Lernen für Multitasker


Die Wünsche und Vorlieben der Jugendlichen stehen bislang meistens dann im Vordergrund, wenn es darum geht, sie zum Beispiel für einen Ausbildungsplatz zu gewinnen. Mindestens genauso wichtig ist es aber, die Lernpräferenzen dieser Generation zu kennen und sich als Schule oder Betrieb darauf einzustellen.

ist Professor für Wirtschaftspädagogik an der Universität Bamberg und bildet Berufsschullehrkräfte aus. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die digitale Didaktik in der beruflichen Bildung sowie die Gestaltung von Lernumgebungen für die Generation Z.

Unser Ziel sollte nicht sein, dass junge Menschen genauso lernen, wie wir es einmal getan haben, sondern, dass die Lernergebnisse stimmen und sie im Beruf erfolgreich sind. Es ist nun mal diese Generation, die unsere Zukunft gestaltet – eine andere haben wir nicht.

Welche Lernpräferenzen haben die Jugendlichen?

Die Jugendlichen, die aktuell in einer Ausbildung sind, gehören der Generation Z an – die erste Generation, die in der digitalen Welt groß geworden ist. Daraus ergeben sich einige Lerncharakteristika: Die Jugendlichen sind beispielsweise multitaskingfähig. Das heißt nicht, dass sie mehrere Beispiel für eine Klassenarbeit lernt und dabei Netflix laufen lässt. Zudem haben Jugendliche heute eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne als früher. Dinge parallel erledigen können, das schafft das menschliche Gehirn nicht. Aber sie können schnell zwischen der konzentrierten Beschäftigung mit verschiedenen Tätigkeiten wechseln. Man vermutet, dass der digitale, schnell wechselnde Medienkonsum hierfür verantwortlich ist – ich kenne das selbst, wenn meine Tochter zum Beispiel für eine Klassenarbeit lernt und dabei Netflix laufen lässt. Zudem haben Jugendliche heute eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne als früher. Und sie sind daran gewöhnt, unterhalten zu werden. Sie wollen schnell Ergebnisse sehen, wenn sie sich mit etwas beschäftigen.

Was bedeutet das für das Lernen?

Dass wir Lernerfolge und -ergebnisse viel stärker sichtbar machen müssen – selbst bei einer kleinen Lerneinheit. Nehmen wir an, wir haben eine 45-minütige Unterrichtsstunde im Fach betriebswirtschaftliche Steuerung für Industriekaufleute. Wenn wir diese Stunde lernförderlich gestalten möchten, können wir uns die genannten Punkte zu Multitasking und Aufmerksamkeitsspanne in Erinnerung rufen, und die einzelnen Lernsequenzen unterschiedlich und kürzer gestalten, als wir es selbst gelernt haben. Wichtig ist: Das bedeutet keine Abkehr von unseren etablierten didaktischen Prinzipien, denn Methodenwechsel ist seit mindestens 40 Jahren etabliert. Wir können die Lernergebniskontrolle vielleicht schon nach 15 statt nach 30 Minuten in den Unterricht integrieren. Es geht darum, etablierte didaktische Methoden angemessen an die Lerngewohnheiten der Jugendlichen anzupassen.

Das heißt, digitale Tools und Geräte sollten stärker in den Lernprozess eingebunden werden?

Ja, allerdings dürfen wir die Fähigkeiten der Jugendlichen nicht überschätzen, denn die Sozialisation mit digitalen Medien bedeutet nicht, dass sie diese automatisch lernförderlich nutzen können. Das hat auch die Coronazeit gezeigt – viele Jugendliche sind fit darin, ihr Smartphone zu bedienen, aber sind damit überfordert, eine Ordnerstruktur anzulegen, um Dateien sinnvoll zu speichern. Es ist Aufgabe der Lehrkräfte und der Ausbilderinnen und Ausbilder, die Jugendlichen bei solchen Dingen zu unterstützen.

