Lehrermangel: „verheerendes Gesamtbild“ – Kultusministerium verschärft Genderverbot

DRESDEN. Lehrermangel und Unterrichtsausfall gehören zum Schulalltag (auch) in Sachsen. Seiteneinsteiger und Hilfskräfte helfen, Lücken zu schließen. Die Schülerzahl nimmt zu, die Kritik reißt nicht ab. Und das Kultusministerium reagiert: mit einer Verschärfung seines Genderverbots.

Als red herring („roter Hering“) wird in der englischen Sprache sprichwörtlich ein Ablenkungsmanöver bezeichnet. Illustration: Shutterstock

Trotz der Neueinstellung von mehr als 1.000 Pädagogen fehlen zu Beginn des neuen Schuljahres in Sachsen weiterhin Lehrer, vor allem an Ober- und Förderschulen. Die Absicherung des Unterrichts bleibe eine Herausforderung, sagte Kultusminister Christian Piwarz (CDU) kurz vor Ende der Sommerferien in Dresden.

Nach seinen Angaben wurden bisher 1.033 Personen eingestellt, vor allem an Gymnasien und Grundschulen. 773 von ihnen sind ausgebildete Lehrer, 120 sind pädagogische Hilfskräfte an Förderschulen, die jedoch keine Förderschullehrer ersetzen. Außerdem beginnen nach den Ferien 140 Seiteneinsteiger nach ihrer Qualifizierung zu unterrichten.

Mehr Einstellungen wären wünschenswert

Abhängig von «Unwägbarkeiten des Lebens» stehe am kommenden Montag vor jeder Klasse eine Lehrkraft, versicherte Piwarz. Natürlich wären mehr Einstellungen wünschenswert, aber das gebe die Bewerberlage nicht mehr her. Positiv sei, dass diesmal etwa ein Viertel der 877 ausgebildeten Bewerber aus anderen Bundesländern kämen und zwei Drittel von ihnen das Angebot der Einstellung angenommen hätten.

Mehr Kinder und Jugendliche zu unterrichten

Laut Piwarz werden mehr Lehrkräfte eingestellt als ausscheiden, aber bei weiter steigenden Schülerzahl werde es schwierig. «Wir haben regional und je nach Schulform nach wie vor Probleme, genügend Bewerber zu finden.» Aber von denen, die sich beworben hätten, sei ein Großteil auch im Schuldienst. «Wir sind froh über jede und jeden, der sich bewirbt.» Von Zeiten, in denen eine Auswahl möglich gewesen sei, sei man weit entfernt.

Während die Lehrerabdeckung im Bereich der Grundschulen weitgehend wieder bei 100 Prozent ist, besteht anderswo wie etwa an den Oberschulen noch größerer Bedarf. «Insgesamt Sorgen macht das Thema Naturwissenschaften», sagte Piwarz. Auch an berufsbildenden und Förderschulen, aber auch in Regionen wie dem Erzgebirge, Chemnitz und Umgebung sei die Lage schwierig.

Gewerkschaft sieht viel höheren Bedarf an Lehrern

Nach Ansicht der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind die Bemühungen des Kultusministeriums zur Gewinnung von Lehrkräften sichtbar. Allerdings geht GEW-Chef Burkhard Naumann von einem viel höheren Bedarf aus, den er auf 3.500 Lehrerststellen bezifferte, die im neuen Schuljahr besetzt werden müssten. Schulpolitik sei nur ehrlich, wenn sie den tatsächlichen Bedarf benenne. «Das Gesamtbild ist verheerend: Der Lehrkräftemangel wird sich in diesem Schuljahr weiter verschärfen.»

