Herzlich Willkommen!
Elon Musk hat Twitter abgeklemmt. Ich weiß, viele LaTdH-Leser:innen waren nie auf Twitter unterwegs oder schon lange nicht mehr. Die digitalen Kirchen- und Christenbubbles haben sich im deutschsprachigen Raum sowieso schon immer über mehrere Social-Media-Plattformen verteilt. Mit Twitter sind viele Einzelnutzer:innen nie richtig warm geworden. Kein einziges großes christliches oder kirchliches Medienhaus hat es in den vergangenen 15 Jahren obendrein vermocht, auf Twitter auch nur ein anständiges plattformkompatibles Angebot zu schaffen. Von den Kirchen gar nicht erst zu reden! Legendär ist der @ekd-Account, der zwar ab und zu sendet, aber eben nicht interagiert.
Seit dieser Woche nun ist es nicht mehr möglich, bei Twitter mitzulesen, ohne sich zuvor eingeloggt zu haben. Und seit Sonnabend ist sogar das Lesen für angemeldete Nutzer:innen massiv eingeschränkt: Zahlende Nutzer:innen können zwischen 6.000 und 10.000 Tweets lesen, nicht zahlende User oder Medien (wie ich oder Die Eule) nur 600 bis 1.000 Tweets. Bei diesem „Häufigkeitslimit“ soll es sich um eine „temporäre“ Maßnahme handeln – aber wer glaubt schon einem notorischen Lügner und rechtsradikalen Verschwörungsideologen?
Was Elon Musk mit Twitter macht, ist vielen Menschen herzlich egal. Das ist ein wenig kurzsichtig, denn Twitter ist bisher von zentraler Bedeutung vor allem für die Sektoren Politik, Wissenschaft, Kultur, Aktivismus und – Tusch! – Journalismus gewesen. Selbst wer nie auf Twitter unterwegs war, konsumiert auf anderen Social-Media-Plattformen, in der Zeitung, in Podcasts, in Radio und Fernsehen Nachrichten und popkulturelle Artefakte, die auf Twitter starteten, gesammelt, kuratiert und – vor allem – popularisiert wurden.
Wenn das so bleibt, dann hat Elon Musk nicht nur sein eigenes 44 Milliarden-Investment in die Plattform verbrannt (was ihn nicht schert, der Mann ist übelst reich), sondern auch das Geschäftsmodell des Online-Journalismus (vielleicht irreparabel) beschädigt. Was hat das nun alles mit den #LaTdH und den Kirchen zu tun? Erstens werden die #LaTdH keine Twitter-Handles mehr enthalten, die #LaTdH-Leser:innen bisher hinter den Namen von Akteur:innen, Organisationen und vor allem der Autor:innen und Journalist:innen finden konnten, deren Beiträge wir hier verlinken. Es ergibt keinen Sinn mehr, auf eine Plattform zu verlinken, die man nicht mehr nutzen kann.
Zweitens sind Newsletter wie dieser Teil der Lösung des Problems, das Elon Musk für die digitale Öffentlichkeit geschaffen hat. Die #LaTdH sind ein Ort, an dem marken- und organisationenübergreifend kommunziert wird. Ein Ort, an dem relevante Nachrichten und wichtige (wenn auch weniger laute) Stimmen Gehör erhalten. Deshalb lege ich allen neuen #LaTdH-Leser:innen dringend unseren Newsletter-Service (s.u., oder hier) ans Herz: Dann landen die #LaTdH jeden Sonntag bequem und vollständig im Email-Postfach.
Drittens liefern Elon Musk und Twitter in diesen Tagen das beste Argument dafür, kritische Infrastrukturen nicht in die Hände einzelner Oligarchen zu legen. Insofern liefert der Twitter-Meltdown einen bunten Metaphern-Blumenstrauß für die Beschreibung der Misere der Kirchen hierzulande. Denn immer wenn, wie in dieser Woche, eine der beiden großen Kirchen in Deutschland ihre Jahresstatistiken vorlegt, beginnt auch ein kleiner Wettlauf um deren dramatischste Interpretation. Handelt es sich sogar um Rekordzahlen, hat die Stunde derer geschlagen, die den Untergang der Kirchen in Deutschland gekommen sehen. Was die (Un-)Tätigkeit der Leitungspersonnen angeht, gibt’s durchaus Parallelen von Twitter zur römisch-katholischen Kirche, aber insgesamt scheint mir die Struktur der Kirche doch auf stabileren Boden gebaut. Das können wir durchaus im Gedächtnis behalten, wann immer auch in den Kirchen von „Disruption“ die Rede ist.
