DOMRADIO.DE: Sie bieten aktuell im Erzbistum Köln eine Fortbildung für haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter an, die sich über mehrere Monate mit regelmäßigen Treffen erstreckt und die fit machen soll für eine innovative Jugendarbeit vor Ort. Ein auffälliges Stichwort dabei ist „fresh expressions of church“. Was muss ich mir darunter vorstellen?
Prof. Dr. Patrik Höring (Mitarbeiter des Instituts Religio Altenberg für Kinder- und Jugendpastoral im Erzbistum Köln und Lehrbeauftragter Katechetik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Kölner Hochschule für Katholische Theologe (KHKT): Hinter dem Begriff „fresh expressions of church“, wörtlich frische Ausdrucksformen von Kirche, verbirgt sich eine Bewegung, die vor etwa 20 Jahren aus England zu uns gekommen ist.
„Es geht um die Suche nach neuen, zeitgemäßen Formen von Kirche oder Gemeinde für die Menschen von heute.“
Da geht es um die Suche nach neuen, zeitgemäßen Formen von Kirche oder Gemeinde für die Menschen von heute. Denn, wie Sie richtig sagen haben die Gemeinden einen relativ hohen Altersdurchschnitt. Viele junge Leute, junge Erwachsene, aber auch Jugendliche finden da wenig Zugang.
Für diese Menschen, die keinen Zugang mehr zur Kirche finden oder gefunden haben, neue Formen von Kirche zu entwickeln, das ist Aufgabe von fresh expressions of church und der Fortbildung, die Sie eben genannt haben.
DOMRADIO.DE: Wie wird diese Fortbildung konkret aussehen? Geht es da vor allem um Theorie oder werden Sie auch versuchen, möglichst praktische Ausbildung zu machen?
Höring: Es ist eine Mischung. Die Fortbildung erstreckt sich über mehrere Monate mit Präsenzphasen mit Online-Einheiten, mit Selbstlern-Einheiten und in deren Mitte steht ein eigenes Projekt.
„Das erfordert natürlich ein gewisses Talent und einen gewissen Mut, eine Neugier und auch eine Lust, einfach mal was Neues auszuprobieren“
Man muss dann selber unter Beweis stellen, was und ob man etwas Neues auf die Wege bringen kann. Das erfordert natürlich ein gewisses Talent und einen gewissen Mut, eine Neugier und eine Lust, einfach mal was Neues auszuprobieren.
Wie man diese Lust in sich selber wecken und entdecken kann, das ist auch Teil dieser Ausbildung, also insofern hat sie viel auch an persönlichen Aspekten, an geistlichen, spirituellen Aspekten.
Wenn wir im Bereich von Kirche und Religion denken, hat Inspiration immer auch mit dem Heiligen Geist zu tun. Den zu entdecken, das gehört natürlich auch dazu, verbunden mit konkreten Techniken, etwa der Organisationsentwicklung oder der Gemeinde- und Kirchenentwicklung. In diesem Konglomerat geht es darum, es in die Tat umzusetzen.
DOMRADIO.DE: Kirche verändert sich zurzeit besonders stark. Im Erzbistum Köln wird es neue pastorale Einheiten geben. Wie wollen Sie dies bei der Fortbildung berücksichtigen, dass die Entfernungen auch immer größer werden?
Höring: Das ist genau die aktuelle Herausforderung, die es auch sinnvoll macht, etwa so eine Fortbildung zu besuchen. Wir wissen alle inzwischen bezogen auf die schon größer gewordenen Seelsorgebereiche und den jetzt noch größer werdenden pastoralen Einheiten: Wir können nicht einfach dasselbe nur in größerem Maßstab machen.
„Wir können nicht einfach dasselbe nur in größerem Maßstab machen.“
Mindestens auf dem Land sind die Entfernungen so weit, dass das einfach auch nicht funktioniert. Daher müssen wir ganz generell in der Gemeinde pastoral umso kleinteiliger denken, viel kleiner den konkreten Lebensraum in den Blick nehmen und da gezielt einzelne Flammen, Feuer entzünden, die neue Gemeindeformen entwickeln helfen.
