„Modell für heutige Synodalität“ / Wie ein Konzil der Spätantike bis heute nachwirkt

Hinweis: Das Gespräch entstand einige Tage vor dem Tod von Papst Franziskus am Ostermontag.

DOMRADIO.DE: Das Konzil von Nizäa ist 1700 Jahre her. Acht Theologen aus sieben Ländern haben für den Vatikan vor einigen Monaten extra einen Text über das Konzil erstellt. Da könnte man jetzt einwenden, eigentlich muss doch längst alles erforscht und alle offenen Fragen sollten geklärt sein. Warum ist dann ein solcher Text dennoch nach Meinung des Vatikans nötig? 

Prof. Dr. Dirk Ansorge (Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt am Main): Sie haben vollkommen recht: Das Konzil ist gut erforscht, die Quellen sind erschlossen. Aber das Konzil von Nizäa hat ja eine ganz große Bedeutung für die Geschichte der Kirche, für die Theologie, für die Frömmigkeit. Daran 1700 Jahre nach dem Ereignis zu erinnern, ist sicherlich ein Anlass, nochmals auch seitens der Theologie darüber nachzudenken und dieses Dokument zu erschließen. 

DOMRADIO.DE: Sie forschen im Bereich der Dogmengeschichte. Nizäa gilt als das erste ökumenisches Konzil, einberufen aber vom Kaiser, in einer völlig anderen geistigen und geistlichen Umwelt als heute. Einen Papst in heutiger Ausprägung gab es so noch nicht. Nehmen Sie uns doch mal ein bisschen mit in diese Zeit. Wie muss man sich die Umstände des Konzils vorstellen? 

Ansorge: Um das Konzil zu verstehen, sind auch die politischen Hintergründe wichtig; denn Kaiser Konstantin hatte im Jahr zuvor die Alleinherrschaft über das römische Reich errungen. Seinen Sieg über Licinius, seinen Widersacher, hatte er dem Gott der Christen zugeschrieben – wie schon einige Jahre zuvor seinen Sieg über Maxentius an der Milvischen Brücke. Und jetzt sieht Konstantin, dass innerhalb dieser christlichen Religionsgemeinschaft große Spannungen herrschen. 

"Konstantin will die Einheit unter den Christen. Und deswegen beruft er dieses Konzil ein, damit die Bischöfe mit ihren unterschiedlichen Positionen sich über die strittigen Fragen verständigen."

Weil er sich auch einen politischen Vorteil vom Christentum erwartet, muss er mit diesen Spannungen irgendwie umgehen. Er will die Einheit unter den Christen. Deswegen beruft er dieses Konzil ein, damit sich die Bischöfe mit ihren unterschiedlichen Positionen über die strittigen Fragen verständigen und dann auch eine Einheit im Glauben herbeiführen. Gleich in seiner Öffnungsansprache ermuntert der Kaiser die Bischöfe und lädt sie dazu ein, untereinander die Harmonie wiederherzustellen. 

DOMRADIO.DE: Besonders bekannt ist das Konzil natürlich dafür, dass da ein Glaubensbekenntnis formuliert wurde, das in Abwandlung bis heute noch im Gottesdienst zu besonderen Anlässen gesprochen oder gesungen wird. Vor allen Dingen wichtig ist auf dem Konzil die Rolle von Jesus Christus. Warum?

Ansorge: Es war eigentlich gar nicht so sehr die Christologie, die auf dem Konzil strittig war. Vielmehr ging es darum, in welcher Beziehung der ewige Sohn Gottes, also das göttliche Wort, zum Vater steht. Handelt es sich dabei um eine Art Hierarchie oder stehen Vater und Sohn auf gleicher Ebene? Es gab gute Gründe dafür zu sagen, dass Jesus Christus, das menschgewordene Gotteswort, von geringerem Seinsgrad ist als der Vater. 

"Das war eine wirkliche theologische Provokation; das war eigentlich auch philosophisch nicht zu verantworten."