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
PS: Die #LaTdH und die ganze Eule werden von den Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werden Sie Eule-Abonnent:in! Schon ab 3 € im Monat sind Sie dabei.
Debatte
Noch nie haben so viele Menschen binnen eines Kalenderjahres die römisch-katholische Kirche verlassen wie im Jahr 2022. 522.821 Austritte verzeichneten die (Erz-)Bistümer insgesamt (Pressemitteilung der Deutschen Bischofskonferenz). Die EKD hatte bereits im März 380.000 Austritte aus den evangelischen Landeskirchen vermeldet. Die Mitgliedschaft in den evangelischen Landeskirchen hat im vergangenen Jahr insgesamt um 575.000 Menschen abgenommen. Das entspricht einem Minus von 2,9 % zum Vorjahr. Die römisch-katholischen (Erz-)Bistümer zählten im Vergleich zu 2021 insgesamt 708.285 weniger Kirchenmitglieder, ein Minus von 3,3 %.
Harte Zahlen – Philipp Greifenstein (Die Eule)
Hier in der Eule habe ich in einer ausführlichen Analyse die Zahlen und die Gründe für die vielen Kirchenaustritte betrachtet. Neben den Kirchenaustritten spielt auch der demographische Wandel eine große Rolle: 365.000 Todesfälle meldete die EKD für 2022, die Bischofskonferenz hat im vergangenen Jahr 240.144 katholische Bestattungen gezählt. Zwar haben sich die Taufzahlen wieder auf dem Vor-Corona-Niveau eingependelt und die Nachfrage nach Kasualien/Sakramentsempfang hat etwas angezogen, aber ingesamt ist das Bild schon schauerlich.
Die langfristigen Entwicklungen und gesellschaftlichen Mega-Trends erklären den kontinuierlichen Mitgliederschwund der Kirchen nur zum Teil. Aus zwei Gründen beschleunigt sich das Schrumpfen außerdem: Erstens bilden die sterbenden Alten innerhalb der kirchlichen Demographie eine im Vergleich zu jungen Menschen größere Gruppe. Zweitens hat die Zahl der Austritte noch viel stärker zugenommen, als es Forschende mit Blick auf die langfristigen Dynamiken angenommen hatten.
Für die Beschleunigung des Schrumpfens in meinen Augen besonders verantwortlich sind ein „Bereinigungsprozess“ im Nachgang der Corona-Pandemie und die massive Glaubwürdigkeitskrise der Kirche.
Es ist völlig unklar, ob die Austrittswelle in der katholischen Kirche bereits ihren Höhepunkt erreicht hat oder die Kirchenaustritte in den kommenden Jahren noch weiter zunehmen werden. Es ist hingegen wenig wahrscheinlich, dass die Austritte wieder auf das Vor-Krisen-Niveau absinken werden. Abwarten bis die Welle vorüber ist, wird nicht helfen.
