Mit der Digitalisierung der Bildung rückt ein lange vernachlässigtes Thema in den Mittelpunkt: Didaktik

SAARBRÜCKEN. Frontal oder schülerzentriert? Still oder gemeinsam? Über die Frage der besten Methodik wird in der Pädagogik immer wieder gestritten. Im Zuge der rasant fortschreitenden Digitalisierung der Bildung einerseits und der zunehmenden Heterogenität der Schülerschaft andererseits, rückt unterdessen ein anderer Zugang zum Lehren und Lernen in den Fokus: die Didaktik. Ein Kongress in Saarbrücken, die educate, widmete sich deshalb nun dem allzu lange vernachlässigten Thema, wie sich Inhalte individuell besser zuschneiden lassen.

„Die Kunst ist, die Inhalte attraktiv zu machen.“ (Symbolfoto) Foto: Shutterstock

„Didaktik“, sagt Julia Knopf, „hat vor zehn, zwölf Jahren noch nicht die Rolle gespielt, die sie heute spielt. Inhalte sinnvoll zu orchestrieren, sie so aufzubereiten, dass sie zu dem lernenden Menschen passen – früher wurde gesagt: Das gehört in die Grundschulen.“

Julia Knopf muss es wissen: Sie hat selbst mal auf Lehramt an Grundschulen mit dem Hauptfach Germanistik studiert, bevor sie ein Studium der Didaktik des Deutschen als Zweitsprache draufsattelte – und dann eine Karriere startete, die sie heute als eine der renommiertesten Didaktik-Expertinnen Deutschlands gelten lässt. Die Professorin besetzt den Lehrstuhl Fachdidaktik Deutsch an der Universität des Saarlandes. Dabei widmet sie sich auch der Erforschung digitaler Lehr- und Lernprozesse, und zwar so intensiv, dass daraus an der Uni ein eigenes, von der Wissenschaftlerin geleitetes Forschungsinstitut erwachsen ist: das FoBID (Forschungsinstitut Bildung Digital), das digitale Bildungsprojekte wie „YouCodeGirls“ oder „Lesen to go“ entwickelt.

Didaktik werde keineswegs nur in der Grundschule benötigt – sondern grundsätzlich beim Lernen, also ebenfalls in der weiterführenden Schule, in der Ausbildung und in der beruflichen Weiterbildung. Und eben auch in digitalen Lernformaten, wie Julia Knopf betont. Das allerdings werde im Zuge der rasant fortschreitenden Digitalisierung der Bildung allzu oft vergessen: Die Technik stehe allzu oft im Vordergrund. Die Folge: „Der Lerneffekt bleibt aus.“

„Wir haben alles dabei: Von denen, die überhaupt keine Lust haben bis hin zu denen, die sehr engagiert sind“

Was tun? Damit beschäftigte sich in dieser Woche eigens ein Kongress in Saarbrücken, die vom FoBID veranstaltete Educate. Dort stand unter dem Titel „Transformation braucht Didaktik“ insbesondere die berufliche Weiterbildung im Fokus – ein Lernbereich, der sich deutlich schneller als die schulische Bildung digitalisiert hat. Der Reiz: Aus den Erfahrungen der Unternehmen lassen sich Erkenntnisse und Perspektiven auch für Schulen ableiten. Das Kernproblem der Betriebe, das auch die Schulen betrifft: die zunehmende Heterogenität der Lernenden. „Wir haben alles dabei: Von denen, die überhaupt keine Lust haben bis hin zu denen, die sehr engagiert sind“, so berichtete der Verantwortliche eines großen Unternehmens auf dem Kongress.

Zahlreiche namhafte Wirtschaftsvertreterinnen und -vertreter waren dort vertreten – von der Vorstandsvorsitzenden der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO, Andrea Bruckner, über den Geschäftsführer der SHS-Stahl-Holding-Saar, Joerg Disteldorf, bis hin zum Berliner IHK-Vizepräsidenten (und Geschäftsführer des Kita-Betreibers Fröbel International) Stefan Spieker.