Auf der anderen Seite aber wäre diese Auffassung insofern problematisch gewesen, als dann der Erlöser selbst eine Art Geschöpf gewesen wäre. Der alexandrinische Presbyter Arius hat diese Position vertreten, und darüber wurde auf dem Konzil leidenschaftlich gestritten. Letztendlich hat man dann eine Formulierung gefunden, die beide – das göttliche Wort und den göttlichen Vater als Ursprung des Sohnes – auf eine Ebene gestellt hat: Vater und Sohn sind von gleichem göttlichen Wesen. Das war eine wirkliche theologische Provokation; das war eigentlich auch philosophisch nicht zu verantworten. 

In dem Dokument, das die Theologen-Kommission veröffentlicht hat, wird genau darauf hingewiesen: Die Position des Konzils ist tatsächlich eine Provokation der Philosophie, eine Provokation des Denkens, die von diesem Glaubensbekenntnis ausgeht. 

DOMRADIO.DE: Leistet der Text denn einen guten Beitrag, um das Konzil und auch dieses Glaubensgeheimnis besser zu verstehen? 

Ansorge: Das Dokument der Theologen-Kommission verweist gerade am Ende selbst darauf, dass es darum geht, den Glauben von Nizäa für – wie es sie nennt – die "einfachen Menschen" zu erschließen. Und in gewisser Weise tut es das auch. Es wird in dem Text gesagt, dass der menschgewordene Gottessohn eben Gott selbst ist. Das ist das Entscheidende. Er ist kein Geschöpf. Er ist auch nicht Gott untergeordnet. Sondern der menschengewordene Logos ist Gott selbst. Gott selbst inkarniert sich, wird Mensch, nimmt Fleisch an, wird ein Individuum. Diesem Individuum können wir dann auch nachfolgen.

Das ist eigentlich das Entscheidende, das auch in der persönlichen Frömmigkeit eine Rolle spielen kann: Gott selbst macht sich so klein, dass er neben mich tritt und dass ich in seiner Nachfolge Gemeinschaft mit Gott haben kann. 

"Er ist kein Geschöpf. Er ist auch nicht Gott untergeordnet. Sondern der menschengewordene Logos ist Gott selbst."

DOMRADIO.DE: Das Dokument verwendet einerseits eine theologische Fachsprache, andererseits ist der Text auch ein Appell für die Verkündigung, spricht von einer Einladung zur Evangelisierung. An wen richtet sich denn das Dokument? Ist der Kreis doch weiter gefasst als "nur" für Fachtheologen und Fachtheologinnen? 

Ansorge: Natürlich will das Dokument in letzter Instanz den Glauben der Kirche inspirieren und Anregungen für die Verkündigung geben. Aber es macht das auf eine recht geschickte Art, indem es weniger die Wortverkündigung in den Vordergrund stellt als vielmehr darauf hinweist, dass wir eigentlich an das, was Nizäa damals dogmatisiert hat, dann glauben, wenn wir auf den Namen des dreifaltigen Gottes taufen – und auch dann schon, wenn wir uns bekreuzigen. Das sind liturgische Vollzüge und Riten, in denen der Glaube von Nizäa eine ganz praktische Gestalt gewinnt und unser Leben formen soll. 

"Natürlich will das Dokument in letzter Instanz den Glauben der Kirche inspirieren und Anregungen für die Verkündigung geben."

DOMRADIO.DE: Auch der Blick zu den anderen Religionen spielt bei dem Text, der jetzt vom Vatikan zu Nizäa gekommen ist, eine Rolle. Der Text schaut auch auf die anderen Religionen, speziell auf das Judentum. Was könnten die Gründe sein? 

Ansorge: Ich finde es sehr bemerkenswert, dass das Dokument das Verhältnis zum Judentum eigens thematisiert. Und zwar so, dass es die Kontinuität des christlichen Glaubens mit der biblischen Offenbarungsgeschichte betont. Dadurch, dass wir an den dreifaltigen Gott glauben, entfernen wir uns nicht vom Glauben Israels an den einen und einzigen Gott. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt des Konzils, der in dem Dokument betont wird. 

Und der andere Aspekt ist, dass wir in einer Offenbarungsgeschichte stehen, in der Israel eine maßgebliche Rolle spielt und in der so die Konkretheit des göttlichen Heilshandelns deutlich wird. So wie Gott Israel zum erwählten Volk gemacht hat, so wird in diesem einen Menschen, Jesus von Nazareth, Gott selbst für uns greifbar. 