Die katastrophalen Zahlen werden von unterschiedlichen katholischen Akteur:innen naturgemäß verschiedentlich interpretiert. Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, zeigte sich angesichts der neuen Zahlen „traurig, aber wenig überrascht“ und sieht die Verantwortung für den Exodus der Gläubigen bei den Bischöfen:
„Die Kirche hat Vertrauen verspielt, besonders stark durch den Missbrauchsskandal. Sie zeigt sich aber aktuell auch nicht entschlossen genug, Visionen für eine Zukunft des Christseins in der Kirche umzusetzen.“ Auch der Reformprozess Synodaler Weg habe den Trend nicht umkehren können – aus ihrer Sicht auch, weil es „nun an der operativen Umsetzung hapert“. „Die eklatante Krise drängt zum Wandel“, […] „Wir brauchen dringend Reformen in der Kirche. Es ist beschämend, dass wir nun innerkirchlich darum kämpfen müssen, dass es überhaupt weitergeht.“
Die Bischöfe selbst überließen das Framing der Zahlen weitgehend ihren Presseabteilungen. Im Bistum Regensburg entschied man sich z.B. dazu, die Zahl der Taufen in den Vordergrund zu rücken statt der 14.013 Austritte. Schon im März erklärte ich im Deutschlandfunk, dass natürlich keine Kirche eine Verpflichtung habe, schlechte Nachrichten zu produzieren. Nur glaube ich, dass man das einfach grundlegender anpacken muss. Ein wenig Zuckerguss auf madig gewordenem Kuchen nützt nichts.
Katholische Kirche vermeldet neuen Austrittsrekord: „Es ist nicht nur eine Kirchenkrise“ – Interview mit Detlef Pollack von Julia Hemmerling (MDR Kultur)
Im Interview bei MDR Kultur erklärt der Religionssoziologe Detlef Pollack die Hintergründe der Kirchenaustritte – und ihre Bedeutung, die weit über die Kirchenmauern hinausgehe:
Nun spielen Kirchen im ehrenamtlichen Bereich eine ganz große Rolle, in Schulen, Kindergärten, sozialen Einrichtungen. Was bedeutet das für eine Gesellschaft, wenn Christinnen und Christen zusehends in die Minderheit geraten und die Kirchen immer mehr Mitglieder verlieren?
Das ist schon dramatisch. Die Kirchen selber sagen ja, dass sie zu einem großen Teil auf das Engagement der Ehrenamtlichen vertrauen. In der evangelischen Kirche sind das etwa 700.000 Menschen, die sich da engagieren. Und wenn das immer weniger werden, dann fehlen auch zivilgesellschaftliches Engagement und kulturelle Lebendigkeit.
Das zeigen viele Untersuchungen, dass Menschen, die in der Kirche sind, die glauben, sich stärker zivilgesellschaftlich engagieren. Darauf bauen die Kirchen. Und insofern würde ich schon sagen, dass das auch ein Verlust ist. Allerdings muss man auch sagen, es gibt noch andere Quellen des ehrenamtlichen Engagements, der Beteiligung an der Zivilgesellschaft. Die Verluste, die eintreten werden, sind schon signifikant, aber vielleicht nicht so bedeutsam, dass man das sagen muss, der Zusammenhalt der Gesellschaft ist bedroht. Das glaube ich nicht.
Noch etwas trübere Aussichten nimmt der Münsteraner Kirchenrechtler Thomas Schüller in den Blick: „Die Austritte haben nicht nur eine innerkirchliche Folge, sie werden bald auch das gesellschaftspolitische Klima entscheidend bestimmen“. Die KNA fasst die Befürchtungen Schüllers zusammen:
Der Staat – vor allem die Kommunen und die Bundesländer – hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten sehr stark auf beide großen Kirchen verlassen, dass sie staatliche Aufgaben übernehmen. Allein in Hessen zahlen beide Kirchen laut Schüller 10 bis 15 Prozent aus ihren gesamten Kirchensteuereinnahmen, um die Defizite bei der Kita-Finanzierung auszugleichen. „Und da werden sie jetzt aussteigen“, prognostizierte Schüller. „Wir werden in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine dramatische Rückgabe von Einrichtungen an die Kommunen und Länder erleben.“ Die Folge: Der Normalbürger – der derzeit vielleicht die Kirchenaustritte begrüße – werde dies dann mit Gebührenerhöhungen und Steuererhöhungen ausgleichen müssen.