Der gesamte Umbruch ist natürlich damit der Background, der hier eine Rolle spielt. Aber ich glaube, gerade diese Idee einer fresh expression of church ist geeignet, dieser Herausforderung zu begegnen.
DOMRADIO.DE: Was wäre ein Beispiel für diese besondere, innovative Form?
Höring: In England gibt es inzwischen eine große Anzahl von fresh expressions of churches, die in Kontakt mit einer bestehenden Gemeinde sind oder ganz selbstständig von begeisterten Gemeindemitgliedern einer anderen Gemeinde entstanden sind.
Es gibt Gemeinden, die überalterte Gemeinden auch revitalisiert haben. Oft ist der Ausgangspunkt das konkrete Interesse der Menschen, die da an einem Ort leben, oder auch die Neigung derer, die dort als „Pioniere“ – so bezeichnen wir die Initiatoren dieser neuen Form – vor Ort aktiv sind.
Ein Beispiel: Ein Kollege von mir, der macht gerne sportliche Sachen in urbanem Kontext, Parkour nennt sich das. Die springen über Stock und Stein und über Hecken und Zäune. Er kam in seiner Stadt mit Menschen dieser Sportart in Kontakt.
Die entdeckten an ihm: Der hat was zu sagen, der hat einen Glauben, den man spüren kann. Sie haben ihn eingeladen: Hör mal, fang doch mit uns auch mal an, wenn wir mit unserem Training fertig sind, zu beten. Es kann ein ganz kleiner, rudimentärer Anfang sein, aus dem sich was entwickeln kann, nämlich eine Gemeinschaft, die zusammen bleibt und das Leben und Erleben, das man miteinander hat, von der Bibel her, zu deuten.
„Ein ganz kleiner, rudimentärer Anfang, aus dem sich dann was entwickeln kann“
Das können aber auch andere Dinge sein, etwa eine Obdachlosenhilfe, eine offene Tür für junge Menschen, es könnte eine Kleiderkammer sein, es kann ein Café sein. Viele dieser Fresh Expressions sind im Umfeld der Coffee-Church-Bewegung zu finden.
Das ist ein Café, das von Freiwilligen betrieben wird, durchaus mit leckerem Kaffee, das war in England früher eine Art eine Revolution (lacht) – aber das wird mit Bibel teilen oder einer geistlichen Vertiefung verbunden. In diesen kleinen Zellen entwickelt sich etwas – vielleicht auch nur für eine gewisse Zeit, vielleicht auch auf Dauer, das zu einer eigenen Gemeinde im Kontext der gesamten Pastoral werden kann.
DOMRADIO.DE: Es wird auch viel über den religiösen Traditionsabbruch in unserer Gesellschaft gesprochen. Gleichzeitig gab es noch nie so viele junge Menschen, die mit Glauben und Kirche gar keine Berührung bislang gehabt haben. Wie kann man sie dann überhaupt noch erreichen?
Höring: Man erreicht sie dadurch, dass man auf sie trifft. Ich treffe, wenn ich in die Stadt gehe oder vor die Haustür trete, natürlich mit einer Fülle an Menschen zusammen, die genau dieses Profil haben, wie Sie es beschreiben.
Wenn ich natürlich nur in meinem Kirchenraum schaue und nach dem Sonntagsgottesdienst auf dem Kirchplatz mich umschaue, da finde ich nur all diejenigen, die schon längst da sind. Aber die anderen kann ich natürlich alltäglich auch entdecken.
Das heißt, es erfordert eine Präsenz unter Menschen in einem Sozialraum. Ich muss als pastoraler Mitarbeiter oder als Ehrenamtlicher die Ohren aufmachen, mein Herz aufmachen, für deren Lebenssituation, mit ihnen ins Gespräch kommen, in Kontakt kommen und ausloten, was für ein Profil könnte so eine neue Gemeindeform haben?