Diese Konkretheit der göttlichen Offenbarung – das Dokument spricht vom "Christusereignis" – wird im Text sehr stark betont. Sie ist auch im Dialog der Religion, wie mir scheint, ein Spezifikum des Christentums. Von dorther müssen wir auch mit anderen Religionen außerhalb des Judentums, mit dem Islam, mit dem Buddhismus, das Gespräch führen. 

DOMRADIO.DE: Die Ökumene hat einen schweren Stand zurzeit, wenn man vor allen Dingen auf die russisch-orthodoxe Kirche schaut. Das sind die politischen Zeitumstände, die mit dem Krieg gegen die Ukraine im Moment die Ökumene sehr schwierig machen. Sehen Sie auch einen Impuls für die Ökumene in diesem Dokument? 

Ansorge: Der Text appelliert nicht zuletzt daran, dass man künftig in ökumenischer Weite das Osterfest gemeinsam feiert. Das halte ich für einen ganz wichtigen Impuls mit Blick auf die Einheit der Christen. Es ist ein Impuls, der jenseits von Dokumenten eine praktische Bedeutung hat, indem man nämlich das allen Christen gemeinsame Fest an einem gemeinsamen Datum gefeiert würde. Damit würde man auch dem alten Grundprinzip "lex orandi, lex credendi" – also "Das Gesetz des Betens ist auch das Gesetz des Glaubens" – gerecht. 

DOMRADIO.DE: Wir haben eine große Diskussion in der Kirche um Synodalität. Papst Franziskus hatte darauf einen neuen Fokus gelegt. Nizäa gilt als erstes ökumenisches Konzil. Sehen Sie in dem aktuellen Vatikan-Text Impulse für die heutigen Reformdiskussionen in der Kirche? 

"Diese Art und Weise, miteinander über den Glauben zu sprechen, einander zuzuhören, den Glauben dann aber auch gemeinsam zu feiern, das wird tatsächlich als Modell für heutige Synodalität vorgestellt." 

Ansorge: Das Dokument der Theologen-Kommission spricht die Synodalität des Konzils von Nizäa ausdrücklich an. Die Bischöfe haben sich auf einer Synode zusammengefunden, um strittige Fragen zu klären. Diese Art und Weise, miteinander über den Glauben zu sprechen, einander zuzuhören, den Glauben dann aber auch gemeinsam zu feiern, wird tatsächlich als Modell für heutige Synodalität vorgestellt. 

DOMRADIO.DE: Welcher Impuls kann denn von dem Dokument ausgehen? Was leistet der Vatikan-Text mit Blick auf die Geschichte des Konzils und die Ökumene für heute? 

Ansorge: Der Text erinnert daran, dass das Bekenntnis von Nizäa den gemeinsamen Glauben aller Christen und Christinnen zum Ausdruck bringt. Es ist die gemeinsame Grundlage aller Konfessionen und Kirchen – und dies trotz unterschiedlicher Interpretationen in den nachfolgenden Jahrhunderten. Das Bekenntnis von Nizäa ist die Richtschnur des christlichen Glaubens, der christliche Lehre und der christlichen Praxis. Nizäa ist der Fluchtpunkt, auf den sich alle christlichen Kirchen und Denominationen beziehen. Das in Erinnerung zu rufen, ist sicherlich ein wichtiger Impuls für die Ökumene heute. 

Mit Bezug auf das Konzil von Nizäa können wir unseren Glauben an den Mensch gewordenen Gott, der sich uns in Jesus von Nazareth als Erlöser gezeigt hat, gemeinsam bekennen. Auf diesem Wege können wir dann auch in ökumenischer Verbundenheit gemeinsam weitergehen. 

Das Interview führte Mathias Peter.

Konzilien ("Beratungen") sind Bischofsversammlungen der christlichen Kirchen. Dieses Instrument der Kirchenleitung entstand in der spätantiken Reichskirche – wobei bald zwischen Regional- und Partikularkonzilien und sogenannten Ökumenischen Konzilien unterschieden wurde.


Title: „Modell für heutige Synodalität“ / Wie ein Konzil der Spätantike bis heute nachwirkt
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Date: May 1, 2025 at 02:17PM
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