Krise der Katholischen Kirche: Immer mehr Austritte – Christoph Strack (Deutsche Welle)
Bei der Deutschen Welle wirft Christoph Strack einen ausführlichen Blick auf die persönliche Dimension des Kirchenaustritts: Sein Kirchenstatistik-Text ist zugleich ein Porträt von Michael Rind, einem Kölner Finanzbuchhalter, der seine Kirche verlassen hat. Damit ist ein spezifischer Unterschied zwischen den evangelischen und katholischen Austritten berührt:
Im Gespräch mit Seelsorgern hört man immer wieder, es träten nun auch „Kern-Katholiken“ aus ihrer Kirche – Leute wie Michael Rind eben. Seit Kindesbeinen pilgert er Jahr für Jahr mit über tausend Gleichgesinnten aus der Domstadt gut 100 Kilometer in den niederrheinischen Wallfahrtsort Kevelaer und zurück. Rind ist Präfekt der traditionsreichen „Kölner Kevelaer-Bruderschaft“. Seine Frau ist katholisch, sie ist in der Kirche geblieben. Er, so wirkt es, hat es nicht mehr ausgehalten angesichts der Zustände. „Mafiös“ sagt er. „Dabei hat die Kirche doch ein unschlagbares Angebot: die frohe Botschaft. In Zeiten von Klimakatastrophe und gesellschaftlichen Krisen müssten die Menschen ihr doch eigentlich die Türen einrennen.“
Kardinalfehler der Kirche – Joachim Frank (Frankfurter Rundschau)
Das letzte Urteil über die römisch-katholische Kirche ist natürlich noch nicht gesprochen. Dafür engagieren sich landauf landab doch einfach noch tausende von Menschen aktiv für ihre Kirche und ihre Nächsten. Doch unter den Hiobsbotschaften leidet natürlich auch das ehrenamtliche Engagement. Entmutigt schleppt sich so manche:r Christ:in von Kirchennachricht zu Kirchennachricht. Deshalb ist es auch notwendig, Geschichten vom gelingenden Leben in den Kirchen zu erzählen, wie wir es z.B. in der Eule mit dem „EHRENSACHE“-Podcast immer wieder machen.
In seinem knackigen Kommentar zu den Austrittszahlen kommt Joachim Frank allerdings zu Recht auf diejenigen zu sprechen, die in der römischen Kirche die „Letztverantwortung“ für sich reklamieren – und angesichts der Krise weitgehend versagen. Es ist einfach nicht gut, kritische Infrastrukturen in die Hände einzelner Oligarchen oder „Gerontokraten mit Deutungsmonopol“ zu legen.
Bei einem anhaltenden Mitgliederschwund von zwei bis drei Prozent jährlich lässt sich leicht ausrechnen, wann in der Kirche das Licht ausgeht. Man wird gesellschaftliche Säkularisierungsschübe nicht aufhalten oder umkehren können. Aber wenn als Reaktion auf eklatante Missstände Hunderttausende ihrer Kirche den Rücken kehren, dann kann man darüber nicht mit einem „Is‘ halt so“ hinweggehen. Das aber ist der katholische Reflex – zusammen mit einem Gebläse, das Verantwortung fein verwirbelt und sie niemals bei denen landen lässt, die sonst für alles die „Letztverantwortung“ beanspruchen.
nachgefasst
Razzia im Erzbistum Köln – Dokumente zu möglicher Falschaussage von Woelki gesucht (WDR)
Am Dienstag durchsuchten Staatsanwaltschaft und Polizei verschiedene Objekte im Erzbistum Köln. Kardinal Rainer Maria Woelki musste seine Türen öffnen. Hintergrund der Razzia sind Meineid-Ermittlungen gegen den Erzbischof von Köln.
Die Staatsanwaltschaft sucht die Originale von belastenden Dokumenten, die der WDR in den vergangenen Monaten bereits veröffentlicht hat. Sie legen den Verdacht nahe, dass Woelki vor Gericht gelogen hat. […] Die Staatsanwaltschaft geht von monatelangen Ermittlungen aus. In den kommenden Wochen muss das sichergestellte Beweismaterial ausgewertet werden. Meineid wird in der Regel mit allen Mitteln des Gesetzes verfolgt. Möglicherweise schaltet sich aber auch der Vatikan in die Belange des Kölner Erzbistums ein.
Thomas Schüller fordert im Interview mit der Kölnischen Rundschau: „Ein apostolischer Administrator für Köln wäre sinnvoll“. Erst Ende vergangener Woche war Woelki zu Gesprächen im Vatikan. Ob, wann und wie Papst Franziskus endlich reagiert, bleibt nach wie vor offen.