«Der Unterrichtsausfall gehört an allen Schularten und in allen Regionen zum Alltag. In vielen Klassen werden Fächer gekürzt oder entfallen gänzlich. Ganze Schülergenerationen erhalten nicht die Bildung, die ihnen zusteht», erklärte Naumann und kritisierte eine hohe Belastung des Personals. Die Politik müsse endlich die Mangelverwaltung beenden und einen zukunftsfähigen Plan vorlegen. Die GEW forderte ein neues Bildungspaket und schlug unter anderem vor, ältere Lehrkräfte durch spezielle Programme länger in den Schulen zu halten.

Der Sächsische Lehrerverband betrachtet den Personalmangel als «Resultat einer seit über 15 Jahren verfehlten Bildungspolitik im Freistaat». «Wir haben jahrelang auf die Notwendigkeit umfangreicher Einstellungen neuer, grundständig ausgebildeter Lehrkräfte hingewiesen», erklärte Landesvorsitzender Michael Jung. «Eine vorausschauende Personalpolitik hätte nicht nur den Bestand langfristig gesichert, sondern auch für eine ausgewogene Altersstruktur in den Kollegien gesorgt.»

Schülerzahlen steigen

Nach Ministeriumsangaben sind im neuen Schuljahr nach vorläufigem Stand insgesamt 536.000 Kinder und Jugendliche zu unterrichten. 2023/2024 waren es 517.711. Das sei ein Vorgeschmack auf die Zukunft und zeige, «um welch große Herausforderungen es geht», sagte Piwarz. Bei den Erstklässlern gebe es aber erstmals einen Rückgang von 41.200 auf 40.500.  Eine Herausforderung bleibt die Beschulung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund. 2023 waren das mehr als 45.000, ihre Zahl habe sich im Vergleich zu 2015 verdreifacht, sagte Piwarz. Das sei «dramatisch» für das sächsische Bildungssystem.

Parteien reagieren unterschiedlich auf Zahlen des Ministeriums

Die CDU-Fraktion im Landtag stellte die rund 1.000 neuen Stellen in den Mittelpunkt und äußerte sich optimistisch. Die SPD-Fraktion im Landtag sah dagegen ein Schuljahr mit «Licht und Schatten» voraus. Die AfD bezeichnete die CDU-Bildungspolitik als «desaströs». Die Union habe kein Rezept gegen Unterrichtsausfall. Die Linken machten geltend, dass gute Bildungschancen in Sachsen weiter vom Bildungsstand und Einkommen der Eltern abhingen. Die Grünen bedauerten unter anderem, dass zu viele Seiteneinsteiger in den Lehrerberuf ihre Qualifizierung abbrechen würden – laut Gewerkschaft sind es rund ein Viertel (26 Prozent).

Mehr Deutsch und Sachkunde – Gendern wird als Fehler gewertet

Mit dem neuen Schuljahr wird der Unterricht in den Kernfächern Deutsch und Sachkunde in den Klassenstufen 1 und 2 um je eine Stunde erweitert, um die Grundkompetenzen im Lesen, Schreiben und Rechtschreiben zu stärken, verkündete Piwarz eine der Neuerungen. Am Ende der 2. Klasse soll es künftig jährlich eine Lernstandserhebung geben, die Ergebnisse der ersten Analyse dieser Art sollen Ende August/Anfang September vorliegen.

In schriftlichen Arbeiten wird die Verwendung von Genderstern, Binnen-I, Unterstrich, Doppelpunkt oder anderem nicht nur als Fehler markiert, «sondern auch in die Benotung einbezogen», sagte Piwarz.

Die Grünen – Koalitionspartner der CDU – halten das für fatal. «Die Verunsicherung an den Schulen ist bereits hoch. Jetzt wird der Druck auf die Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und das weitere schulische Personal noch weiter erhöht», betonte die Abgeordnete Christin Melcher. News4teachers / mit Material der dpa

Söder nennt Pisa-Schock „Schlag ins Gesicht Deutschlands“ – und kündigt Genderverbot an Bayerns Schulen an


Title: Lehrermangel: „verheerendes Gesamtbild“ – Kultusministerium verschärft Genderverbot
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Date: July 31, 2024 at 04:23PM
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