Wie setzen Sie diese Erkenntnisse selbst in der Ausbildung von Lehrkräften um?

Ein vielversprechendes didaktisches Konzept ist Microlearning, also das Organisieren von Lernprozessen anhand von kurzen, abgeschlossenen Lerneinheiten. Dieses Konzept ist nicht neu, aber es kommt dem Bedürfnis der heutigen Jugendlichen entgegen.

Wie sieht das konkret in der Praxis aus?
Die Basis einer Mikro-Lerneinheit kann zum Beispiel ein Lernvideo sein, in dem ein spezifischer Sachverhalt erklärt wird. Wichtig ist, dass darauf immer Arbeitsphasen mit Reflexionsfragen und Aufgaben folgen. Denn eine Abfolge von Lernvideos ist noch kein Lernprozess.

Was müssen Lehrkräfte oder Ausbildende bei der Gestaltung solcher Lerneinheiten beachten?

Erstens sollten die Videos ebenso wie die darauf aufbauenden Lerneinheiten wirklich kurz sein, maximal vier Minuten. Zudem ist eine ansprechende Gestaltung der Lernvideos wichtig, etwa eine angenehme Erklärstimme oder anschauliche Grafiken. Man muss sie nicht zwingend selbst produzieren, es gibt gutes, frei verfügbares Material im Internet. Daher würde ich empfehlen, eher weniger Lernvideos zu erstellen, die dann aber gut passen. Und die auf das Video aufbauenden Arbeitsaufträge sollten ein kollaboratives Element beinhalten, etwa, dass die Lernenden einen Social Media Post zum Gelernten verfassen, der von der Gruppe bewertet und besprochen wird.

  • Jugendliche lernen heute anders als früher: Sie haben eine kürzere Aufmerksamkeitsspanne, bessere Multitasking-Fähigkeiten und brauchen schneller Ergebnisse.
  • Lehrkräfte und Ausbildende sollten ihre Lernsettings an diese Charakteristika anpassen.
  • Dafür eignet sich Microlearning – Lerneinheiten, die aus einem kurzen Lernvideo mit anschliessender Arbeits- und Reflexionsphase bestehen.

Dieser Prozess klingt recht anspruchsvoll. Können Lehrende all das leisten?

Sie sind in einem derartigen Lernsetting stark gefordert. Deswegen empfehle ich für den Anfang, jede Woche ein kleines neues Element in den Lernprozess einzubauen, dass dieser Vision des an die Bedürfnisse der Jugendlichen angepassten Lernprozesses ein wenig näher kommt. So macht man Stück für Stück Fortschritte, ohne dass man gleich die gesamte Lernorganisation umkrempeln muss. Wichtig ist: An dem Methodenkoffer, den wir als Pädagogen haben, muss sich gar nicht viel ändern. Man muss ihren Einsatz nur anpassen – und wie das in der jeweiligen Situation klappt, das wissen die Lehrkräfte selbst am besten.

Lässt sich bereits absehen, wie sich künftige Jugendliche von denen der Generation Z unterscheiden werden?
Nach der Generation Z kommt die Alpha Generation, der nach 2010 geborenen. Forschungen deuten daraufhin, dass sie ähnliche Lerncharakteristika haben wie die Generation Z. Sprachgenerative Künstliche Intelligenz wie ChatGPT könnte für sie eine ähnlich prägende Rolle spielen, wie es Google für die Generation Z getan hat. Aber diese Generationeneinteilungen stellen lediglich Idealtypen dar. Innerhalb der Lerngruppen wird es auch in Zukunft viele individuelle Unterschiede geben, auf die wir eingehen müssen.


BILDUNGSPRAXIS – didacta Magazin für berufliche Bildung, Ausgabe 2/2023, S. 18-21, http://www.bildungspraxis.de



Title: Lernen für Multitasker
URL: https://bildungsklick.de//schule/detail/lernen-fuer-multitasker
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Date: June 5, 2023 at 01:44PM
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