Theologin Elsner kritisiert Umgang des Vatikans mit Moskau (KNA, Neues Ruhrwort)
In dieser Woche hat Kardinal Matteo Zuppi, der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz, als Sondergesandter von Papst Franziskus Moskau besucht. Dort hat er u.a. den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill getroffen. Entstanden sind dabei erneut verstörende Bilder der Gemeinschaft mit dem Kriegspropagandisten Kyrill, die von der katholischen Theologin und Ostkirchenexpertin Regina Elsner (hier & hier & hier in der Eule) scharf kritisiert werden.
“Es ist ein Hohn für Moskaus Opfer in der Ukraine und Russland, wie überaus freundlich Zuppi mit Kyrill gesprochen hat” […] Moskau habe Zuppis Besuch genutzt, “um seine Verbrechen weißzuwaschen; und der Vatikan macht mit und lächelt noch dabei”, so Elsner. Der Heilige Stuhl lasse sich von der “verbrecherischen Leitung der russisch-orthodoxen Kirche sehr vereinnahmen”. Das stärke Moskau und schade Kiew und auch dem humanitären Engagement des Vatikans in der Ukraine selbst. Der Kreml und das Moskauer Patriarchat bekämen Legitimität und nutzten das schamlos aus, sagte die Expertin.
Wie das konkret aussieht, kann man bei Vatican News nachschauen. Neben der Strategie des Vatikans kritisiert Elsner vor allem auch Zuppis Gespräch mit der „Kinderrechtsbeauftragten“ Russlands, Maria Lwowa-Belowa. Der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag hatte im März einen Haftbefehl gegen Lwowa-Belowa wegen der Verschleppung ukrainischer Kinder ausgestellt.
Gemeinde bleibt nach Brandanschlag standhaft – Interview mit Jette Förster und Elisabeth Schulze von Leonie Mihm (evangelisch.de)
Auf die Michaelskirche in Spremberg in der Lausitz (EKBO) wurde am vergangenen Wochenende ein Brandsatz geworfen, weil an ihr eine Regenbogenflagge hing. Den Vorfall und dessen Hintergründe beschreibt dieses Interview mit den Pfarrerinnen Jette Förster und Elisabeth Schulze sehr gut, das evangelisch.de-Social-Media-Mitarbeiterin Leonie Mihm geführt hat.
Was hat dieser Angriff bei euch persönlich verändert?
Förster: Uns beschäftigt eigentlich am meisten, dass andere Menschen, verunsichert, unter Druck gesetzt und geängstigt sind. Aber wir haben auch das Gefühl bekommen, dass wir hier am richtigen Ort sind mit dem, was wir tun: Einen Schutzraum für Menschen zu bieten, und der ist angegriffen worden. Es ist unserer Ansicht nach nicht so, dass wir in unserer Arbeit hier herausgepickt wurden, sondern wir haben hier eine große Gruppe an Menschen, die sich für Solidarität in Spremberg einsetzt. Und diese Gruppe wurde angegriffen. Wir sehen es als unsere Aufgabe, für diese Gruppe zu sorgen, dass sie sich weiter sicher in ihrer Gemeinde und ihrer Stadt fühlen kann.
Hier bei uns in der Eule haben am Donnerstag Autor:innen des Befreiungstheologischen Netzwerks [btn] in einem Gastbeitrag anlässlich des Angriffs in Spremberg die Aufgabenstellung für Kirchgemeinden und Christ:innen angesichts vermehrter rassistischer und queerfeindlicher Angriffe beschrieben:
Langfristiges Ziel sollte sein, ausgehend von den Perspektiven marginalisierter Menschen die Kirchen „in Orte radikaler Liebe“ (Quinton Ceasar) zu transformieren. Auf diese Weise werden sie ein aktiver Teil der kritischen Zivilgesellschaft und haben auch strukturell die Chance, dem Kulturkampf von rechts und faschistischen Übergriffen etwas entgegen zu setzen. Die prophetischen und messianischen Traditionen der Bibel und die Tiefe religiöser Rituale bringen hier unschätzbare Möglichkeiten mit sich und bereichern die politische Auseinandersetzung um neue Zugänge und wichtige Gegenerzählungen.
