (@PaterNikodemus) davor, die mit Religionsfragen befasste Abteilung des Auswärtigen Amtes mit der Kulturabteilung zu verschmelzen.

Braucht es angesichts der religionisierten Politik einiger Machthaber – man denke nur an Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine – nicht gerade ein Mehr als ein Weniger an Religious Literacy? Wie möchte die Bundesrepublik Deutschland sich etwa außenpolitisch kompetent gegenüber China, Indien, Russland, der Ukraine, dem Iran, Myanmar, Saudi-Arabien, Nigeria, der Türkei oder Nord-Mazedonien positionieren, ohne eingehende Berücksichtigung des Faktors Religion in den genannten Ländern?

Es ist dieser Tage nicht die einzige Nachricht aus dem Ministerium der Grünen Annalena Baerbock, die aus Sicht der Religionen beunruhigen muss: Auch Qantara.de (@QantaraDE), dem Internetportal der Deutschen Welle für den Dialog mit der islamischen Welt, soll zum Ende des Jahres die Unterstützung gestrichen werden. Das wäre nicht nur ein herber Verlust für den Dialog mit Muslimen in und außerhalb von Deutschland, sondern auch für die Religionspolitik und -Berichterstattung. Die Frankfurter Rundschau berichtet:

Es geht, angesichts eines Ministeriums-Etats von in diesem Jahr 7,1 Milliarden Euro, nicht um sehr viel Geld: Rund 360 000 Euro steckt das Ministerium derzeit noch in Qantara.de, das von der Deutschen Welle betrieben wird. Die Förderung müsse „aus Spargründen“ wegfallen, wurde dem Beirat mitgeteilt, wie die FR erfuhr.

Im Jahr 2014 konnte die Einstellung des Programms bereits einmal abgewendet werden, nachdem sich Politiker:innen und Akteur:innen über die Kürzungspläne beschwerten. Damals bezeichnete der grüne Bundestagsabgeordnete und heutige Parteichef Omid Nouripour (@nouripour) die Pläne zur Einstellung als „vollkommen irre“. Hat er seine Meinung seitdem geändert – oder wird er sie seiner Parteikollegin im Auswärtigen Amt sagen?

Theologie

Wegtexturen. Notizen aus der Erfurter Theologie zur „Stimme derer, die von kirchlichem Machtmissbrauch betroffen waren und sind“ (Synodaler Weg) (Theologie Aktuell)

Die Katholisch-Theologische Fakultät der Universität Erfurt (@KThF_Erfurt) hat „Notizen“ zum Synodalen Weg verfasst, die im Netz und als PDF vorgelegt werden. Das Vorwort kommt etwas arg prätentiös daher, davon sollte man sich aber nicht von der Lektüre abhalten lassen. Ich habe bisher nur in die Beiträge aus den unterschiedlichen theologischen Disziplinen reinlunschen können. Was ich las, macht Lust auf’s Weiterlesen.

Wer war Maria Magdalena wirklich? – Max Melzer (Die Eule)

Neue Erkenntnisse über die Entstehung des Johannesevangeliums stellen alte Deutungen der Figur Maria Magdalena in Frage. Eule-Redakteur Max Melzer (@_maxmelzer) ist der Geschichte nachgegangen und stellt in einem Artikel, seinem ersten seit 5 Jahren (!), die Forschungen von Elizabeth Schrader (@libbieschrader) vor, auf die in der vorvergangenen Woche bereits Birgit Mattausch (@FrauAuge) in einer Andacht für den „Spiritus“-Blog auf evangelisch.de (@evangelisch_de) Bezug genommen hatte, die wiederum von Diana Butler Bass‘ (@dianabutlerbass) Predigt „Mary the Tower“ (auf Englisch) inspiriert ist.

In seinem Artikel schaut Max mit Elizabeth Schrader in den Bibeltext. Wer von der Maria Magdalena-Forschung regelrecht angefixt ist, kann beim US-amerikanischen Pop-Magazin The Daily Beast in einem Artikel (auf Englisch) von Candida Moss (@candidamoss) mehr über aktuelle Ausgrabungen und die Hintergründe der so einflussreichen biblischen Figur lernen.

Ein guter Satz

– mit Dank an @pressepfarrerin, die auf ihrem Blog witzige Tweets sammelt

Religion

via REL ::: Die Eule https://eulemagazin.de

September 4, 2022 at 07:02AM