Horst Heller
Erzähltexte: Nadine Klimbingat und Horst Heller
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Im Blogbeitrag vom 11.02.2025 habe ich drei bibeldidaktische Grundsätze formuliert und den ersten von ihnen entfaltet.
Wir achten den Bibeltext
Wir verzichten nicht auf Didaktik
Wir bedenken den Verstehenshorizont der Hörenden
Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich nun mit dem zweiten der Grundsätze. Er tut dies ebenfalls mit sechs Anregungen und sieben Beispielen.
Grundsatz 2: Wir verzichten nicht auf Didaktik
Der Religionsunterricht will Lernende ins Denken bringen. Dazu erzählt er biblische Geschichten und setzt Fragen und Impulse ein. Machen wir uns klar, mit welcher Intention wir erzählen! Dann können wir auch sagen, worüber Schülerinnen und Schüler nachdenken sollen, wenn sie eine Bibelgeschichte hören.
Was will noch alles didaktisch bedacht werden?
Siebte Anregung: Wir wählen biblische Geschichten sorgsam aus
Nicht alle Bibelgeschichten sind gleichermaßen für den Religionsunterricht geeignet. Welche werden Teil meines Unterrichts, welche lasse ich weg? Das bestimmt nicht allein der Lehrplan. Die oben gestellte Frage „Worüber sollen Schülerinnen und Schüler nachdenken?“ bestimmt meine Auswahl.
Beispiel 7
Eine didaktische Reduktion ist vor allem bei den großen Erzählkränzen des Alten Testaments nötig. Der biblische Erzählkranz Abraham und Sara (Gen 12-25) umfasst beispielsweise dreiundzwanzig sehr unterschiedliche Episoden. Es ist weder sinnvoll noch möglich, sie allesamt im Unterricht zu thematisieren. Traditionell werden sechs biblische Geschichten verwendet. Die Unterrichtsvorschläge beginnen dann mit der Berufung Abrahams und enden mit der Geburt Isaaks. In einem Blogbeitrag habe ich einen anderen Vorschlag gemacht, der das interreligiöse Lernen in höheren Klassen vorbereitet. Ich erzähle auch von Abrahams Tod und von seiner Bestattung in Hebron, bei der die Söhne Isaak und Ismael wieder zusammentreffen (Gen 25,8 f.). Die Geschichte der Bindung Isaaks (Gen 22) hingegen erzähle ich nicht.
Beispiel 8
In der Exodus-Erzählung wird Ägypten als ein Land beschrieben, das die Israeliten versklavt und zum Arbeitseinsatz zwingt. Was die Autoren dieser biblischen Überlieferung bewogen hat, mehr als fünf Kapitel lang die grausamen Strafen zu beschreiben, die Gott den Ägyptern zufügt, müssen wir jetzt nicht herausfinden. Wichtiger ist, dass die kollektive Bestrafung der Ägypter nicht zu meiner Unterrichtsintention passt. Ich möchte den Auszug der Israeliten als Befreiungsgeschichte erzählen. Die zehn Plagen sind dafür nicht hilfreich.
Achte Anregung: Unsere Erzähltexte laden zum Nachdenken ein
Biblische Geschichten bürsten die Erwartungshaltung ihrer Leserinnen und Hörer gerne gegen den Strich. Der Weinbergbesitzer (Mt 20,1-15) zahlt allen seinen Arbeitern den vollen Tageslohn, obwohl viele von ihnen nur Teilzeit gearbeitet haben. Der gütige Vater nimmt seinen verlorenen Sohn (Lk 15,11-32) nicht nur wieder zu Hause auf, sondern er lässt die Sektkorken schon knallen, bevor der ältere Sohn von der Arbeit nach Hause gekommen ist. Immer wieder provozieren die Erzählungen Einwände der Hörerinnen und Hörer.
Der Religionsunterricht kommt immer dann zu seinem Ziel, wenn es ihm gelingt, über diese Provokationen nachzudenken und in ein theologisches Nachdenkgespräch einzubringen. Das darf schon in den Erzähltexten angestoßen werden.
Beispiel 9
Im folgenden Erzähltext zur Berufung des Petrus am See Genezareth wird die Frage, die dieser sich selbst stellt, zu einem Nachdenkimpuls für den Unterricht.
Als wir wieder an Land waren, sprach er uns alle mit Namen an: „Simon, Andreas, Jakobus, Johannes, bis jetzt wart ihr Fischer. Ab heute sollt ihr mir folgen.“ Zu mir sagte er: „Du bist Simon, doch von nun an sollst du Simon Petrus heißen.“ Petrus heißt Fels. „Du wirst mein Fels sein. Auf dich will ich mich verlassen.“
Wir banden die Boote im Hafen fest und gingen mit ihm. Welch einem Menschen waren wir da begegnet?
Erzähltext nach Lukas 5,10 f.
Neunte Anregung: Wir suchen nach Denkanstößen in biblischen Texten und nutzen sie
Ihre Leserinnen und Leser anzuregen, über Jesus nachzudenken, war offenbar auch die Absicht der Evangelisten. Immer wieder bauten sie selbst in ihre Erzählungen Reflexionsimpulse ein. Es liegt nahe, diese für den Unterricht zu nutzen und sie in unseren Erzähltexte aufzunehmen.