Missbrauch evangelisch
Zwei kurze Meldungen zum Eule-Themenschwerpunkt „Missbrauch evangelisch“ sollen hier wenigstens kurz Erwähnung finden. Im Herbst werden die nächsten evangelischen Studien zu sexualisierter Gewalt veröffentlicht: Endlich! Aufklärung und Aufarbeitung schreiten in den evangelischen Kirchen wirklich schmerzhaft langsam voran. Auch deshalb soll hier wenigstens notiert werden, wenn sich etwas bewegt: Die Kirchgemeinde im erzgebirgischen Pobershau (EVLKS) hat einen Bericht zur Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt in den 1990er Jahren entgegengenommen. Der MDR berichtet durchaus ausführlich über die Vorstellung:
Die Aufarbeitungskommission attestierte der sächsischen Landeskirche, dass seit der Aufdeckung der Vorfälle in Pobershau viel in Bewegung gekommen sei. Es gebe aber immer noch strukturelle Defizite. Das sei der Grund für mehrere klare Empfehlungen in dem Abschlussbericht.
Dazu gehöre, dass die Landeskirche selbst alle bekannten Fälle sexueller Gewalt erfasst und veröffentlicht sowie bei weiteren Fällen aktiv öffentlich informiert. Außerdem müsse das Thema Inhalt aller kirchlichen Ausbildungen sein und in den Kirchgemeinden besprochen werden. Für noch nicht bekannte und künftige Opfer fordert die Kommission unabhängige Ansprechpartner und schnelle Hilfe. Nicht zuletzt dürften bei Missbrauchsfällen die Personalverantwortung für die Beschuldigten und Verantwortung für Ermittlung und Aufarbeitung keinesfalls in derselben Hand liegen. Landesbischof Tobias Bilz sicherte zu, dass die Kirche sich ihrer Verantwortung stellen werde.
Und der Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder (VCP) hat auf seiner Bundesversammlung beschlossen, sexualisierte Gewalt (und deren Vertuschung) in der Vergangenheit extern wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen, berichtet der epd:
Bekannt seien 50 Altfälle in der 50-jährigen Vereinsgeschichte, die Dunkelziffer sei unbekannt, sagte eine Sprecherin dem Evangelischen Pressedienst (epd). „In der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen kommt uns die besondere Verantwortung zu, für ihre Sicherheit zu sorgen“, sagte Keil.
Buntes
Bye bye „Woche für das Leben“
Die Evangelische Kirche verabschiedet sich aus der ökumenischen Kooperation bei der „Woche für das Leben“. Von der was? No worries! In der jüngeren Vergangenheit hat man von dieser gemeinsamen Aktion von katholischer und evangelischer Kirche nicht mehr allzu viel mitbekommen, sie ist aber seit den 1990er Jahren ein wesentlicher Bestandteil des kirchlichen Engagements für den Lebensschutz. Nun berichtet der epd, dass die EKD aus der „Woche für das Leben“ aussteigt und die etwas trockene Kommunikation mit den katholischen Geschwistern. In der katholischen Kirche wird die Bischofskonferenz auf ihrer Herbstvollversammlung über die zukünftigte Gestaltung debattieren.
Irgendwie hat sich die „Woche für das Leben“ als Format totgelaufen. Wenig hilfreich für eine gemeinsame Positionierung in allen Lebensfragen ist auch, dass die bio- und medizinethischen Überzeugungen der beiden Kirchen in den vergangenen Jahren merklich auseinanderdriften. „Ein Ausstieg der EKD wäre dennoch das mit weitem Abstand Dümmste, was sich der Rat der EKD und sein Kirchenamt gemeinsam überlegen können“, kritisiert Benjamin Lassiwe den Ausstieg der EKD bei der Herder Korrespondenz scharf:
Müsste es nicht eher Aufgabe sein, auf den Veranstaltungen der Themenwoche die unterschiedlichen Positionen sichtbar zu machen? Ist es nicht der aktiv geführte, leidenschaftliche Streit, der am Ende befruchtend und produktiv wird? Sicher, beide großen Kirchen müssten die Veranstaltungsreihe als eines ihrer Premiumprodukte begreifen. Sie müssten aktiv dafür trommeln, Manpower und Hirnschmalz investieren.