Das wissen auch die Kursleiter der Fortbildung nicht, denn das kann man nämlich nur vor Ort entscheiden. Aber die Technik dafür, das zu entdecken, das bekommt man dort in dem Kurs schon mit: Wie komme ich in Kontakt mit Menschen, wie komme ich ins Gespräch und wie deute ich das, was ich da höre, um dann möglicherweise theologische oder pastorale Konsequenzen zu ziehen?
Fresh X steht für „fresh expressions of church“ und ist im Ursprung eine Bewegung der anglikanischen Kirche in Großbritannien. Fresh-X steht für ergänzende Ausdrucksformen von Kirche. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit haben sie eines gemeinsam: die Haltung, aus der heraus eine Fresh X entsteht. Diese geht davon aus, dass Gott überall am Werk ist, auch dort, wo Menschen keinen Bezug zu Kirche haben. Deshalb gehen Menschen an Orte und in Kontexte, wo Leuten die Kirche fremd ist.
DOMRADIO.DE: Ich finde, der Begriff Jugendarbeit ist immer relativ allgemein. Deswegen auch eine sehr allgemeine Frage zum Schluss: Was ist eigentlich das Ziel einer Jugendarbeit? Geht es da um Lebensbegleitung von jungen Menschen, geht es da um das Werben für den Glauben, geht es darum, dass die Kirche wieder sonntags voller wird?
Höring: Dass Jugendarbeit keine Rekrutierung mehr ist und nicht das Füllen leerer Kirchenbänke, das haben wir schon in den 1970er Jahren mit der Würzburger Synode eindeutig abgelehnt.
„Jugendarbeit ist die Einladung, Jesus Christus kennenzulernen“
Jugendarbeit ist die Einladung, Jesus Christus kennenzulernen, von seinem Lebensbeispiel zu lernen und den Lebensstil, den Christinnen und Christen leben, auszuprobieren. Was unterscheidet Christinnen und Christen von anderen? Wie leben die ihren Alltag? Meistenteils nicht viel anders wie andere auch. Aber an bestimmten Punkten unterscheidet sich das dann doch. Und das zu beschnuppern, das ist eigentlich die Aufgabe von Jugendarbeit als ein mögliches Angebot, das eigene Leben daran zu orientieren.
Es gehört dazu aber auch die praktische Nächsten- oder Lebenshilfe. Also, wenn einer Hunger hat, dann muss er zunächst mal was zu essen bekommen, bevor ich mit dem Evangelium um die Ecke komme. Auch das zählt zur Jugendarbeit, dass es praktische Unterstützungen im Prozess des Heranwachsens gibt, die zunächst gar nicht groß mit Jesus Christus zu tun haben, aber natürlich aus christlichem Geist inspiriert und in Gang gekommen sind.
DOMRADIO.DE: Ihre Fortbildung richtet sich an haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter. Was sind die Voraussetzungen, um bei Ihrer Fortbildung einzusteigen? Was müssen die möglichen Teilnehmer mitbringen?
Höring: Mitbringen müssen sie tatsächlich die Lust und den Hunger, etwas Neues auszuprobieren, ausgetretene Pfade zu verlassen und nicht der Neigung anheim zu fallen, man lockt jetzt die Menschen mit irgendeinem Trick in die Kirche oder in die bestehenden Formen hinein. Sondern man braucht tatsächlich den Willen, etwas völlig Neues für die Menschen aufzusetzen.
Das Interview führte Mathias Peter
Title: "Mut für etwas Neues" / Erzbistum Köln geht bei Jugendarbeit neue Wege
URL: https://www.domradio.de/artikel/erzbistum-koeln-geht-bei-jugendarbeit-neue-wege
Source: DOMRADIO.DE – Der gute Draht nach oben
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Date: August 18, 2023 at 06:47AM
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