Medienbildung: Sicher unterwegs in der digitalen Welt

Mit dem Siegeszug der künstlichen Intelligenz ist das Vertrauen in das Internet nicht unbedingt größer geworden. Für Schulen kann der rasante, mediale Fortschritt schnell zum Problem werden. Hier ist die Medienpädagogik mit ihrem Blick von außen gefragt.



11.06.2024



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Zwei Pädagoginnen aus Leipzig zeigen, wie die kulturellen, sozialen und kritischen Aspekte von Medien im Unterricht integriert werden können.

Im Internet ist einer Rentnerin ein Video aufgefallen, in dem ihr Idol Lena Meyer-Landrut von einer Handlungsplattform schwärmt, bei der sie mit dem Einsatz von wenig Geld einen sicheren Gewinn machen kann. Dies berichtet die Journalistin Antonia Fuchs auf Web.de. Das Video mit der prominenten Sängerin weckte Vertrauen bei der 68-Jährigen, die früher einmal als Steuerberaterin gearbeitet hat. Steuerberater gelten als vorsichtig. Was die 68-Jährige nicht ahnte: Das Video war eine Fälschung ‒ generiert mithilfe von künstlicher Intelligenz. Es war ein Deep Fake und dahinter steckte ein betrügerisches Netzwerk. Lehrgeld von 250 Euro zahlte die 68-Jährige schließlich.

„Wir wissen aus Studien, dass die Mehrheit der Menschen in Deutschland sagt, dass sie einen Deep Fake nicht erkennen können. Was hat das für Auswirkungen auf mich, auf meinen Datenschutz, auf mein Privatleben, auf meine Privatsphäre? Die Gesellschaft ist in ihrer Breite auf diese Technologie nicht vorbereitet“, sagte Professor Alexander Godulla von der Universität Leipzig dem MDR. Das Beispiel zeigt, wie aktuell Medienbildung geworden ist.

Medienbildung thematisiert in der Schule aktuelle mediale Phänomene, wie zum Beispiel die digitale Kommunikation mit dem Handy oder die Künstliche Intelligenz. „Entscheidend für ein erfolgreiches Lernen in der digitalen Welt ist es, Schülerinnen und Schülern das Lernen mit und über sowie das Gestalten von Medien zu unterstützen, damit sie das wachsende Angebot kritisch reflektieren und daraus sinnvoll auswählen und es angemessen, kreativ und sozial verantwortlich nutzen können,“ so die Kultusministerkonferenz in ihrer Strategie Bildung in der digitalen Welt aus dem Jahr 2016.

Kristin Narr und Hannah Bunke-Emden sind zwei Akteurinnen der Medienbildung aus Leipzig, die Prozesse der Medienbildung auch an Schulen moderieren. Kristin Narr ist außerdem Schulleitung einer Schule in freier Trägerschaft. Sie sehen sich als Macherinnen, die Konzepte für fortschrittliche Bildungsangebote an Schulen und Hochschulen entwickeln und haben jüngst auch an einer Lehrwerksreihe für Medienbildung mitgewirkt.

„Wir leben in einer hochkomplexen Welt, die von Medien und Technik geprägt ist“, sagt Kristin Narr. Deshalb wird Medienkompetenz immer wichtiger. Wie wichtig eine lebensnahe Medienbildung ist, zeigen die Ergebnisse der Studie „Jugend in Deutschland“ von 2024. Sie bescheinigt den 14- bis 29-Jährigen eine pessimistische Einstellung zur Zukunft. „Die Ergebnisse zeigen dringenden Handlungsbedarf: Die jungen Menschen kritisieren ein eklatantes Digitalisierungsdefizit im gesamten Bildungsbereich und in der Wirtschaft in Deutschland. Außerdem beklagen sie, dass ihre schulische Ausbildung sie zu wenig auf das wirkliche Leben und die Arbeitswelt vorbereitet“, so Kilian Hampel, Co-Autor der Studie, auf WDR Online am 23.4.2024.

Was treibt die beiden Medienpädagoginnen an? „Wir entwickeln Formate, die sehr lebensnah sind und integrieren sie in Schulen“, sagt Kristin Narr. Wichtig sei es ihr dabei, Themen, Inhalte und Methoden an die Jugendkultur anzuknüpfen. Der zweiten Medienpädagogin im Bunde, Hannah Bunke-Emden, geht es darum, Medienbildung an den Stellen und auf die Art und Weise in Schule zu vermitteln und integrieren, dass es „sinnvoll ist“. Ein Beispiel: Die gesellschaftliche Diskussion um die Schreibfähigkeiten vieler Kinder. „Es gibt Menschen, die sagen: Die Tablets sind schuld daran, dass Kinder nicht mehr lernen, richtig mit der Hand zu schreiben.“ Wenn es nach Hannah Bunke-Emden geht, heißt es nicht entweder Tablet oder Handschrift. Sie plädiert für ein Sowohl-als-auch. „Wann ist es sinnvoll, ein Tablet im Unterricht einzusetzen? Welche Aufgaben lassen sich besser mit der Hand erledigen?“, sagt Hannah Bunke-Emden.