Beispiel 10
Der Evangelist Markus erzählt von einer Rettung auf dem See Genezareth. Ein Schiff mit Jesus und seinen Jüngern an Bord wird auf dem See von einem gefährlichen Sturm überrascht. Es herrscht Panik an Bord, die Jünger fürchten um ihr Leben. Jesus aber schläft. Als sie ihn wecken, steht er auf und gebietet dem Wind zu schweigen. Sofort legt sich der Sturm, es kehrt Stille ein. Die Jünger sind unfassbar froh, aber sie verstehen nicht, was gerade geschehen ist.
Jesus schaute die Jüngerinnen und Jünger an. „Warum habt ihr solche Angst?“, fragte er sie. „Ich bin da. Ich bin doch da!“ Da sahen sie sich an. „Wer ist dieser Jesus eigentlich?“
Erzähltext nach Mk 10,40 f.
Beispiel 11
Auch der Evangelist Lukas, der gelehrteste unter den neutestamentlichen Evangelisten, verwendet dieses Stilmittel. In seiner Weihnachtsgeschichte erzählt er, dass die Hirten in die Herberge kommen und den Eltern des neugeborenen Kindes erzählen, was der Engel ihnen gesagt hat: dass nämlich das Kind in der Krippe der Retter sei. Der Evangelist schließt seine Geschichte mit einem Impuls, der für den Religionsunterricht eine Steilvorlage ist. Vom Erzähltext angestoßen, kann nun wie Maria auch die Lerngruppe über die Worte der Hirten nachdenken.
Maria hörte ihnen gut zu und merkte sich alles. Sie dachte lange über die Worte der Hirten nach.
Erzähltext nach Lk 2,19
Zehnte Anregung: Wir vermeiden synoptische Vergleiche
Die beiden Schöpfungserzählungen (Gen 1 und 2) miteinander zu vergleichen, heißt, beiden nicht gerecht zu werden. Eine solche Texterschließung wird immer oberflächlich bleiben und keinem der beiden Texte gerecht. Gleiches gilt für die Ostererzählungen der vier Evangelien. Ihre zentralen Botschaften ergründen wir so nicht. Äpfel und Birnen lassen sich bezüglich Farbe, Form und Gewicht vergleichen. Wie sie aber schmecken, lässt sich nur erfahren, wenn wir in sie hineinbeißen. Und zwar nacheinander.
Elfte Anregung: Wir nutzen die Dramatik, wenn der biblische Text sie bietet
Es mag überraschen, aber biblische Geschichten bieten an manchen Stellen unerwartete Spannung oder expressive Dramatik. Beim Bibellesen werden diese Elemente leicht übersehen, weil sie unauffällig und bescheiden daherkommen. Doch sie können unsere Erzähltexte bereichern. Auch ohne sie unangemessen in den Mittelpunkt unserer Erzählung zu stellen, entfalten sie im Unterricht ihre Wirkung.
Beispiel 12
Josef hat den Auftrag seines Vaters, nach seinen Brüdern und ihren Herden zu schauen, die in der kargen kanaanäischen Landschaft mit ihren Herden unterwegs sind. Doch als die Brüder ihn kommen sehen, beschließen sie, ihn zu töten. Dazu kommt es zum Glück nicht. Aber der Hass der Brüder sitzt tief:
Als Josef bei seinen Brüdern ankam, grüßten sie ihn nicht. Sie hielten ihn fest und zogen ihm das Gewand aus. Sie warfen ihn in einen ausgetrockneten Brunnen. Dann setzen sie sich hin und aßen und tranken, was er ihnen mitgebracht hatte.
Erzähltext nach Gen 37,23 f.
Beispiel 13
Die Sterndeuter kommen in der Weihnachtsgeschichte nach Matthäus zu Herodes, der sich gerade in Jerusalem aufhält. Sie fragen ihn nach dem König der Juden. Herodes erschrickt. Ein König in seinem Land? Der könnte ihn vom Thron stoßen! Er ist entschlossen, dieses Königskind zu töten. Um herauszufinden, wo er es finden kann, wendet er eine List an:
Da sagte Herodes zu den Sterndeutern: „Das Kind ist in Betlehem auf die Welt gekommen. Geht dort hin und sucht es! Und wenn ihr es gefunden habt, dann kommt zurück und sagt es mir. Auch ich möchte ihm Geschenke machen.“
In Wahrheit aber hatte er Böses im Sinn.
Erzähltext nach Mt 2,8
Zwölfte Anregung: Wir machen Hörende zu Erzählenden
Dieser Blogbeitrag hat gezeigt, wie Schülerinnen und Schüler aktiviert werden können, obwohl sie zunächst „nur“ Hörende sind. Ein weiterer bibeldidaktischer Vorschlag sei hier angefügt. Gutes Erzählen macht Schülerinnen und Schüler selbst zu Erzählenden. Was sie gehört haben, erzählen sie nach. Auf diese Weise zeigen sie auch, welche Aspekte der biblischen Erzählung sie angeregt haben.
In Kürze folgt
Grundsatz 3: Wir bedenken den Verstehenshorizont der Hörenden
Biblische Geschichten sind keine Kindergeschichten. Sie sind allerdings für die Familienunterweisung aufgeschrieben. Es ist also möglich, sie auch Kindern zu erzählen. Was beachten wir dabei?
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Title: Nachdenkimpulse statt synoptischer Vergleiche. Didaktisches zum Bibelerzählen. Sechs weitere Anregungen, sieben Beispiele
URL: https://horstheller.wordpress.com/2025/02/15/bibel-erzahlen-2/
Source: Horst Heller
Source URL: https://horstheller.wordpress.com
Date: February 15, 2025 at 06:12AM
Feedly Board(s): Religion