In Zeiten des Lehrkräftemangels setzen die Kultusministerinnen und Kultusminister auf den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) große Hoffnung. In den Unternehmen macht sich allerdings bereits Ernüchterung breit. „In der sich schnell entwickelnden Landschaft der Bildungstechnologie steht KI als führender Trend im Mittelpunkt, wobei generative Ansätze die Erstellung digitaler Lehr- und Lernmaterialien revolutionieren“, so berichtete etwa der Wirtschaftsinformatiker Prof. Oliver Thomas. „Diese fortschrittlichen KI-Techniken haben das Potenzial, die Kosten für die Inhaltserstellung in der frühen Phase um 60 bis 80 Prozent zu senken. Allerdings bleibt die Anwendung von KI zur Generierung von Inhalten oft auf einfache Formate wie Quizze und Puzzles beschränkt, die wesentliche didaktische Prinzipien außer Acht lassen.“

Das Messen von – vermeintlichen – Lernerfolgen etwa gehöre heute zum Standard, berichtete Thomas unlängst in einem Interview mit „Bildungsklick-TV“. So werde erhoben, wie denn die Lerneinheiten durchgeführt wurden. Ob das allerdings tatsächlich mit echtem Lernerfolg zusammenhänge? Zweifelhaft. Meist werde nur gecheckt, ob die vorgegebenen Themen bearbeitet wurden oder nicht, ob sie Schritt für Schritt durchgeklickt wurden. Welcher Mehrwert am Ende daraus erwachsen sei, bleibe allzu oft im Dunkeln. „Man kann nicht lediglich die Inhalte verwalten und beobachten, ob sie beim Lernen eingesetzt wurden – man muss auch wissen, was man tut, wie man die Inhalte verbessert“, so Thomas. Also letztlich das, was eine gute Lehrkraft leistet.

Das geschieht tatsächlich immer noch viel zu selten – trotz KI. Differenzierung sei ein „ur-didaktisches Konzept“, könne allerdings bis heute in den technologischen Software-Umgebungen nur schwer umgesetzt werden. „Die Kunst ist, die Inhalte attraktiv zu machen, sie auf Mitarbeitende jeglichen Alters, sie auch auf ihre Kompetenzen auszurichten und sie passgenau zu machen. Das ist auch zum Teil mit Aufwand verbunden und man kann diese Prozesse nicht immer automatisieren, man denkt, das sei auf Knopfdruck möglich, das geht aber nicht“, sagt Thomas.

Knopf bestätigte den Befund. „Es gibt Hunderte von KI-Tools auf dem Bildungsmarkt“, sagte die Bildungsforscherin, „viele davon sind didaktisch trivial“. Lernen funktioniere nicht dadurch besser, wenn plötzlich ein Selfie auf dem Bildschirm aufploppe. „Man glaubt, Inhalte trivialisieren zu können.“ Genau das, so Knopf, funktioniere aber nicht.

Technologie dürfte nicht der Treiber der Entwicklung sein, betonte auch Wirtschaftsinformatiker Thomas. „Sie ist es häufig zu stark.“ Genau dort liege ein Teil des Problems. Man konzentriere sich zu stark auf das Verwalten von Lerninhalten, frage sich aber nicht, „wo die herkommen und wie man die besser macht“. Thomas: „Die Inhalte müssen ankommen. Die Kunst ist, den Menschen hierbei anzuleiten, ihm auch Hinweise zu geben, welche Elemente er denn verwenden könnte. Was haben andere verwendet? Kann ich diese Empfehlung unterstützen? Welches Lernformat nutzt du? Welches didaktische Element soll ich verwenden?“ KI-Systeme könnten dabei durchaus Lehr- und Lernprozesse unterstützen.

Aber: „Die Technologie muss sich unterordnen und zwar den pädagogischen und didaktischen Mitteln, die ich unterstützen möchte.“ Auf die Schule übertragen heißt das dann wohl: Auf die (didaktisch fitte) Lehrkraft kommt es an – auch weiterhin. Andrej Priboschek, Agentur für Bildungsjournalismus

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Title: Mit der Digitalisierung der Bildung rückt ein lange vernachlässigtes Thema in den Mittelpunkt: Didaktik
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Date: July 12, 2024 at 04:06PM
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