Eine große Herausforderung für die Medienpädagogik: den Platz für Medienbildung im Konzert der Schulfächer mit ohnehin vollen Lehrplänen zu finden: „Für Medienpädagoginnen ist es schwierig, sich in der Schule zu verorten“, sagt Kristin Narr. Während in der Informatik die technischen Aspekte der Informationstechnologie im Vordergrund stehen, geht es in der Medienerziehung eher um die kulturellen, sozialen und kritischen Aspekte der Medien. Informatik sei ein anerkanntes Fach, Medienbildung sei vielfältig und interdisziplinär, so Kristin Narr. „Medienbildung stellt das Individuum in den Mittelpunkt und analysiert kritische Aspekte der Mediengesellschaft mit dem Ziel, Medienkompetenz zu erwerben und Medieninhalte kritisch bewerten zu können“, so Narr. Fake News und Deep Fakes, bei denen mithilfe von KI-generierten Videos Fernsehsendungen mit Prominenten erfunden werden, um Zuschauer zu täuschen – die Verantwortung von Lehrern und Medienpädagogen ist deutlich gestiegen. Und die Qualität der KI-generierten Bilder, Stimmen und Filme wird in Zukunft noch viel besser werden.

Welchen Stellenwert hat Medienerziehung in den Schulen? „Es gibt große Unterschiede von Schule zu Schule“, sagt Kristin Narr. Das zeige sich auch daran, welchen Stellenwert Medien und Medienbildung bei den Lehrkräften haben. Es gebe Lehrkräfte, so Kristin Narr, die der Medienwelt aufgeschlossen gegenüberstehen und sich intrinsisch motiviert fortbilden. Andere wiederum sähen Medien pragmatisch und entwickelten Unterrichtsthemen mithilfe von Medien, die sie kennen. Schließlich gebe es diejenigen, die mit Medien eigentlich nichts zu tun haben wollen und Veränderungen gegenüber nicht aufgeschlossen sind.

„Lehrerinnen und Lehrern kann man nicht alles alleine und zusätzlich aufbürden, sie brauchen Unterstützung von außerschulischen Fachkräften“, sagt Hannah Bunke-Emden. Externe Medienpädagogen könnten die Lehrkräfte zum Beispiel bei pädagogischen Tagen zu Themen wie Cybermobbing oder Fake News unterstützen. Deutschlehrer könnten sich zu bestimmten Schwerpunkten der Medienbildung von Externen beraten lassen. Schulleitungen könnten sich von externen Medienexpertinnen und -experten bei der Entwicklung der medienbezogenen Aspekte des Schulprogramms unterstützen lassen. Der Bedarf nach medienpädagogischer Begleitung ist auch bei den Schülerinnen und Schülern groß.

Hannah Bunke-Emden weiß, dass das Tablet als digitales Gerät auf Kinder und Jugendliche oft eine große Anziehungskraft ausübt. „Alle stürzen sich darauf, um es erst einmal in der Hand zu haben, aber sobald sie gezielt nach relevanten Informationen suchen sollen, sind viele überfordert“, sagt Bunke-Emden. Dann braucht es mehr als die Technik, die Hardware, dann braucht es Konzepte, Methoden und Übungen. Im Rahmen einer Themenwoche mit dem übergreifenden Thema „HeldInnen“ haben die Kinder an Frau Narrs Schule Erklärvideos zu den Stolpersteinen entwickelt, die an die Opfer des Nationalsozialismus erinnern. „Man muss das Thema sehr gut verstanden haben, um es erklären zu können“, so die Überlegung.

Die Medienpädagoginnen haben keine Berührungsängste mit Künstlicher Intelligenz. In einem medienpädagogischen Ferienprojekt 2023 brachten sie Schülerinnen und Schüler im Alter von 10 bis 14 Jahren elementare Funktionen der Künstlichen Intelligenz näher. Die Schüler konnten ausprobieren, wie man mithilfe von KI Bilder generieren kann.  „Unser Ansatz ist experimentell und forschend. Wir wollen herausfinden, was KI kann und wo ihre Grenzen liegen“, erklärt Kristin Narr. Im Vordergrund steht ein produktiver Lernansatz, bei dem die Jugendlichen als aktive Gestalter ihrer eigenen Erfahrungen fungieren. Die Pädagogen agieren in dem Projekt nicht in erster Linie als Wissensvermittler, sondern als Lernbegleiter, die ihre Schüler ermutigen, ihrer Neugier zu folgen und ihre kreativen Ideen umzusetzen. „Wir sehen nicht nur die Herausforderungen, die KI mit sich bringt, sondern erproben auch ihre nützlichen Potenziale“, betont Narr. Mit mehr Medienkompetenz auch in Sachen KI können junge und alte Menschen Fälschungen besser erkennen und beurteilen.


Dieser Beitrag wurde zuerst veröffentlicht in: Klett Themendienst Nr. 122 (05/2024)





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Date: June 11, 2024 at 04:16PM
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