„Ich habe mir das nicht ausgesucht“ – Davide De Luca (SZ)
Davide De Luca von der Süddeutschen Zeitung hat Pfarrerin Dorothea Zwölfer bei einem ihrer vielen Vorträge begleitet. Zwölfer ist evangelische Pfarrerin und eine transsexuelle Frau. Bei Vorträgen informiert sie über ihren eigenen Lebensweg und kommt mit Menschen ins Gespräch, die als Personen oder Angehörige mit dem Thema zu kämpfen haben – vor allem, weil sie Diskriminierung ausgesetzt sind. Wir können jenseits des Kampagnen-Lärms von Rechts zärtlich und zuhörend miteinander umgehen.
Im Anschluss an die Veranstaltung möchten einige Besucher allein mit der Pfarrerin sprechen. Sie erzählt, dass dies häufiger vorkomme. Bis man nicht selbst betroffen ist, wisse man vieles eben nicht. Es herrsche eine große Verunsicherung, auch darüber, was andere denken könnten. Auf die Frage, wo sie die Kraft für all dies nehme, zitiert sie Luther: „Hier stehe ich. Ich kann nicht anders!“ Es sei ihr Glaube, sagt sie, der sie antreibt. Sie ist Pfarrerin aus Leidenschaft. Und jede Hilfe, die sie geben kann, gibt sie. Dafür halte sie Vorträge und dafür habe sie auch den Verein Kreuzweise-Miteinander gegründet.
Argentinier wird neuer Präfekt des Glaubensdikasteriums – Felix Neumann (katholisch.de)
Papst Franziskus hat den bisherigen Erzbischof von La Plata (Argentinien), Víctor Manuel Fernández, zum Präfekten des Glaubensdikasteriums ernannt. Das Dikasterium ist die Nachfolgeorganisation der Kongregation für die Glaubenslehre und damit auch der Römischen Inquisition. In einem Begleitbrief zur Ernennung Fernández‘ zum Nachfolger von Kardinal Luis Francisco Ladaria Ferrer rekurriert Franziskus auf die Vergangenheit der Institution:
Darin wird als zentrale Aufgabe des Dikasteriums das Wachen über die Lehre benannt, aber mit einem Zitat aus der Apostolischen Exhortation „Evangelii Gaudium“ (2013) “nicht als Feinde, die anzeigen und verurteilen“. Das Glaubensdikasterium habe zu anderen Zeiten „unmoralische Methoden angewandt“, so der Papst: „Das waren Zeiten, in denen man, anstatt theologische Erkenntnisse zu fördern, mögliche Lehrfehler verfolgte. Was ich von Ihnen erwarte, ist sicherlich etwas ganz anderes.“ Der Papst betonte, dass unterschiedliche philosophische, theologische und pastorale Denkrichtungen die Kirche wachsen lassen können: „Dieses harmonische Wachstum wird die christliche Lehre wirksamer bewahren als jeder Kontrollmechanismus.“
Was der Wechsel an der Spitze des Glaubensdikasteriums für die Reformbemühungen der katholischen Kirche in Deutschland und insbesondere für den Synodalen Weg bedeutet, wird sich in den nächsten Wochen weisen. Ladaria hatte zuletzt – mit Unterstützung seines Chefs! – eine sehr ablehnende Haltung eingenommen.
Ein guter Satz
„Bei Gott gibt es kein Häufigkeitslimit.“
– Mirjam Petermann auf Twitter
Title: Last Hurrah – Die #LaTdH vom 2. Juli
URL: https://eulemagazin.de/last-hurrah-die-latdh-vom-2-juli/
Source: REL ::: Die Eule
Source URL: https://eulemagazin.de
Date: July 2, 2023 at 10:23AM
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